Читать книгу Walpurgisnacht: Niederbayern-Krimi (German Edition) - Karoline Eisenschenk - Страница 13
Kapitel 6
ОглавлениеWie sich herausstellte, hatte Valerie Dahlmann nicht nur eine funktionsfähige Taschenlampe, mit deren Hilfe sie das Haus nach dem Sicherungskasten absuchen konnten. Sie erkannte auch sofort, dass lediglich drei Sicherungen wieder eingedreht werden mussten.
Doch die Freude war nur von kurzer Dauer, denn die Küche sah bei eingeschaltetem Licht tatsächlich wie ein wüstes Schlachtfeld aus. Wenigstens stand die Mikrowelle nicht in Flammen, allerdings hatte Cornelius das Gerät mit dem Blumenteller schachmatt gesetzt. Der Teller selbst war in zwei Teile zersprungen. Die Einzige, die alles relativ gut überstanden hatte, war die Lasagne, die sich – immer noch halb gefroren – nach wie vor in ihrer Silberverpackung befand.
»In Altenberg gibt es ein Elektrogeschäft«, sagte Valerie. »Die können die Mikrowelle bestimmt reparieren.«
»Sie müssen mich für einen furchtbaren Dilettanten halten«, murmelte Cornelius, der ihren prüfenden Blick über das Chaos wandern sah. »Und ich muss gestehen, das bin ich auch.«
Sie lachte ein sehr angenehmes Lachen. »Nein, das sind Sie nicht. Ihnen fehlt einfach ein bisschen die Übung, das ist alles.«
»Wenn die Putzfrau das morgen sieht …« Er wagte gar nicht daran zu denken, was Lukas und Sandra dann von ihm halten würden. Von Ramona und Tabea ganz zu schweigen.
»Das muss sie ja nicht«, entgegnete Valerie Dahlmann immer noch lächelnd. »Wissen Sie was? Wir beseitigen jetzt gemeinsam das Chaos hier und dann kommen Sie mit zu mir. Ich habe eine selbst gemachte Lasagne im Backofen, die bald fertig sein müsste. Für mich alleine ist sie ohnehin zu viel.« Sie musterte die Tiefkühllasagne kritisch. »Und ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie auch besser schmeckt als das gute Stück hier.«
Natürlich schmeckte sie besser, als es jedes Tiefkühlgericht getan hätte. Nachdem Cornelius seinen zweiten Nachschlag verzehrt hatte, war er nicht nur satt, er wusste auch schon einiges über die Bewohnerin des kleinen Hauses gegenüber.
Valerie Dahlmann war erst Anfang des Jahres nach einer kurzen und turbulenten Ehe von München nach Neukirchen gezogen. Sie arbeitete als Physiotherapeutin und Heilpraktikerin in einer Praxis in Altenberg. Cornelius fand es etwas ungewöhnlich, dass eine junge Frau, die noch dazu in der Großstadt aufgewachsen war, ein kleines Dorf als Lebensmittelpunkt bevorzugte.
»Ich liebe das Landleben. In meiner Kindheit sind wir in den Ferien nie weggefahren, sondern waren immer auf einem Bauernhof. Und als kurz nach der Scheidung von Hendrik auch noch meine Mutter gestorben ist, ist mir in München einfach alles zu viel geworden und ich habe mich nach einem Job und einem Haus auf dem Land umgesehen«, sagte sie lächelnd.
Cornelius musste kurz an Tabea und ihr vernichtendes Urteil über Neukirchen denken. Sie würde es hier wahrscheinlich nicht einmal ein Wochenende aushalten.
Während sie seine Hand mit einer Kräutersalbe verarztete, erzählte Valerie über ihre ersten Monate in Neukirchen und sein Respekt vor ihrer Entscheidung wuchs von Minute zu Minute.
»Am Anfang war es nicht leicht, das können Sie mir glauben. Als junge Frau, die nicht aus der Gegend kommt und dann auch noch alleine in einem Haus wohnt, wurde ich anfangs oft kritisch beäugt. Die Leute werden Sie die nächsten Tage bestimmt etwas neugierig mustern, aber das legt sich. An mich haben sie sich mittlerweile auch gewöhnt.«
Spontan kam ihm eine gute Idee. »Ich bin zum Fußballspiel morgen Nachmittag gegen Ebersbach eingeladen worden. Hätten Sie vielleicht Lust, mich dorthin zu begleiten?«
»Sehr gerne. Frau Leitner hat mir heute schon gesagt, dass danach noch die nächtliche Bewachung des neuen Maibaums besprochen wird, damit ihn niemand stehlen kann. Klingt das nicht spannend? Morgen ist ja schon Walpurgisnacht.«
*
Der Weg zu den Keltenschanzen war so dunkel, dass man kaum die Umrisse der angrenzenden Bäume erkennen konnte. Nur ein einsamer Lichtstrahl irrte durch die Nacht, aber er genügte den schwarz gekleideten Gestalten, die sich auf leisen Sohlen dem rechteckigen Platz näherten. Ein Fuchs nahm fluchtartig Reißaus, als ihn der grelle Lichtkegel traf, und verschwand mitsamt seiner Beute im dichten Unterholz. Nicht weit entfernt schrie eine Eule und in den Ästen und Zweigen zu ihrer Linken knackte es plötzlich. Sie blieben einen Moment stehen, aber im Schein der Taschenlampe war nichts zu sehen.
»Los, weiter. Wir haben nicht ewig Zeit«, murmelte der Anführer der kleinen Gruppe. Er hatte sich eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen und verspürte trotz der Dunkelheit und den vielen Geräuschen des Walds keine Angst.
An der Keltenschanze angekommen, wanderte der Lichtstrahl einige Zeit suchend umher, bis er an einem dicken Baumstamm hängen blieb.
»Hier«, rief die Gestalt triumphierend, »die Stelle ist wie für uns gemacht.«
Als ob sie sich gegen die unliebsamen Eindringlinge wehren wollte, schrie direkt über ihnen die Eule nochmals laut auf. Eine der Gestalten zuckte kurz zusammen und blickte in Richtung des Vogels. Dabei verrutschte die schwarze Kapuze und gab unfreiwillig einen Teil ihres Gesichtes frei. Doch die Eule verstand nicht, dass sie direkt in die starren Züge einer schauderhaften Hexenmaske blickte.
»Wie gemacht für unsere kleine Feier, an die unser Gast bestimmt noch lange denken wird!«, schrie die Gestalt mit der Taschenlampe in diesem Augenblick und ein mörderisches Blitzen huschte über die Augen hinter der Maske.
*
Kurz vor Mitternacht stand Cornelius wieder vor seinem neuen Zuhause. Er verharrte noch einen Augenblick am Gartentor und blickte die Hauptstraße hinunter. In den meisten Häusern brannte mittlerweile kein Licht mehr. Sascha Eichingers Wagen fuhr die Straße entlang, ohne laute Musik, aber dafür mit attraktiver weiblicher Begleitung auf dem Beifahrersitz, wie Cornelius feststellte, als der Wagen direkt vor ihm in die Hofeinfahrt der Eichingers einbog. Kurz darauf waren das Geräusch der Autotüren und das leise Lachen einer Frau zu hören.
Während er noch über seine nachmittägliche Begegnung mit Sascha nachdachte, nahm er im rechten Augenwinkel plötzlich eine Bewegung wahr. Erstaunt blickte er zu den Hartmanns hinüber, konnte jedoch niemanden entdecken. Alles war dunkel und still. Unschlüssig, ob er hinübergehen und nachsehen sollte, verharrte er einen Augenblick vor der ungeöffneten Haustür. Konnte es sein, dass er sich getäuscht hatte? Vielleicht war es ja auch nur eine Katze unterwegs auf Mäusefang. Er wartete noch einige Minuten, doch es war nichts zu hören und zu sehen. Was würde wohl Wolfgang Hartmann sagen, wenn er mitten in der Nacht bei ihm klingelte, weil er einen Einbrecher vermutete? Die Antwort darauf konnte er sich sehr gut vorstellen …
*
»Guten Morgen.«
Benedikt Rehberg sah nur kurz von seiner Zeitungslektüre auf, als seine Frau das Esszimmer betrat und sich zu ihm an den Frühstückstisch setzte.
»Morgen«, murmelte er und widmete sich wieder dem Sportteil.
Annabelle Rehberg blickte ihren Mann einige Sekunden abwartend an, musste dann allerdings resigniert feststellen, dass auch heute keine weitere Reaktion von ihm zu erwarten war.
»Könntest du mir bitte die Kaffeekanne reichen?«
Peng! Mit einem lauten Knall wurde die Kanne direkt vor ihr abgestellt. Sie goss sich langsam ein und begann dann geräuschvoll in ihrer Tasse umzurühren. Sprich endlich mit mir, dachte sie. Schrei mich meinetwegen an, streite mit mir, aber lass mich nicht so neben dir sitzen. Doch Benedikt blätterte nur ungerührt eine Seite weiter.
»Wie lange soll das noch so weitergehen?«, fragte sie schließlich in die Stille hinein. »Wie lange willst du mich noch ignorieren und wie eine Aussätzige behandeln?«
Benedikt ließ die Zeitung sinken und blickte seine Frau mit so viel Abneigung und Widerwillen aus seinen tiefblauen Augen an, dass Annabelle wünschte, sie hätte ihn nie gefragt.
»So lange, bis mir nicht mehr schlecht wird, wenn ich dich auch nur ansehe«, schleuderte er ihr entgegen.
Ihre Hand krampfte sich um die Kaffeetasse. »Mein Gott, Benedikt, ich habe einen Fehler gemacht. Einen einzigen Fehler, für den du mich seit fast drei Wochen büßen lässt. Irgendwann muss es doch mit uns wieder weitergehen.«
»Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Bevor du mit diesem … diesem Möchtegern-Casanova ins Bett gestiegen bist, von dem jeder hier weiß, dass er keine auslässt, die sich nicht zu billig dafür ist.« Er wollte sie mit seinen Worten absichtlich kränken, wollte, dass sie sich klein und schmutzig fühlte.
»Damit wären wir ja wieder beim Thema angelangt«, erwiderte sie sarkastisch, nicht gewillt, ihm diesen Gefallen zu tun.
»Du hast davon angefangen, nicht ich. Und du warst dir nicht zu schade …«
»Ja, ich weiß«, schrie Annabelle, »ich war mir nicht zu schade, mit ihm etwas anzufangen! Wie könnte ich es auch nur eine einzige Sekunde vergessen. Ich bin an allem schuld, ich ganz allein, während du natürlich immer alles richtig machst.« Sie spürte, wie ihre Augen zu brennen anfingen, aber sie wollte vor ihm nicht weinen. »Aber hast du dich einmal gefragt, warum es so weit gekommen ist? Bist du einmal auf die Idee gekommen, mich zu fragen, ob ich in dieses gottverdammte Kaff umziehen will? Warum hast du mich überhaupt geheiratet, wenn du sowieso alles alleine entscheidest?«
»Du bist ja vollkommen hysterisch.« Benedikt griff wieder nach seiner Zeitung, aber Annabelle entriss sie ihm kurzerhand.
»Ich bin nicht hysterisch, sondern nur ehrlich. Und Ehrlichkeit ist es doch, was du willst. Wie ehrlich ist es dann, hinter meinem Rücken die Apotheke in Altenberg zu kaufen und einen Architekten Pläne für ein Haus anfertigen zu lassen, ohne auch nur ein einziges Wort mit mir darüber zu reden?«
»Du hast immer gewusst, dass ich eines Tages hierher zurückkehren wollte. Also spiel jetzt nicht das bemitleidenswerte Opferlamm.« Tief in seinem Inneren wusste er, dass er die Entscheidung niemals ohne sie hätte treffen dürfen. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Nichts würde Annabelles unglaublichen Verrat jemals rechtfertigen können.
»Eines Tages … nicht jetzt! Was findest du nur an diesem grauenhaften Ort, dass du alles dafür aufgibst?« Annabelle schleuderte ihm die Zeitung entgegen. »Sind dir eine unterklassige Dorffußballmannschaft und ein Stammtisch etwa wichtiger als unser Leben und unsere Freunde in München?« Jetzt wollte sie ihn absichtlich kränken, und an seinem versteinerten Blick sah sie, dass es ihr gelungen war.
»Vielleicht«, entgegnete er eisig. »Aber ich bin es leid, ewig mit dir darüber zu diskutieren. Apropos Fußball: Die Mannschaft hat heute Nachmittag ein Spiel und als ihr Sponsor werde ich selbstverständlich dabei sein. Und das erwarte ich auch von dir … als meine Frau.«
»Jetzt auf einmal bin ich wieder deine Frau, mit der du dich sehen lässt. Hast du keine Angst, dass ich dich zum Gespött dieser illustren Dorfgemeinschaft mache?«
Benedikt stand auf und in seinen Augen war wieder diese Geringschätzung zu sehen, die sie so sehr verabscheute. »Du hast mich sowieso schon zum Gespött der Leute gemacht. Also wirst du jetzt alles dafür tun, dass sich der Schaden einigermaßen in Grenzen hält und dich zusammenreißen.«
Er tat es schließlich auch, obwohl er plötzlich wieder große Lust verspürte, sein Jagdgewehr aus dem Schrank zu holen, zu Eichingers zu fahren und diesen grinsenden Gigolo damit ein für alle Mal ins Jenseits zu befördern.
*
»Also dann bis heute Nachmittag«, rief Valerie Dahlmann und stieg samt Mikrowelle in ihr Auto. Die Praxis, in der sie arbeitete, war samstags bis dreizehn Uhr geöffnet und sie hatte Cornelius angeboten, das gute Stück beim Elektriker in der Stadt abzugeben. Davor hatte es allerdings noch einen Schnellkurs in Sachen Kaffeemaschine gegeben, nachdem Valerie im letzten Augenblick verhindern konnte, dass er die Bohnen in das Fach für das bereits gemahlene Kaffeepulver schüttete. Immerhin kam er so in den Genuss, mit ihr zusammen eine Tasse Kaffee zu trinken, und der Kaffeemaschine blieb ein ähnliches Schicksal wie der Mikrowelle erspart.
Valerie war gerade weggefahren, als sich eine Frau auf ihrem Fahrrad dem Haus näherte und sich als Carola Schäfer vorstellte. Auch wenn sie bestimmt zehn Jahre jünger war als ihre Schwester, hatte sie unverkennbar Annas Gesichtszüge, die gleichen widerspenstigen Locken und wachsamen braunen Augen. Cornelius war froh, das Corpus Delicti noch vor ihrer Ankunft außer Sichtweite gebracht zu haben. Vielleicht hatte er ja Glück und sie würde die Abwesenheit der Mikrowelle gar nicht bemerken.
Doch kaum hatte er im Wohnzimmer seine Lektüre über die Keltenschanzen wieder aufgenommen, kam Carola Schäfer aufgeregt aus der Küche angelaufen. »Wo ist denn die Mikrowelle?«
»Die … äh … Mikrowelle?« Cornelius spürte, wie ihm heiß wurde. »Die … ist … äh … die hatte … einen schwerwiegenden technischen Defekt.« Dies entsprach zweifellos der Wahrheit, auch wenn er ihr die Ursache dafür ja nicht gleich auf die Nase binden musste. Carola Schäfer blickte ihn einige Sekunden verwundert an, und er befürchtete schon eine weitere bohrende Frage. Doch plötzlich wurde sie blass.
»Das wird doch nicht die Kakaotasse vom Tobias gewesen sein? Er war am Mittwochnachmittag mit mir hier und wollte unbedingt seine Tasse von zu Hause mitnehmen.«
»Nein, nein, das …«
»Ich mach doch daheim die Milch immer auf dem Herd warm und hab überhaupt nicht mehr nachgeschaut, ob ich die Tasse auch in die Mikrowelle stellen kann.«
Cornelius bat sie innerlich mehrmals um Verzeihung. »Man muss da mit dem Geschirr sehr aufpassen, Frau Schäfer«, sagte er dann ernst. »Aber«, fügte er nach einer kurzen Pause beruhigend hinzu, »machen Sie sich keine Sorgen. Das kriegen wir schon hin. Bis die Hausherren zurück sind, sollte das gute Stück wieder funktionstüchtig sein. Frau Dahlmann hat sie schon zum Elektriker mitgenommen.«
Carola Schäfer sah ihn mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Erleichterung an. Cornelius wollte sein Glück nicht überstrapazieren und entschied sich deshalb spontan, einen kleinen Spaziergang durch das Dorf zu machen. Carola Schäfers Augen schien so leicht nichts zu entgehen, und sollte noch irgendetwas in der Küche auf seinen missglückten Kochversuch vom Vortag hinweisen, wollte er möglichst nicht in ihrer Nähe sein, wenn sie es entdeckte.
»Dann können Sie sich hier in aller Ruhe ausbreiten und ich bin Ihnen nicht im Weg. In der Küche steht übrigens frischer Kaffee in einer Thermoskanne«, erklärte er.
Auf dem Weg nach draußen fielen ihm plötzlich siedend heiß die Reste der Lasagne und die Scherben des zerbrochenen Tellers im Mülleimer ein. »Und den Müll nehme ich auch gleich mit hinaus, dann müssen Sie das nicht mehr erledigen.«
Carola Schäfer winkte Cornelius freundlich zu, als er sich am Gartentürchen noch einmal zu ihr umdrehte. Ihre Schwester hatte wieder einmal recht gehabt. Was für ein netter und aufmerksamer Mann er doch war. Sie würde Sandra Albrecht bei ihrem nächsten Telefonat bestätigen können, dass ihre Sorgen völlig unbegründet waren. Ihr Haus war bei Lukas’ Patenonkel in den besten Händen.