Читать книгу Vergiss mein nicht! - Kasie West - Страница 9

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5.

PARAdox, das – eine Aussage, die scheinbar widersprüchlich ist, aber trotzdem wahr

Die Party ist wie jede andere Party, auf der ich bisher war – laut und voll. Sie findet draußen statt, aber überall stehen dicht gedrängt Menschen, weil die Leute mit ihren Autos die eine Seite der Lichtung zugeparkt haben. Auf den anderen beiden Seiten bilden der See und die Sektor-Mauer die Grenze – und keine Illusion kann den Eindruck vertuschen, dass es sich hier um eine echte Grenze handelt.

Ich habe mich zu Lailas Pick-up geschlichen, bin auf die Ladefläche gestiegen, auf der sie ein paar Gartenstühle aufgestellt hat, und hole mein Buch, von dem sie nicht weiß, dass ich es mitgebracht habe, aus der Tasche. Gerade als ich mich eingelesen habe, reißt mir jemand das Buch aus der Hand. Vergeblich versuche ich, es mir zu schnappen, greife aber nur ein paar Mal ins Leere.

»Oh nein!«, sagt Laila. »So war das nicht abgemacht.«

»Ach komm schon. Ich bin hier. Ich bin mitten im Getümmel.«

»Das hier« – sie deutet auf den Boden der Ladefläche, auf der sie steht – »nennst du mitten im Getümmel?«

»Ich hätte mich in die Fahrerkabine setzen können.«

Ich schaue zu Laila hoch. Sie sieht toll aus mit ihren schwarzen Haaren, die sie hochgesteckt trägt, und mit ihren großen braunen Augen, die mich von oben mit gespieltem Ärger anfunkeln. Sie gehört hierher – hierher zwischen all diese angesagten Kids. Manchmal frage ich mich, ob Laila meine Freundin wäre, wenn wir uns erst jetzt und nicht damals im Kindergarten getroffen hätten.

Sie lacht und setzt sich in den Stuhl neben mir. »Ist dir wirklich so langweilig?«

Ich lehne mich zurück und lege meinen Kopf auf die Lehne. Der Nachthimmel ist mit einem überdimensionalen Mond und zwei kleineren Monden hell erleuchtet. Irgendeiner der Partygänger wollte offensichtlich mehr Licht haben. Ich schaue mich um, um festzustellen, ob ich den Illusionisten finden kann, der für die Täuschung am Himmel verantwortlich ist.

»Du bist die Einzige, die ich kenne, die immer noch echte Bücher mit sich herumschleppt«, sagt sie und blättert darin herum.

Ich nehme ihr das Buch weg und stecke es wieder in meine Tasche. »Ich mag Bücher. Sie sehen hübsch aus.«

Ein Drink schwebt durch die Luft und Duke, der an einem Baum lehnt, schnappt ihn sich. Er grinst mir zu, als müsste ich beeindruckt sein. Ich ziehe meine Augenbrauen hoch und deute mit dem Kinn auf all die anderen Drinks in der Luft. Telekineten sind solche Angeber.

»Okay, was läuft da eigentlich zwischen dir und Duke?«, fragt Laila. »So einen Blick tauschen nur gute Freunde aus. Irgendein Insider zwischen euch?«

»Kein Insider.«

»Wie auch immer. Jedenfalls kennst du ihn gut genug, um mich vorzustellen.«

»Du kennst ihn doch auch«, sage ich.

»Die ganze Schule kennt ihn. Der ganze Sektor. Er ist der Quarterback. Aber er hat nicht den geringsten Schimmer, wer ich bin. Komm schon, das wirst du jetzt ändern.«

Sie zerrt mich vom Pick-up und durch das Gewühl. Ich muss mich bei mehreren Leuten entschuldigen, die ich anremple, weil sie mich mitten durch die Menge zieht.

»Er hat genauso wenig Ahnung, wer ich bin ...«, will ich gerade sagen, aber dann fällt mir wieder ein, dass er mich vor ein paar Tagen, als sein Ball gegen mein Auto geflogen ist, mit Namen angesprochen hat. Woher wusste er meinen Namen?

Auf dem halben Weg zu Duke schiebt sich uns ein Typ in den Weg. »Hey Laila! An einem Blocker interessiert?« Er hält eine durchsichtige Plastiktüte voll mit elektronischen Chips hoch. »Zwanzig Mäuse.«

»Wen blocken sie denn?«

»Telepathen.«

Laila greift in ihre Tasche, als wolle sie ihre Karte herausholen und einen von seinen Chips dranklammern. »Was ...«

»Nein.« Ich schiebe die Hand des Typen weg. »Kein Bedarf.«

Als er weitergeht, drehe ich mich zu ihr um. »Spinnst du? Willst du dein Geld für irgendwelche fragwürdigen, nicht getesteten Modelle hinauswerfen, die das Bewusstsein erweitern?«

»Ich hatte nicht vor, es zu kaufen. Ich war bloß neugierig. Wenn dein Vater Telepath wäre, wärst du vielleicht ein bisschen aufgeschlossener gegenüber alternativen Blockmethoden.«

»Halte dich einfach nur an die Programme auf unserem Meditationstrack. Das sind die einzigen, die nachweislich helfen.«

»Die dauern so ewig ...«

Ich seufze, aber bevor ich irgendetwas erwidern kann, sagt sie: »Ja, ja, ich weiß, Langsam, aber sicher ist der beste Weg, unsere Talente voll zu entfalten. Blah. Blah. Blah. Du klingst wie deine Mom.«

»Bitte sag nicht so was.« Meine Mom ist der letzte Mensch, mit dem ich verglichen werden will.

»Na los, du musst mich noch vorstellen.« Wir bleiben vor Duke stehen und sie sieht mich erwartungsvoll an.

»Äh, hi«, sage ich. Habe ich überhaupt schon mal zwei Leute einander vorgestellt? Vermutlich nicht, da ich keinerlei Plan habe, was ich als Nächstes sagen soll. Bisher war immer Laila dafür zuständig.

»Hey, Addie.«

Laila räuspert sich.

»Duke, Laila. Laila, Duke.« Das klang schon mal nicht verkehrt. Aber vielleicht muss man noch irgendein Detail hinzufügen. Wie zum Beispiel: Duke, das ist Laila, sie findet dich sexy. Laila, das ist Duke, er und sein Spiegel haben ein sehr vertrautes Verhältnis.

Ganz offensichtlich brauchen die beiden meine Hilfe nicht, denn sie fangen sofort an, locker zu plaudern.

»Ja, wir sind uns schon ein paarmal begegnet. Nett, dich kennenzulernen«, sagt Duke.

»Super Spiel heute Abend. Dieser letzte Touchdown war unglaublich.«

Er lächelt. »Danke.«

»Wie schaffst du es nur, so weit zu werfen?« Sie berührt seinen Arm. »Killer-Bizeps?«

»Er hat halt trainiert«, füge ich nicht sehr hilfreich hinzu. Ich war nicht beim Spiel gewesen und deswegen ist das die geistreichste Bemerkung, die ich zur Unterhaltung beitragen kann.

Er lacht. »Ja, das habe ich.«

Obwohl Laila Expertin im Flirten ist, fühle ich mich total unbehaglich. »Okay, nett, dich getroffen zu haben. Wir gehen dann mal rüber zu unserem Freund.« Ich zeige vage auf eine Gruppe von Leuten, die am sandigen Ufer des Sees stehen. Erst dann schaue ich richtig hin und mir wird bewusst, dass ich direkt auf Bobby gezeigt habe, der allen beweist, wie gut er die Materie im Griff hat, indem er übers Wasser läuft. Wo wir gerade von Angebern sprechen. Würg. Ich verdrehe die Augen.

»Bobby? Das ist einer meiner besten Freunde.«

War ja klar. Das passt zu meinem Gefühl, was Dukes wahren Charakter betrifft, und erklärt, woher Duke meinen Namen weiß. Bobby hat ihm wahrscheinlich erzählt, wen er zum Ehemaligenball einladen wollte.

»Im Ernst? Ihr seid beste Freunde?«, fragt Laila. »Aber ich sehe euch nie zusammen. Ich dachte, du und Ray seid beste Freunde.« Sie blickt sich um, als wäre ihr gerade erst aufgefallen, dass Ray gar nicht hier ist, um ihre Worte zu untermauern, und sie müsste ihn jetzt finden.

»Ja, sind wir auch. Wir alle drei. Wir wohnen in derselben Straße, sind zusammen aufgewachsen. Wir kennen uns von klein auf.«

»Oh.« Laila pfeift leise durch die Zähne, als ob ihr jetzt alles klar werden würde.

»Gut zu wissen.« Ich greife Lailas Arm. »Wir sehen uns beim nächsten Football-Spiel.« Ich will sie wegziehen.

»Tja, das glaube ich eher nicht«, sagt er und Laila bleibt abrupt stehen.

»Wieso? Bist du verletzt oder so?«, fragt sie.

»Nein, ich meinte Addie.« Sein Blick hält mich fest. »Was ist los mit dir? Magst du kein Football oder hältst du nichts davon, deine Schule zu unterstützen?«

»Seit mich ein Football am Kopf getroffen hat, sehe ich die Dinger anscheinend mit anderen Augen.«

Er blickt mich spöttisch an. »Du willst mir also erzählen, dass du vor zwei Wochen noch zu jedem Football-Spiel gegangen bist?«

»Woher weißt du, dass ich nicht gegangen bin?« Hat der Typ mich überprüft oder was?

»Weiß ich ja nicht. Es war eine Frage.«

»Klingt wie eine, auf die du offenbar schon die Antwort kennst.«

»Ich denke, ja. Aber du kannst mich immer noch vom Gegenteil überzeugen.«

Konnte ich nicht. Ich hatte nur ein Football-Spiel besucht. Das war in der neunten Klasse gewesen. Ich hatte ziemlich schnell kapiert, dass Para-Football nicht wirklich mein Ding war. Abgesehen davon, dass es eine totale Zeitverschwendung war, hatte es nicht viel mit dem Norm-Football gemeinsam, den ich mir manchmal mit meinem Dad anschaute. Angriffe fanden kaum statt, die Telekineten im Team sorgten dafür, dass der Ball immer in der Luft blieb, und passten ihn vor und zurück. Gelegentlich stolperte ein Spieler mal, ohne dass jemand in der Nähe war. Am Ende gewann das Team mit den besten Talenten. Weil ich aber Dukes eingebildeten Blick nicht ertragen kann, sage ich: »Du irrst dich.«

Er schnappt sich einen Drink. »Na dann, tut mir leid, dass ich dir die Freude am Football für den Rest deines Lebens mit meinem Irrläufer verdorben habe.«

»Ich dachte, du könntest perfekt zielen«, erinnere ich ihn.

Er hebt sein Glas, als proste er mir zu. »Tue ich auch.«

Verwirrt überlege ich, ob ich ihn fragen soll, schüttle aber stattdessen den Kopf und schaffe es endlich, Laila wegzuziehen.

»Heilige Scheiße, was war denn das?«, fragt sie, als wir außer Hörweite sind. »Er mag dich. So richtig.«

»Tut er nicht. Es ist Duke. Er flirtet mit jeder. Außerdem hast du’s ja selbst gehört, Bobby und er sind gute Freunde. Ich bin mir sicher, dass hier das Jungs-halten-zusammen-Prinzip gilt.«

»Aber du hasst Bobby. Er weiß das und jetzt will er dich ganz klar ihm wegschnappen.«

Ich bleibe vor einem Lautsprecher stehen. Die Musik ist höllisch laut und ich brülle: »Wegschnappen?«

»Wage es ja nicht abzulenken. Der Junge mag dich. Du musst das unbedingt ausloten. Finde heraus, ob ... keine Ahnung, finde heraus, ob er mit dir gehen will oder so.«

»Erstens kann ich nicht einfach das Universum befragen, ob Duke mich mag. So funktioniert das nicht. Ich muss vor der Wahl stehen. Hier gibt es aber nichts zu entscheiden. Zweitens, selbst wenn ich die Möglichkeit hätte, meine Zukunft mit Duke auszuloten, würde ich es nicht tun, denn wenn ich erfahre, dass ich am Ende doch noch eine Schwäche für diesen Typen habe, bringe ich mich auf der Stelle um.«

»Diesen Typen? Dieser Typ ist Duke Rivers, Addie. Was ist mit dir los?«

»Er spielt nur mit den Mädchen.« Der Song ist zu Ende und meine Worte hallen in der plötzlichen Stille wider. Ich fahre zu Duke herum. Er schaut mir eine Sekunde in die Augen und sieht dann weg.

Laila senkt ihre Stimme und beugt sich zu mir. »Und vielleicht kannst du diejenige sein, die dem ein Ende macht.«

Ich schüttle den Kopf. Ich will darüber nicht diskutieren. Und ganz bestimmt will ich nicht diejenige sein. Jede andere bekommt vielleicht weiche Knie, wenn Duke in der Nähe ist, aber das gilt nicht für mich.

Der nächste Song beginnt und eine Gruppe hinter uns bricht in Jubel aus und fängt an zu tanzen.

Das ist doch lächerlich. Selbst wenn ich an ihm interessiert wäre, ich bin doch nicht jemand, über den man sich streitet oder den man an seinen Freund weiterreicht oder was auch immer. Laila liest da viel zu viel hinein.

»Ich muss der Sozialfall sein. Die angesagten Kids veranstalten einen ›Monat der guten Taten‹. Oder haben eine Wette abgeschlossen oder so. Sieht man ständig im Kino – zwei beliebte Typen testen aus, wer das Durchschnittsmädchen zuerst rumkriegt.«

Laila wirft ihren Kopf zurück und stöhnt laut auf. »Mal im Ernst, wer hat dir eigentlich beigebracht, so zynisch zu sein? Du siehst umwerfend gut aus und du bist schlau. Warum sollte dich irgendjemand nicht mögen? Entspann dich und gib dem Typen eine Chance.«

»Hey, ich bin immer noch im Meine-Eltern-haben-sich-gerade-scheiden-lassen-Modus. Schon vergessen? Im Moment darf ich alle Beziehungen in Zweifel ziehen, mich fragen, ob es wahre Liebe überhaupt noch gibt, und mir schwören, ein Leben im Zölibat zu führen.«

»Gehst du gerade jedes Klischee durch?«

»Ja. Weil ich nun mal gezwungen bin, eine Scheidung mit durchzumachen, sollte das Ganze sich am besten auch so abspielen wie in den Büchern und Filmen.« Ich fange an, die wichtigsten Punkte an den Fingern abzuzählen. »Eltern versuchen ihre Tochter mit Bestechungsgeschenken auf ihre Seite zu ziehen, Tochter entwickelt Ängste, Freunde bemitleiden sie, Tochter traut niemandem mehr ...«

»Außer ihrer besten Freundin.«

»Klar. Und dann wird ihren Eltern klar, dass sie einen großen Fehler gemacht haben, und sie hilft ihnen, wieder zusammenzukommen, wenn sie reif genug ist oder einen Aha-Moment hat oder was auch immer.« So weit habe ich alle fünf Finger an meiner Hand ausgestreckt und ich halte sie hoch, als ob das meine Argumentation verdeutlichen würde.

Laila lacht. »Hast du dir allen Ernstes einen Plan gemacht, wie du mit der Scheidung umgehen willst? Was für Filme hast du dir überhaupt angeschaut? Ein Zwilling kommt selten allein?«

Meine Brust wird eng und ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Stattdessen sehe ich über Lailas Schulter, ein paar Leute bewerfen die Mauer mit Steinen, die Gebirgsillusion verwischt an der Stelle. »Nein. Jede Menge Filme und Bücher enden so. Muss ja wohl irgendetwas Wahres dran sein.«

»Deine Eltern kommen nicht wieder zusammen. Und du liest viel zu viel. Das ist nicht gut für deinen Kopf. Ich verbiete dir hiermit alle Bücher.«

Ich schaue nach unten, um die Tränen in meinen Augen zu verbergen.

»Oh Gott«, sagt Laila jetzt, plötzlich ernst. »Du hast echt geglaubt, dass deine Eltern vielleicht wieder zusammenkommen?«

»Nein, natürlich nicht.« Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, aber sie hat recht. Es wird nicht passieren. Ein Tänzer stößt gegen Laila und sie faucht ihn wütend an, nimmt mich dann an die Hand und zieht mich hinter ein paar Bäume.

Sie legt ihren Arm um mich. »Es tut mir so leid, Addie.«

Jetzt erst wird mir klar, wie unwiderruflich das Ganze ist. Mein Herz tut mir weh und mein Hals brennt. »Das ist gut«, sagt sie und streichelt meinen Rücken. »Lass es einfach raus.«

Ich kann nicht. Es ist, als würden sich all meine Gefühle fest in meiner Brust zusammenballen, gegen meine Lungen drücken und mir das Atmen schwer machen. »Mir geht’s gut, wirklich.«

»Du wirst das schaffen«, sagt sie. »Ich bin so froh, dass du bei deiner Mom geblieben bist. Ich hab keine Ahnung, was ich ohne dich machen sollte.«

Hinter mir sagt jemand mit tiefer Stimme: »Störe ich gerade?«

Ich drehe mich um und entdecke Bobby vor einer Baumgruppe. Er starrt uns beide an. Er sieht ungeheuer zufrieden aus, als wäre er gerade einem Rätsel auf die Spur gekommen. »Hätte ich das gewusst, hätte ich dich nie gebeten, mit mir auf den Ball zu gehen. Du hättest mir einfach sagen sollen, dass du schon vergeben bist.« Er deutet mit seinem Kopf auf Laila. »Macht es euch etwas aus, wenn ich zugucke?«

Lailas Gesichtszüge verhärten sich, sie schnellt herum und baut sich vor ihm auf. »Hör zu, wir wissen, wie pervers du bist, du brauchst uns das also nicht mehr zu beweisen. Verpiss dich.«

Er hält die Hände hoch, als wollte er sich ergeben. »Okay, okay. Ich geh ja schon.« Er entfernt sich rückwärts durch die Bäume.

Laila läuft auf einen Baum zu und tritt gegen den Stamm, als ob sie Bobby irgendwie damit treffen könnte. »Idiot!«

»Du glaubst doch nicht, dass er wirklich denkt ...« Ich verstumme und lasse meine Hand in der Schwebe zwischen uns beiden.

»Bitte. Er versucht bloß den Schlag, den du ihm mit deinem Korb verpasst hast, abzuschwächen. Komm schon. Lass uns wieder zurück zur Party gehen.«

Vergiss mein nicht!

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