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ОглавлениеKapitel 3
Montag, 8. September 2014; 00:24 Uhr
Schreiend schreckte sie aus dem Schlaf hoch. Ihre dunkelblonden Haare klebten auf der schweißnassen Stirn und kringelten sich zu widerspenstigen Locken. Im ersten Moment war sie orientierungslos, doch dann spürte sie eine warme Decke unter sich, ihr Bett. Vertraute Umgebung. Sie befand sich in ihrem Schlafzimmer. Es war nur ein Albtraum gewesen, ein weiterer. Wie sie diese schrecklichen Träume hasste. Seit Jahren verfolgten sie Konstanze und hatten sie schon in unzähligen Nächten um den Schlaf gebracht. Das milchige Mondlicht schien auf den Quarzwecker auf dem Nachtisch. Die Leuchtzahlen zeigten null Uhr vierundzwanzig an. Sie hatte also gerade mal eine Stunde geschlafen. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit.
Ihre Hand tastete seitlich auf der Bettdecke entlang, bis sie den warmen und samtigen Körper von Merlin spürte.
Merlin war ein schwarzer Mopsrüde, den sie vor gut einem halben Jahr angebunden auf einem Autobahnparkplatz gefunden hatte. Sie war unterwegs in Richtung Norden gewesen, um ihre Eltern zu besuchen, als das kraftlose Wimmern des Hundes auf dem Rastplatz ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Völlig ausgehungert und zitternd vor Angst stand er auf dem Gras neben einem Mülleimer, weit und breit war niemand zu sehen. Sie nahm ihn kurzerhand mit zu ihrer Familie, badete und fütterte ihn und telefonierte am nächsten Tag die Tierheime nahe dem Fundort ab. Da der Mops nicht gechipt war und die Tierheimrecherchen auch zu keinem Ergebnis führten, musste sie davon ausgehen, dass jemand das Tier mutwillig ausgesetzt hatte, und entschied sich, ihm ein neues Zuhause zu geben.
Gedankenverloren kraulte sie sein seidiges Fell und versuchte die Bilder ihres Albtraums abzuschütteln.
Ein Haus brannte lichterloh. Fensterscheiben zerbarsten und gewaltige Flammen loderten aus dem Dach heraus. Die sengende Hitze nahm Konstanze den Atem. Sie hörte die verzweifelten Hilferufe, doch das Feuer wütete bereits zu stark, um das Haus noch betreten zu können. Sie stand hilflos auf der Straße und blickte auf die brennende Hölle, ihren Mund weit geöffnet, war sie dennoch außerstande zu schreien. Ihre Freundin klammerte sich schreiend an sie, drohte den Halt zu verlieren und zu Boden zu stürzen.
Warum nur hatte sie damals nicht helfen können? Diese Frage ließ sie nie mehr los und bereitete ihr bis heute enorme Schuldgefühle.
Seit dem schrecklichen Hausbrand vor acht Jahren litt sie unter massiven Schlafstörungen. Entweder lag sie stundenlang wach, unfähig einzuschlafen und gefangen in einem Meer von düsteren Gedanken oder sie wurde von jenen, sich stets wiederholenden Traumbildern gequält. Ihre beste Freundin Astrid und sie hatten das verheerende Feuer damals überlebt. Für deren Eltern kam jedoch jede Hilfe zu spät. Die beiden Mädchen mussten mit ansehen, wie die Eltern von Astrid den Tod fanden. Konstanzes Leben hatte sich seitdem geändert. Sie wollte stark sein für ihre Freundin, konnte das Erlebte jedoch selbst nicht verarbeiten. Neben den ohnehin schon quälenden Schlafstörungen, entwickelte sie außerdem Angst- und Panikattacken, konnte sich plötzlich nicht mehr in kleineren Räumen aufhalten, bekam Schwindelanfälle in großen Menschenmengen. Ihre Eltern hatten sie immer dazu gedrängt, ihre Gesprächstherapie fortzusetzen. Doch die hatte Konstanze bereits nach vier Wochen abgebrochen. Das bringt doch überhaupt nichts, hatte sie entnervt ihrer Mutter entgegnet.
Sie streichelte Merlin über den weichen Kopf und spürte dabei ein wenig Trost. Wenigstens ihm hatte sie helfen können und dem Hund ein neues Zuhause gegeben. Dafür bekam sie von dem kleinen Mops viel Liebe und Dankbarkeit zurück.
Konstanze schlug ihre Bettdecke beiseite und schlüpfte in ihre Hausschuhe. Sie fröstelte. Egal. Auf keinen Fall wollte sie die Augen nochmals schließen, wollte dem Feuer nicht erneut entgegentreten. Sie ging hinüber ins Badezimmer, tastete nach dem Lichtschalter und drehte dann den Wasserhahn der Wanne auf. Diese Badewanne war einer der Gründe, warum sie sich auf den ersten Blick in diese Maisonette-Wohnung verliebt hatte. Sie träumte schon lange davon, in einer dieser üppigen Eckwannen entspannen zu können. Auf dem Rand standen diverse Fläschchen mit Badezusätzen. Sie griff nach dem Lavendelsalz und ließ es in das heiße Wasser rieseln. Sofort stieg der beruhigende Duft ihr in die Nase.
Sie schloss für einen Moment die Augen und genoss die inneren Bilder. Südfrankreich. Vor ihr erstreckten sich ausgedehnte violette Lavendelfelder, soweit das Auge reichte. Am Feldrand fand sich ein malerisches Landhaus, auf dessen Veranda eine weiße Holzbank und ein runder Tisch standen. Dieser war liebevoll gedeckt mit einem Strauß Wildblumen, daneben stand eine bauchige Flasche Pinot Noir zusammen mit einem halb vollen Glas des französischen Landweins.
Während die Wanne sich langsam mit heißem Wasser füllte, ging Konstanze über die Wendeltreppe nach unten in ihre Küche. Sie streckte sich und nahm ein Weinglas aus dem Hängeschrank. Dann durchsuchte sie jede Schublade nach dem Korkenzieher, fand ihn jedoch nicht. Verflixt. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckte ihn hinter der Dose Gummibärchen. Nachdem der Korken aus der Flasche billigen Rotweins entfernt war, ging sie mit dem Glas und dem Wein zurück ins Badezimmer.
Zarte Schwaden des weißen Dampfes, durchmischt mit dem Duft des Lavendels kamen ihr entgegen. Die Badewanne war inzwischen voll. Sie goss sich den Wein ein, trank einen großen Schluck und füllte das Glas erneut auf. Sie stellte es nebst der Flasche auf dem breiten Rand der Wanne ab und glitt aus ihrem Nachthemd. Fein säuberlich zusammengefaltet legte sie es auf dem Toilettendeckel ab und stieg mit einem Bein in das Wasser. Sie zuckte kurz zurück, denn im ersten Moment schien es viel zu heiß zu sein, doch schnell durchflutete ein wohliger Schauer ihren Körper. Sie zog das andere Bein hinterher und glitt langsam und genüsslich ins Badewasser. Ein Gefühl von absoluter Geborgenheit hüllte sie ein. Mit ihrem rechten Fuß drehte sie geschickt den Hahn zu. Behagliche Stille legte sich über den Raum wie eine dicke, warme Decke. Nur das leise Knistern des Badeschaums, dessen winzige Bläschen nacheinander zerfielen, war noch zu hören. Merlin war in der Zwischenzeit ebenfalls ins Badezimmer gekommen und rollte sich nun auf dem flauschigen Teppich vor der Badewanne zusammen. Der Rotwein und die Wärme des Wassers zeigten ihre Wirkung und benebelten Konstanzes Sinne. Sie entspannte sich und die Bilder des Albtraums zerplatzten wie schillernde Seifenblasen.