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3. Bekehrung

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Schließlich hat die Aufbruchsstimmung der Wendezeit vor 20 Jahren noch eine weitere Wirkung hervorgebracht: Bei vielen Menschen gab es damals so etwas wie eine Bekehrung. Solche, die bislang Nutznießer eines totalitären Systems waren oder sich mit ihm unter dem Zwang der Verhältnisse arrangiert hatten, vollzogen mit einem Mal eine Kehrtwende in ihrem Verhalten. Freilich war dabei nicht immer klar, ob echte Überzeugung oder erneute Anpassung an die veränderten Verhältnisse im Spiel war. Von solchen schillernden „Wendemanövern“ hebt sich die christliche Glaubensbotschaft in ihrer Eindeutigkeit ab: Wer von der Begegnung mit Jesus gepackt ist und dadurch neu in Bewegung kommt, kann sich wirklich ändern, weil er aus einer Bekehrung lebt, die auf Überzeugung beruht und mehr ist als eine Anpassung an neue Lebensverhältnisse! Echte Bekehrung beginnt im Herzen und kann dann als Richtungsänderung menschlichen Verhaltens viele Formen annehmen: Einen neuen Stil im Umgang miteinander, Mühen um Verständnis und Abbau von Klischees und Vorurteilen, Argumentieren statt Polarisieren … Die Reihe der Möglichkeiten lässt sich fortsetzen, aber wichtig dabei ist, dass eine solche Bekehrung mit einer Umkehr der Vorstellungen von Gott beginnt: Er ist nicht der ferne, unzugängliche Weltenlenker, als der er manchmal dargestellt wird. Er sucht vielmehr unsere Nähe, indem er in die Gewöhnlichkeit des alltäglichen Lebens hineingeht. Das hat eine ganz wichtige Folge: Scheinbar unwichtige Dinge, Ereignisse, Situationen, Begegnungen und Beziehungen werden bedeutend, weil Gott selbst, der in Jesus unser Leben teilt, in ihnen anzutreffen und aufzuspüren ist. Daraus ergibt sich für unseren Glauben: Der christliche Ruf zur Umkehr ist kein bloß menschlicher Appell zur Verhaltensänderung. Es geht vielmehr darum, immer wieder neu die liebende Zuwendung Gottes zu entdecken, damit konkrete Korrekturen im Leben möglich sind. Sie betreffen sowohl das persönliche wie das gemeinschaftliche Leben: Echte Umkehr beginnt zum Beispiel da, wo Schuld weder verharmlost noch verdrängt wird. Deshalb ist es wichtig, dass sowohl im politischen wie im kirchlichen Bereich die ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit weitergeht. Die Tendenz zu einer nostalgischen Verklärung der DDR zum Beispiel, wie sie derzeit wieder neu zu beobachten ist, stellt keinen hilfreichen Weg dar. Ganz allgemein gilt vielmehr: Echte Bekehrung beginnt im Herzen, das durch eigene Einsicht offen wird für die Anliegen anderer. Deshalb ist Solidarität auch zwanzig Jahre nach der Wende das Gebot der Stunde. „Wir sind das Volk“ – so lautete der zentrale Ruf bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig und in anderen Städten der damaligen DDR. Bei diesen Versammlungen, die oft in Kirchen ihren Anfang genommen hatten, war viel an Gemeinschaft und an Willen zur Veränderung der Verhältnisse zu spüren. Als Christen müssten wir eigentlich nur ein Wort ergänzen, wenn wir unseren Auftrag ausdrücken wollten. „Wir sind das Volk Gottes.“ Die Besinnung darauf ist heute nötiger denn je. Blicken wir zurück: Die Wende war eine Umbruchszeit, die mit ihren Folgen bis heute andauert. Manchmal war damals eine Aufbruchsstimmung spürbar, als ob es jetzt ins Gelobte Land ginge. Sehr schnell ist diese Erwartung einer Ernüchterung gewichen. Was ist in dieser Situation unsere Aufgabe als Volk Gottes? Stimmen wir in den Chor der Resignierten ein oder haben wir eine andere Botschaft? Mir sagt ein biblisches Bild sehr viel, das auch aus einer Wendezeit stammt, die über dreitausend Jahre zurückliegt. Nach dem Auszug aus Ägypten ist im Volk Israel die anfängliche Aufbruchsstimmung schnell verflogen; es machen sich zunehmend Unsicherheit und Orientierungsnot bemerkbar. In dieser Situation werden nun Kundschafter ausgeschickt, die feststellen sollen, ob das verheißene Land wirklich bewohnbar ist. Bei der Rückkehr gibt es zwei unterschiedliche Reaktionen: Die Mehrzahl der Kundschafter lässt sich von den gewonnenen Eindrücken ängstigen und sieht nur die Schwierigkeiten. Lediglich zwei haben eine andere Sicht: Sie nehmen zwar auch die Probleme wahr, erinnern das Volk aber gleichzeitig an seine geistlichen Energievorräte, nämlich die Begleitung durch Gott und seine Verheißungen. Ihr Appell an die Glaubensgrundlagen will zum Weitergehen ermutigen und zum Abbau von Angst beitragen (Num 13,1–14,10). Ist die Lage bei uns der damaligen Situation Israels so unähnlich? Auch da ist die Euphorie der Wende mehr als zwanzig Jahre später vielfach schleichender Resignation gewichen. Um gesicherte Erkenntnisse über den weiteren Weg zu gewinnen, braucht es auch heute Kundschafter. Können wir Christen als Volk Gottes in unserer Gesellschaft diese Aufgabe übernehmen? Können wir solche Kundschafterdienste leisten oder bilden wir eine ängstliche Nachhut? Spannend wird es, wenn es um die Auswertung dieser Erfahrungen geht: Fixieren wir uns auf Risiken, die gewiss da sind, oder ermutigen wir die Menschen, ohne die vorhandenen Probleme zu leugnen, zu einer nüchternen Zuversicht und einer engagierten Gelassenheit, die auch neue Herausforderungen bestehen kann? Voraussetzung in all dem ist bei mir selbst die Offenheit zur Begegnung, der Mut zur Bewegung und die Bereitschaft zur Bekehrung. Für mich kommt diese Haltung sehr dicht in einem Lied von Klaus-Peter Hertzsch zum Ausdruck, das 1989, im Jahr der Wende also, in Ostdeutschland entstanden ist. Die Schlussstrophe8 lautet:

„Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt. Er selbst kommt uns entgegen; die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.“

6 Vgl dazu Th. Brose (Hrsg.), Glaube, Macht und Mauerfälle. Von der friedlichen Revolution ins Neuland (Würzburg 2009) bes. 143–207.

7 Belege finden sich bei M. Birkner (Hrsg.), Quo vadis Kirche? Die Zukunft der Kirche im Osten Deutschlands an der Schwelle zum dritten Jahrtausend (Leipzig 1997).

8 Der gesamte Liedtext ist publiziert in: C. Führer u. a., Kerzen und Gebete. Ein geistliches Lesebuch zur friedlichen Revolution 1989 (Leipzig 1989) 140.

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