Читать книгу Die Gier des Mzungu - Karl Dorsch - Страница 5

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Sie geht ins Umkleidezimmer und er folgt ihr.

„Was soll ich anziehen, Mike?“, fragt Anna Purecker ohne eine Antwort zu erwarten.

Michael hebt nur kurz die Schultern, nimmt seine auf einem Hocker abgelegte Kleidung und zieht sie an. Sie fingert einen knallroten Slip aus einer Schublade, eine Jeans vom Bügel und schlüpft in eine Bluse, drückt wie automatisch mit nachdenklichem Blick ihren Busen nach oben. Socken und Tennisschuhe dazu gefallen ihr am besten.

„Siehst toll aus“, sagt er. „Die schönste Witwe Österreichs. Und erst vierzig!“

Sie huscht an ihm vorbei und geht ins Bad, wo sie ihre schulterlangen, leicht gewellten, dunkelbraunen Haare in Form bringt. Dezent roter Lippenstift betont ihre unglaublich vollen Lippen, passend zu den hohen Wangenknochen.

„Und was denkst du, wo wir mit der Suche beginnen?“, fragt sie durch die offene Tür, mustert ihn dabei von oben bis unten und fühlt sich von dem muskulösen Körper angezogen. „Er würde zu mir passen, hat fast dasselbe Alter“, überlegt sie, „wenn nicht …“

„Keine Ahnung. Wo hatte sich dein Mann noch gerne aufgehalten? Wo konnte er Privatsachen verstecken?“

„Verstecken? Hermann hatte keine Geheimnisse“, sie stockt, „also dachte ich.“

„Was ist mit dem Dachboden?“

„Gute Idee“, antwortet sie und führt ihn hinauf, mit einem flauen Gefühl im Magen. Als sie die Hälfte der schmalen Treppe gegangen ist, will sie umkehren, ihren Plan aufgeben, aber Mikes Schritte hinter ihr, seine Nähe, sein lauter Atem lassen sie mutig werden.

„Komm!“, ruft Anna, greift nach seiner Hand und steigt weiter nach oben.

„Na, hier sieht es aus“, bemerkt er, als die Tür offen ist.

Sie geht hinein, macht Licht, hebt eine große Plastikplane an, unter der ein Schreibtisch zum Vorschein kommt, und schiebt sie zur Seite. Staub fliegt auf. Gemeinsam durchwühlen sie systematisch die vielen kleinen Fächer und Schubläden des schweren Pults, voll bis oben hin mit vergilbten Rechnungen, Plänen von Häusern, Notizen über Gespräche, Zetteln, sauber chronologisch geordnet, alles übersichtlich platziert.

„Wir sollten dort suchen, wo wenig Schmutz ist. Ich denke, dein Mann wird die Barren öfter verstohlen betrachtet und die Schwere des Goldes verspürt haben.“ Er steht vor einem Stapel mit Kisten, nimmt die oberste mit Zeitungen und Illustrierten und leert sie mit einem Schwung auf den Boden.

„Wie groß sind eigentlich Goldbarren?“, fragt sie.

„Je nach momentanem Wert“, antwortet er und durchsucht mit seinen Schuhen den Papierhaufen am Boden, „und Gewicht. Ein Kilo Gold hat etwa die Größe eines Fünf-Euro-Scheines und ist einen Zentimeter hoch. Und kostet über dreißigtausend Euro! Er kann sie in jeden Schlitz gesteckt haben.“

„Das glaube ich nicht, Hermann war zu ordentlich und gewissenhaft. Sie sind bestimmt alle zusammen in einem guten, leicht zugänglichen Versteck.“

Anna geht zu einem Bücherregal, zieht ein Exemplar heraus und durchblätterte es. Sie nimmt das nächste, hält es am Umschlag fest, dreht es so, dass die offenen Seiten nach unten zeigen und schüttelt.

„Was wird das?“

„Vielleicht ist ein Hinweis darin versteckt.“

„Ein Hinweis versteckt?“, äfft Mike ihr nach.

„Ich bin eben neugierig und wir haben viel Zeit.“

Er dreht sich um und entdeckt einen alten Schrank. „Du meine Güte! Das ist ja eine Antiquität.“

„Stimmt, ein Küchenschrank von seiner Mutter. Mir hatte er nie gefallen und ich finde ihn heute noch hässlich, deshalb ist er hier oben gelandet. Aber gute Idee, durchsuche ihn!“

Das Möbelstück ist aus massivem, dunkelbraunem Holz und hat eine Vitrine als Hochschrank, darunter zwei Reihen mit gleich großen Schüben. Mike zieht den ersten mühelos heraus und blickt ins Leere. Beim zweiten entsteht ein helles, klickendes Geräusch.

„Schau mal“, meint er leicht belustigt, „die sind kaum von dir.“

Anna legt ein Buch zur Seite, geht zum Schrank und schaut in Mikes Gesicht, mit nach unten verzogenen Mundwinkeln und Augenbrauen, die Mimik eines schlechten, traurigen Clowns. Beide stieren zugleich in den Schub, neigen ihre Köpfe zueinander, um den Blick des anderen zu finden, und sehen sich fragend an.

„Eine ist noch halb voll. Willst du einen Schluck?“, fragt er spöttisch.

„Ich hätte nie gedacht, dass mein Mann heimlich Alkohol trinkt. Nur, jetzt ist mir einiges klar. Er hatte in letzter Zeit häufig einen Kaugummi im Mund, für seine Zähne, angeblich. Ich verstand das nie, seine Besuche beim Zahnarzt waren regelmäßig und ohne schlechten Befund. Im Gegenteil!“

Sie dreht sich im Kreis, um alles aufzunehmen. Ein neues Gespür, eine Vorahnung steigt in ihr auf, hält sie fest, hier in der geheimen Welt ihres verstorbenen Mannes, eines Partners, der im Laufe ihrer Ehe völlig anderen Regeln gefolgt ist. So wie sie.

„Wir sind richtig“, äußert sie und nickt.

„Glaubst du?“

Systematisch und mit viel Ruhe öffnen beide jeden Schub, jedes Türchen und sind sich im klaren, dass sich der Erfolg nicht leicht einstellt. Sie nehmen jeden Schub nochmals heraus, drehen und wenden ihn und legen ihn zur Seite.

„Wir sind dumm“, bemerkt er, „wir denken zu kompliziert.“

Sie antwortet nicht darauf, oder nicht sofort. Anna strafft sich und blickt am Schrank vorbei zur Wand. Sie schiebt die untere Lippe über die obere, hält etwas zurück und ist unsicher, ob sie es sagen soll. Sie streicht über das linke Seitenteil des Möbels und wackelt mit dem Kopf hin und her.

„Mike, er hat es hinter dem Schrank versteckt. Wetten?“

„Um was wetten wir?“, fragt Mike und zieht die Augenbrauen zusammen.

„Nichts. Ich bin mir sicher.“

Sie fasst ihn mit beiden Händen an den Schulten und blickt in seine Augen: „Wir Frauen sind schlauer als ihr Männer. Er hatte öfter schmutzige und ausgebeulte Knie, das fiel mir auf.“

„Ja und?“

Sie antwortet nicht, geht neben den Schrank, kniet sich nieder und tastet mit einer Hand in den breiten Schlitz zwischen Mobiliar und Wand.

„Da!“, schreit sie fast und zieht ein gelb glänzendes Metallstück heraus. „Die Rückwand hat genügend Platz.“

„Du bist verrückt“, sagt Mike und kratzt sich am Hinterkopf.

Sie reicht ihm den Goldbarren und sucht sofort weiter. „Ich habe mehrere“, antwortet sie und legt, Stück für Stück, vierzehn Edelmetallblöcke nebeneinander auf den Boden. Sie steht auf, wischt ihre Knie ab und ist sprachlos.

„Wie viel ist das, Herr Sparkassenstellvertreter?“

„Etwa eine halbe Million.“

„Dollar?“

„Mehr! Euros.“

„So viel? Und wie können wir die einlösen?“

„Komm, setzen wir uns“, schlägt er vor und deutet zum Schreibtisch.

Sie sitzen auf der Arbeitsfläche und halten sich die Hand. Mike beißt sich mehrmals auf seine Unterlippe und schürzt nervös seinen Mund. Anna blickt ihn von der Seite an und schweigt. Was liegt da in der Luft, oder bildete sie sich das nur ein? Anna entzieht ihm langsam die Hand.

„Was ist?“

„Du hast wieder so etwas Dunkles in deinen Augen, Mike.“

„Nein, nein, ich habe Angst! Jetzt haben wir den Schatz und dürfen ihn nicht heben.“

„Was heißt das?“

„Die Barren sind nummeriert. Hier eintauschen ist unmöglich. Die Polizei wird früher oder später dahinterkommen, dass ich bei diesem Spiel nicht ehrlich war und deinen Mann gedeckt habe. Ich bin überzeugt, dass sie Spezialisten einsetzen werden. Und dass du einen Abschiedsbrief in deiner Aufregung verbrannt hast, glauben sie doch auch nicht.“

„Nummeriert?“ Ihr Atem geht schneller und das Gesicht wird blass. „Kann man das Gold im Ausland verkaufen?“, fragt Anna plötzlich zuckersüß und streichelt über seinen Oberschenkel. „Irgendwie?“

„Du meinst mich damit und hast Recht.“ Mike nimmt wieder ihre Hand und spürt, dass sie feucht geworden ist und kalt. Zweifel überkommen ihn, Zweifel über sie, und er kann es nicht in Gedanken oder Worte fassen. „Egal“, beginnt er, „ich werde verreisen, bevor mich die Polizei erneut ausfragt, mit zwei, drei Barren, den Rest versteckst du. Nicht im Haus, hörst du! Suche dir ein gutes Versteck aus. Meine Reise geht nach Mombasa, ein Urlaubsticket und von dort weiter in den Kongo.“

Sie blickt ihn unverstanden an, geht zum Dachgiebel und schaut durch das kleine, runde Fenster. „Da ist jemand im Garten.“

Mike geht ihr nach und stellt sich neben sie. Das Licht der Straßenlaterne reicht kaum bis zum Haus.

„Wo? Ich erkenne nichts.“

„Ich habe gesehen, wie jemand durch die Büsche streifte. Ganz links, in Richtung der Garagen.“

„Vielleicht eine Lichtspiegelung oder der Wind.“

„Nein. Eine Gestalt, nicht groß.“

Er sieht immer noch nichts. „Bestimmt ein Kind“, meint er schließlich und hofft, dass es stimmt. „Oder ein neugieriger Nachbar oder schon wieder jemand von der Presse.“

„Ein Kind um diese Zeit? Die Polizei hat dich vernommen und die Reporter sind abgezogen.“ Sie spitzt die Lippen. „Gibt es viele Gläubiger in Österreich, außer der Bank?“

„Das weiß ich nicht. Ich musste nur ab und zu als Stellvertreter unterschreiben.“

Anna beginnt zu zittern und blickt ihm in die Augen. Sie hat sich immer etwas Mädchenhaftes bewahrt, aber jetzt sieht Mike in ihr eine schnell gealterte Frau. Das Gesicht eingefallen, Falten um den Mund und eine graugelbe Haut.

„Was ist los mit dir?“, erwidert er in barschem Ton.

„Wie kommst du auf Mombasa?“, fragt sie ungläubig.

„Weil ich in Wirtschaftsjournalen gelesen habe, dass in den konfliktgeladenen Zonen der Republik Kongo Gold gefunden und geschmuggelt wird. Man kauft das wertvolle Metall von Händlern und Bergarbeitern aus kongolesischen Dörfern, die von Rebellen beherrscht werden. Sie verstecken das Gold und schaffen es in benachbarte Länder wie Kenia oder Tansania. Und dort werden die wertvollen Klumpen zertifiziert und zusammen mit anderem Gepäck in Richtung Naher Osten und Asien auf den Weg gebracht. Und ich bringe auch Gold, noch dazu in Barrenform. Das Umändern der Nummern ist für solche Leute eine Kleinigkeit.“

„Du bist ja erstaunlich gut informiert.“

„Gott sei Dank!“, entgegnet Mike, „sonst hätten wir ein riesiges Problem.“

Sie schweigen eine Zeit lang.

„Darauf hat mich dein Mann gebracht“, er wartet, „‚hatte‘ mich gebracht, muss ich jetzt sagen. Er ist tot, vom Zug überfahren und kommt nie wieder.“

„Ja“, sagt sie leise.

Sie wird nachdenklich. „Aber wieso er?“

„Weißt du, Anna“, beginnt Mike bedächtig und ist froh, ihr erzählen zu können, „weißt du, er war sich im klaren, dass du ihn verlässt. Da begann er zu überlegen, wie er zu Geld kommt, heimlich, ohne dein Wissen. Wenn wir uns in letzter Zeit unterhielten, dann fast nur noch über Goldanlagen. Seine Begeisterung war wie bei einem Jungen, der von einem Rennrad träumt. Alles darüber interessierte ihn, vor allem, wo das Edelmetall herkommt. Er sprach oft von Geldwäsche in afrikanischen Länder, das machte mich stutzig. Und dann war die Gelegenheit für ihn da, die Umschichtung in der Wiener Zentralbank. Sein Plan war mir schnell klar, er wollte das Haus verkaufen und mit Barren aus dem Depot abhauen. Vielleicht wusste er, wie man sie nach Afrika bringen kann. Du warst ihm als Gegner viel zu groß, deshalb die Flucht.“

Mike schaut sie an und fährt fort: „Und zu berechnend. Das kann ich sogar verstehen.“

„Du?“, fällt sie ihm ins Wort. „Was willst du damit sagen?“

„Du bist eine hübsche Frau, Anna, und intelligent. Davor hat jeder vernünftige Mann Angst. Ich glaube manchmal, du hast deine eigenen Pläne, ohne mich.“

„Aber Mike!“, schreit sie. „Wieso sagst du das? Du tust mir weh!“ Sie geht von ihm weg und gräbt ihr Gesicht in ihre Hände.

Mike geht ihr nach, hält sanft ihre Schultern und umklammert sie langsam. „Verzeih mir, du hast Recht. Es ist die Aufregung, sonst nichts. Ich habe eine Lösung, nur, ich muss dafür weg. Nicht lange. Verzeih!“

Sie gehen zurück zu dem kleinen Fenster und schauen Hand in Hand in die Nacht. Ein beruhigendes Gefühl stellt sich ein, als das Licht eines Flugzeugs den schwarzen Himmel durchkriecht. Die Straßenlaterne taucht den Vorgarten in ein mystisches, kaum wahrnehmbares Gelb. Eine Katze springt erschrocken aus den Büschen, drückt sich zwischen den Zaunlatten durch, bleibt unter der Laterne stehen und blickt zurück zum Garten. Beide beobachten das Tier, sehen ihren erschreckten Gesichtsausdruck und suchen nach dem Grund.

„Was hat das Tier?, sorgt sich Anna. „Es ist aus der Nachbarschaft und wird von mir ab und zu gefüttert.“

„Es hat Angst.“

„Das weiß ich, nur wovor?“

„Gut, ich habe schon verstanden“, sagt Mike und geht zur Treppe. „Du bleibst heroben und lässt das Licht an.“

Mike steigt die Treppen hinab, schließt die Tür zum hinteren Garten so leise als möglich auf und geht hinaus. An der Abbiegung zum Vorgarten hält er an und streckt seinen Kopf um die Ecke, wie ein Fischreiher bei der Jagd. Das fahle Licht ist günstig, er kann kaum entdeckt werden, aber selber auf die wenige Meter entfernte Straße sehen. In den Büschen rührt sich nichts und die Katze ist weg. Links von ihm parken in einhundert Meter Entfernung zwei Autos hintereinander, ansonsten sieht er nichts. Als Mike zurück will, kommt ein Mann von mittlerer Größe hinter den Autos zum Vorschein, blickt lange in seine Richtung und steigt in das vordere Fahrzeug. Mike wartet, dass der Motor anspringt und weggefahren wird. Aber es geschieht nichts. Er geht auf die Straße, um das polizeiliche Kennzeichen lesen zu können. Das Auto startet und fährt weg. Hinter ihm raschelte es. Mike dreht sich erschrocken um, sieht einen Schatten neben der Garagenmauer und rennt los.

„Anna! Verdammt noch mal, was machst du hier?“

„Ich habe ihn gesehen!“, entgegnet sie ganz aufgeregt.

„Wen?“

„Den Mann! Er ging nach links die Straße entlang.“

„Aha. Und hast du gesehen, ob er aus einem Garten kam?“

„Nein, nur dass er auf der Straße war.“

„Das gibt uns keine Gewissheit. Ich habe jemanden mit dem Auto wegfahren sehen. Aber vielleicht ist alles Zufall und ein Marder hatte zuvor die Katze erschreckt“, meint Mike unsicher.

„Und der Marder ist dann mit dem Auto weggefahren, oder?“, erwidert sie spitz.

Sie gehen hinein, machen Pläne über ihre Zukunft und sind sich im klaren, dass viele Schwierigkeiten zu überwinden sind. Anna kann nicht glauben, dass alles so einfach ist, wie Mike es vorhat. „Und wieso nach Afrika?“, fragt sie, „und wieso so schnell?“

„Wir haben keine andere Wahl, Anna“, antwortet Mike, „entscheide du.“

Die Gier des Mzungu

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