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2.

DAS ROM
der imaginierten Vorzeit

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Wie kann man das Spezifische der eigenen Gegenwart am besten erkennen? Man braucht dazu Distanz. Je größer die Distanz, umso klarer treten Kontraste hervor – das jedenfalls war die Methode, derer sich Dichter der augusteischen Zeit bedienten. Sie blickten weit zurück und ließen ihrer Phantasie freien Lauf: Wie hatte das spätere Rom wohl in der mythischen Vorzeit ausgesehen, in jenen Jahrhunderten der Frühgeschichte, als die Flüchtlinge Euander und Aeneas italischen Boden betraten und als Romulus seine Stadt gründete? Die Retrospektive förderte eine weitgehend natürliche Landschaft zutage, die nur wenige Spuren von Zivilisation aufwies: viel unberührte Natur, ein paar Hirten, die in Hütten wohnten und bescheidene Herden weideten. Ansonsten Wälder, Weiden, grüne Hügel, Quellen, sonst nichts. Von Größe keine Spur, auch nicht von künftiger Größe. Im Gegenteil: Die Menschen lebten bescheiden, ohne Ehrgeiz, gottesfürchtig, aber nicht unzufrieden.

Hic, ubi nunc Roma est („hier, wo jetzt Rom ist“) wird in der augusteischen Dichtung zu einem beliebten Einst-Jetzt-Motiv. Es lebt nicht von einer Verklärung der Vergangenheit, sondern von einem kaum zu begreifenden Kontrast. Wo vor Jahrhunderten nichts oder nur sehr wenig war, stehen jetzt goldene Tempel, wo arme Hirten ein kärgliches Dasein fristeten, erhebt sich jetzt nicht nur die größte Stadt, sondern auch die Herrin der Welt – ein Gegensatz, der beinahe zur Fassungslosigkeit führt, der aber die Zeitgenossen der Jetzt-Zeit erst so recht ermessen lässt, was für einen weiten Weg dieses ehemalige Hüttendorf am Tiber mittlerweile zurückgelegt hat.

Darauf konnte man stolz sein – ein Grund zum Feiern. Und es ist sicher eine Funktion dieses literarischen Motivs, den neuen Monarchen Augustus diesen Stolz spüren zu lassen und damit auch seine Leistung als Kriegs-, Friedens- und Bauherr zu würdigen (↗ Das Rom der Bautenpracht). Aus Moralistensicht war das Früher-Jetzt-Schema ein lehrreiches exemplum. Bescheidenheit hat letztlich Größe im Gefolge, hieß deren Botschaft. Und: Nichts ist so klein, dass es nicht durch Charakterstärke, Mut und Frömmigkeit zu etwas ganz Großem werden könnte, wobei der von Jupiter „abgesegnete“ Heilsplan, der diesem Aufstieg zugrunde lag, als Belohnung für die Moral der Menschen verstanden wurde. In den heftigen Diskurs über den mos maiorum („Sitte der Vorfahren“), den manche durch das luxuriöse Leben der Oberschicht in Gefahr sahen, ließ sich dieser Aspekt als Warnhinweis wunderbar einspeisen.

Auch nostalgische Gefühle mögen hier und da im Spiel gewesen sein bei der Vorstellung, dass das Forum Romanum einst eine Rinderweide (was es in der frühen Neuzeit als Campo Vaccino wieder werden sollte) und das mittlerweile fast völlig zugebaute Capitol ursprünglich ein nackter Fels war. Das entsprach indes sicher nicht Ovids Wahrnehmung: „Mögen andere sich an den primitiven Lebensumständen unserer Altvorderen berauschen – ich bin froh, ein Kind dieser Zeit zu sein.“ Ein Kompliment für Augustus, aber eben auch eine ziemlich deutliche Absage an die gute alte Zeit, die der Princeps in moralischer Hinsicht gern wiederbeleben wollte. Insofern eine eher ambivalente Botschaft, gewissermaßen ein Danaer-Kompliment.

Parva fuit, si prima velis elementa referre,

Roma, sed in parva spes tamen huius erat.

Klein war Rom damals, wenn du die Anfänge berichten willst,

aber schon im kleinen Rom lag gleichwohl die Hoffnung auf

das künftige.

Das antike Rom

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