Читать книгу Florians Hochzeit - Karin Dietl-Wichmann - Страница 9
5 Mona
Lisa
ОглавлениеMona war fünfzehn Jahre mit Otto Bassiners Bruder verheiratet gewesen. Peter, ein intelligenter aber schwacher Mann, hatte sich beruflich völlig abhängig von seinem Bruder gemacht. Wie ein Frühstücksdirektor besorgte er die Honneurs, unterschrieb Verträge und stand einer Firma vor, die ihm lediglich auf dem Papier gehörte. Den Beau, dem alle Frauenherzen zuflogen, schien das nicht zu stören. Er wollte das Leben genießen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mona hatte er einen Antrag gemacht, weil alle seine Freunde hinter ihr her waren. In den ersten Jahren flogen zwischen ihnen die Fetzen. Dann gab es eine eher ruhige Phase. Ihre Tochter wurde geboren. Beide waren begeisterte Eltern. Sie bestaunten das winzige Baby, wie man ein Kunstwerk bestaunt. Wie eine heilige Larve, die man mit Gelee Royal mästet, so verwöhnten sie das Mädchen. Es musste Mona Lisa heißen. »Unsere Mona Lisa«, sagten sie stolz und ließen das Püppchen vor den Gästen artige Knickse machen.
Mona und Peter Bassiner vergötterten ihr Kind. »Meine Prinzessin«, sagte der Vater, wenn Lisa auf seinen Schoß hüpfte und ihm die Arme um den Hals schlang. Er fand, dass dieses Geschöpf das intelligenteste und bezauberndste Wesen auf Erden war. Nur die Kindermädchen waren anderer Meinung. Sie hielten Lisa für ein egozentrisches Balg. Eines, das sie belog. Sie bei der Mutter anschwärzte und sie bestahl. Die Kindermädchen wechselten deshalb oft. Bei jeder Kündigung malte Lisa ein Kreuz auf ihre Kinderzimmertapete. Als Lisa acht Jahre alt war, waren es schon dreizehn Kreuze.
Lisa, das verwöhnte Ungeheuer, hatte kaum Freundinnen. Die Mädchen in der Schule fanden sie zickig. In der Meinung, mit Geld alles regeln zu können, engagierte Mona dem Engelchen Spielgefährtinnen. Keine von ihnen blieb lange. Auch sie wurden von Lisa vergrault. Eigentlich hätte sie eine zweite Kreuzchenstrecke anlegen können. Fünfzehn Mädchen in nur einem Jahr. Als Lisa ihren achten Geburtstag feierte, wünschte sie sich iranischen Kaviar zum Festmahl. Sie saß mit ihren Eltern an dem mit Kerzen und Blumen geschmückten Tisch, häufte sich die Kaviarperlen auf ihren Teller und grub mit dem Löffel kleine Straßen in die Störeier. Geradeso wie es andere Kinder mit Kartoffelbrei machten.
Lisa war eine Schönheit. Blonde, feste Haare, grasgrüne Augen und den zierlichen Körper einer Ballerina. Sie konnte charmant und liebenswürdig sein. Lust dazu hatte sie allerdings nur, wenn es sich für sie auch lohnte.
Als Lisa zwölf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Peter Bassiner ertrug seine Frau, die immer exaltierter und fordernder wurde, nicht mehr. Ihr Wunsch nach Ausschließlichkeit in allen Lebensbereichen hatte ihn im Laufe der gemeinsamen Jahre zunehmend erschöpft und angewidert. Er wollte in Ruhe seinen Interessen nachgehen. Da er beruflich nicht sonderlich beansprucht wurde, hätte er sich gern mehr der Musik und Kunst gewidmet. Mona konnte damit wenig anfangen. Natürlich hätte er seine vergötterte kleine Tochter lieber bei sich behalten. Aber er glaubte, dass Lisa bei Mona besser aufgehoben wäre.
Zuerst versprach sich Lisa enorme Vorteile von der Trennung ihrer Eltern. Was der eine Elternteil nicht erlaubte, würde der andere dulden. Außerdem konnte sie beide getrennt zur Kasse bitten. Zufrieden mit der neuen Situation, zog sie mit ihrer Mutter nach Hamburg. Jeden Abend rief sie den Vater an und seufzte, wie sehr er ihr fehlen würde. Das hatte jedes Mal zur Folge, dass ein kleines Paket für sie kam.
Mona hatte eine Galerie für modernen Schmuck aufgemacht. Zum ersten Mal in ihrem Leben tat sie etwas, was ihr wirklich Spaß machte. Lisa genoss die neue Freiheit. Sie schwänzte die Schule, so oft sie wollte, und wenn die Direktorin sich beschwerte, ließ sie deren Brief einfach verschwinden. Hatte Mona einmal eine Anwandlung, so etwas wie Erziehung in den Alltag des Teenagers zu bringen, dann rief Lisa ihren Vater zu Hilfe. Peter Bassiner bot an, die Tochter zu sich zu nehmen. Mona reagierte stets panisch. Sie brauchte Lisa mehr, als das Mädchen sie brauchte.
In Monas Augen wurde Peter Bassiner immer mehr zur Bedrohung für das Verhältnis zu ihrer Tochter. Monas Herz krampfte sich zusammen, wenn Lisa von ihrem Vater erzählte. Und ich?, schrie es in ihrem Inneren. Bin ich nicht mehr gefragt? Mache ich nichts mehr richtig? Warum werden Selbstverständlichkeiten bei ihm gelobt? Bei mir bemerkt sie es nicht einmal! Mona litt Qualen der Eifersucht. Am liebsten hätte sie Peter Bassiner ans andere Ende der Welt gehext. Ihn weg gewusst, ein für alle Mal. Wenn ihr diese Gedanken bewusst wurden, schämte sie sich. Schämte sich für ihre Kleinlichkeit. Lisa, so empfand es Mona, war das Einzige, was ihr geblieben war. Und genau das machte ihr dieser Mann abspenstig. Während sie die Mutter war, die scheinbar wahllos verbot, war er der strahlende Held. Papa hat gesagt, Papa macht und Papa meint. O, wie sehr Mona ihren Exmann hasste. Lisa sollte ihn nicht lieben. Sie durfte ihn nicht lieben. Manchmal, wenn Lisa ausschließlich von ihrem Vater schwärmte, kam es Mona vor, als würde ihre Tochter dies absichtlich tun. Als wollte sie mit geradezu sadistischem Vergnügen die Seele ihrer Mutter quälen. Die Schmerzen, die Mona dabei empfand, waren körperlich. Sie nahmen ihr den Atem. Sie pressten ihr Herz wie in einem Schraubstock zusammen. Es tat weh, und am liebsten hätte sie geweint. Doch sie würde kämpfen. Sich keine Blöße vor Peter Bassiner geben. Diesem kleinkotzigen Bruder des großkotzigen Otto Bassiner.
Meine Tochter gehört mir, so sah es Mona. Und diese Besitzverhältnisse wollte sie geklärt wissen.
Lisa spielte sehr geschickt mit der Eifersucht ihrer Mutter. Sie verschwand ohne Ankündigung an den Wochenenden zum Vater. Sie zog sich zu langen Telefonaten mit ihm in ihr Zimmer zurück. Wenn ihre Mutter fragte, was er denn gesagt habe, meinte sie schnippisch: »Ach, nichts Besonderes!« Als Lisa sechzehn Jahre alt war, hatte sie genug von dem Leben mit ihrer Mutter. In der Villa des Vaters, so fand sie, war es für sie lustiger. Seine neue Freundin war jung und fröhlich. Niemand bevormundete sie. Für ihre Mutter war es ein Schock. Sie regte sich so auf, dass Lisa sofort wieder nach Hamburg fuhr. Noch in derselben Nacht musste sie den Notarzt holen. Offenbar unter dem Einfluss starker Medikamente, erzählte sie ihrer Tochter, dass es ein Geheimnis gebe. Sie könne nicht wirklich darüber sprechen. Sie habe es Lisas Vater geschworen. Aber dieses Geheimnis sei auch der Grund, weshalb Lisa jetzt bei ihr leben würde und sich von ihrem Vater fern halten müsse. Lisa verstand nichts. Sie glaubte, dass Mona phantasierte. »Lass uns morgen reden«, sagte sie. »Dann bist du wieder klarer!«
Am nächsten Tag erging sich ihre Mutter in erneuten Andeutungen. Es musste irgendetwas in ihrer frühen Kindheit passiert sein, verstand Lisa. Etwas Schlimmes, weshalb sie ihren Vater meiden sollte. Nächtelang überlegte sie, was dieses Schlimme gewesen sein könnte. Ihr Vater hatte sie nie geschlagen. Er war der sanfteste Mann, den sie kannte. Er hatte sie immer nur in die Arme genommen, sie geküsst und auf den Schoß gezogen. »Eben«, sagte ihre Mutter, als sie ihr das vorhielt.
Als Lisa realisierte, was ihre Mutter damit sagen wollte, schloss sie sich in ihrem Zimmer ein.
»Das kann nicht sein«, schrie sie verzweifelt. »Ich müsste mich doch daran erinnern!«
»Nein«, sagte Mona. »Es ist bekannt, dass Kinder diese Erlebnisse verdrängen!«
Von diesem Tag an veränderte sich Lisa. Sie wurde verschlossen und misstrauisch. Von ihrem Freund mochte sie sich nicht mehr anfassen lassen. »Ich hasse alle Männer!«, sagte sie und gab ihm den Laufpass. Ihrem Vater ging sie von da an aus dem Weg. Bei Familienfesten begrüßte sie ihn kurz, und wenn er sie umarmen wollte, wich sie ihm aus. »Das ist so eine Phase«, behauptete Mona, wenn ihr Exmann wissen wollte, was mit Lisa los war. »Alle Teenager sind so«, schob sie nach.
So leidenschaftlich Lisa ihren Vater geliebt hatte, so sehr verabscheute sie ihn jetzt. Sie ließ sich am Telefon verleugnen. Seine Briefe blieben unbeantwortet. Irgendwann gab es Peter Bassiner auf, sich um Lisa zu bemühen.