Читать книгу Lügen der Vergangenheit - Karola Schmidt - Страница 6
Ein mysteriöser Brief
ОглавлениеAm nächsten Tag war ich mit Maria verabredet. Sie hatte mir vergangene Nacht noch gezeigt, wo sie wohnte.
Es war genau neben dem Lokal. Endlich sollte ich erfahren, was los war.
Ich ging die Treppe hinauf und oben rechts war ihre Wohnung. Meine Freundin erwartete mich schon.
„Guten Tag Süße, komm rein und setz dich, dann werde ich dir sagen, was ich mit dir vorhabe.“
Hörte sich geheimnisvoll an.
„Schieß los, worum geht es?“
Maria druckste herum und dann sagte sie endlich:
„Ich werde heiraten und du sollst meine Trauzeugin sein.“
Einen Moment verschlug es mir die Sprache und es dauerte einige Zeit, bis ich antworten konnte.
„Du meinst heiraten, Hochzeit und so was in der Art?“
„Genau das meine ich.“
Sie merkte sofort, dass ich mir darüber Gedanken machte, wusste sie ja, wie ich über Hochzeiten dachte.
„Ach bitte Susan, ich liebe Ben und ich möchte so sehr, dass du das für mich tust. Ich könnte mir niemand anderen dafür vorstellen, bitte.“
„Mir bleibt ja wohl nichts übrig, also ja, natürlich werde ich deine Trauzeugin sein. Das hättest du mir aber auch schon am Telefon sagen können.“
„Dann wärst du aber bestimmt nicht gekommen, oder?“
„Kann schon sein.“
Sie sprang auf mich zu und tanzte mit mir durch ihr Zimmer.
„Ach Susan, was ist denn los, warum weinst du denn?“
„Tut mir leid, ich musste nur daran denken, als du bei Sam und mir Trauzeugin warst. Du weißt schon, damals.
Es ist schon so lange her, ach was, vergessen wir das.
Wie lange kennt ihr euch denn schon, ich meine du und Ben.“„Na ja, kennen tun wir uns schon einige Jahre, aber so richtig gefunkt hat es vor zwei Monaten.“
„Was, zwei Monate erst und du bist sicher, er ist der Richtige?“
„Hundertprozentig sicher, ja.“
Ihr Lächeln ging nicht mehr aus ihrem Gesicht.
Tja, das sah mir sehr nach Liebe aus.
„Was sagt denn dein Bruder dazu, den du mir übrigens vorenthalten hast. Das sollte ich dir eigentlich sehr übel nehmen.“
„Ja ich weiß, bitte entschuldige, dass ich ihn nie erwähnt habe. Der Grund ist nur, da wir sozusagen vermögend sind, gab es früher mehrfach Erpressungsversuche. Also haben John und ich beschlossen, unsere Verwandtschaft geheim zu halten. Auf diese Weise konnte uns niemand in Verbindung bringen und uns gegeneinander ausspielen. Was meine Hochzeit betrifft, ist es ihm egal, Hauptsache, ich bin glücklich. Ach, nebenbei, er ist Bens Trauzeuge.“
„Wow, ich sehe schon, es ist euch ernst. Wann soll die Hochzeit denn sein?“
„Am Samstag in zwei Wochen und sie wird in der Burg stattfinden.“
„So bald schon?“
Ich dachte an meine Zeit mit Sam, uns ging es damals auch nicht schnell genug.
„Wie wird dein Hochzeitskleid aussehen, gehst du in weiß oder verrätst du mir das noch nicht?“
„Doch, natürlich. Du musst mich schließlich beraten, immerhin bist du ja der Profi in Sachen Bekleidung, nicht wahr?“
Es schmeichelte mir sehr, dass sie es so sah.
„Möchtest du mal einen Blick darauf werfen, es hängt im Schrank.“
„Na aber klar doch, ich bin sehr gespannt darauf.“
Sie öffnete den Schrank und holte den Bügel mit ihrem Kleid heraus. Es verschlug mir die Sprache, als ich sah, dass es meinem sehr ähnlich war.
Unwillkürlich wurden meine Augen feucht Ich konnte nichts dagegen tun und dann klopfte es auch noch an der Tür.
Maria ging nachsehen, wer draußen war und dann hörte ich, wie sie sagte:
„Komm rein.“
Es war John, ihr Bruder. Ausgerechnet jetzt, wo ich so verheult aussah, aber eigentlich war es mir auch egal, was sollte es.
Ich wendete mein Gesicht ab, doch er sah es.
Mit der Hand drehte er meinen Kopf zu sich, so dass ich ihn ansehen musste.
Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, wie es in diesem Moment in mir aussah. Mein Herz klopfte wie wild und ich wusste, er konnte es wieder fühlen. Ich war etwas durcheinander, deshalb drehte ich mich um und verließ das Zimmer.
Erst einmal musste ich mich wieder beruhigen, also ging ich in die Galerie, wo es angenehm still war. Ich setzte mich vor meinem Bild hin und ließ meinen Tränen freien Lauf. So viel war an diesem Morgen auf mich eingestürzt. In Gedanken versunken, merkte ich nicht, wie sich mir jemand näherte. Erst als sich John neben mich setzte, zuckte ich zusammen.
„Was ist denn los. Kann ich dir irgendwie helfen?“
Ich konnte nicht gleich antworten. Ich musste mir erst einmal meine Nase putzen und mich beruhigen.
„Es ist schon okay, danke. Es war nur, na ja, die Nachricht von der Hochzeit, das Brautkleid, ich musste an meine Zeit vor fünf Jahren denken. Es war plötzlich alles wieder so real, als wäre es erst gestern gewesen.
Verdammt noch mal, wieso muss ich immer gleich heulen.“
Er legte den Arm um mich und zog mich langsam zu sich heran. Ich legte den Kopf an seine Schulter und schluchzte vor mich hin. Eine Zeit lang hielt er mich nur fest. Es war ihm egal, dass sein T-Shirt nass wurde und es war ihm auch egal wie lange es dauerte. Er hielt mich die ganze Zeit nur fest, bis ich wieder in Ordnung war.
Ein schönes Gefühl so umsorgt zu werden. Das hatte ich lange nicht mehr erlebt.
„Ist es nun wieder gut?“
„Ich denke schon. Weißt du, man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, aber das stimmt nicht ganz.“
Dann schnaubte ich mir noch einmal die Nase.
„Ich weiß, das habe ich auch gedacht. Ich möchte dir noch sagen, auch wenn wir uns noch nicht lange kennen, ich bin immer für dich da. Wenn du einen Freund zum reden brauchst, genügt nur ein Wort von dir.“
Das war das Schönste, was ich an diesem Tag gehört hatte.
„Danke, das ist sehr freundlich.“
Eine Zeit lang saßen wir nur so da.
„Wollen wir gehen oder möchtest du noch etwas bleiben.“
Mit fragenden Augen sah er mich an.
„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne noch ein wenig hier bleiben.“
Er wollte aufstehen und gehen.
„Leistest du mir dabei Gesellschaft?“
Ich schaute lächelnd zu ihm hoch und er setzte sich wieder.
Es war so ein vertrautes Gefühl, als kannten wir uns schon ein ganzes Leben lang. Wir saßen nur so da und unterhielten uns über Verschiedenes. Eigentlich dachte ich, dass er etwas über seine Familie erzählen würde, doch kein einziges Wort kam über seine Lippen. Natürlich fragte ich auch nicht danach. Wenn er so weit war mir etwas zu sagen, dann würde er es schon tun. Ich betrachtete die Gemälde und Kunstgegenstände. Es waren wunderschöne Exemplare.
„Wo findet man denn solche tollen Sachen? Ich meine, es sind ziemlich alte und wertvolle Gegenstände darunter.“
„Nun, Maria und ich fahren gelegentlich durch die Welt. Im Allgemeinen kaufen und manchmal verkaufen wir Kunstgegenstände. Viele sind aber auch von unseren Vorfahren.“
Dass Maria kunstbesessen war wusste ich, offenbar hatte sie ihren Bruder damit angesteckt.
Die Zeit verging so schnell, wir merkten nicht einmal, dass es schon Mittag war.
Von mir aus hätten wir noch stundenlang hier sitzen können, wenn sich nicht mein Magen bemerkbar gemacht hätte. Wir mussten beide lachen.
„Also, ich denke, die junge Dame hier neben mir braucht etwas zu essen?“
„Ja, das glaube ich auch. Ich werde bei Ben zu Mittag essen. Vielleicht sehen wir uns später noch.“
Das gibt es doch gar nicht, hatte ich das gerade gesagt, kaum zu glauben.
„Ja, das würde mich sehr freuen.“
Wir verabredeten uns für den Nachmittag.
Nach dem Essen ging ich in mein Appartement. Ich war schon richtig nervös, freute mich aber sehr ihn wieder zu sehen. So hatte ich schon seit langem nicht mehr empfunden. In den ganzen fünf Jahren nach Sams Tod war ich nie wieder einem Mann so nahe gekommen.
Als ich aus dem Bad kam, sah ich, dass vor meiner Tür ein Brief lag. Den musste jemand unter den Türschlitz geschoben haben. Wer sollte mir denn hier schreiben und von wem war er? Kein Absender, äußerst merkwürdig. Ich öffnete ihn und dann las ich, was da geschrieben stand.
Der Brief war von John. Das fand ich sehr merkwürdig. Wir hatten uns doch gerade erst von einander verabschiedet. Wie konnte er so schnell einen Brief an mich schreiben. Ich begann aufgeregt zu lesen, was da geschrieben stand.
Liebe Susan!
Es fällt mir schwer mich auszudrücken, ohne dass es dir und mir weh tut. Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen. Mir ist bewusst geworden, dass ich dich mehr mag, als ich wollte. Um uns beiden den Schmerz der Trennung zu erleichtern, habe ich beschlossen zu gehen. Vor 20 Jahren habe ich schon einmal diese Erfahrung gemacht mich unsterblich zu verlieben. Ich möchte diese Qualen nicht noch einmal durchmachen. Bitte verzeih mir und versteh mich. Wir werden uns ein letztes Mal auf der Hochzeit sehen, denn ich habe versprochen Bens Trauzeuge zu sein.
Sei mir nicht böse.
John
Ich las den Brief bestimmt dreimal und konnte nicht begreifen, was dort stand. Die letzten Tage waren doch so perfekt, wie konnte das nur sein. Ich verstand es einfach nicht.
Gerade hatte ich mich schon an John gewöhnt und jetzt so etwas.
Meine Tränen konnte ich nicht unterdrücken und beruhigen konnte ich mich auch nicht. Nun dachte ich, dass mein Leben wieder einen Sinn bekam und dann das.
Ob Maria etwas wusste?
Ich musste unbedingt mit ihr sprechen, vielleicht konnte sie mir seine Entscheidung erklären.
Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, beschloss ich das auch zu tun. Maria war in ihrem Zimmer und änderte noch etwas an ihrem Hochzeitskleid. Sie sah mich nur an und wusste sofort, dass was nicht stimmte.
„He Süße, was ist denn los mit dir?“
Im ersten Moment konnte ich nur schluchzend sagen, was ich wollte, aber sie verstand mich nicht.
„So, nun setz dich erst einmal und dann erzähl von Anfang an, was passiert ist.“
„John ist weg.“
Bekam ich nur heraus.
„Wie, was, John ist weg? Wie soll ich das verstehen?“
Ich heulte immer noch, wie wild und verrückt.
„Na John ist weg, er hat mir einen Brief geschrieben, dass er weg geht und wir uns nicht wieder sehen. Zur Hochzeit will er noch einmal kommen und dann für immer verschwinden. Das ist so furchtbar, ich hatte mich jeden Tag schon darauf gefreut, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen und zu lachen und nun ist alles vorbei.“
„Ach du je“, sagte Maria. „Da hat sich jemand schwer verliebt oder sehe ich das falsch?“
Männer waren mir die ganzen Jahre vollkommen egal, aber John, er traf mich mitten ins Herz.
„Maria, glaub mir, so etwas ist mir in der ganzen Zeit nicht mehr passiert und eigentlich dachte ich, dass so etwas auch nicht mehr geschehen würde.“
Meine Tränen liefen schon wieder wie ein Bach meine Wangen herunter, ich konnte nichts dagegen tun.
Maria nahm mich in den Arm und hielt mich nur fest. Ich heulte immer noch wie ein Schlosshund.
„Ganz ruhig, ist ja gut, wir kriegen das schon wieder hin. Hast du eine Ahnung, wo er hin wollte?“
Woher sollte ich das wissen, hier gab es bestimmt eine Menge Verstecke, wohin sich John hätte zurückziehen können.
„Nein, weiß ich nicht. Ach Maria, es ist besser, wenn ich wieder nach Hause fahre. Das hätte alles nicht geschehen dürfen. Wieso passiert ausgerechnet mir das, bin ich nicht schon genug bestraft worden.“
Maria schaute mich an, als hätte sie gerade nicht richtig gehört.
„Wieso willst du denn jetzt wegfahren. Es sind nur noch ein paar Tage bis zur Hochzeit.
Bitte Susan, das kannst du mir nicht antun.“
„Zu deiner Hochzeit komme ich natürlich, ich habe es ja versprochen.“
Sie ließ sich in ihren Sessel fallen und schloss die Augen.
„Maria ich kann einfach nicht. Überall wo ich hinkomme sehe ich sein Gesicht vor mir, ich muss Abstand bekommen.
In meinem Laden werde ich schon wieder auf andere Gedanken kommen und je schneller ich ihn vergesse, desto besser, denke ich jedenfalls.“
Allerdings glaubte ich selbst nicht an das, was ich da gerade von mir gegeben hatte.
„Na ja, ich kann dich ja nicht zwingen hier zu bleiben, aber traurig bin ich schon, wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Ich kann John nicht verstehen, er hat mir kein einziges Wort gesagt, dass er weg will. Hoffentlich ist das alles nur ein Missverständnis.“
Ich sah ihr trauriges Gesicht und hatte natürlich gleich ein schlechtes Gewissen. Sie tat mir so leid.
„Du kommst aber ganz bestimmt zu meiner Hochzeit wieder, denn wenn nicht, ohne dich findet sie nicht statt, verstehst du?“
Natürlich verstand ich. Genau dazu wäre sie fähig, einfach alles platzen zu lassen.
„Ja, versprochen ist versprochen, du kennst mich doch, ich halte immer mein Wort.“
„Das stimmt, ich weiß. Möchtest du, dass ich dich nachher zum Bahnhof bringe?“
Sofort, fiel mir unser Abschied ein, als sie nach Sams Tod wieder nach Hause fuhr.
„Sei mir bitte nicht böse Maria, aber das ist, glaube ich, keine so gute Idee.“
„Vielleicht hast du Recht damit, ich bin dir nicht böse, das könnte ich niemals sein, du bist meine beste Freundin und das wirst du immer sein.“
Wir drückten uns noch einmal, dann ging ich.
„Ach noch etwas, falls du John begegnest, grüß ihn trotzdem von mir.“
„Ja mache ich, bis dann.“
Ich ging auf mein Zimmer und packte meine Sachen zusammen. Auf dem Weg zum Bahnhof hatte ich wieder so ein Gefühl, als ob mich jemand beobachtete. Vom Fenster meines Abteils sah ich noch einmal auf Dornie. Der Zug setzte sich in Bewegung und mit schweren Herzen fuhr ich Richtung Edinburgh.
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