Читать книгу ...und im Luftschloss wird es kühl - Karen Grace Holmsgaard - Страница 6

Tag eins (Freitag)

Оглавление

Sabine Bethke stieß die Tür zu ihrer Wohnung auf und fluchte leise. Der Fahrer des Krankentransports half ihr in die Wohnung. Anschließend half er ihr aus der Jacke und den Schuhen. Mittlerweile hatte Sabine sich an die Orthese, welche sie am linken Bein trug, gewöhnt. Außerdem hatte sie schnell gelernt, mit den Gehhilfen umzugehen.

„Kommen Sie auch wirklich klar?“, fragte der nette junge Mann.

„Aber natürlich, das Bienchen ist doch schon groß“, antwortete Sabine und lächelte verschmitzt, „und wenn Not am Mann ist, ich habe doch die Nummer von einem Pflegedienst und überhaupt ein Telefon. Sie können beruhigt gehen, wirklich“.

„In Ordnung, aber holen Sie sich Hilfe, wenn es nötig ist.“

Leise schloss der Fahrer des Krankentransports die Wohnungstür und ließ Sabine allein in der Wohnung zurück. Schön nach einem Aufenthalt im Krankenhaus wieder Zuhause zu sein, dachte sie, auch wenn ich seit über einem Jahr geschieden bin. Sabine stellte die Gehhilfen im Flur ab, seufzte kurz und humpelte vorsichtig ins Wohnzimmer.

Na bitte, geht doch, freute sie sich. Ist nicht alles so schlimm, wie sie geglaubt hatte. Aber mindestens sechs Wochen würde sie außer Gefecht gesetzt sein, das hatte ihr der Arzt im Krankenhaus gesagt. Damit ihre Laune trotz des Frühsommertages nicht in den Keller sank, entschloss sich Sabine, einen Kaffee zu machen. Vorsichtig begab sie sich in die Küche und bereitete sich einen Kaffee zu und ebenso vorsichtig trug sie die Tasse ins Wohnzimmer. Dann versuchte sie, sich zu entspannen, und stellte ihren CD-Player an. Nachdenklich blickte sie auf ihre Orthese. Das hatte sie davon, wenn sie mit Anfang Fünfzig meinte, wieder auf ein Pferd steigen zu müssen. Immerhin ist es lange her gewesen, seit sie regelmäßig geritten ist. Und dann war da die Sache mit der Hundebesitzerin.

Wäre diese uneinsichtige Dame nicht gewesen, wäre die ganze Sache erst gar nicht passiert… Glück hatte sie gehabt. Bei einem schweren Sturz war sie mit einer Verdrehung des Sprunggelenks davongekommen. Ich kann es nicht ändern, dachte Sabine, aber ich kann meinen Chef anrufen. Ein Donnerwetter über einen weiteren Arbeitsausfall würde es ganz gewiss nicht geben, denn Sabine arbeitete schon seit fünfundzwanzig Jahren für diesen kleinen Buchverlag in der Nähe von Berlin.

Sabine griff zum Telefon und wählte die ihr bekannte Nummer. Einige Male läutete es am anderen Ende, dann ertönte die Stimme ihres Chefs, Herrn Lenz, und wie immer nuschelte er leicht. Kurz und knapp schilderte Sabine ihre Situation und bot an, einige Arbeiten für den Verlag von Zuhause aus zu erledigen. Geduldig hörte sich Herr Lenz die Vorschläge seiner Mitarbeiterin an und es schien Sabine, als ob ihr Chef am anderen Ende der Leitung nickte. Schnell waren sie sich einig und Sabine versprach zu tun, was sie konnte.

„Wunderbar“, nuschelte Herr Lenz und fuhr fort: „Werden Sie erst einmal wieder richtig gesund und denken Sie daran, Sie sind kein junges Mädchen mehr. Gute Besserung.“ Dann legte er auf. Sabine nahm den letzten Schluck Kaffee und stellte die leere Tasse beiseite.

Und nun? Sabines Blick fiel auf ihren modernen Laptop und sie dachte an ihr Profil bei Facebook. Nur sporadisch besuchte sie dieses soziale Netzwerk und hatte dort ohnehin nur einen überschaubaren, kleinen Freundeskreis. Ein paar Kollegen, ein paar Schulfreunde, eine Urlaubsbekanntschaft und weiter nichts. Meldeten sich irgendwelche verwitweten Soldaten aus den USA, lehnte sie sofort ab, sie wusste, dass diese Männer nicht die waren, die sie vorgaben zu sein.

Diese Männer betrieben Liebesbetrug, was unter dem Namen Romance Scamming bekannt ist. Begriffe wie Love Scamming, oder Liebesbetrug kannte Sabine ebenfalls. Umgangssprachlich wurden diese Männer als Scammer bezeichnet. Darüber hatte sie vor einigen Jahren in einer Zeitschrift gelesen, den Artikel eher flüchtig überflogen. Sie entschloss sich dennoch, dieses soziale Netzwerk zu besuchen. Sabine fuhr ihren Laptop hoch und öffnete ihr Facebook-Profil. Selbstverständlich hatte sie einige Freundschaftsanfragen. Jede Menge verwitweter Soldaten! Sabine hatte nichts anderes erwartet, verdrehte die Augen und löschte diese Anfragen genervt. Auch ein verwitweter Kapitän aus New York wurde abgelehnt. Blieb eine Freundschaftsanfrage übrig. Zögernd öffnete Sabine das Profil. David Silverstone, ursprünglich aus Hamburg und jetzt wohnhaft in Berlin. So zeigte es sein Profil an. Einen Augenblick lang schloss Sabine die Augen und ging in sich. Diese Angaben sahen ihr nicht nach einem Scammer aus…

Sabine überlegte und rutschte auf ihrer Couch hin und her. Ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Das Profilfoto zeigte einen sympathischen Mann in Sabines Alter. Keine Männerschönheit, doch strahlte dieses Foto eine gewisse Freundlichkeit aus. Ehe Sabine eine Entscheidung treffen konnte, riss sie das Klingeln des Telefons aus ihren Gedanken. Die Freundschaftsanfrage kann ich später beantworten, fand Sabine und nahm lieber den Anruf entgegen.

Der Blick auf das Display zeigte ihr, dass ihre Freundin Monika am anderen Ende der Strippe war. Mit ihren fünfundfünfzig Jahren war Monika nur wenig älter als Sabine und die beiden kannten sich schon ewig. Sabine nahm das Gespräch an und ehe sie etwas sagen konnte, legte Monika los: „Ey, Du alte Pflaume, ich wollte Dich heute im Krankenhaus besuchen. Vorsichtshalber habe ich dort angerufen und was erfahre ich? Biene ist längst wieder draußen!“

„Na, na, na“, beschwichtigte Sabine ihre Freundin, „ich bin erst seit etwa einer Stunde wieder zu Hause, da hatte ich erst einmal andere Dinge zu tun, als mich bei Dir zu melden.“

„Schon gut“, maulte Monika, „ich wollte doch nur fragen, wie es Dir geht. Hast Du den Sturz von MY GIRL gut verkraftet? Du hast dazu gar nichts gesagt, als ich Dich im Krankenhaus besucht habe…“

„Klar habe ich den Sturz von Deiner GIRLYMAUS gut verkraftet, zumindest seelisch. Davon lasse ich mich auch nicht entmutigen. Und wenn die Olle mit ihren Kötern nicht gewesen wäre…“

Weiter kam Sabine nicht, denn Monika unterbrach sie: „Ja das verstehe ich auch nicht, überall auf den Reitwegen Leinenzwang und die Hundeliebhaber sind so uneinsichtig. Sicher meinen sie es dabei nicht böse, aber wenn so eine Trethupe auf ein Pferd zustürmt und kläfft, kann das böse ausgehen!“

„Brauchst Du mir nicht zu erzählen, habe ich ja nun erlebt“, knurrte Sabine, „aber ich möchte so bald wie möglich wieder auf ein Pferd! Seit ich geschieden bin, habe ich wieder für solche schönen Dinge Zeit. Ich denke mal, das Reiten könnte wirklich wieder ein großes Hobby von mir werden. Ich brauche nur mehr Übung.“

Einen Augenblick lang schwieg Monika am anderen Ende, dann hörte Sabine ihre Freundin wieder: „Du solltest wirklich noch einmal darüber nachdenken, ob Du weiterhin Single bleiben willst.“

Erbost unterbrach Sabine ihre Freundin: „Oh nein Monika, nicht schon wieder diese alte Platte, ich möchte mich nicht auf die Suche nach einem Mann machen. Und lass Dir nicht einfallen, mir wieder alleinstehende Herren vorzustellen, die Du wahllos aus Deinem Umfeld auffischst! Dieser Veganer, der nichts weiter zu tun hatte, als in seiner Freizeit jeden zu beschimpfen, der nicht vegan lebt und wütende Mails gegen die Jagd an Zeitungen und Ämter zu schreiben, hat mir wirklich gelangt. Dabei bin ich selber ein Mensch, der kein Fleisch isst und die Jagd nicht mag. Deswegen muss ich aber noch lange nicht fanatisch werden!“

Sabine holte tief Luft und fuhr fort: „Entweder die Liebe findet mich ganz von allein oder gar nicht.“ Friedlicher meinte sie: „Wie wäre es, wenn wir uns in ein paar Tagen treffen würden? Zeitlich richte ich mich natürlich nach Dir.“

„Na klaro, aber leider kann ich Dir noch keinen Termin nennen, ich muss sehen, wie ich von meinem Hof wegkomme. Und Du kommst allein zuhause klar?“

Sabine bejahte und erklärte: „Die Krankenkasse schickt mir eine Haushaltshilfe. Natürlich nicht rund um die Uhr, aber zum Putzen und um ein paar Einkäufe zu erledigen. Ansonsten werde ich wohl kaum Hilfe brauchen und wenn doch, habe ich ein Visitenkärtchen von einem Pflegedienst. Für heute Abend habe ich noch eine Pizza im Tiefkühlschrank und meine Nachbarin, Du weißt schon, die Frau Spaltholz, wird mir morgen etwas vom Bäcker mitbringen. Ansonsten ist der Kühlschrank voll, dafür habe ich schon vom Krankenhaus aus gesorgt. Auch das hat meine Nachbarin für mich erledigt. Außerdem hat sie den Briefkasten geleert und die Blumen gegossen. Da muss ich mir noch ein dickes Dankeschön einfallen lassen.“

Eigentlich wollte Sabine das Gespräch nicht beenden, aber Monika unterbrach sie.

„Du Sabine, sei nicht böse, aber ich muss zu meinen Pferden, wir reden später, oder du schickst mir eine WhatsApp, okay?“

Sabine seufzte: „Klar meine Süße, wir bleiben in Kontakt.“ Die beiden Frauen tauschten kurz ein paar Höflichkeitsfloskeln aus, dann legte Sabine auf.

Moni lässt mich schon nicht im Stich, überlegte sie, nur hat sie eben mit ihrem Reiterhof alle Hände voll zu tun. Sabine liefen erneut die Gedanken davon und auf einmal hatte sie keine Lust mehr, sich mit dem Profil dieses geheimnisvollen David Silverstone zu beschäftigen. Sie schloss sämtliche Anwendungen und fuhr den PC herunter. In Ruhe ließ sie den Tag mit einer Pizza ausklingen.

...und im Luftschloss wird es kühl

Подняться наверх