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Das erste Tagesfahrverbot der Geschichte – wie Caesar die Notbremse zog
ОглавлениеWas Reiter angeht, so schweigen unsere Quellen weitgehend. Das hat gute Gründe. Denn zum einen dürfte die Fortbewegung zu Pferde in dem römischen Verkehrsgewühl auf enorme praktische Schwierigkeiten gestoßen sein. Es ist kaum vorstellbar, wie sich da selbst bei gutem Willen anderer Verkehrsteilnehmer (der indes kaum zu unterstellen ist) Lücken aufgetan haben sollen, die ein rascheres Vorankommen ermöglicht hätten.
Zum anderen war das Reiten in den Städten mitunter sogar explizit verboten. Das früheste Verbot fällt in die Regierungszeit des Claudius und erstreckte sich auf alle Städte Italiens: Der Kaiser „warnte in einem Edikt, dass Passanten in den Städten Italiens nur zu Fuß gehen oder sich in einem Tragsessel bzw. einer Sänfte befördern lassen durften“.22 Ein paar Generationen später wurde dieses Verbot zweimal erneuert, zuerst von Hadrian und danach von Marc Aurel.23 Die „Neuauflage“ gesetzlicher Verbote ist nicht selten ein Indiz dafür, dass sie in der Alltagswirklichkeit zu wenig beachtet wurden. Das ist natürlich auch für Rom grundsätzlich denkbar, zumal es kaum Behörden gab, die die gesetzlichen Bestimmungen wirkungsvoll hätten durchsetzen können. Weil man sich indes in Rom selbst wenig Freude machte, wenn man zu Pferd unterwegs war, dürften eher Übertretungen in anderen italischen Städten Anlass dafür gewesen sein, dass Marc Aurel erneut „verbot, in Städten zu reiten oder in Fahrzeugen zu fahren“24.
Im Hinblick auf Fahrzeuge war die Regelung in Rom seit Caesars Dictatur klar. Mit einer wohl im Jahr 45 v. Chr. eingebrachten lex Iulia municipalis zog Caesar die Notbremse, um des überbordenden Verkehrs Herr zu werden. Mit dem Gesetz, das auf einer in Süditalien gefundenen Bronzetafel, der tabula Heracleensis, überliefert ist, wurde das erste Tagesfahrverbot der Geschichte erlassen. Es blieb bis zur Spätantike in Kraft und ließ nur genau definierte Ausnahmen zu, die sich ausschließlich auf das bezogen, was man heute als öffentlichen Dienst bzw. „von öffentlichem Interesse“ bezeichnen würde. Die wesentlichen Bestimmungen legten Folgendes fest:
Auf den Straßen, die in der Stadt Rom innerhalb der geschlossenen Bebauung angelegt sind bzw. sein werden, soll niemand nach dem 1. Januar bei Tage nach Sonnenaufgang bis zur zehnten Stunde des Tages einen Wagen führen oder fahren mit folgenden Ausnahmen: für den Bau heiliger Tempel der unsterblichen Götter, wenn für Bauarbeiten in öffentlichem Auftrag etwas heran- oder abgefahren werden muss, wenn aus der Stadt oder von Stellen, wo im öffentlichen Auftrag Abbrucharbeiten stattfinden werden, etwas weggeschafft werden muss, sowie wenn bestimmten Personen aus bestimmtem Grund erlaubt sein wird, Lastwagen zu führen oder zu fahren (…).
Was Fahrzeuge angeht, die nachts in die Stadt gefahren wurden, so dürfen sie leer oder zur Müllabfuhr nach Sonnenaufgang während der ersten zehn Tagestunden, wenn sie mit Ochsen oder Maultieren bespannt sind, in Rom und von Rom aus im Umkreis von einer Meile von der Stadt entfernt sich aufhalten. Eine Restriktion für diese Fahrzeuge wird durch dieses Gesetz nicht beschlossen.25
Vom Tagesfahrverbot ausgenommen waren die Vestalischen Jungfrauen und die Priester, sofern sie auf dem Weg zu öffentlichen Opfern waren, sowie Wagen, die bei Triumphzügen und Circusprozessionen eingesetzt wurden.26
Was die „Müllabfuhr“ betrifft, so ist wohl nicht von einer regelmäßigen Entsorgung auszugehen. Im Originaltext steht stercus. Das kann sich auch nur auf tierische Fäkalien, „Mist“, beziehen (zum Müllproblem s. S. 76 ff.). Die zehnte Stunde fällt in den späten Nachmittag (die Römer teilten den Tag mit Sonnenlicht und die Nacht in jeweils zwölf Stunden ein, die je nach Jahreszeit unterschiedlich lang waren).
Aufgrund des Tagesfahrverbots verlagerte sich ein erheblicher Teil des Verkehrs auf den Abend und in die Nacht. Das führte nicht nur zu einer stärkeren Belebung mindestens der Durchgangsstraßen auch in den Nachtstunden, sondern auch zu größerer Lärmbelastung. Wer anders als die Reichen, deren herrschaftliche Häuser oft von Parks umgeben und deren Fenster mit Glasscheiben geschützt waren, in den Mietshäusern direkt an der Straße wohnte – „Rom ist an meinem Bett“, klagt Martial27 –, war dem Verkehrslärm der clamosa urbs, der „lauten Stadt“, Tag und Nacht ausgesetzt.28
Krankheiten infolge von Schlaflosigkeit waren sicher nicht nur eine Erfindung der Satiriker.29 Das Tagesfahrverbot war damit teuer erkauft. Vor allem für die kleinen Leute entstanden dadurch akustische Umweltbelastungen, die als solche wahrgenommen und beklagt wurden und weder erst von einer in dieser Hinsicht stärker sensibilisierten Moderne des späten 20. und des 21. Jahrhunderts „entdeckt“ noch von einer vermeintlich typisch teutonischen Überempfindlichkeit gegen Lärm dramatisiert worden sind.30