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1.1.3Gesellschaftliche Einflüsse auf das Sexualverhalten

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Wenn bei Partnern eine Diskrepanz in Bezug auf das Begehren vorliegt, passiert es vor allem bei heterosexuellen Paaren häufig, dass die Frau Sex nicht unbedingt als etwas sieht, das sie für sich tut. Es hat sehr viel mit der oben genannten »Erzählung« zu tun, dass Männer die sexuell Aktiven seien und Frauen die Passiven. Tatsächlich bewirkt solch eine Vorstellung, dass viele Frauen an Sex als etwas denken, das sie für jemand anderen tun; als Gefallen, um den Beziehungsfrieden nicht zu stören oder um das Ego des Partners zu schützen. Frauen ordnen nicht selten ihre Bedürfnisse denen des Partners unter, und ihre eigene Lust scheint ihnen eine ziemlich komplizierte Angelegenheit zu sein (Stirn u. Pika 2016). Das hat u. a. damit zu tun, auf welche Art viele Mädchen immer noch erzogen werden und welche Werte und Botschaften sie von Haus aus mitbekommen. Zusätzlich verstärkt werden diese durch das dominante Narrativ in den Medien. Jugendliche werden schon vor und während der Pubertät heterosexuellen »Drehbüchern« und Skripten ausgesetzt, in denen schwule, lesbische oder bisexuelle Personen höchstens im Hintergrund auftreten, wodurch die Heterosexualität als Norm umso klarer hervortritt. So kommt es heutzutage zu einer ungewöhnlich frühen expliziten und offensiven heterosexuellen Sozialisation (Schmidt 2014).

Selbstverständlich fördert dies die gefährliche Erzählung, dass für Männer Sex das Wichtigste wäre, für Frauen jedoch die Beziehung. Frauen werden nicht erzogen zu denken, dass Sex für sie gut sei, sondern dass es etwas sei, worin sie gut sein müssen. Ein süßes Mädchen ist eines, das für andere da ist, und entwickelt sich nicht zu einer Frau, die Sex liebt! Und wer kann schon die Leidenschaft am Leben halten, wenn es dein Ziel sein soll, anderen zu gefallen (Ogden 2008)? Wenn man mit der Botschaft groß geworden ist, dass man als Frau eigene Wünsche und Bedürfnisse zur Seite stellen sollte, kann es sehr schwierig werden, mit der eigenen Sexualität in Kontakt zu bleiben. Außerdem haben viele Mädchen schon im jungen Alter sexuelle Beziehungen, um den anderen einen Gefallen zu tun, während sie selber dafür noch nicht bereit sind und nicht wissen, welche Bedingungen für sie wichtig sind, um Sex genießen zu können (van Lunsen e. Laan 2017).

Frauen können außerdem schnell das Gefühl bekommen, dass es sich hierbei nur um kleine Opfer handelt, die man um des lieben Friedens willen bringt. Aber wenn diese aufopferungsvolle Einstellung sich auf die Sexualität bezieht, ist dies ein sicherer Weg, um auf die Dauer sexuell uninteressiert zu werden und am Ende gar kein Begehren mehr zu spüren. Wenn jemand sich selber ein paar Mal so in die zweite Reihe gestellt hat, indem er oder sie nur das macht, was der Partner möchte, kann ein Mangel an sexuellem Vergnügen zu einem Teufelskreis werden (Hall 2004).


Abb. 1: Teufelskreis

Dazu kommt noch die Tatsache, dass sehr viele Frauen frühe Erfahrungen mit übergriffigem Verhalten haben, das vielleicht keine direkte Kinderschändung oder Vergewaltigung, aber trotzdem grenzüberschreitend war und dazu beigetragen hat, dass sie glauben, dass Männer von Frauen vor allem Sex wollen. Und zu viele Mädchen und Frauen haben Sex mit dem Ziel, ein Verhältnis zu beginnen, zu bewahren oder wiederzubeleben. Dann ist Sex kein intimer Akt mehr, sondern wird instrumentalisiert, als Mittel zum Zweck (Hall 2004). Manche Frauen können es kaum aushalten zu wissen, dass ihr Mann sich schwer damit tut, sexuell abgewiesen zu werden, und meinen dann, sie müssten seinetwegen bald Sex haben. Das Problem bei solchen Gedankengängen (und noch mehr bei deren Umsetzung) ist, dass es die Frau noch weiter von ihrer eigenen Lust entfernt und einem erstickenden Pflichtgefühl für Sex näherbringt.

Einführung in die systemische Sexualtherapie

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