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„In der Masse ringen und den Langsamen Unrecht tun“ – Kampfszenen aus dem römischen Verkehrschaos

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Die einzelnen Beispiele, mit denen Horaz seine These illustriert, mögen auf Außenstehende amüsant wirken – der rasende Hund und besonders das Dreckschwein, das über die Straßen rast; für die Bewohner der Hauptstadt und die Passanten war die Atmosphäre auf den Straßen jedoch nicht ganz so lustig. Sie wird in zahlreichen Quellen mit einem Wort beschrieben: turba, die „Menge“, das „Getümmel“. Das dazu gehörige Verb turbare bedeutet „Verwirrung anrichten“, „alles durcheinanderbringen“, und es ist kein Zufall, dass das deutsche „Trubel“ ein Lehnwort zur lateinischen turba ist.

Man könnte zurückhaltend formulieren: Auf Roms Straßen war einiges los. Das grenzt indes, was die meisten Bereiche der City angeht, an eine Untertreibung, denn man kann turba durchaus auch mit einem griechischen Wort wiedergeben: „Chaos“. Das trifft es zumindest für den Großteil des Tagesverkehrs deutlich besser, wie auch moderne Untersuchungen bestätigen. Cornelis van Tilburg, der eine einschlägige Studie zum Verkehr im Römischen Reich vorgelegt hat, bescheinigt Rom ein urban traffic chaos, ein „städtisches Verkehrschaos“.5

Die turba, der Menschenauflauf, findet sich immer wieder als beherrschender Eindruck, wie Rom den Zeitgenossen, ob Einwohnern oder Besuchern, erschien, manchmal auch als Variante tanta hominum multitudo, „eine so große Menge von Menschen“, und in ähnlichen Formulierungen.6 Die Straßen waren voll, und das blieb nicht ohne Folgen für die Zeitplanung und das Verhalten der Passanten. Ein rasches Vorankommen war in diesem Gedränge fast unmöglich, oft bildeten sich regelrechte Fußgängerstaus, vergleichbar den Verhältnissen in manchen modernen Metropolen der sog. Dritten Welt oder an Samstagen in der Adventszeit in unseren Fußgängerzonen.

Um durchzukommen, musste man entsprechend viel Zeit einkalkulieren – und physisch durchsetzungsfähig sein. Wohl dem, der einen starken Begleiter zur Seite hatte, der, „wenn du ins Gedränge kommst, alle mit dem Ellbogen zur Seite stoßen wird“,7 oder der sich den Weg mithilfe einiger robuster Sklaven frei kämpfen konnte.8 Immerhin kann ein muskulöser Liebhaber der Dame seines Herzens, auch wenn er ihr keine teuren Geschenke machen kann, den Kavaliersdienst bieten, ihr „im engen Menschendickicht den Arm zur Stütze zu reichen und einen Weg zu bahnen“.9

Ansonsten galt es, „in der Menge zu ringen und den Langsamen Unrecht zu tun“, indem man sich gewissermaßen kampfesmutig ins Gewühl stürzte und „alles zur Seite drängte, was sich einem entgegenstellte“ – und die Flüche und Schimpfwortkaskaden seiner „Opfer“ zu ertragen.10 Entgegenkommende wegzuschubsen, sie gar – manchmal auch sich selbst – zu Fall zu bringen gehörte zu diesem „Straßenkampf“, bestätigt auch Seneca.11 Der fand natürlich, was körperliche Auseinandersetzungen angeht, nicht permanent statt, aber er wurde von manch einem als Option für schnelleres Vorankommen gesehen und mit Absicht praktiziert. Dass es auch unbeabsichtigt zu unliebsamen Begegnungen mit fremden Ellbogen, mit sperrigen Lasten und wild gewordenen Tieren kam, war angesichts des dichten Verkehrs kaum zu vermeiden. Allerdings unterschied sich das Publikum auf Roms Straßen deutlich von dem in den Fußgängerzonen heutiger westeuropäischer Städte: Im alten Rom waren deutlich mehr junge Menschen unterwegs. Sie prägten das Straßenbild, sodass sich die bange Frage nach dem Schicksal der vielen „Senioren“ in diesem von mancherlei Rücksichtslosigkeiten geprägten Getümmel nicht ganz so dramatisch stellt.

Was Horaz in augusteischer Zeit für eine Metropole von rund einer Million Menschen beschreibt, war schon zwei Jahrhunderte früher ein Problem – auch wenn Rom da einige Hunderttausend Einwohner weniger hatte: Im Zentrum waren die Straßen überlaufen, und wer es eilig hatte, musste zu robusten Mitteln greifen, um schneller zu sein als der „Strom“. In der Plautus-Komödie Mercator gibt der Sklave Acanthio seinem jungen Herrn Charinus eindeutige Ratschläge: „Zugleich stoße jeden, der dir auf den vollen Wegen quer über den Weg läuft, weg, dränge ihn zur Seite, jage ihn auf die Straße! Die Leute hier haben eine ganz schlechte Angewohnheit: Keiner hält es für angebracht, einem, der es richtig eilig hat, Platz zu machen. So musst du drei Sachen gleichzeitig erledigen, wenn du mit einer angefangen hast: Du musst laufen, du musst kämpfen, und du musst dich obendrein auch noch auf der Straße beschimpfen lassen.“12

Die Straßen von Rom

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