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2 Otto Bassiner
ОглавлениеOtto Bassiner war ein hässlicher Mann. Fast zwei Meter groß und von einer Statur, die den ausgezehrten Figuren des Bildhauers Alberto Giacometti glich. Früher konnte er seine mangelnde Attraktivität durch einen gewissen Charme wettmachen. Im Laufe der Jahre hatte er, wie viele seiner guten Eigenschaften, auch diesen eingebüßt. Je weiter ihn sein Ehrgeiz nach oben katapultierte, desto arroganter und mürrischer wurde er.
Heute, mit siebenundfünfzig Jahren, als Vorstandsvorsitzender des bedeutendsten europäischen Chemiekonzerns, war er ein Ekelpaket sondergleichen. Er war überheblich, unduldsam und verschlossen. Sein Desinteresse an den Menschen verbarg er hinter einer Wand von Höflichkeiten und gesellschaftlichen Floskeln.
Simone Bassiner betrachtete ihren Mann, der angespannt am Steuer des Mercedes saß. Seit sie Hamburg in Richtung Stade verlassen hatten, brütete Otto Bassiner vor sich hin. Seine ohnehin blasse Hautfarbe war heute noch fahler. Die kleinen hellbraunen Augen hatte er zusammengekniffen. Die dünnen Lippen fest aufeinander gepresst. Trotz allem, Simone liebte ihren Mann noch immer. Sie wusste, dass er sie seit Jahren betrog. Anfangs hatte sie ihm Szenen gemacht. Und er hatte den reuigen Sünder markiert. Inzwischen war sie ihm so gleichgültig geworden, dass er sich nicht einmal mehr die Mühe machte, seine Liebschaften zu leugnen. Sie hätte sich scheiden lassen können. Doch ohne das Geld und das Renommee ihres Mannes war sie ein Nichts. Sicher auch deshalb hielt sie still. Otto Bassiner zahlte die Ausbildung seines Stiefsohnes Florian, zu dem er ein herzliches Verhältnis hatte. Und weil er großzügig war, begehrte Simone auch nicht auf, als ihr Mann immer seltener in der gemeinsamen Villa übernachtete und schließlich ganz wegblieb. Sie widmete sich dem Golfspielen und der Kunst. Wenn es galt zu repräsentieren, war sie an der Seite ihres Gatten. Die bürgerliche Fassade aufrechterhaltend, wie sie es von zu Hause kannte. Simone glaubte, Otto gut zu kennen. Wenn sie ihn einem Fremden hätte beschreiben sollen, hätte sie gesagt: Otto Bassiner ist ein korrekter, erfolgreicher Mann, der sich mehr für seinen Konzern als für seine Familie interessiert. Die Fahrt zur Hochzeit ihres einzigen Sohnes war seit Monaten die erste gemeinsame Unternehmung. Simone litt unter der gedrückten Stimmung.
»Otto«, sagte sie schließlich, nur um etwas Nettes zu sagen. »Ich finde es wunderbar, dass du Florian eine so große Hochzeit ausrichtest!« Sie hatte die Hand leicht auf seinen Arm gelegt und lächelte ihn an. Ohne sie auch nur anzublicken, antwortete Bassiner. »Das wird ja wohl von mir erwartet!«
Simone war schockiert über diese rüde Antwort. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Nach all den Jahren wurde sie in seiner Gegenwart immer noch unsicher. Was bedeute ich ihm überhaupt, fragte sich Simone. Sie schämte sich für ihre unterwürfige Haltung. Sie fühlte sich gedemütigt. Ein Hund, dachte sie manches Mal, hat es einfacher. Er nimmt, was man ihm gibt. Ich hingegen fühle mich erniedrigt. In einem Alter, in dem sie die Fürsorge und die Liebe ihres Ehemannes am meisten gebraucht hätte, war sie allein. Ohne Stolz, ohne Zukunft, abhängig von einem Mann, der sie nicht mehr liebte. Sie betrachtete ihn mit einer gewissen Neugierde und dachte: Wo sind sein Charme und sein spontanes Lachen geblieben? Sie vermisste seine tiefe, warme Stimme, mit der er ihr früher bei öffentlichen Anlässen freche Zärtlichkeiten ins Ohr geflüstert hatte. Und jedes Mal, wenn sie über all das nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass es, außer ihren sentimentalen Erinnerungen, keinen Grund mehr gab, diesen Mann noch zu lieben.