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Kapitel 2

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Das dunkelblaue Cabriolet stand mit ausgeschaltetem Motor auf der kleinen Anhöhe. Von hier hatte man einen wunderbaren Ausblick auf die Wiesen und Felder der Umgebung. Alles stand in voller Blüte und die Vögel zwitscherten regelrecht um die Wette. Dort, wo Spargel angebaut wurde, tummelten sich bereits zahlreiche Erntehelfer, denn bis zur Hauptsaison dauerte es nicht mehr lange. In der Ferne konnte man sogar noch die Kirchtürme und die Rathausgiebel von Altenberg, der nächsten Kreisstadt, erkennen. Rechter Hand lag Neukirchen, aber eine kleine, dicht bewachsene Waldfläche versperrte die ungehinderte Sicht auf das Dorf.

Annabelle Rehberg schenkte ihrer malerischen Umgebung und dem allgemeinen Frühlingserwachen jedoch keine Aufmerksamkeit. Wie hypnotisiert blickte sie durch das kleine Fernglas, das direkt auf den Acker der Eichingers gerichtet war.

Seit fast einer Stunde stand sie nun neben ihrem Auto und beobachtete den Traktor und seinen Fahrer. Sogar von hier oben war zu erkennen, wie selbstgefällig er hinter dem Steuer saß. Als ob ihm die ganze Welt gehören würde und er nur mit den Fingern schnippen müsste, damit alle nach seiner Pfeife tanzten.

Wie hatte dieses kleine Nichts, das wahrscheinlich sein ganzes Leben noch nicht aus diesem elenden Nest herausgekommen war, sie nur so bloßstellen können? Sie wusste in diesem Augenblick nicht, wen oder was sie eigentlich mehr verabscheute. Das Höllendorf, das Klaustrophobie bei ihr auslöste, oder den gut aussehenden jungen Mann auf dem Traktor, der diesen mit Leichtigkeit zu beherrschen schien. Ihm fiel so vieles leicht: Er konnte ein nervös tänzelndes Pferd reiten, in Rekordgeschwindigkeit Holz hacken, ohne dass dabei auch nur eine Spur Anstrengung in seinem Gesicht zu lesen war, und seine Gegner so geschickt ausspielen, dass alle Zuschauer auf dem Fußballplatz ungewollt applaudierten.

Und er kriegt alle Frauen herum, die sich nicht zu schade sind, mit diesem Dorf-Gigolo ins Bett zu steigen.

Benedikts Worte dröhnten immer noch in ihren Ohren, als hätte er sie ihr gerade erst entgegengebrüllt.

Du warst es doch, der mich hierher gebracht und mich in dieser grauenhaften Einöde dann allein gelassen hast, hatte sie zurückgeschrien, aber das Ganze damit nur noch schlimmer gemacht. Er hatte am Ende nur noch Geringschätzigkeit für sie übrig gehabt. Und Mitleid – sie glaubte sogar einen Funken Mitleid in seinen Augen zu erkennen.

Wie konnte dieses Nichts es nur zulassen, dass sie so erniedrigt wurde? Hatte es ihm nicht gereicht, sie einfach abzuservieren? Musste er vor Benedikt auch noch den entsprechenden Kommentar fallen lassen?

Sie löste sich für einen Augenblick von ihrem Fernglas und sah auf den Gegenstand, der die ganze Zeit auf dem Beifahrersitz gelegen hatte. Mut, sie brauchte nur ein kleines bisschen Mut, um sich zu überwinden. Danach würden sie von hier wegziehen und alles würde wieder gut werden. Wenn sie nur den Mut aufbrächte …

Plötzlich stand eine Frau mit ihrem Fahrrad gefährlich nahe hinter dem Pflug. Sie schien wie aus dem Nichts gekommen zu sein. Durch das Fernglas war das, was sich dort unten abspielte, jedoch gut zu beobachten. Zu ihrem großen Missfallen erkannte Annabelle in der Frau Tanja Rohrbach. Sie arbeitete in einem Friseursalon in Altenberg und hatte zudem mit ihrer Mutter zusammen ein kleines Kosmetikstudio in Neukirchen. Erst gestern war sie zur Maniküre dort gewesen. Mit ihr hat er also auch etwas angefangen, dachte sie. Wut stieg in ihr hoch. Wenn sie das gewusst hätte, hätte Annabelle diesen Laden bestimmt niemals betreten. Tanja Rohrbach war gertenschlank, bildschön und, was weitaus schwerer wog, bestimmt fünfzehn Jahre jünger als sie selbst.

Allerdings verlief ihr Zusammentreffen mit Sascha nicht unbedingt harmonisch, wie Annabelle mit einem Anflug von Genugtuung feststellen konnte. Steh doch auf, du dummes Ding. Steh doch auf und mach dich nicht so klein vor ihm. Aber ihre Gedanken vermochten Tanja nicht dazu zu bewegen, von der Straße aufzustehen. Die zweite junge Frau auf dem Fahrrad hatte da schon mehr Glück. Die hellroten langen Haare kamen Annabelle ebenfalls bekannt vor, aber sie konnte der Person im Moment keinen Namen zuordnen.

Sie richtete das Fernglas nochmals auf Sascha Eichinger und drehte es unweigerlich schärfer. Das selbstgefällige Grinsen war verschwunden. Verzweiflung – in seinen Augen, die starr auf die junge Frau mit den hellroten Haaren gerichtet waren, stand die pure Verzweiflung. In diesem Augenblick wusste Annabelle, um wen es sich handelte und was sie selbst zu tun hatte. Mit einer resoluten Handbewegung packte sie das Jagdgewehr auf dem Beifahrersitz und sperrte es in den Kofferraum. Der Motor heulte laut auf und kleine Erdklumpen und Kieselsteine spritzten, während der Wagen mit Vollgas zurück nach Neukirchen fuhr.

*

Der Applaus wollte schier kein Ende nehmen. In Ramonas Augen glitzerte es verdächtig und sie wischte sich verstohlen mit der Hand über das Gesicht. Tom hatte ihn die ganze Zeit gefilmt und winkte jetzt fröhlich mit der Kamera. Tabea sah für einen Moment tatsächlich so aus, als wollte sie ans Podium stürmen, um ihn zu umarmen. Cornelius musste sich eingestehen, dass es ihm nichts ausgemacht hätte – ganz im Gegenteil. Aber sie scheuchte nur Tom, der sich nach vermeintlich getaner Arbeit endlich setzen wollte, samt Kamera energisch zurück auf seinen Posten.

Von Greifenberg hatte ein paar Sekunden huldvoll in die Hände geklatscht und Cornelius dann mit einem fast schon väterlich anmutenden Lächeln zugenickt, das ihm wohl sagen sollte, dass er seine Sache zwar nicht brillant, aber immerhin ganz akzeptabel gemacht habe. Cornelius fackelte nicht lange, sondern erklärte den Sektempfang spontan für eröffnet. Er brauchte jetzt dringend etwas zu trinken, und nach Möglichkeit nicht in der Nähe des von Greifenbergschen Duos. Der Hut der werten Frau Baronin hatte in seinem leuchtenden Pink und der vogelnestähnlichen Aufmachung während seiner ganzen Rede wie ein Fixpunkt auf Cornelius gewirkt und ihn an die abenteuerlichen Hutkreationen der englischen Adelsdamen beim Pferderennen in Ascot erinnert. Warum hatte sich Ramona vergangenes Jahr nur im Golfclub anmelden müssen?

Nachdem Tom gefühlte fünfhundert Fotos von ihm und den anderen Gästen gemacht hatte, er unzählige Hände geschüttelt und mit ebenso vielen Sektgläsern angestoßen hatte, gab es kein Entrinnen mehr. Von Greifenberg gab ihm genau fünf Sekunden, dann …

»Was muss ich da von Ihrer reizenden Gemahlin hören? Sie wollen uns nicht auf die Kreuzfahrt begleiten?«

Also hatte Ramona es ihnen schon gesagt. Man hätte auch eine bessere Gelegenheit wählen können, aber ein Blick in ihre Augen sagte Cornelius, dass ihr das Duo keine Chance gelassen hatte.

Und in der Tat …

»Ich habe gerade zur lieben Ramona gesagt, dass Sie und Richard unbedingt am Tontaubenschießen teilnehmen müssen, wenn wir an Bord sind, als sie uns doch tatsächlich von Ihrer Absage berichtete«, ereiferte sich das Vogelnest in diesem Augenblick. »Wollen Sie es sich denn nicht noch einmal überlegen?«

»So leid es mir auch tut, aber ich muss auf diese Reise verzichten. Notorische Seekrankheit, die mich spätestens in der stürmischen Biskaya in die Knie zwingen würde.« Cornelius war selbst erstaunt, wie freundlich seine Antwort klang.

Was aber noch viel besser war: Er hatte nicht einmal lügen müssen, um diesem zweifelhaften Urlaubsvergnügen zu entgehen, in das ihn Ramona mit einer Buchung hinter seinem Rücken hineinzumanövrieren versucht hatte. Ihm wurde schon schlecht, wenn er an das Wort »Schiff« nur dachte, und mit Schaudern erinnerte er sich an sein bisher einziges Seeabenteuer, das ihn einst als jungen Studenten von Calais nach Dover gebracht hatte. Er hatte danach sein letztes Erspartes investiert, um von England aus zurückfliegen zu können – und wäre notfalls auch durch den Ärmelkanal geschwommen. Nichts und niemand hätten ihn damals noch einmal auf eine Fähre gebracht. Und kein noch so geschickter Schachzug seiner Frau brachte ihn jetzt auf ein Kreuzfahrtschiff, das sich drei Wochen auf hoher See befinden würde. Da mochte die Gesellschaft an Bord noch so illuster und Ramona in ihrer Überzeugung, er bilde sich die Seekrankheit nur ein, noch so standhaft sein.

»Tja, mein Lieber. Da braucht man eben etwas Mumm in den Knochen«, hallte es in diesem Augenblick durch die Aula.

Cornelius’ Hand, die das Sektglas hielt, zuckte kurz, und er war drauf und dran, in derselben Lautstärke kundzutun, was er von Professoren hielt, die Teile ihres Forschungsfreisemesters auf einem Luxusdampfer verbrachten, anstatt sich eben jener Forschung zu widmen. Aber er dachte einmal mehr an Ramona und begnügte sich schließlich mit einem knappen: »Dann kann ich Ihnen meine Frau ja guten Gewissens anvertrauen!«

»Was machen Sie eigentlich in der Zeit, in der wir an Bord sind?«, fragte Caroline von Greifenberg entgeistert und ganz so, als ob es außerhalb dieses Schiffs keine Überlebensmöglichkeit geben würde. Cornelius sah, wie auch ihr Mann plötzlich neugierig die Ohren spitzte.

»Das, Gnädigste«, flüsterte er deshalb geheimnisvoll, »ist zu delikat, um es auszusprechen.«

*

»Du willst aufs Land ziehen? Wie kommst du denn auf diese unmögliche Idee?«

Tabea starrte ihren Vater entsetzt an. Sie hatte so laut gesprochen, dass sich die Gäste an den anderen Tischen nach ihnen umdrehten, aber obwohl sie sonst auf ihre Etikette und ihr Auftreten sehr viel Wert legte, störte sie sich in diesem Augenblick kein bisschen daran. Ihre kunstvoll hochgesteckten blonden Locken bebten bei jeder Bewegung und schienen ihrer Empörung nur noch mehr Nachdruck zu verleihen. Ihre Wangen glühten fast vor Aufregung.

»Was heißt hier ›aufs Land ziehen‹. Ich werde nicht umziehen, sondern lediglich ein paar Wochen im Haus von Lukas und Sandra verbringen. Das ist alles«, versuchte Cornelius sie zu beruhigen.

Es war zwei Tage nach seiner Verabschiedung. Cornelius hatte Tabea zu einem gemeinsamen Mittagessen abgeholt, um ihr seine vor einigen Tagen gefassten Pläne mitzuteilen. Ihre Reaktion war wie erwartet und er verstand plötzlich, warum Ramona ihm diese Unterhaltung gerne alleine überlassen hatte.

»Das macht Mama niemals mit. Die hält das in diesem Dorf doch keine fünf Minuten aus. Außerdem wolltet ihr doch eine Kreuzfahrt machen!«

»Deine Mutter will eine Kreuzfahrt machen, nicht ich. Deshalb werde ich auch alleine nach Neukirchen fahren. Wir werden eine Art kleine Auszeit nehmen …« Weiter kam er nicht.

»Auszeit?« Die Locken seiner Tochter bebten dieses Mal so stark, dass er beinahe Angst bekam. Die Aufmerksamkeit des halben Restaurants war ihnen mittlerweile sicher, denn Tabea hatte nicht viel leiser gesprochen – ganz im Gegenteil.

Er lächelte den beiden älteren Damen am Nebentisch entschuldigend zu, was allerdings nicht die erhoffte Wirkung hatte. Für sie schien das Ganze jetzt erst richtig interessant zu werden, denn sie starrten das ungleiche Vater-Tochter-Paar weiter unverhohlen an.

»Was soll das heißen, ihr werdet eine Art Auszeit nehmen? Ihr wollt euch scheiden lassen, nicht wahr?« Und nach einer kurzen Pause: »Aber ihr seid doch meine Eltern – das geht nicht!« Tabea hatte manchmal eine sehr einfach konstruierte Logik, der nicht viel entgegenzusetzen war.

»Unsinn, mein Schatz. Niemand spricht hier von Scheidung. Wir brauchen einfach beide ein bisschen Ruhe und Erholung und das dort, wo sich jeder von uns am wohlsten fühlt. Deine Mutter auf einem Kreuzfahrtschiff und ich eben auf dem Land.«

»Aber dieses Getrenntsein habt ihr doch bisher auch nicht gebraucht. Warum denn jetzt auf einmal? Könnt ihr denn nicht irgendwo Urlaub machen, wo es euch beiden gefällt?«

Er musste zugeben, dass diese Frage durchaus ihre Berechtigung hatte. Das Schwierige an der Sache war, dass Cornelius die Antwort darauf selbst nicht wusste. Das heißt, er wusste sehr wohl, dass er nicht mit dem von Greifenbergschen Duo auf eine Kreuzfahrt gehen würde – auch Ramona zuliebe nicht. Deswegen hatte er nicht gezögert, als sein Patensohn Lukas ihn gefragt hatte, ob er für vier Wochen sein Haus in Neukirchen hüten wolle. Lukas hatte die einmalige Chance bekommen, mit seiner Frau eine Griechenlandexpedition zu leiten, wollte aber ihr neu gebautes Haus samt diverser Handwerker nur ungern so lange alleine lassen.

Lukas’ Erleichterung nach seiner Zusage entnahm Cornelius, dass sie wohl auch nicht wussten, wen sie sonst mit dieser heiklen Aufgabe hätten behelligen können. Ramona hatte genau zwei Sekunden gebraucht, um über seinen Vorschlag, die nächsten Wochen gemeinsam in Niederbayern auf dem Land zu verbringen, nachzudenken. Er brauchte ungefähr ebenso lange, um sein Urteil über die von ihr geplante Kreuzfahrt zu fällen. Und da sie sich selten so schnell so uneins waren, stand weitere vier Sekunden später fest, dass – ausnahmsweise – jeder seinen Urlaub so verbringen würde, wie er wollte. Moderne Ehepaare machten so etwas nun einmal, hatte Ramona hinzugefügt. Und da er zwar offensichtlich nichts von moderner Lehrstuhlführung verstand, sich aber nicht nachsagen lassen wollte, ein unmoderner Ehemann zu sein, willigte er ein. Dies versuchte er nun seiner Tochter zu erklären, erntete dafür allerdings keine Anerkennung.

»Mama und du, ihr seid beide über sechzig! Wozu willst du denn plötzlich modern sein? Du warst noch nie modern, Papa. Natürlich fährst du mit Mama auf die Kreuzfahrt. Gegen deine Seekrankheit gibt es doch Tabletten.«

Und damit war für Tabea das Thema offensichtlich erledigt, denn sie widmete sich wieder ganz der Speisekarte. Cornelius musste sich eingestehen, dass es ihm im Grunde genommen egal war, ob er ein moderner Ehemann war oder nicht. Die Wahl zwischen Ruhe und Frieden in einem kleinen malerischen Dorf oder einem nervtötenden Urlaub mit Baron von und zu stellte sich ihm nicht wirklich.

*

Zu Tabeas großem Entsetzen ging es dieses Mal ausnahmsweise nicht nach ihrem Kopf. Ihre Eltern ließen sich von ihren Plänen nicht abbringen.

»Irgendwie rührt mich Tabeas Sorge um unsere Ehe. Ich konnte ihr nur mit Mühe ausreden, dass sie kein Scheidungskind werden wird«, sagte Cornelius lächelnd. Er stand an der Tür des gemeinsamen Schlafzimmers und sah seiner Frau beim Packen ihres mittlerweile vierten Koffers zu. Für ihn grenzte es jedes Mal an ein Wunder, wie man erstens überhaupt einen so großen Kleiderschrank haben konnte und zweitens so viel davon in den Urlaub mitnehmen musste.

Als Ramona auf seinen Kommentar nichts erwiderte, sondern schweigend eine ihrer Seidenblusen faltete, verspürte Cornelius eine plötzliche Unruhe. Vielleicht wusste Tabea ja viel mehr als er selbst. Die Hauptbetroffenen erfuhren es ja meistens erst als Allerletzte, das hörte man doch immer wieder.

Ramona hielt mitten in der Bewegung inne und blickte ihn verwirrt an. »Scheidung? Was redest du denn da für einen Unsinn. Ich habe nicht vor, mich von dir scheiden zu lassen. Auch wenn ich wirklich nicht weiß, was du in diesem Provinznest willst«, sagte sie dann mit einem lauten Seufzer und ließ sich erschöpft auf der Bettkante nieder. Das Einpacken des halben Kleiderschranks forderte offensichtlich erbarmungslos seinen Tribut. »Jetzt sind schon vier Koffer voll und dabei habe ich die Schuhe und Taschen noch nicht eingepackt«, murmelte sie und blickte zwischen ihrem Kleiderschrank und dem bedrohlich wachsenden Kofferberg hin und her.

»Bist du sicher, dass du alles brauchst, was du bisher eingepackt hast?«, versuchte er ihr seine Hilfe anzubieten, womit er sich jedoch nur einen weiteren vorwurfsvollen Blick einhandelte.

»Also Gregor, davon verstehst du nun wirklich nichts. Wie sehen denn eigentlich deine eigenen Vorbereitungen aus? Du wirst mir doch nicht im Ernst weismachen wollen, dass du bereits für vier Wochen gepackt hast?«

Cornelius kam nicht mehr dazu, ihr seine – mit wesentlich weniger Aufwand verbundenen – Reisevorbereitungen zu erklären, denn in diesem Augenblick eilte sie auch schon aus dem Schlafzimmer und rief nach Maria. So gerne Cornelius ihre Perle im Haushalt, wie Ramona und er sie liebevoll nannten, auch mochte – sie wollte er im Moment wirklich nicht sehen. Maria hatte sich regelrecht mit Tabea verbündet, kaum dass sie durch seinen entsetzten Nachwuchs von seinen Plänen erfahren hatte – fest davon überzeugt, dass er, auf sich alleine gestellt, innerhalb kürzester Zeit verhungern und verdursten würde.

»Haben Sie mal nachgeschaut, was mein Mann alles eingepackt hat?«, wurde sie in diesem Moment auch gleich von seiner Frau begrüßt, als sie, mit einem überdimensionalen Staubwedel bewaffnet, in der Tür stand.

»Natürlich, Frau Professor (Maria nannte Ramona schon immer »Frau Professor«, obwohl Cornelius derjenige in der Familie war, dem dieser akademische Titel offiziell verliehen worden war, aber das störte hier niemanden wirklich), ich habe schon darauf geachtet, dass er sich die richtigen Sachen einpackt. Obwohl mir ja schon wohler wäre, wenn ich mitfahren würde. Er kann sich alleine doch überhaupt nicht richtig versorgen.«

»Meine Worte, liebe Maria, aber er ist nun einmal davon überzeugt, dass ein niederbayerisches Dorf seine wahre Bestimmung ist.«

Cornelius fiel plötzlich auf, dass die beiden miteinander sprachen, als ob er gar nicht im Raum wäre. Jetzt fehlte eigentlich nur noch, dass Maria ihn »einen armen Mann« nannte und sein Rang in diesem Haushalt wäre endgültig klar.

In diesem Moment hörte er Tabeas Stimme auf dem Treppenabsatz und er suchte schleunigst einen Fluchtweg aus dem Schlafzimmer – vorbei an sich türmenden Kofferbergen und einem protestierenden Fräulein Tochter.

»Wir machen uns doch nur Sorgen um dich, Papa«, war das Letzte, das er hörte. Mit einem erleichterten Seufzen ließ er die Tür zu seinem Refugium, in anderen Haushalten auch Büro oder Arbeitszimmer genannt, zufallen.

Walpurgisnacht: Niederbayern-Krimi (German Edition)

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