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2. Bewegung

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Ein weiteres Phänomen der Ereignisse vor 20 Jahren lässt sich wieder mit einem Wort kennzeichnen: Bewegung. Diese Bewegung, die vielfach auch als „friedliche Revolution“ bezeichnet wird, speiste sich aus vielen Quellen: Politische Unzufriedenheit, wirtschaftlicher Problemdruck und der Freiheitsdrang der Bevölkerung im Osten Deutschlands fanden in den Protestmärschen ihr Ventil. Das System geriet ins Wanken und beim Fall der Mauer wurde die eingetretene Bewegung in ihrer ganzen Dynamik auch sehr emotional sichtbar. Wer könnte die Bilder vergessen, die zeigten, wie sich in Berlin und anderswo wildfremde Menschen um den Hals fielen, wie auf einmal eine Welle der Hilfsbereitschaft und des Entgegenkommens spürbar war und wie scheinbar endlose Autoschlangen zu bisher unerreichbaren Zielen aufbrachen – alles kam in Bewegung!

Gilt das auch für uns Christen – ist Bewegung ein Kennzeichen meines Glaubens? Wie war es vor 2000 Jahren?

Auch Jesus brachte Menschen in Bewegung und ließ sie Grenzen des Gewohnten auf Neues hin überschreiten: Schon an die Krippe kommen so unterschiedliche Gestalten wie die Hirten, die im damaligen Palästina eher zur sozialen Unterschicht gehörten, und die begüterten Sterndeuter, die es sich ein Vermögen kosten ließen, um dem neugeborenen Kind zu begegnen. Jesu Geburt bringt nach Auskunft des Neuen Testaments sogar die politischen Machtverhältnisse in Bewegung und erschüttert die Selbstsicherheit eines Herodes. Neue Bewegung kommt andererseits ins Leben von alten Menschen wie Simeon und Hanna, die nach menschlichem Ermessen nicht mehr viel zu hoffen haben und nun in der Begegnung mit Jesus plötzlich erfahren dürfen, dass ihr Warten nicht umsonst war. Wenn man solche Stellen im Neuen Testament einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, kommt vielleicht auch bei uns etwas in Bewegung. All das hält in mir jedenfalls die Hoffnung wach, dass trotz vieler trennender Gräben, aufgehäufter Hindernisse und verschütteter Hoffnungen in Kirche und Welt die Begegnung mit Jesus auch heute suchende Menschen in Bewegung bringt, sie von unterschiedlichen Ausgangspunkten her aufeinander zuführt und Grenzen des Gewohnten, Vertrauten und Eingespielten überschreiten lässt. Doch Vorsicht: Bewegung ist kein Selbstzweck. Genau diesen Eindruck könnte man nämlich bekommen, wenn man Entwicklungen in den Blick nimmt, die sich seit der Wende noch verstärkt haben. Da wird nämlich der bloße Wandel an sich zum Markenzeichen einer neuen Lebensqualität erhoben, bei der auch alles in Bewegung ist. Gefordert sind dann im persönlichen Verhalten vor allem Mobilität und Anpassungsbereitschaft. Diese Haltungen sind aber oft nicht von der Sorge um das Gemeinwohl oder die gesellschaftliche Gerechtigkeit geprägt, sondern dienen vorrangig dem eigenen Erfolg und der Selbstverwirklichung. Das hat nicht zuletzt die Finanzmarktkrise der letzten Jahre deutlich gemacht, wo buchstäblich auch alles in Bewegung geriet, weil Teile der Wirtschaft über dem Streben nach schnellen Erfolgen langfristige Ziele aus den Augen verloren hatten. Anders und allgemeiner gesagt: Wenn Bewegung nicht orientierungslos werden soll, braucht sie Ziele und Perspektiven, die in allem Wandel und seinen mitunter rasanten Veränderungen bleibende Werte verdeutlichen. Unser christlicher Glaube lebt ganz wesentlich von der Erinnerung an solche Grundlagen. Eine davon ist die Gewissheit, dass Gott uns das Ziel des Lebens vorgibt, weil dieses Leben kein Zufallsprodukt darstellt, sondern für ihn Ewigkeitswert hat. Das Wissen darum kann uns einerseits gelassener machen und zugleich neu in Bewegung bringen: Gelassener macht mich der Glaube, weil ich mich von Gott beschenkt weiß, so dass ich nicht alles selber machen und erreichen muss, damit mein Leben sinnvoll wird. In Bewegung bringt mich der Glaube, weil ich in allem Wandel meines Lebens zwar nicht weiß, was alles auf mich zukommt. Aber ich habe die Gewissheit, wer mich begleitet: Jesus Christus, der mich ermutigt, meinen Weg mit Vertrauen und Hoffnung weiterzugehen. Denn christliche Erinnerung ist keine Fixierung auf die Vergangenheit, sondern ein Kraftschöpfen für die Zukunft im Rückblick auf die Geschichte. So kann auch der Blick auf das, was vor 20 Jahren in Bewegung kam, Motivationshilfe für einen Glauben sein, der Einsichten in Vergangenes mit Aussichten auf Kommendes verbindet und daraus seine Kraft für die Gestaltung der Gegenwart bezieht.

Herausgeforderter Glaube

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