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Familiengeheimnisse
ОглавлениеJohn war nirgends zu sehen, dabei dachte ich, dass ich ihn hier treffen würde. Wir hatten uns seit etwa zwei Stunden aus den Augen verloren und schon bekam ich Sehnsucht.
Ich glaube, so etwas nennt man verliebt sein.
Ein schönes, aber beängstigendes Gefühl. Was, wenn es schief ging, wenn ich wieder enttäuscht werden würde oder etwas passierte, wie damals bei Sam. Verdammt, ich durfte solche Gedanken gar nicht erst aufkommen lassen.
Maria und ich aßen nur eine Kleinigkeit, denn schließlich war es schon nach 10 Uhr abends.
„He Kleines, du hast doch immer so gut Klavier gespielt. Was meinst du, nur einen Song, ach bitte.“
Natürlich war Klavierspielen ein Hobby von mir. Ich hatte es mir selbst beigebracht. Nur was, wenn die Leute hier drinnen es nicht wollten?
„Weißt du, ich habe heute schon einmal hier gespielt, vielleicht sollte ich es lieber sein lassen.“
„Das wusste ich nicht. Ach komm schon, spiel noch mal. Außerdem, wenn es mir gefällt, gefällt es den anderen auch.
Du weißt, wie gern ich dir zuhöre.“
Gegen dieses Argument konnte ich schlecht nein sagen, also setzte ich mich ans Klavier, überlegte kurz was ich spielen sollte. Da viel mir ein Liebeslied ein.
Ein herrlich langsamer Song zum Tanzen und Träumen.
„Tell It Like It Is“
Don Johnson hatte es mal gesungen, sehr gut, wie ich fand.
Ich begann zu spielen, schloss dabei die Augen und genoss die Melodie.
Es war ganz still geworden, keiner sagte auch nur ein Wort oder gab einen Laut von sich. Offenbar gefiel ihnen das Lied genauso wie mir.
Maria stand bei ihrem Ben, er hatte einen Arm um sie gelegt, das sah ich als ich meine Augen öffnete.
Ich liebte diesen Song und auch diese Art von Musik, auch wenn sie mich traurig und nachdenklich machte, aber vielleicht genau deshalb.
Nach dem letzten Ton, klappte ich den Deckel wieder zu.
Es war wie ein Déjá-vu, denn genau wie heute schon einmal, stand John in der Tür.
Offenbar stand er schon längere Zeit dort.
Wenn ich ihn sah, ging es mir immer gut, doch sein Gesichtsausdruck gefiel mir gar nicht. Er sah so ernst aus, das machte mir Angst.
Ich traute mich kaum zu ihm hin zu gehen.
„Stimmt etwas nicht, John?“
„Ich muss mit dir reden, lass uns hinausgehen.“
Meine Beine wurden weich wie Pudding.
Kurz sah ich zu Maria, doch sie zuckte nur mit den Schultern, also hatte sie keine Ahnung, was los war.
Draußen nahm er meine Hand.
„Komm, wir gehen ans Meer.“
Zusammen gingen wir zum Strand. Setzten uns in den noch recht warmen Sand und schauten gemeinsam aufs Meer hinaus.
Es war schon fast Mitternacht und der Mond schien so hell, als würde am Himmel eine Lampe brennen.
Nach einer Weile begann er zu reden und mein Herzschlag donnerte. Gleich wird er mir sagen, dass alles vorbei ist.
„Susan, du kannst dich bestimmt noch an unser Gespräch erinnern, als wir zum ersten Mal an der Burg waren.“
Meine Gedanken überschlugen sich gerade, dann erinnerte ich mich.
„Ich glaube schon. Du sagtest, das dir oder deiner Familie die Burg gehört und dass schon seit dem 15.Jahrhundert, meinst du das?“
„Genau, das meinte ich. Weißt du, ich überlege die ganze Zeit, wie ich es dir sagen soll.“
Ihm fehlten die Worte, das war ja was ganz Neues.
„Nur raus damit, ich werde es schon überstehen.“
Offenbar war es wirklich nicht so einfach für ihn, sich auszudrücken. Endlich sah er mich an.
„Seit dem Tod von Alice habe ich nie wieder eine Frau so nah an mich herangelassen. Ich fürchtete mich davor enttäuscht zu werden. Als wir uns in Claires Laden gegenüber standen, traf es mich mitten ins Herz. Eigentlich dachte ich, dass mir so etwas nie wieder passieren würde, doch ich hatte mich geirrt. Susan ich habe mich in dich verliebt und ich möchte dir etwas über meine Familiengeschichte erzählen.“
Er sah mich an, dann schaute er aufs Meer hinaus, so als könnte er dort lesen, wie er beginnen sollte.
„Susan, du sollst wissen, dass meine Vorfahren keine guten Menschen waren. In unserer Familienchronik steht geschrieben, dass es Piraten und sogar Mörder gab. Alles was ihnen auf ihren Beutezügen in die Hände fiel, schafften sie in die Burg. Reichtümer mit unermesslichem Wert. Einiges davon hast du bereits gesehen. Sie stehen oder hängen im Museum und in der Burg. Vieles liegt im Keller in den verschlossenen Räumen. Die Menschen allerdings, denen sie diese Sachen wegnahmen, haben es nie überlebt. Irgendwann im 18. Jahrhundert hörten dann die Grausamkeiten auf. Zumindest wurde nichts mehr darüber erwähnt.
Um ehrlich zu sein, hatte ich immer Angst davor, dass sich dieses Verhalten auf direkte Nachkommen vererben könnte.“
Im ersten Moment dachte ich, dass ich mich verhört hatte und starrte ihn nur an. Dann legte ich meine Hand an sein Gesicht und zwang ihn so mich anzusehen.
„John Morris, du bist nicht wie deine Vorfahren. Du bist ein liebenswerter, netter, gutaussehender junger Mann und... ich liebe dich. Ich kann mir niemals vorstellen, dass du jemandem Gewalt antun könntest.“
Er lächelte mich an, dann nahm er mich in seine Arme und hielt mich nur fest.
„Was ist mit deinen Verwandten geschehen? Ich meine, deine Familie muss doch unglaublich groß gewesen sein.“
„Soviel ich weiß, sind die meisten irgendwann im Laufe der Zeit gestorben oder bei anderen Kämpfen ums Leben gekommen. Wenn es noch Überlebende aus meiner Familie gibt, so können sie überall auf der Welt sein. Ich weiß es nicht. In den letzten Jahren haben Maria und ich nichts mehr von ihnen gehört.“
Ich hörte gebannt zu, was John erzählte. Innerlich war ich zwar etwas aufgeregt, doch Angst verspürte ich keine.
Die ganze Zeit schaute ich ihn dabei an und konnte sehen, dass es ihm nicht leicht fiel, darüber zu sprechen.
„Was ist mit Maria? Ich nehme mal an, dass sie darüber nicht reden durfte. Ich kann ihr nicht einmal böse sein. Jeder hat ja irgendwo seine kleinen Geheimnisse.“
Eine Zeit lang saßen wir nur schweigend da. Ich überlegte, wie ich dieses Gespräch weiter führen sollte.
„Hast du mal versucht deine Verwandten aufzuspüren?“
Er sah mich an und sagte: „Nein! Die letzten Einträge in unserer Chronik endeten so um 1945. Also, im 2.Weltkrieg. Ich nehme an, dass viele von ihnen als Soldaten in den Krieg gezogen sind. Ob sie überlebt haben, weiß ich nicht und eigentlich will ich es auch gar nicht wissen.“
„John, ich möchte dich gern etwas fragen?“
„Was möchtest du wissen Susan?“
Ich überlegte, wie ich anfangen sollte.
„Wie war das mit Alice, hast du sie sehr geliebt?“
Etwas überrascht von meiner Frage sagte er: „Ja, es war so ähnlich wie bei dir. Ich war sofort in sie verliebt und später heirateten wir. Nach einigen Monaten war sie schwanger. Alice stand kurz vor der Geburt, doch dann ging etwas schief. In der Nacht als das Kind zur Welt kommen sollte, hatte sie plötzlich einen Blutsturz. Der Arzt und ihre Mutter waren bei ihr und versorgten sie mit allem Notwendigen.
Sie hatte so starke Schmerzen, dass ich es nicht ertragen konnte, sie so leiden zu sehen und ging einfach fort. Als die Schreie aufhörten und ich wieder zu ihr wollte, sagte mir der Arzt, dass Alice diese Tortur nicht überlebt hatte und auch das Kind konnte er nicht retten. Für mich war es der schlimmste Moment in meinem Leben, aber für Alice, war es eine Erlösung. Ich wollte nicht, dass sie leidet, auch wenn ich sie dadurch verlor. An diesem Tag brach eine Welt für mich zusammen und wenn Maria nicht gewesen wäre, wer weiß, was sonst noch…...“
Die letzten Worte kamen nicht mehr über seine Lippen.
Sofort musste ich an meine letzten Stunden mit Sam denken. Maria war auch in diesen schweren Tagen für mich da.
Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie ihrem Bruder half über die schlimme Zeit hinweg zu kommen. Schließlich hatte ich es genau wie er erlebt.
„Das tut mir alles so leid John. Es muss eine große Überwindung für dich gewesen sein, mir das alles zu erzählen.“
Er nahm mich in den Arm und hielt mich ganz fest, dann sah er mir in die Augen.
„Ich habe dir das alles erzählt, weil ich dir vertraue. Was du noch wissen solltest, ist, ich kenne dich schon länger als du vielleicht denkst.“
Das hatte ich jetzt nicht erwartet.
„Wie soll ich das jetzt verstehen, hast du mich beobachtet?“
„So etwas in der Art. Maria ist ja schon sehr lange mit dir befreundet und glaube mir, in Sachen Freundschaft ist sie sehr wählerisch. Sie machte mich auf dich aufmerksam und ich fand sofort Gefallen an dir. Ich hoffe, du bist mir oder ihr deshalb nicht böse?“
Ich schluckte und sagte in einem etwas neckischen Ton:
„Tja, das muss ich mir dann doch genau überlegen.
Nein, bin ich nicht, ich sollte eher geschmeichelt sein, denke ich.“
Erleichtert über meine Antwort, machte er einen tiefen Seufzer.
„Ich bin sehr froh, dass du über alles bescheid weißt, dann lächelte er und küsste mich ganz zärtlich. Er tat es so sanft, als hätte er Angst mir weh zu tun.
Ich genoss den Augenblick sehr.
Eine ganze Weile saßen wir einfach so da und schauten aufs Meer, das ganz ruhig lag. Der Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche. Es sah wie auf einer Fotografie aus – friedlich - beruhigend - wunderschön.
Als der Wind etwas auffrischte, begann ich zu frösteln.
John merkte es sofort. Er war, was mich betraf immer sehr aufmerksam. Sofort legte er mir seine Jacke um.
„Wollen wir gehen?“, fragte er mich.
Ich nickte ihm zu. Langsam gingen wir am Strand zurück zu meinem Appartement. Mit einem innigen Kuss verabschiedete John sich von mir.
„Danke Susan und schlaf gut. Wir sehen uns morgen.
In dieser Nacht lag ich noch lange wach und konnte kaum glauben, was John mir alles erzählt hatte.
***