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1.3 Die veränderte Landkarte
ОглавлениеVor dem Ersten Weltkrieg stellte Österreich-Ungarn eine Großmacht dar, ein Riesenland dessen Hauptstadt Wien eine europäische Metropole war. Es gab zwei weitere Hauptstädte: Budapest und Prag. Von Karlsbad bis Lemberg, von Kronstadt bis vor die Mauern Belgrads, die Adria-Küste entlang bis Triest, von Innsbruck nach Trient – das alles war Österreich. Der Vertrag von Saint Germain trennte Ungarn von Österreich ab und ließ dem Vielvölkerstaat nur noch seine deutschsprachigen Gebiete. Der Wunsch der Österreicher, sich mit dem Deutschen Reich zu vereinen wurde ebenso abgelehnt wie der, sich „Deutsch-Österreich“ nennen zu dürfen. Teile Kärntens, der Steiermark und Südtirols bekam Italien, Böhmen und Mähren wurde tschechisch, Galizien war schon 1918 polnisch geworden und Österreichs Besitz an der Adria wurde zwischen Italien und Jugoslawien geteilt.
Der Landverlust des Deutschen Reiches war vor allem im Osten groß. Es musste die preußische Provinz Posen, fast ganz Westpreußen, Teile Pommerns und das südliche Ostpreußen abtreten. Den Gebietsstreifen zwischen Pommern und der Weichsel nahm der „Polnische Korridor“ ein. Danzig wurde als „Freie Stadt“ dem Völkerbund unterstellt. Das Memelland kam unter alliierte Verwaltung und wurde später litauische Provinz. Große Teile des Kohle- und Industriereviers Oberschlesiens wurden an Polen abgetreten. Dieser Verlust der Kohle- und Erzbecken war ein spürbarer Aderlass an der deutschen Wirtschaft. Elsass-Lothringen ging wieder an Frankreich. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts war es französisch geworden und nach 1871 deutsch, nun wieder französisch. Der westlich von Aachen gelegene Kreis Eupen-Malmedy wurde belgisch, das Saarland sollte 15 Jahre unter der Obhut des Völkerbundes stehen, und Dänemark erhielt Nordschleswig.
Ungarn: Aus dem ehemals Österreich-ungarischen Staatsverband herausgerissen und zerstückelt, war es von 320.000 Quadratkilometern auf 90.000 geschrumpft. Den Zugang zum Meer an den ehemaligen ungarischen Küstengebieten und Häfen der Adria hatte es verloren. Teile des Banats waren an Jugoslawien gefallen, Slawonien, Siebenbürgen und weite Gebiete der ungarischen Tiefebene an Jugoslawien und Rumänien.
Bulgarien bezahlte seine Mitwirkung am Krieg mit Gebietsverlusten zugunsten Jugoslawiens und Griechenlands.
Aus der Konkursmasse der Kaiserreiche, der alten Donaumonarchie, der osmanischen Sultanatsherrschaft und dem Deutschen Reich waren neue Staaten entstanden.
Das 1918 neu geschaffene Polen musste bis 1921 um sein Staatsterritorium kämpfen. Mit dem Hafen Gdingen hatte es einen Zugang zur Ostsee erhalten. Der endgültige Verbleib der abgetretenen deutschen Gebiete hing noch vom Ausgang vorgesehener Volksabstimmungen ab. Fielen sie für Polen nicht günstig aus, rührte das zu Aufständen der Unterlegenen. Streit gab es auch mit den Tschechen um die Stadt und den Bezirk Teschen und den Grenzverlauf in der Hohen Tatra. Die polnische Ostgrenze, Curzon-Linie genannt, zwischen Wilna und Brest wollte man in Warschau nicht hinnehmen. Polens Armee überschritt sie und stieß mit seinen Truppen bis Kiew vor. Das löste den polnisch-russischen Krieg aus. Im Gegenstoß kam die Rote Armee bis an die Weichsel vor Warschau und Thorn. Die Strategie des Marschalls Piùsudski rettete Polen. Im Frieden von Riga (März 1921) schob es seine Ostgrenze beträchtlich vor, bis 200 km östlich der Curzon-Linie. Mit Ausnahme Rumäniens hatte das Land mit all seinen Nachbarstaaten schwere anhaltende Grenzkonflikte.
Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wurden nach 1918 selbständig. Auf verschiedene Weise versuchte die UdSSR sie sich einzuverleiben, durch Unterwanderung (Estland) oder direkte militärische Aktionen (Lettland und Litauen). Mithilfe antisowjetischer Freiwilligenverbände konnten die Angriffe abgewehrt werden. Auch Frankreich unterstützte die drei Staaten gegen die ideologisch wie militärisch aggressive Sowjetunion durch ein Bündnissystem, dem sich Finnland Polen und Rumänien anschlossen. Es wurde Cordon sanitaire genannt.
Die Tschechoslowakei vereinte in sich die ehemals österreichischen Länder Böhmen, Mähren und Teile Schlesiens, die Slowakei sowie das einstige Karpato-Russland. Von den neu geschaffenen Staaten kooperierte sie besonders mit Frankreich. Ihre zentralistische Verfassung entsprach dem französischen Vorbild; außenpolitisch wie militärisch blieb dieser Staat lange Zeit stärkste Stütze der Kleinen Entente, ganz im Sinn des französischen Sicherheitsbedürfnisses.
Abb. 1.1 Europa nach dem Frieden von Versailles
Jugoslawien war die Verwirklichung des serbischen Traumes der Zeit vor 1914 von einem Großserbien. Der nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Staat umschloss 15 Nationalitäten, die vormals zu Österreich-Ungarn und der Türkei gehört hatten. Im seit 1918 existierenden Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen beanspruchte Serbien die Führungsrolle. Ständige ethnische und soziale Auseinandersetzungen, begleitet von häufigen Regierungskrisen und Neuwahlen, Verweigerung der parlamentarischen Mitarbeit der Bauernpartei, Staatsnotstandsgesetze und andere Symptome offenbarten die Instabilität des Vielvölkerstaates. Jugoslawiens König Alexander I. wurde zum Diktator und verschärfte die Verfassung von 1931. Die auf den Siedepunkt gestiegenen Spannungen entluden sich in einem Attentat kroatischer und makedonischer Nationalisten anlässlich des königlichen Staatsbesuchs 1934 in Marseille, bei dem der König und der französische Außenminister Barthou ums Leben kamen.
Der Nahe Osten als Problemzone: Die Geschichte begann mit dem Ende des Osmanischen Reiches im April 1920. Seine Aufteilung war beschlossene Sache. Die Frage der neuen Herrschaft über die arabisch besiedelten Küstengebiete – sie erstreckten sich vom Nordostrand des Mittelmeeres bis nach Ägypten ֊ musste zuerst gelöst werden. Während des Krieges hatten die Alliierten einen Aufstand der Araber gegen das Osmanische Reich geschürt und ihnen dafür staatliche Unabhängigkeit in Aussicht gestellt. 1917 erhoben sich die Wüstenstämme, angeführt vom späteren König des Irak, Feisal I. Sie verhalfen den Briten zum Sieg über die Türken. Der versprochene Lohn, staatliche Autonomie der Araber, blieb jedoch aus. Am 2. November 1917 hatte der englische Außenminister Lord Balfour in einem als Balfour Declaration bekannt gewordenen Schreiben der Gemeinschaft der Zionisten versichert, dass Großbritannien die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina fördern wolle.
Die neue territoriale Ordnung gestaltete sich nach dem Friedensschluss so, dass England und Frankreich Mandate über den Osten Arabiens erhielten. Der Jemen und Saudi-Arabien wurden autonom. Großbritannien bekam den Süden Arabiens und Gebiete am Persischen Golf. Ägypten, seit 1882 unter englischer Oberhoheit, wurde 1922 selbständiges Königreich, seine Küste mit Zugang zum Suez-Kanal britisches Mandat, wie auch Palästina und Jordanien. Der Völkerbund übergab Syrien und den Libanon an Frankreich als Mandatsgebiete.