Читать книгу Geschichte - Karlheinz Wagner - Страница 10
1.2 Die Pariser Vorortverträge
ОглавлениеDer Name „Vorortverträge“ kommt daher, weil jeder der alliierten Kriegsgegner in einem anderen Vorort von Paris seinen Vertrag ausgehändigt bekam. Über die Friedensverträge verhandelten die Repräsentanten der vier Siegermächte unter sich in geheimen Beratungen. Die Verhandlungen führte Frankreichs Ministerpräsident Clemenceau, Großbritannien war durch Premierminister Lloyd George vertreten, die USA durch Präsident Wilson, und die Interessen Italiens nahm der Regierungschef Orlando wahr. Den ehemaligen Feindstaaten stand ein Teilnahmerecht nicht zu. Ihnen wurde der fertige Vertragstext übergeben. Die Verträge hießen nach dem Ort ihrer Übergabe. Das Deutsche Reich bekam den Versailler Vertrag. Die Türkei erhielt ihren Vertrag in Sevres. Der für Österreich bestimmte trug den Namen Vertrag von St. Germain. Bulgarien war zur Entgegennahme nach Neuilly und Ungarn nach Trianon bestellt worden. Das Ganze dauerte von Juni 1919 bis Juni 1920.
Grundsätzlich verlangten die großen Vier von den Besiegten Entschädigungen. Sie sollten aus Gebietsabtretungen und Reparationen in Geld- und Sachwerten bestehen. Die abgetretenen Territorien erhielten Staaten, die sich gerade im Entstehen befanden.
Die Versailler Mächte, so wurden die Vier genannt, verfolgten unterschiedliche Absichten:
♦ Frankreich wollte auf Dauer vor deutscher Revanche sicher sein. Unter Ludwig XIV und Napoleon I. war es der bedeutendste und mächtigste Militärstaat des Kontinents. Vom östlichen Nachbarn 1871 besiegt und gedemütigt, musste es vier Jahrzehnte später wieder gegen Deutschland Krieg führen. Nur der Beistand Amerikas hatte es vor der Niederlage bewahrt. Und der Feind war immer noch stark, er verfügte weiterhin über eine größere Bevölkerung – trotz der Kriegsverluste. Militärisch, wirtschaftlich und industriell war das unzerstörte Deutschland imstande, in kurzer Zeit wieder zu den Waffen zu greifen. Darum gebot es Frankreichs Selbsterhaltungswille, dass Deutschlands Armee bis auf ein Berufsheer von 100.000 Mann ohne Artillerie, Panzer und Flugzeuge abgerüstet wurde. Eine Kriegsmarine mit geringem Schiffsbestand durfte 15.000 Matrosen haben. Alliierte Kontrollkommissionen sollten Entmilitarisierung, Waffenverschrottung und das Rüstungsverbot überwachen. Die an Frankreich abzurührenden Reparationen wurden der deutschen Montanindustrie sowie der Eisen- und Stahlproduktion entnommen. Um den starken Staat in Europas Mitte in Schach zu halten, konstruierte Clemenceau Kleinstaaten als „Wächter“ rings um Deutschland. 1920/21 entstand daraus auf Initiative des damaligen tschechischen Außenministers Beneð die Kleine Entente, ein Defensivbündnis zwischen der CSR, Jugoslawien, Rumänien und Frankreich, dem Land dem die Kleinen ihre Existenz zu verdanken hatten.
♦ Großbritannien verstand seine außenpolitische Aufgabe wie schon im 19. Jahrhundert in der Erhaltung des europäischen Gleichgewichts, beziehungsweise seiner Wiederherstellung. Dem britischen Premier konnte also weniger daran gelegen sein, durch nachhaltige Schwächung Deutschlands ein Machtvakuum entstehen zu lassen. Wer sollte künftig den vermeintlichen „Großmachtgelüsten“ Frankreichs noch etwas entgegensetzen? So verfolgte der englische Regierungschef das Ziel, nicht zuzulassen, dass Deutschland übermäßig geschwächt würde.
♦ Die Vereinigten Staaten: US-Präsident Wilson war in Paris mit Idealvorstellungen von einer dauerhaften Friedenssicherung erschienen, die sich prinzipiell von denen des Ministerpräsidenten Clemenceau unterschieden. Er wollte durch die supranationale Schiedsrichter-Institution des Völkerbundes bewirken, dass auftretende Konflikte zwischen Staaten guten Willens auf dem Verhandlungsweg aus der Welt geschafft würden. Da erwartete der US-Präsident aber zu viel von Frankreich. Es konnte sich nach all den Opfern, die es gebracht hatte, nicht damit zufrieden geben, nun seine Sicherheit einem Debattierclub anzuvertrauen, denn nichts anderes war der Völkerbund in Clemenceaus Augen. Der französische Ministerpräsident sah den Völkerbund lediglich dafür geschaffen, von den darin versammelten Staaten militärische Hilfe zu bekommen, sollte Frankreich bedroht werden. Wilson erkannte, dass seine Idealvorstellung von einem die Völker der Welt einenden Bund am Realitätssinn der Franzosen scheitern würde.
♦ Italien, zu den Gewinnern gehörig, erwartete reichen Lohn in Form von Gebietszuwächsen. Zwar hatte es keine hervorragenden Siege errungen, doch in den Isonzo-Schlachten und denen an der Alpenfront 650.000 Mann verloren. Außerdem befand sich Italiens Staatshaushalt kriegsbedingt auf einer ruinösen Talfahrt. Die Kriegskosten dreier Jahre beliefen sich auf das Doppelte der Staatsausgaben von 50 Vorkriegsjahren. Demzufolge hätte die Friedenskonferenz Verständnis für Roms Wunsch nach Gebietsgewinnen aufbringen können. Doch die anderen drei empfanden das Auftreten Orlandos als plumpe Habgier. So erhielt Italien weit weniger als das, was es verlangte: die österreichischen Regionen Tirols südlich der Brennergrenze und die Provinz Trient. Der Anspruch auf die Hafenstadt Fiume und ihr Umland wurde abgewiesen. Auch bei der Verteilung der deutschen Kolonien ging Italien leer aus.