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Vier Monate später.

Da gibt es Augenblicke im Leben eines Menschen, in denen die ganze Zukunft entschieden wird, Momente, die man gerne ungeschehen machen würde. Nur kommt diese Einsicht dann zu spät und einer dieser Momente im Leben des Deutschen Frank Roland ist, als er einen Monat oder vier Wochen oder achtundzwanzig Tage vor seiner Rache, und wer weiß wie viele Stunden vor dem Mord an seinem Bruder, das Einschreiben der Bank öffnet. Er hat sich in eine Sackgasse manövriert und sein letztes großes Projekt solche Dimensionen erreicht, dass der Überblick verloren ging. Da steht es schwarz auf weiß. Obwohl Frank bereits mehrfach abgemahnt wurde hielt er an seinen optimistischen Gedanken fest. Er hatte die schriftlichen Hinweise ehrlich beantwortet und in vielen Gesprächen die Leitung der Bank darum gebeten, ihre Entscheidungen noch einmal zu überdenken, ihm noch einmal eine Gelegenheit zu geben. Die Zeiten ändern sich, hat man geantwortet, warum er nicht?

Frank Roland fühlt sich so elend, dass er sich am liebsten ins Bett legen würde, denn das was er erfasst ist sein Untergang. Die Hände in den Schoß gelegt und zum Gebet gefaltet, sitzt er am eleganten Esszimmertisch, mit Blick auf den großzügig angelegten Garten seines modernen Hauses. Der Kopf beginnt zu zittern, als hätte er eine nicht heilbare Nervenerkrankung und während er durch die großen Fenster hinausschaut beginnt er zu frösteln, trotz Sonnenschein und angenehmer Raumtemperatur.

„Jetzt habe ich begriffen“, sagt er laut zu sich, „was bin ich für eine Idiot.“ Die Stimme ist brüchig.

Seine Lebensaufgabe, sein Lebensinhalt hört auf zu existieren, seit diesem Moment. Der Bruder hat alles verkauft, an sich gerafft, die ganze Firma, die Häuser, die Aufträge ihres Zweimannbetriebes. Er hat die nötige Unterschrift von ihrem Vater unter Androhung von weiterer Gewalt erpresst, um den Verkauf zu legalisieren. Die Nachbarschaft machte ihn heimlich darauf aufmerksam. Schreie auf der Terrasse, kurze spitze Schreie eines alten Menschen, verlogen freundliches Gesicht des Bruders beim Verlassen des Grundstücks.

Frank ist mit Leib und Seele Architekt, voll von Ideen, die sonst keiner hat und sein Bruder Rolf seit einem halben Jahrzehnt Teilhaber als Kaufmann, so wollten es Mutter und Vater, die Gründer der kleinen Firma. Für Aufträge in den letzten Jahren sorgte sein Bruder mit seinem geschmeidigen Auftreten, seiner ruhigen, einfühlsamen Stimme. Es lohnte sich sehr, bis billige Immobilien, die hohe Rendite bringen sollten, auf hartnäckiges Drängen Rolfs aufgekauft wurden.

„Der letzte große Coup,“ sagte er, „dann für dich nur noch Ruhestand, einen Tauchschein und abenteuerliche Reisen.“

Seine Frau hat sich im Laufe ihres Lebens immer mehr ihrem eigenen Geschlecht hingezogen gefühlt und ihn vor einigen Jahren verlassen, trotz seiner Attraktivität, seinem sportlichen Aussehen. Eine Zeitlang dachte er an einen Ersatz, sehr junge Möglichkeiten gab es genügend, aber mit Fünfzig und leicht ergrauten Haaren wurde er vorsichtig. Zur selben Zeit sank das Interesse seiner beiden erwachsenen Kinder an ihren Vater auf Null, nachdem er darauf bestand, dass sie ihre Probleme selber zu lösen haben. Weil seine durchdachten Vorschläge nicht gehört und nur Forderungen an ihn gestellt wurden, entzog er dem Rest der Familie Stück für Stück den Rückhalt. Seine einzigen Fehler waren seine Stärke bei der Bewältigung der Schwierigkeiten der Familie und seine Gutgläubigkeit. Davon profitierten alle. Er hat die glückliche Gabe, die Dinge bei anderen so zu sehen, dass am Ende alles gut wird und kein Nachteil ohne späteren Vorteil ist. Es gab genügend Neider, die ihm seine Erfolge streitig machten oder sich in seinen Schatten stellten, solange er erfolgreich war. Das wollte er nicht sehen, die Menschen sind doch gut.

„Und ich?“, sagt er zum Fenster hinaus, „Wer hilft jetzt mir?“

Da ist er sich sofort im klaren, dass Unterstützung nicht zu erwarten ist. Nun, es war ja auch keiner gewohnt ihm zu helfen, er hat sie verhätschelt, wie eine überbesorgte Mutter ihr Kind. Und so wurden Sohn, Tochter und Schwestern ekelhaft bei Auseinandersetzungen mit ihm, egoistisch, bissig und im Grunde genommen feige. Sie waren Kleingeistern, sahen sich selbst als Betrogene, Frank als den Schuldigen, suhlten sich im Selbstmitleid und verachteten ihn in ihrem verletzten Stolz. Frank funktioniert seit einiger Zeit nicht mehr. Nur der dreckige Bruder hat ihn noch überlistet, mit Hilfe ihres Vaters.

„Eigentlich nicht verwunderlich“, sagt er sich, „ich hätte es sehen können, der Bruder ist wie der Vater oder umgekehrt.“

„Das hat alles keinen Sinn mehr“, sinniert er weiter, während seine Augen nass werden und seine Lippen dünner. Mehr kann er nicht denken, sondern nur noch ein dumpfes Gefühl zulassen, eine schwere Stimmung und tiefe Resignation, die jede Initiative erlahmen lässt. Eine Zeit verstreicht in dieser inneren Haltung bis ihm konkrete Pläne erscheinen, die diesen Schmerz, diese Ohnmacht, beenden können.

„Tabletten oder durch Auspuffgase im Auto ersticken? Dann ist alles vorbei!“

Wie er sich immer ernster diesem Suizidgedanken hingibt, hörte er ein vertrautes Geräusch. Es ist die Katze einer Nachbarin, die um Einlass bettelt und nach Kräften schreit. Billy! Ein treffender Name für diesen frechen und aufgeweckten Kater. Frank steht auf, macht die Terrassentür einen Spalt auf und schon ist das braunrot behaarte Tier im Haus, streift um seine Beine. Ein untrügliches Zeichen, dass es Futter und Aufmerksamkeit fordert. Frank geht in die angrenzende offene Küche, vom Kater verfolgt, öffnet den Kühlschrank und legt ein Stück Wurst auf den Boden. Er sieht dem Tier beim Fressen zu, lächelt während er es streichelt und geht zurück, um sich erneut zu setzen, erneut in eine depressive Stimmung fallen zu wollen. Es gelingt nicht mehr. Billy sitzt auf dem Stuhl neben ihm, schnurrt und hat ihn aus einer Apathie geholt, eine einfache Sache für den lebenslustigen Kater.

„Man muss sein Glück wohl selber einfordern“, denkt Frank. Dann kommen ihm Gedanken, die zu einem schnell verfassten Plan heranreifen, ein ganz anderer als vor wenigen Minuten, genau genommen das Gegenstück. Ja, er will leben, besser und endlich auf seinen eigenen Vorteil bedacht sein, nur er, was interessieren ihn ab jetzt die anderen. Frank ist selbst über diesen spontanen Stimmungswechsel überrascht, aber er fühlt sich gut und dann ist es wohl in Ordnung. Er schließt seine Augen, während sich ein warmes Gefühl in ihm breit macht und wird immer sicherer. Es muss sein, er wird sich besser fühlen, es ist seine letzte Chance und in spätestens vier Wochen will er weg, das plant er jetzt schon, nicht ohne sich gerächt zu haben, jemanden entfernt zu haben. Und wer weiß schon wo und wie: im Steinbruch während eines Spazierganges mit dem Hund. Es geht nicht anders, wer hätte das gedacht.

„Ich beginne ein neues Leben.“

Die Gier des Mzungu

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