Читать книгу ...und im Luftschloss wird es kühl - Karen Grace Holmsgaard - Страница 13

Tag vierzehn (Donnerstag)

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Ein neuer Tag begann. Sabine hatte schlecht geschlafen und musste sich erst einmal orientieren, nachdem sie aufgewacht war. Zu sehr hatte David Silverstone in ihrem Unterbewusstsein herumgespukt.

Sabine streckte sich kurz und setzte sich dann mit Schwung auf die Bettkante.

Was lag heute an? Sabine überlegte. Zayba! Sabine freute sich, und auf einmal fiel es ihr leicht, das Bett zu verlassen und ihr Morgenritual durchzuführen. Erst nach dem Frühstück widmete sie sich ihrem Laptop und fand eine Nachricht von David.

Ich hoffe, Deine letzte Nacht ist wundervoll gewesen und Du hast gut geschlafen,

Dich sehe ich an jedem Morgen als erstes, wenn ich meine Augen öffne.

Dein Anblick ist der letzte, mit dem ich in die Nacht entgleite. Dich wünsche ich mir so an meiner Seite.

Genervt stöhnte Sabine auf. Konnte David nichts anderes als Süßholz raspeln?

Irgendwie muss ich ihn zur Räson bringen, dachte sie. Plötzlich riss sie das Smartphone aus ihren Gedanken. Eine WhatsApp von Zayba!

Iss heute nicht so viel und vergiss unsere Verabredung nicht!

Ich bringe uns was Gutes mit!

Sabine entschloss sich, gleich zu antworten.

Keine Sorge, aber wehe, ich werde nicht satt!

Lächelnd schickte Sabine die Nachricht ab, wandte sich wieder Facebook zu und fand eine weitere Nachricht von David.

Meine liebe Sabine!

Ganz schnell muss ich mich bei Dir melden, mein Engel. Es sieht leider so aus, als würde mein PC den Geist aufgeben.

Du weißt, wie ich im Stress stehe (meine Mutter und der Umzug nach Berlin).

Ich kann jetzt unmöglich losziehen und mir einen neuen PC kaufen. Das werde ich erst tun, wenn ich in Berlin lebe. Du hast doch sicher WhatsApp. Gerne würde ich über diesen Dienst mit Dir verbunden sein. Facebook auf dem Handy ist mir zu mühsam… Abgesehen davon könnten wir schneller Nachrichten austauschen.

Du brauchst nur zu schreiben, wenn Du Zeit dazu hast, und wenn Du unterwegs bist, schaltest Du Dein Smartphone auf lautlos. Nerven möchte ich Dich auf keinen Fall, aber diese Idee geht mir schon seit einigen Tagen im Kopf herum.

Überlege es Dir bitte und füge mich zu Deinen Kontakten hinzu. Ich schreibe Dir hier meine Nummer dazu.

Ich liebe Dich, meine Schönheit und ich möchte Dich nicht verlieren, nur weil mein PC den Geist aufgibt. Dein David

P.S. und wenn Du kein WhatsApp haben solltest, können wir Hangouts nutzen.

Sabine starrte auf die aktuelle Nachricht von David. Was sollte das?

Aber okay, was hatte sie zu verlieren? Sabine entschied sich für Hangouts, warum wusste sie nicht genau. Sie fand es gut, nicht mehr so vom Laptop abhängig zu sein. Also übermittelte sie David schnell ihre Gmail Anschrift. Schon wenige Minuten später fand sie eine Nachricht von David in Hangouts.

Es hat geklappt. Wenn Du Zeit für eine Nachricht hast, schreib mir bitte.

Sabine entschloss sich, zunächst nicht zu antworten. Sie zog sich um und machte sich auf den Weg zur Physiotherapie. Mittlerweile war es Anfang Juli, eine Jacke benötigte sie auf dem Weg nicht. Meine letzte Behandlung für diese Woche, dachte sie, als sie die Praxis betrat.

Sabine nickte der Dame an der Anmeldung kurz zu und nahm im Wartebereich Platz. Die Praxis machte einen freundlichen Eindruck, das war Sabine gleich beim ersten Besuch aufgefallen. Neben den wenigen Stühlen im Wartebereich gab es ein kleines Tischchen. Auf dem stand immer ein kleiner frischer Blumenstrauß und einige Zeitschriften lagen aus. Plötzlich weiteten sich ihre Augen!

‚Love Scamming, die moderne Form des Heiratsschwindels‘, prangte es in großen Lettern über einem Artikel. Darunter in etwas kleinerer Schrift ‚Vier Frauen berichten über ihr Schicksal‘. Gerade wollte Sabine sich diesen Artikel zu Gemüte ziehen, da wurde sie aufgerufen. Mit einem Seufzer legte sie die Zeitschrift beiseite. Dieser Artikel hätte sie interessiert! Sabine entschloss sich, nach der Behandlung einmal kurz in diese Zeitschrift zu schauen, und betrat optimistisch den Behandlungsraum.

Die letzte Behandlung für diese Woche und nachher ein schönes Treffen mit Zayba, besser kann das lange Wochenende nicht starten, dachte sie.

Marco, der Physiotherapeut begrüßte Sabine freundlich und half ihr beim Ablegen der Orthese. Dann begann er professionell mit der Behandlung. Nach einer knappen halben Stunde war die Behandlung beendet. Marco half Sabine erneut und sagte: „Holen Sie sich bitte neue Termine und sprechen Sie bei Gelegenheit mit Ihrer Hausärztin wegen einer zusätzlichen Behandlung, wir haben Ultraschall und Elektrotherapie gerade günstig im Angebot.“

Schnell waren neue Termine ausgehandelt und Sabine sah noch einmal auf den Zeitungsstapel in der Anmeldung. Leider las eine andere Patientin die Zeitung, in die Sabine schauen wollte. Mit einem freundlichen Gruß verließ Sabine die Praxis. Angenehm warme Luft schlug ihr entgegen, als sie ins Freie trat.

Plötzlich fiel Sabine ein, dass sich in unmittelbarer Nähe der Praxis ein Zeitungsladen befand. Vielleicht sollte sie dort einmal nach der Zeitschrift schauen, die in der Physiotherapiepraxis ausgelegen hatte. Sabine kaufte sie und schob sie in ihre Tasche. Gutgelaunt machte sie sich auf den Heimweg. Zuhause angekommen zog sie sich um und bereitete sich einen kleinen Snack zum Mittagessen. Nach dem Essen wurde Sabine müde. Eigentlich legte sie sich niemals mittags hin. Aber sie beschloss, an diesem Tag eine Ausnahme zu machen. Sie trug das Geschirr in die Küche, wusch es ab und zog sich dann ins Schlafzimmer zurück. Erstaunlicherweise schlief sie sofort ein. Als sie wenige Stunden später aufwachte, streckte sie sich schlaftrunken und warf einen Blick auf die Uhr. Fast siebzehn Uhr. Solange hatte Sabine nicht schlafen wollen, aber sie fühlte sich frisch und munter.

Gemächlich stand sie auf und verschwand kurz im Bad. Anschließend fuhr sie ihren PC hoch, öffnete ihren E-Mail-Account und dann Facebook. Einen Augenblick lang wunderte sie sich, dass sie keine Nachricht von David fand, doch dann fiel ihr ein, dass sie sich ja auf Hangouts geeinigt hatten. Hastig griff sie zu ihrem Smartphone, doch auch hier fand sich keine Nachricht von David. Sabine entschloss sich, ihm sofort zu schreiben, sie wollte ihn nicht im Ungewissen lassen.

Bitte entschuldige, dass ich mich erst jetzt wieder bei Dir melde, aber ich hatte bis eben zu tun und hatte echt keine Zeit, mich bei Dir zu melden. Mach Dir aber um mich keine Sorgen, ich bin jetzt Zuhause, bekomme aber am Abend Besuch. Wundere Dich nicht, über mein Schweigen. Wenn ich wieder mehr Zeit habe, werde ich ausführlicher schreiben.

Schnell schickte Sabine die Nachricht ab und brühte sich einen Kaffee auf. Vorsichtig trug sie die Tasse ins Wohnzimmer und rührte gedankenverloren darin herum. Gerade hatte einen Schluck Kaffee genommen, als sich ihr Smartphone erneut meldete. Eine Nachricht von David!

Gut, dass Du Dich wieder gemeldet hast, ich habe mir schon Sorgen um Dich gemacht. Aber ich verstehe, dass Du mal Termine hast. Darf ich Dich fragen, wer Dich heute Abend besucht?

Sabine ärgerte sich. Was ging ihn ihr Besuch an? Morgen würde sie David antworten. Und sie würde ihm klarmachen, dass er sich eine Liebe aus dem Kopf schlagen kann. Sie beschloss, sich auf den Abend mit Zayba vorzubereiten. Wenn sie Zayba richtig verstanden hatte, würde sie Essen aus dem Restaurant mitbringen. Getränke brachte sie sicher nicht mit, aber Wasser, Cola und verschiedene Säfte hatte Sabine im Haus. Nein, verdursten würden sie nicht. Sabine deckte den Tisch und stellte die Getränke bereit. Damit ihre Gedanken nicht ständig um David kreisten, versuchte Sabine sich abzulenken und schaltete den Fernseher ein. Dann klingelte ihr Smartphone. Zayba! Sabine hob nervös den Hörer ab. Hoffentlich keine Absage, dachte Sabine, sie hatte sich doch so auf diesen Abend gefreut.

„Hallo Sabine, ich komme schon um zwanzig Uhr, ist es Dir recht? Ich kann eine Stunde eher Feierabend machen!“ Sabine jubelte innerlich: „Super, das ist mir natürlich sehr recht, ist ja nicht mehr so lange.“ „Gut, dann sehe ich zu, dass ich pünktlich bei Dir bin“. Und schon hatte Zayba wieder aufgelegt. Kaum hatte Sabine das Telefon aus der Hand gelegt, klingelte es erneut. Sabine rollte mit den Augen und griff nach dem Gerät.

Diesmal war es Monika! Sabine nahm den Hörer ab und meldete sich. Und schon trompetete Monika los: „Ey du alte Schnecke, ich wollte nur mal hören, was bei Dir Sache ist. Schließlich habe ich ein paar Tage nichts von Dir gehört.“

Sabine wurde es auf einmal siedend heiß. In den letzten Tagen hatte sie ihre Freundin vollkommen vergessen.

„Oh Mann, Monika die Pasta von Dir ist echt lecker gewesen, aber denkst Du ich bin in den letzten Tagen dazu gekommen, an Dich zu denken? Entweder ich sitze an Aufgaben, die mir mein Chef geschickt hat oder ich habe Physio oder ich bin bei meiner Hausärztin oder meine Internetbekanntschaft hält mich auf Trab.“

„Internetbekanntschaft?“ Sabine konnte hören, wie ihre Freundin am anderen Ende der Leitung schnaufte, „das musst Du mir genauer erzählen!“

„Ach das ist so ein Ingenieur aus Hamburg mit britischen Wurzeln, der jetzt wieder nach Berlin ziehen möchte. Schreibt mit mächtig viel Schmalz. Ich weiß nicht recht, da kommt mir etwas nicht ganz astrein vor.“

Sabine machte eine Pause und Monika schaltete sich ein: „Das klingt spannend, da hätte ich gerne mehr gewusst. Was liegt denn heute noch bei Dir an?“

„Also heute ist es für ein Schwätzchen ganz schlecht. Erinnerst du Dich noch an Zayba, die Asylbewerberin aus Ghana? Der habe ich vor einigen Jahren mal Deutschunterricht gegeben und mittlerweile darf sie in Deutschland arbeiten. Sie arbeitet in einem Restaurant in der Küche und möchte mich heute Abend versorgen. Da ich sie lange nicht mehr gesehen habe, haben wir bestimmt eine Menge zu quasseln.“

„Ach ja die Zayba, das war so eine große, schlanke, hübsche Frau, ich erinnere mich. Du hattest sie einmal mit auf meinen Reiterhof gebracht. Die arbeitet in einer Küche? Die hätte doch Model werden können, und zwar locker.“ Monika klang empört.

„So ein Quatsch“, gab Sabine zurück, „könntest Du Dir diese lebenslustige, quirlige Frau mit einem ausdruckslosen Gesicht und einem ulkigen Fetzen am Leib auf dem Laufsteg vorstellen? Also ich nicht!“

„Haste vielleicht recht“, meinte Monika, „dann wünsche ich Dir für den heutigen Abend viel Spaß. Aber wie sieht es morgen bei Dir aus?“

„Morgen habe ich keinen Termin, das bedeutet drei freie Tage für mich.“

„Du, da habe ich eine gute Idee“, sagte Monika, „ich hole Dich morgen Vormittag ab, ich sage mal so um zehn Uhr, dann essen wir auf dem Reiterhof Mittag und am Nachmittag können wir quasseln. Du kannst auch gerne über das Wochenende bleiben, wenn Du möchtest. Ich würde Dich Montag früh wieder nach Hause fahren. Und das mit Deiner Orthese kriegen wir auch hin. Glaub mir, als Betreiberin eines Reiterhofes bin ich auch in medizinischer Versorgung sehr geübt.“

Sabine konnte förmlich spüren, wie Monika am Telefon grinste. Dann überlegte sie kurz und antwortete: „Also am Montag muss ich am Vormittag zu meiner Hausärztin. Könntest Du mich nach dem Frühstück einfach an unserem Gesundheitszentrum absetzen? Dann könnte ich meinen Arzttermin wahrnehmen und nach Hause habe ich es ja nicht weit.“

„Klar können wir das so machen. Wir können aber auch am Montag gemeinsam erst noch einkaufen. Die Einkäufe und Dein Gepäck bringen wir dann in Deine Wohnung und dann fahre ich Dich zu Deiner Ärztin. Wie geht es Deinem Bein?“

„Na ist wohl nicht so optimal, hat jedenfalls der Physiotherapeut heute gemeint. Mehr werde ich wohl am Montag erfahren.“ Sabine atmete tief durch.

„Okay meine Süße, ich melde mich morgen früh bei Dir und wünsche Dir jetzt erst einmal einen schönen Abend mit Zayba. Grüß sie mal schön! Bis morgen!“

Und schon hatte Monika aufgelegt. Zu mehr Grübeleien hatte Sabine keine Zeit, denn es klingelte an der Wohnungstür. So schnell sie konnte, lief Sabine zur Wohnungstür und meldete sich. Na klar, Zayba! Dieser drollige Akzent war unverkennbar, Zayba brauchte nicht viele Worte. Und Sabine betätigte den Türöffner und öffnete zeitgleich die Wohnungstür. Einige Augenblicke später schnaufte Zayba mit einem Speisebehälter die Treppe hoch. Sabine ließ sie herein und bat sie, den Behälter in der Küche abzustellen. Erst dann begrüßte sie die Freundin.

„Mensch Zayba, da freue ich mich aber, dass es geklappt hat. Zieh Deine Jacke aus, wo das Geschirr steht, weißt Du ja sicher noch, auch wenn der Deutschunterricht schon ein Weilchen her ist. Was möchtest du trinken?“

„Wasser würde mir genügen.“ Zayba sah auf Sabines linkes Bein und seufzte: „Das wird doch hoffentlich wieder okay?“

„Oh ja“, erwiderte Sabine, „es kann noch ein Weilchen dauern, aber das wird schon wieder werden. Ich muss am Montag wieder zu meiner Ärztin, dann erfahre ich mehr.“

„Ich zeig Dir erst mal, was ich uns mitgebracht habe. Für jeden von uns Country Potatoes und jede Menge Grillgemüse, außerdem Rahmchampignons und Pfeffersauce. Leider habe ich nicht an ein Dessert gedacht.“

Sabine riss die Augen auf und lachte: „Ein Glück, dass ich heute Mittag nur ein Brötchen gegessen habe. Soll ich uns eine CD einlegen und leise im Hintergrund laufen lassen?“ Zayba nickte, verschwand kurz im Badezimmer und begann danach in der Küche das Abendbrot aufzutun. Unterdessen hatte Sabine eine CD in den Player getan.

„Afrikanische Klänge habe ich leider nicht zu bieten, aber vielleicht tut es auch eine andere Entspannungsmusik“, meinte Sabine.

„Ist schon okay, Hauptsachen leise, du glaubst gar nicht, wie einen der Krach in Küche und Restaurant stressen kann.“

Sabine trug Besteck und Servietten ins Wohnzimmer, Zayba folgte ihr mit zwei vollen Tellern.

„Die Sauce und das Grillgemüse bringe ich extra, hat nicht mehr auf die Teller gepasst“, murmelte Zayba. Sie stellte die Teller ab und verschwand erneut in der Küche. Auf einem Tablett balancierte sie den Rest an den Tisch.

„Wir müssten alles haben“, meinte Zayba und setzte sich in einen bequemen Sessel. Sabine nahm Platz, sie zog die Couch vor.

„Das sieht wirklich lecker aus“, meinte sie und fuhr fort, „da bekommst Du aber noch Geld von mir.“

„Ich haue Dir mit dem Messer, wenn Du mir Geld geben willst“, rief Zayba aus und Sabine musste lachen. Auch wenn Zayba schon lange in Deutschland lebte, so ganz perfekt war ihr Deutsch doch nicht. Aber sie hatte die fremde Sprache schnell gelernt. Zwar war deutlich ein Akzent zu merken, aber viele Fehler machte sie nicht. Beim Essen sprachen die beiden Frauen nur wenig, sie genossen ihr Mahl.

Nach dem Essen trug Zayba das Geschirr in die Küche. Sabine folgte ihr und sagte: „Lass das Geschirr stehen, das wasche ich ab, wenn Du weg bist, so viel ist es nicht. Wenn Du möchtest, kann ich uns noch einen Kaffee machen und eine gute Packung Pralinen habe ich auch noch da.“

„Super“, jubelte Zayba, „ich bin heute den ganzen Tag auf den Beinen gewesen, da kann ich was Süßes gut gebrauchen.“

Fröhlich machte sich Sabine ans Werk und bereitete Kaffee zu. Die Packung Pralinen war schnell gefunden und die beiden Frauen ließen sich erneut im Wohnzimmer nieder.

Sabine hielt Zayba die Packung Pralinen hin und Zayba griff zu. Dann bediente Sabine sich selbst und forderte Zayba auf: „Nun erzähl mal, wie geht es Dir?“

„Tja“ begann Zayba, „es ist viel Zeit vergangen, seit wir das letzte Mal ausführlich telefoniert haben, ich glaub, da war ich sogar noch im Asylbewerberheim untergebracht.“ Zayba überlegte und fuhr fort: „Erinnerst du Dich, ich bin kurz vor der großen Flüchtlingskrise aus Ghana gekommen. Gemeinsam mit meinem Bruder, der zwei Jahre älter ist als ich. Weißt du noch?“

Sabine nickte. Zayba müsste jetzt zweiunddreißig Jahre alt sein und ihr Bruder demnach vierunddreißig Jahre alt.

Zayba nahm vorsichtig einen kleinen Schluck Kaffee und fuhr fort. „Mein Bruder ging dann nach London, er wollte nicht in Deutschland einen Asylantrag stellen, der Sprache wegen, ich hingegen stellte meinen Antrag auf Asyl hier und bekam auch eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Keine Ahnung, warum ich nicht mit meinem Bruder nach Großbritannien gehen wollte, vielleicht war ich einfach nur zu erschöpft für einen weiteren Weg. Mein Bruder und ich standen uns immer nahe. Er ist ein großer Bruder, wie ich ihn mir gewünscht habe. Leider ist Joseph homosexuell und das wird in Ghana kaum akzeptiert. Das gilt als was Schlimmes. Mein Bruder durfte seine Liebe zu Männern auf gar keinen Fall öffentlich machen und darum mussten wir fliehen. Joseph wollte sich nicht mehr verstecken. Und Frauen geben ihm absolut nichts, leider… Ich wünsche ja, es wäre anders, aber mittlerweile habe ich akzeptiert, dass er schwul ist.“

Zayba seufzte. „Wir haben in einem kleinen Ort nahe der Stadt Navrongo gelebt, das ist nicht weit weg von der Grenze zu Burkina Faso, im Norden von Ghana. Dieser Teil von Ghana ist eher muslimisch geprägt, allerdings sind Joseph und ich nicht besonders gläubig. Wie auch immer, ständig wurde mein Bruder nach einer Hochzeit gefragt. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis alles aufgeflogen wäre. Nicht einmal meine Eltern wissen, dass Joseph nicht auf Frauen steht. Und ich kam ihm ja auch nur durch einen Zufall auf die Schliche, wenn ich auch schon etwas geahnt habe. Ich habe ihn dann zur Rede gestellt und er bestritt nichts. Und auch bei mir wurde ständig nach einer Hochzeit gefragt. Zwar bin ich nicht schwul, aber ich wollte mir meinen Ehemann lieber selbst aussuchen. Glaub mir, es ist für Joseph und mich sehr schwer gewesen, in Ghana. Ich wollte eigentlich Krankenschwester lernen, aber das hat mein Vater nicht erlaubt. Ich sollte heiraten und Kinder bekommen.

Schön und gut, aber ich wollte nicht den Mann, den mein Vater für mich im Auge hatte, heiraten. Wir flüchteten, ich glaube die Geschichte der Flucht habe ich Dir schon einmal erzählt.“

Erneut nickte Sabine, unterbrach ihre Freundin nicht.

„Wie ich schon sagte, nun bin ich in Deutschland und möchte auch weiterhin hier leben. Nach Großbritannien möchte ich nicht mehr, wer weiß wie das wird nach dem Brexit. Und mal ehrlich, merkt man mir die Muslima noch an?“

„Nö“, erwiderte Sabine, „okay, du isst kein Schweinefleisch und trinkst keinen Alkohol, aber sonst?“

„Am Anfang habe ich noch das traditionelle islamische Kopftuch getragen, wie man es hier in Deutschland auch oft sieht. Du weißt schon den Hidschab. Aber selbst diese Verhüllung habe ich abgelegt. Schließlich ist nicht klar geregelt, wann und wo ich sie tragen muss. Die Vorschriften dazu sind nicht ganz klar. Mein großer Bruder ist schwul, der wird mir wohl kaum Vorschriften machen und meine Eltern und Geschwister sind weit weg. Ich bin nicht streng religiös, aber ich glaube an Schicksal, ich weiß auch nicht warum. Aber jetzt bin ich ein wenig ab vom Thema.

Du weißt, ich habe in der Flüchtlingsunterkunft hier in der Nähe gelebt. Erst der Asylantrag, dann kam die Gestattung. Und Gott sei Dank habe ich mich sehr schnell mit der deutschen Sprache angefreundet, der Olsenbande sei Dank. Das war eine gute Idee von Dir mit mir ab und zu mal so einen Film zu schauen.“

„Das war nur ein Teil meines Planes, um Dir die deutsche Sprache zu vermitteln. Aber im Gegensatz zur Olsenbande hat mein Plan funktioniert, wie Du mir gerade bewiesen hast“, lachte Sabine.

„Mit der Gestattung bekam ich dann auch die Möglichkeit mir eine Arbeit zu suchen“, fuhr Zayba fort, „daher arbeite ich nun in der Osteria hier in der Nähe, ist alles legal. Meinem Arbeitgeber hast Du auch das leckere Essen zu verdanken. Ja und mittlerweile habe ich meinen Aufenthaltstitel, daher hat es auch mit der Wohnung geklappt, die ich mir mit zwei Freundinnen teile. Jede von uns hat ein Zimmer, das bekommen wir gestemmt. Und mir war wirklich der Führerschein erst einmal wichtiger. Und irgendwie träume ich ja immer noch davon Krankenschwester zu werden.“ „Warum hast Du Dich nicht um ein Praktikum bemüht?“, fragte Sabine nach.

„Habe ich gemacht, bei einem Pflegedienst, aber die alten Leutchen wollten sich nicht von einer Afrikanerin anfassen lassen. Daher habe ich diesen Traum auf Eis gelegt, das hat mich entmutigt. Dabei trug ich damals schon den Hidschab nicht mehr, weil ich den alten Leuten keine Angst machen wollte. Ich versuche, mich Eurer Kultur anzupassen, aber meine Hautfarbe wechseln kann ich leider nicht. Dabei hätte mich der Pflegedienst gerne angestellt und sich auch um eine Ausbildung für mich bemüht.“

„Und wenn Du es hier im örtlichen Krankenhaus versuchst?“, warf Sabine ein.

„Wenn ich in den nächsten Tagen frei habe, möchte ich mich mal im Krankenhaus vorstellen. Du hast vielleicht recht, ich sollte nicht so schnell aufgeben. Und vielleicht ist es auf Station auch noch anders, als bei einem Pflegedienst.“

„Mach das mal“, ermutigte Sabine die Freundin, „Du hast doch schon eine Menge erreicht. Und denk mal an die Corona Krise, die Anfang 2020 begonnen hat und lange dauerte. Was wurde da auf einmal nach Pflegekräften geschrien!“

„Ein weiterer großer Traum von mir ist, dass ich auf Dauer in Deutschland leben kann. In einer eigenen Wohnung, mit eigener Familie. Allerdings habe ich auf unserer Flucht keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht, daher schiebe ich dieses Thema etwas von mir.“

Zayba machte eine kleine Pause und nahm einen Schluck Kaffee.

„Und Deine Ehe hat auch nicht gehalten, habe ich mitbekommen?“ Traurig sah Zayba ihre Freundin an.

„Ist kein Drama“ wiegelte Sabine ab, „da gibt es Schlimmeres. Und es muss auch nicht das Ende der Fahnenstange sein, schließlich habe ich einen Verehrer im Internet. Ich weiß nur nicht, ob ich dem Frieden trauen kann.“

„Warum?“ Zayba wurde hellhörig.

„Er schreibt immer mit viel Schmalz, also trägt ziemlich dick auf. Es ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Aber vielleicht bin ich auch nur zu misstrauisch.“

„Was ist er denn von Beruf?“, wollte Zayba wissen.

„Ingenieur für Bohranlagen, arbeitet aber vorwiegend im Büro, soweit ich das mitbekommen habe. Er hat eine pflegebedürftige Mutter und eine Tochter, die ist siebzehn.“

„Und wo lebt die Tochter?“ Zayba schien mit einem Schlag hellwach zu sein.

„Die lebt in England im Internat, dort geht sie auf eine internationale Schule. Wenn sie ihr Abi in der Tasche hat, will ihr Vater sie nach Deutschland holen.“

„Du könntest recht haben“, murmelte Zayba.

„Womit könnte ich recht haben?“, fragte Sabine verunsichert.

„Mit dem Heiratsschwindler! Die sind nämlich auch in Ghana sehr aktiv. Und dort werden sie auch Love Scammer, oder Romance Scammer genannt, ich denke, diese Begriffe sind auch in Deutschland geläufig. In unserer Nachbarstadt Navrongo hat sich ein regelrechter Wirtschaftszweig mit diesen Betrügereien entwickelt. Manche meiner Landsleute leben davon sogar sehr gut und lachen sich kaputt, über die Dummheit europäischer Frauen, die so leichtgläubig sind und Geld schicken. Kann ich das Facebook Profil von diesem Herrn einmal sehen?“

„Na klar!“ Sabine schaltete bereitwillig ihren Laptop an und öffnete ihren Facebook Account. Doch fand sie kein Profil mehr von David. „Ist ja merkwürdig“, murmelte sie.

„Nein, das ist eine Masche der Heiratsschwindler, ehe sie auffliegen, löschen sie häufig das Profil und kommen Facebook zuvor. Ich nehme an, er hat Dich auf einen Messenger gelockt?“

Sabine nickte stumm, loggte sich aus Facebook aus und fuhr den PC herunter.

„Ich kann Dir nun natürlich nicht sagen, ob es sich um einen Heiratsschwindler handelt, oder nicht, ich kann Dich nur warnen. Mein Bruder sollte da auch mitmachen, hat aber abgelehnt. Und kurz darauf lehnte ich ab. Auch Frauen geben sich gerne mal als reiche, gebildete Männer aus. Wobei die in der Minderheit sind. Ich selbst sollte mich damals als Lehrerin einer angeblichen Tochter so eines Scammers ausgeben. Die Tochter war dann in Not auf einer Klassenfahrt und so weiter… Glaub mir, da haben sich regelrechte Netzwerke gebildet. Und diese Betrüger werden immer geschickter. Da werden Fotos gefälscht, Ausweise gefälscht, sogar telefonische Fangschaltungen werden gelegt! Und Liebesbriefe kannst Du Dir aus dem Internet ziehen. Auch da haben die Scammer leichtes Spiel, wirklich. Die haben mir damals solche Briefe gezeigt, auch in deutscher Sprache. Du kannst natürlich den Kontakt aufrechterhalten, aber brich ab, wenn es zu einer Geldforderung kommt. Außer einem leeren Konto und einer verletzten Seele wird es Dir nichts einbringen.“

Sabine hatte aufmerksam zugehört. Sie dachte einen Augenblick nach und antwortete dann: „Also ich nehme Deine Warnung sehr ernst. Auf jeden Fall werde ich den Kontakt eindämmen. Und dann einfach abwarten was passiert. Irgendwie hoffe ich doch auf Liebe, aber ich wäre wohl mehr als dumm, Deine Warnung einfach zu ignorieren.“

Zayba sah auf die Uhr in Sabines Wohnzimmer. „Oh, schon zweiundzwanzig Uhr, ich sollte mich so langsam vom Acker machen.“ Sie erhob sich und verschwand im Badezimmer.

Sabine trug das verbliebene Geschirr in die Küche. Zayba trat zu ihr und sagte: „Denk bitte an meine Warnung, ich möchte wirklich nicht, dass Du einem Betrüger aufsitzt, egal wo er zu Hause ist.“ Zayba griff sich den Speisebehälter. „Ach, hier ist noch Weißbrot und Kräuterbutter, für morgen zum Frühstück. So jetzt habe ich alles.“

Sabine bedankte sich herzlich und hielt ihrer Freundin die Wohnungstür auf. Spontan entschloss sich die Frau, bei der Nachbarin zu klingeln und die Brötchen für die nächsten Tage abzubestellen. Sie hatte Glück, Frau Spaltholz öffnete freundlich. Sabine erklärte die Situation, entschuldigte sich, dass sie so spät geklingelt hatte und begab sich wieder zurück in ihre Wohnung. Das habe ich hinbekommen, dachte sie zufrieden. Sabine wusch ab, doch sie war nicht müde. Daher widmete sie sich der Zeitung, die sie heute gekauft hatte. Der Artikel über die Frauen, die auf einen Romance Scammer hereingefallen waren, interessierte sie brennend.

Vier Frauen, vier Schicksale und fast immer die gleiche Masche. Trotz der milden Sommernacht wurde Sabine kalt und sie entschloss sich, vorsichtig zu sein. Die Betrüger kamen aus Afrika, Asien, aber auch aus Osteuropa. Gerne bedienten sie sich Übersetzungsprogrammen und Liebesbriefen aus dem Internet. Sabine hielt es nicht mehr aus und tippte eine Nachricht an David.

Gerade wollte ich zu Bett gehen und war kurz auf Facebook unterwegs.

Leider kann ich Dein Profil nicht mehr finden, was ist passiert?“

Dann tippte sie eine Nachricht an Monika, in der sie sich wegen morgen erkundigte. Prompt klingelte wenige Minuten später das Telefon. Es konnte nur Monika sein.

„Klar klappt das, ich bin um zehn Uhr bei Dir. Du kannst uns einen Kaffee machen. Ich möchte alles über Deinen neuen Lover wissen.“

„Ich glaube, den Lover kann ich abschreiben, zumindest wenn Zayba recht hat, aber das erzähle ich Dir in aller Ruhe morgen. Ich werde jetzt auch ins Bett gehen.“ „Gut, dann bis morgen, schlaf gut.“ Und schon hatte Monika aufgelegt.

Sabine zog sich zurück, ein ereignisreicher Tag ging zu Ende.

...und im Luftschloss wird es kühl

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