Читать книгу Die Gier des Mzungu - Karl Dorsch - Страница 10

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Irgendetwas stimmt nicht. Frank spürt wie sich der Rücken verspannt. Sein Blick ist auf einen Mann in der Schlange vor dem Check-in-Schalter des Flughafens gerichtet. Er hat diesen vermutlich Gleichaltrigen bereits an der Café-Bar des Abflugterminals gesehen. Der ungewöhnliche Oberlippenbart war es, der ihm auffiel. Die Spitzen nach oben gezogen, wie anno Neunzehnhundert. Ansonsten normale Kleidung, Jeans, graue Jacke, alles von der Stange. Wieso hält er sein Smartphone mit beiden Händen halb verdeckt am Ohr, dann neben dem Gesicht? Es ist, als ob er nicht wirklich telefoniert, sondern fotografiert. Der Mann wirkt routiniert und selbstsicher.

„Er beobachtet mich und täuscht nur eine Versunkenheit in ein Telefongespräch vor.“ Frank hüstelt künstlich, ein Zeichen für seine Nervosität. Der Mann steckt sein Handy weg, rückt auf, holt einen kleinen Notizblock aus seiner Jackentasche und schreibt darauf.

„Eine Information über mich? Würde jemand fragen, was so merkwürdig ist, ich könnte es nicht sagen. Am besten ich beobachte ihn nicht. Wer sollte es auch sein? Polizei? Kaum, denn die hat die Leiche frühestens erst heute morgen gefunden. Oder ist es ein Gläubiger? Verdammt, bin ich froh, wenn ich in der Luft bin.“

Frank rückt vor bis zum Schalter und gibt seinen Rücksack als Sperrgepäck ab. Die junge Angestellte reserviert ihm mit einem Lächeln einen Fensterplatz und leiert die nötige Information herunter. Vor dem Zoll warten wenige Passagiere und dieser Träger eines auffälligen Schnurrbarts ist der letzte. Frank überlegt sich erst später einzureihen, runzelt die Stirn und stellt sich trotzig dahinter. Sie rücken rasch auf und der Mann ist jetzt vor dem ernsten Grenzpolizisten, spricht mit dem ihm, schaut zu Frank und spricht weiter. Beide unterhalten sich, bis der Pass zurückgereicht wird. Ein Hauch von Angst fährt ihm das Rückgrat empor. Er möchte weglaufen, aber das wäre falsch. Der Beamte winkt ihn zu sich, nimmt den Pass, blättert, gibt ihn zurück und schaut zum Nächsten.

„Wo ist dieser Mensch? Vielleicht alles nur Einbildung.“

Er durchstreift die Duty-Free-Shops. Nichts. Ein Stapel Zeitungen liegt vor ihm, mit einer auffallenden Schlagzeile auf der ersten Seite: Ostafrika boomt! Da will er hin, kauft deshalb ein Exemplar.

Letzte Nacht fraß ein Bild sein Gehirn auf, das Bild des toten Bruders im Steinbruch. Wie ein unersättliches Insekt hat es immer wieder versucht seinen Schlaf zu nehmen. Zwei Tabletten und er konnte durchschlafen. Vielleicht die Nachwirkungen heute, vielleicht eine Art Verfolgungswahn. Er ist verwirrt. Was soll er denken? Hat er den Mann tatsächlich an der Café-Bar gesehen? Oder ist die Angst vor dem Misslingen seines Plans, diese Suche nach möglichen Schwierigkeiten vor dem Abflug, zu einem Hirngespinnst geworden, zu einer Sinnestäuschung?

Endlich beginnt der Gang zum Flugzeug. Neben der Kabinentür liegen wie üblich Illustrierte für die Passagiere bereit. Im Vorbeigehen sticht ihm eine Fotografie ins Auge, das bunte Bild eines afrikanischen Wildtieres, eines Gnus. Er greift zu und ist froh, die Langeweile während des Fluges verkürzen zu können. Auf dem Platz neben ihm sitzt ein Herr mit dunkelbrauner Hautfarbe und einem gewaltigen Bauch, auf seinem Schoß liegt eine indische Zeitung. Kaum über den Wolken blättert Frank in seiner Illustrierten bis zur Rubrik „Reisen“.

Der Fotograf des dazugehörenden Artikels hat sich enorme Mühe für beeindruckende Aufnahmen Tansanias gemacht. Tiere aus der Luft und vom Jeep fotografiert, schwarze Kindergesichter, bunt bekleidete Frauen, stolze Massai.

Tansania! Da wollte er schon einmal hin, und es wäre vom Ankunftsort dieses Fluges gar nicht weit weg. Der vierzigste Geburtstag seiner Frau kommt ihm in den Sinn. Er wollte sie überraschen mit einer Safari in Kenia und Tansania und hatte ihr einen Prospekt auf den Tisch gelegt.

„Safari?“, sagte sie. „Jeden kleinen Hund begegne ich mit Argwohn, habe Angst vor Kühen und jetzt sollte ich Elefanten, Affen, Nashörner und wahrscheinlich auch diese ekligen Schlangen in freier Wildbahnen erleben. Und anschließend in einem Meer baden, voll mit Haien?“

Es wurde „Wellness“.

Frank hat gegessen und dämmert vor sich hin. Der Rücken beginnt zu schmerzen, die Knie stoßen immer öfter an, der dicke Nachbar schläft tief und fest und selber findet man keine wirkliche Ruhe. Er holt sich die mitgenommene Zeitung und schlägt den Wirtschaftsteil auf.

In seiner wirtschaftlichen Entwicklung schnitt Tansania im Vergleich der afrikanischen Länder südlich der Sahara gut ab und Baumwolle ist eines der wichtigsten Exportgüter. Alles lieb und gut, es interessiert ihn nicht, aber dann kommen Zeilen, die zum genaueren Lesen verleiten. Der Edelstein Tansanit soll wieder eine führende Rolle spielen, sobald der illegale Handel unterbrochen ist.

Tansanit!

Ein Juwelier kommt ihm in den Sinn. Die vielen Jahre der Bekanntschaft und das gemeinsame Interesse bei Wertanlagen brachte beide näher. Und was liegt bei einem Juwelier näher, als seinen Gewinn in Form von Edelsteinen aufzubewahren? Reiseschecks hat er genügend, um sich sozusagen Vorort zu günstigen Preisen einzudecken.

Natürlich, das ist es!

Eigentlich sollte das Lesen entspannen, nur die Sache ist es wert, sich damit zu beschäftigen, neue Pläne zu schmieden, alles neu zu überdenken. Ja, eine neue Tür tut sich auf, Frank ist begeistert und weiß nicht so genau warum. Er faltet die Seite, steckt sie ein, sicher ist sicher.

Und dann schläft er unerwartet schnell ein.


Es ist gerade erst früher Morgen, als die Maschine über Mombasa kreist und sich dem Flughafen nähert. Die Sonne legt wie im Film goldenen Glanz auf die Stadt, während der Airbus aufsetzt und einige Fluggäste applaudieren. Die Touristen sind übernächtigt, stehen dicht gedrängt in den Gängen, holen umständlich ihr Handgepäck aus den Ablagen und warten ungeduldig.

„Immer dasselbe“, denkt Frank und als die Kabine fast leer ist, steht er auf, geht zum Ausgang. Eine alte, dicke Frau kommt aufgeregt entgegen, Backen und Hals sind rot gefleckt. „Ich habe was vergessen, ich habe was vergessen!“, ruft sie und zwängt sich umständlich an ihm vorbei.

Er hat Zeit, unendlich viel Zeit. Sein einziges Gepäckstück wird soeben entladen, mehr braucht er nicht, denn seine Verkleidung ist die eines Rucksacktouristen, eines „backpackers“. Dann das nächste Gedränge bei der Passkontrolle und anschließend an der Gepäckausgabe. Fast ganz zum Schluss kommt sein dunkelblauer Rucksack. Mit einer Schlaufe lässig über seine linke Schulter gehängt, schlendert er mit betont abgeklärter Miene zum Ausgang. Touristenfänger und Verwandte warten vor der Absperrung, Taxifahrer heben und senken in einem undefinierbaren Rhythmus das Schild mit dem Namen des Gastes. Er schiebt, zwängt sich hindurch und sucht den Weg zur Toilette. Kaum aus dem Pulk gelöst, herrscht wilder Trubel. Taxifahrer und Minibusfahrer fallen über ihn her.

„Taxi, Taxi!“, ist das am meisten gerufene Wort. Die schwarzen Fahrer dulden keine Ignoranz ihres Appells, keine aufgesetzte Lässigkeit.

„Where you go?“, dabei ist der Körperabstand fast auf Null geschrumpft.

„I can help you, my friend!“

Sie laufen ihm hinterher, zupfen an seiner Kleidung, kreuzen seinen Weg und wollen ihm das Gefühl geben, vertrauen zu können. Endlich ist die Toilette da. Er betritt eine Kabine, schiebt den Riegel vor und vergewissert sich, dass keine Gucklöcher die Trennwände zieren, niemand spionieren kann. Seine Pullover ist schnell gegen ein verwaschenes graues T-Shirt ausgetauscht und die Wertsachen werden kontrolliert. Dollarscheine und Reiseschecks sind in der alten Militärhose verteilt. An einer ledernen Schnur baumelt gut getarnt ein flacher Stoffbeutel um seinen Hals. Weitere Depots sind am Gürtels, einer selbstgenähten Innentasche und in den Schuhen. Einen kleinen Rest steckt er lose ein. Frank atmet durch, öffnet die Kabinentür und tritt als Abenteurer mit Rucksack hinaus.

Zurück in der Ankunftshalle, steht ein hagerer Mann vor ihm. Er hatte ihn nicht kommen sehen, war plötzlich da, hält eine Hand auf und glotzt ihn nichtssagend an. Der Mann ist krank. In der zerlumpten, schmutzigen Kleidung sieht er abstoßend und ansteckend aus.

„Der erste Bettler, ich muss hart bleiben. Man muss diese Leute anders unterstützen“, denkt er und geht an ihm vorbei. Der Schwarze stellt sich erneut in den Weg, die Hand energisch gestreckt, seine Augen hart. Frank hat Angst vor einer Ansteckung. Er überlegt, greift in eine Tasche, gibt einen Eindollarschein, vermeidet die direkte Berührung und verschwindet schnell.

„War das richtig oder falsch? Ich weiß es nicht, egal, ich bin ja erst angekommen.“

Am Rand der Halle ist eine Wechselstube mit einer übersichtlichen Währungstabelle an der Wand. Der eingetauschte Betrag ist nicht hoch, Hauptsache er kann endlich hinaus. Der Flughafen ist inzwischen fast leer. Ein junger, sympathischer Einheimischer schlendert an ihm vorbei und fragt beiläufig, aber seinem Instinkt folgend: „Taxi?“

Frank nickt und der Afrikaner ist überrascht, hat mit einem so späten Geschäft nicht gerechnet. Der Preis ist schnell ausgehandelt und sie gehen zu einem Fahrzeug dessen Lenkrad auf der rechten Seite ist. Die milde Luft bringt den Deutschen zum Schwärmen.

Frank hat sich vorbereitet, viel gelesen und Reiseführer, die unter den Rucksacktouristen weit verbreitet sind, werden ihm helfen sein Ziel zu verwirklichen, da ist er sich schon sicher. Die Fahrt endet nach wenige Minuten vor dem kleinen, kolonialen Bahnhofsgebäude in Mombasa, um in einigen Tagen dort seine Reise fortzusetzen. Er geht hinein, bleibt stehen und ist sich plötzlich bewusst alleine und weit weg zu sein.

„Ich bin allein!

Da ist niemand, der mich kennt, kein Verwandter hinter mir, kein Deutscher, kein Weißer und ich bin frei.

Frei!

Der Gedanke lähmt mich, obwohl mein Herz zugleich einen Freudensprung macht. Vielleicht werde ich schon beobachtet. Bestimmt schielt jemand heimlich zu mir. Hinter den Säulen, am Bahnsteig, auf der anderen Seite des Gebäudes und wartet auf meine Reaktion, wird mit seinem geistigen Zeigefinger auf mich deuten.

Aber da steht niemand. Kein Mensch.

Ich warte, bis ich mich an das Freisein gewöhnt habe. In diesem Moment kann ich machen, was ich will. Und wenn ich hier tanze, ginge es keinem etwas an. Ich kann weiterfahren oder hierbleiben. Alles ohne Plan. Was ich je gemacht, erlebt, gesagt habe gilt nicht mehr. Ich kann von vorne anfangen, wie ein Neugeborenes. Aber wo ist vorne?

Ein Prickeln fährt meinem Körper entlang, von oben nach unten.

Ich bin frei. Unglaublich. Menschen kommen herein, schwarze. Meine Haut fällt auf. Es ist ein ungewohnter Gedanke und meine Knie werden weich. Wieso?“

Er fühlt sich unwohl und weiß gleich warum. Seine Haut ist bleich und grau und so glaubt er, alle seine Schritte, all seine Bewegungen werden beobachtet. Sein unsicherer Blick streift mehrmals einen hinzu gekommenen Weißen.

„Can I help You?“, wird er von ihm sofort angesprochen.

Frank zögert.

„Maybe“, erwidert er.

„I'm looking for …“, der Rest fällt ihm nicht ein, denn was will er eigentlich zuerst.

„Deutscher?“

„Ja, Sie auch?“

„Fast“, sagt der Mann und lächelt, „Österreicher“.

„So ein Glück, ich bin soeben angekommen und ein bisschen Hilfe wäre nicht schlecht.“

„Mit dem Zug angekommen?“

„Nein, mit dem Flugzeug, aber ich möchte mich nicht all zu lange hier aufhalten, deshalb erkundige ich mich schon nach einer Verbindung nach Nairobi.“

Der Österreicher nickt und sein Lächeln verschwindet.

„Typisch deutsch! Kaum da und in Gedanken schon wieder weg. Aber es ist ganz einfach, Montag, Mittwoch und Freitag fährt ein Zug um 19 Uhr ab. Am besten Sie kaufen am Vortag das Ticket.“ Er dreht sich um und geht.

„Warten Sie!“, ruft Frank in seinen Rücken und läuft ihm nach. „Darf ich Sie noch etwas fragen, ich glaube, ich brauche einige Tipps. Ich heiße übrigens Frank“, setzt er schnell nach, um ihn zum Anhalten zu bringen. Er bleibt tatsächlich stehen und reicht die Hand.

„Erik!“

„Es ist so, dass ich keine Ahnung habe, wo ich übernachten soll. Können Sie … Verzeihung, kannst du mir eine Unterkunft empfehlen, hier in der Nähe?“

„Das kommt darauf an, wie viel du ausgeben willst.“

„Ich weiß nicht was hier verlangt wird.“

Der Österreicher zuckt die Achseln und geht langsam weiter. „Außerhalb der Stadt liegen die teuren Touristenhotels mit allem Drum und Dran, hier in der Nähe des Bahnhofes sind die günstigeren, na ja, und einfacheren.“

Frank fällt auf, dass dieser Erik die ganze Zeit von einem etwa dreißigjährigen Afrikaner begleitet wird. Er wirkt ruhig und gepflegt, kurzes weißes Hemd, lange dunkelblaue Hose und feste Schuhe. Erik, vielleicht vierzig Jahre, dagegen ist sportlich gekleidet, mit einer beigen Trekking-Hose und bunt bedrucktem T-Shirt. Sein Gang ist träge, so dass die dunkelroten, auffallenden Flip-Flops bei jedem Schritt ein schleifendes Geräusch von sich geben.

„Kannst du mir einen Namen nennen“, er dreht sich zu dem Afrikaner, „oder dein Begleiter?“

Der Österreicher lacht kurz auf. „Er kennt dasselbe wie ich, wir wohnen dort, auch etwas außerhalb.“

Sie sind währenddessen auf dem Parkplatz vor dem Bahnhofsgebäude und bleiben neben einer geparkten japanische Limousine stehen. Die beiden wechseln den Blick.

„Wenn Du willst, kannst du mit uns fahren. Es ist ein kleines Hotel südlich von Mombasa, nicht weit. Auch nicht teuer, aber du bist der einzige Gast …“, er lacht wieder kurz und hell, „außer mir.“

„Ja, geht das denn?“

„Natürlich, du kannst es dir noch überlegen.“

Der Afrikaner steigt als Fahrer zuerst ein, Frank setzt sich dahinter.

„Mit soviel Glück habe ich nicht gerechnet.“

„Zur Zeit ist nicht viel los, unser Tourismus ist stark eingebrochen, wir sind die Einzigen. Das ist übrigens Asuri, unser Koch und Fahrer. Na ja, und Mann für alles.“

Der Afrikaner nickt. Sie fahren auf einem breiten Boulevard mit Restaurants und Geschäften an beiden Seiten. Die Stadt ist quirlig. Je weiter sie aus der Stadt fahren, desto weniger Touristen sind unterwegs. Der Wagen rollt an einem Busbahnhof vorbei auf eine große Fähre. Bug und Heck sind symmetrisch gebaut, so dass sie gleich gut vorwärts wie rückwärts fahren kann.

„Hier müssen wir übersetzen, ein markanter Punkt, Likoni Ferry. Auf der anderen Seite beginnt das Festland, solltest du Dir merken! Die meisten öffentlichen Verkehrsmittel enden hier, drüben kannst du genauso weiter.“

Das bunte Treiben ist beeindruckend und die vielen Menschen sehen für Frank alle gleich aus, dennoch fällt ihm etwas Besonderes auf und ist fasziniert.

„Ich will ja kein dummes Zeug reden, aber gibt es weiße Schwarze?“

„Wenn du einen Albino meinst?“

„Ja, hinter uns war einer beim Lösen der Fähre behilflich.“

„Kenne ich!“, er dreht sich um, „Der muss froh sein, dass er einen Job hat.“

„Wieso?“

„Die sind im Land nicht immer beliebt“, wieder sein kurzes, helles Lachen, „oder zu beliebt.“

„Verstehe ich nicht! Heißt das, man gibt den Albinos keine oder nur schlechte Arbeit?“

„Ja! Die sind wegen häufiger Sehbehinderungen ohnehin benachteiligt, haben meistens nur eine mangelnde Schulbildung und finden selten Arbeit.“

Erik scheint dieses Thema beenden zu wollen und spricht nur noch englisch mit dem Fahrer. Die Fähre ist im Dauerbetrieb und hat in wenigen Minuten das andere Ufer erreicht.

„Wie kann ich mir merken wo das Hotel ist?“

„Ganz einfach. Vom Bahnhof geradeaus bis zur Hauptstraße, dann hinunter zur Ferry, also hier. Etwa zwei Kilometer lang und eine viel befahrene Busstrecke. Drüben gibt es eine Busstation mit einer fast kreisförmigen Linie durch Likoni, ein Stadtteil. Irgendwann siehst du eine große Schule, die Secundary School. Da steigt du aus oder ein, je nachdem, gehst direkt Richtung Strand und siehst sofort das kleine Hotel. Es steht kein Name drauf, übrigens.“ Er wartet, „Ist viel einfacher als du denkst.“

„Praktisch.“

Sie fahren weiter und nach wenigen Minuten wird das Auto langsamer.

„Wir sind gleich da.“

Erik wechselt ein paar Sätze mit dem Fahrer, der nickt und fährt bei dem Schulgebäude in eine Sackgasse ab. Frank traut seinen Augen nicht. Ein mannshoher Drahtzaun umgibt großzügig einen grünen Rasen und mitten drin steht ein weißes zweistöckiges Gebäude, ein schlichter weißer Würfel mit überdachten großzügigen Terrassen. Die vielen bunten Bougainvillea werfen ihre Farbkaskaden über die metallenen Einfriedung. In der grellen Sonne leuchten die Blüten in den Farben violett, rot und gelb, wie Neonreklame in der Nacht und dahinter lockt ein hellblauer Pool.

„Das ist ja ein Traum!“, sagt Frank, greift sich in die Haare und lacht in sich hinein.

„Was kostet die Nacht?“

„Kannst du in Dollar bezahlen?“

„Ja, kein Problem.“

„Habe ich mir schon gedacht. Fünfzehn die Nacht, ohne Rechnung, Frühstück extra, einverstanden?“

„Und ob!“

„Du musst nur Asuri die Nummer deines Passes geben. Sicher ist sicher, das verstehst du, oder?“

Vier Zimmer sind im ersten Stock, groß und hell, zwei davon mit einem Blick auf das Meer. Nach der Eingangstür ist links ein Schrank mit Garderobe, gegenüber die Dusche mit europäischen Armaturen und Toilette. Zwei Schritte weiter, durch eine dünne Wand, wiederum links, steht ein schneeweißes Bett in den Maßen zwei mal zwei Meter in einem großen Zimmer. Hauchdünne Vorhänge, auf der anderen Seite, lassen einen bezaubernden Balkon mit schattierter Pergola erahnen. Frank schiebt den Stoff zur Seite, öffnet zwei riesige Schiebetüren und lässt milde Luft herein. Er wird alleine gelassen, so wie das eben ist, wenn der Gast sein Zimmer bezieht, sein Gepäck einräumt und sich nach einer anstrengenden Anreise frisch machen will. Die Dusche ist herrlich, er benützt sie ausgiebig, das Haarshampoo duftet, die Körpercreme tut es ihm nach und noch frische Wäsche, was will man mehr.

„Vielleicht erst einige Tage klimatisieren, die Einheimischen besser kennen lernen, dann geht es richtig los, mit der richtigen Erfahrung im Umgang mit den Menschen hier“, so seine momentane Einstellung. „Natürlich haben die alle eine andere Mentalität, das werde ich bald herausfinden, ich war schon öfter im Ausland.“

Ein Test der Matratze ist genauso befriedigend und der kurze Gang auf den Balkon lässt Frank glauben, er ist in eine neue Welt eingedrungen. Dieses unglaubliche Blau des Himmels und des Meeres bis zum Horizont, lässt sein Herz sprichwörtlich schneller schlagen. Er setzt sich auf einen der beiden niederen Plastikstühle, die an einem weißen Gartentisch stehen und schaut hinaus, seit langem endlich ohne Gedanken. Irgendwann hört er im Hintergrund ein leises Klopfen. Er dreht sich um und sieht die Tür einen Spalt geöffnet. Frank winkt herein.

„Bist du ok?“, fragt Erik und öffnet ganz, mit einem Tablett in seinen Händen.

„Oh, super!“, antwortet Frank, „Du kommst genau richtig. Ist das für mich?“

„Ja, wenn du möchtest, ein Willkommen des Hauses.“

Frank eilt ihm entgegen, nimmt die Sachen ab und bietet einen Stuhl an. Er sieht einen Stapel Sandwich, Bananen, eine große Flasche Wasser und zwei Gläser auf dem bunten, mit Blumen bedruckten Tablett.

„Tolle Idee, ich gehe davon aus, dass du mitisst“, sagt Frank sichtlich erfreut und schenkt ein.

„Ja, bin immer wieder froh in meiner Muttersprache zu sprechen. Der Koch ist nett, aber sein Englisch geht mir auf den Wecker.“

Frank macht sich mit einem Heißhunger über sein erstes Sandwich her und fühlt sich immer mehr wie im Paradies. Erik hat keinen großen Appetit, möchte jedoch möglichst viel über Europa wissen. Ihre Gespräche sind interessant und sie unterhalten sich immer lockerer, fast kameradschaftlich, bis Frank nach etwa einer halben Stunde das Thema wechselt.

„Wem gehört denn das alles hier?“, sagt er.

„Einem Afrikaner, John Mzeen. Er ist seit acht Tagen unterwegs in England, du wirst ihn bald kennen lernen, schwerreich. Er legt keinen Wert auf ein ausgebuchtes Hotel. Ich war wie du auf Zimmersuche und hab´ ihn hier getroffen, dachte zuerst, es ist ein schwarzer Geschäftsmann, der übernachten will. Geschäftsmann ist er schon … und was für einer. Er reist viel, meist nach England, aber auch Südafrika, Namibia. Ich habe den Eindruck, dieses kleine Hotel ist für ihn eine Art Zuhause, das ihn an früher erinnert. Der Koch und ich sind die kleine Familie sozusagen“, er wartet einen Augenblick, „aber unterschätze ihn nicht.“

„Wieso unterschätzen? Was meinst du damit?“

Erik zupft eigentümlich an seiner Nasenspitze, streicht sich übers Kinn und sagt nachdenklich: „Er hat Macht!“

Frank weiß nicht, was angedeutet werden soll und wird stutzig. „Auch über dich?“, fragt er bewegt.

Eriks Gesicht bekommt Flecken. „Über mich? Wo denkst du hin? Ich arbeite mit ihm zusammen, das ist alles.“ Er steht auf, legt die Bananen zur Seite, nimmt das leere Tablett und geht ins Zimmer. „Ich lasse dich alleine, du brauchst Ruhe, aber ich bin im Haus und ansonsten bis morgen.“

Frank geht nach, öffnet die Tür und bedankt sich nochmals.

„Es ist alles noch so neu“, überlegt er, „die vielen Eindrücke, vielleicht sollte ich mir keine großen Gedanken machen. Aber wieso war ich beunruhigt, als er das sagte. War das eine Warnung?“

Er legt sich auf das Bett und döst ein wenig. Als er wach wird und die Sonne nahe am Horizont ist, geht an den leeren, breiten Strand. Der Geruch des Meeres beruhigt und erregt ihn zugleich, wie der Blick auf ein Konto nach einem Lottogewinn. Im Abendlicht erscheinen weit draußen Inseln, haben die Form von auftauchenden Walen oder Seeschlangen, aber es sind Wolken. Sie sind blau, graublau wie das Meer, aus dem eine dünne Rauchfahne aufsteigt. Die orange Sonne kämpft mit ihrem letzten Licht gegen die Nacht und Frank sagt zu sich, ich habe es geschafft und bin müde und zufrieden.

Er schlendert noch am Pool vorbei und denkt gerade daran, dass dieser Boss in Namibia und Südafrika Geschäfte betreibt. Wer weiß, vielleicht auch für oder mit ihm. Bei dieser Möglichkeit ist er wie berauscht und stapft die Treppen hoch. Nach einer schnellen Dusche verspeist er die Bananen, schaltet den Deckenventilator an, geht ins Bett und hört nur noch das leise, einschlummernde Geräusch des Motors.

Die Gier des Mzungu

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