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Eine Region, zwei Systeme

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Die arabischen Länder betraten nach den Aufständen gegen ihre Despoten politisches Neuland. Sie wurden zunächst ins politische und gesellschaftliche Chaos gestürzt. Jahrzehntelang hatten ihre Diktatoren auf alle politischen und gesellschaftlichen Widersprüche den Deckel draufgesetzt. Als sie weg waren, brachen diese dann umso heftiger aus, etwa: Welche Rolle soll die Religion in Staat und Politik einnehmen? Wie viel Erneuerung verträgt ein Land? Wie muss man sich mit alten Strukturen arrangieren, um das staatliche Funktionieren zu gewährleisten? Wie können die alten, verkrusteten staatlichen Strukturen aufgebrochen werden, die diese Länder so lange in ihrer Entwicklung zurückgehalten haben?

All diese Herausforderungen brachen über die arabische Welt herein. Ägypten und Tunesien beschritten dabei diametral gegensätzliche Wege. Beide Länder hatten mit der politischen Polarisierung ihrer Gesellschaft zu kämpfen.

Die Tunesier hatten als erste arabische Nation die Lektion gelernt, dass eine funktionierende Demokratie nicht darin besteht, seine jeweiligen politischen Vorstellungen gegen alle anderen durchzuboxen, sondern darin, mit politischen und gesellschaftlichen Kompromissen das Land voranzutreiben. Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben die Tunesier an ihren neugewonnenen Rechten und an ihren neuen demokratischen Werten festgehalten. Aber vor allem haben sie den größten Fehler Ägyptens vermieden, zu glauben, dass eine politische Strömung, einmal an der Macht, alle anderen einfach ausschalten kann. Sie haben gelernt, dass die arabischen Gesellschaften vielschichtig sind und ihre politischen Systeme diese Vielschichtigkeit reflektieren sollten. Sie müssen konservative Islamisten ebenso aushalten wie jene, die eine vollkommene Trennung von Politik und Staat fordern. Erzkonservative Gesellschaftsvorstellungen müssen ebenso eine Stimme haben wie jene, die ihre Länder gesellschaftlich befreien wollen. Sie alle sollten daran beteiligt sein, die Zukunft ihrer Länder auszuhandeln.

Ägypten dagegen wird als abschreckendes Beispiel in die Geschichte eingehen. Dort präsentierte sich die Armee als Retter der Nation und führte den autokratischen Weg Mubaraks mit einem neuen Pharao, El-Sisi, und einer noch verschärfteren Repression weiter. Die Muslimbrüder wurden als politische und gesellschaftliche Kraft kriminalisiert und zu Zehntausenden weggesperrt. Aber die Repression machte hier nicht halt. Sie betraf auch all jene liberalen Tahrir-Aktivisten, die das Versammlungsrecht, die Meinungsfreiheit und andere demokratische Werte, vor allem aber auch politische Rechenschaft, einforderten. Kurzum: Jeglicher Dissens wurde ausgeschaltet. Es entstand ein Ägypten der trügerischen Friedhofsruhe, während sich die Gefängnisse zu Brutstätten der Radikalität entwickelten.

Viele Anhänger El-Sisis argumentieren, dass die Machtübernahme des Militärs die einzige Möglichkeit war, die Gefahr eines islamistisch geprägten Staates in Ägypten abzuwenden. Dabei stellt sich die Frage, wie sich die politische Landschaft entwickelt hätte, hätte das Militär nicht interveniert. Die Anhänger El-Sisis rechtfertigen die harte Hand gegen die Muslimbruderschaft damit, dass sich diese ohne Einmischung des Militärs in die Politik an der Macht festgesetzt hätte.

Derweil wäre aber auch ein anderes Szenario für Ägypten möglich gewesen. Der Unmut gegen die Muslimbruderschaft in Ägypten war in der Bevölkerung nach einem Jahr Amtszeit Mursis groß. Wenn das Parlament mit einer Mehrheit von Islamisten nicht aufgelöst worden wäre und Mursi seine Amtszeit beendet hätte, wäre das möglicherweise das beste Rezept für eine Säkularisierung Ägyptens gewesen. Denn dann wären die Muslimbrüder in der Tagespolitik immer mehr bloßgestellt worden, bis einer Mehrheit der Ägypter klar geworden wäre, dass mit religiösen Sprüchen wie „Der Islam ist die Lösung“ kein Staat zu machen ist. Vor allem an der brennenden sozialen Frage in Ägypten wäre die Muslimbruderschaft gescheitert. Dann wäre sie ziemlich sicher bei den nächsten Wahlen an den Urnen abgewählt worden. Wenn sie sich dann geweigert hätte abzutreten, hätte das Militär immer noch intervenieren können.

Das Ergebnis eines solchen Prozesses wäre ein relativer politischer Frieden gewesen und langfristig ein demokratischer Lernprozess, dass Politik aus gesellschaftlichen Kompromissen besteht. So aber kann sich die Muslimbruderschaft bis heute als eine Art politischer Märtyrer und als legitim gewählter Vertreter präsentieren, dem die Macht von einer nicht gewählten Institution entrissen wurde. Oder in anderen Worten: In Ägypten hat das Gestrige, das Militär, das Vorgestrige, die Muslimbrüder, vollkommen ausgeschaltet und damit das Morgen blockiert.

Aber während die Tunesier ihre Zukunft geschickt aushandelten und diese Zukunft in Ägypten vom Gestrigen blockiert wurde, verbreiteten in einem anderen Teil der arabischen Welt die Dschihadisten des militanten sogenannten „Islamischen Staates“ Angst und Schrecken. Ihnen war selbst das Vorgestrige nicht genug.

Repression und Rebellion

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