Читать книгу Das Karma verzeiht nichts - Kaspar Lunt - Страница 9
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ОглавлениеNick Klein sah Schulz und Janus auf dem Feld stehen.
Er schlenderte durch den Matsch, ließ sich extra viel Zeit, denn je später er am Tatort ankam, desto weniger musste er sich die schwachsinnigen Theorien seines alten und senilen Kollegen anhören.
Nick hasste Janus, dessen arrogantes Auftreten, seine Rechthaberei und Besserwisserei, aber seine Vorgesetzten wollten, dass er von Janus lernte, was es hieß, die Duisburger Mordkommission zu leiten.
Seine Neugier, all seine Wissbegier, schlug nach den ersten Tagen unter Janus Fittichen schnell in Frustration um. Es gab von Janus nichts zu lernen.
Was sollte er auch von einem Mann beigebracht bekommen, der einen an seinen Geheimnissen und Ermittlungsmethoden nicht teilhaben ließ, der wilde und abstruse Theorien aus einem Zylinder hervorzauberte, die sich zumindest im Karma-Killer-Fall als richtig erwiesen hatten. In allen übrigen Fällen jedoch war es allein seiner Ermittlungsarbeit zu verdanken gewesen, dass sie die Täter erwischt hatten.
Für Nick war Janus nichts weiter als ein verblendeter, alter Mann, für den der Karma-Killer zu einer Art Bürde geworden war, die ihn blind für alles andere gemacht hatte.
Janus steckte sich eine Zigarette in den Mund und Nick wollte am liebsten wieder umdrehen, zurück zu Julia ins Bett gehen, weil er wusste, was dieses Ritual bei Janus zu bedeuten hatte. Einige Menschen steckten sich nach dem Sex als Zeichen der Befriedigung eine Zigarette an, Janus aber rauchte seine letzte Zigarette, wenn er ein Rätsel des Karma-Killers gelöst hatte.
Nick musste jedes Mal innerlich lachen, wenn er Janus und Schulz sah. Aus der Ferne wirkten Janus und Schulz wie Waldorf und Stadler aus der Muppet Show. Schulz ging als stark übergewichtige Version von Waldorf durch, dessen Halbglatze wie eine polierte Bowlingkugel glänzte, dazu ein Schnurrbart in Überlänge, der gefühlt so lang wie Schulz selbst aussah, wohingegen Janus wie die durchtrainierte Version von Stadler daherkam, der trotz seines fortgeschrittenes Alter noch volles Haar auf dem Kopf trug und bestens in Form war.
Zumindest in seinem Kopf war er frei. Nick stapfte durch den Morast des Damwildgeheges, ruinierte sich dabei seine neuen Wildlederschuhe, was ihm jedoch ziemlich egal war, denn er musste diese Farce nur noch ein paar Tage ertragen.
Janus und Schulz waren nur noch ein paar Meter entfernt. Nick zählte die Tage, Stunden und Minuten, ja sogar die Sekunden bis zu Janus Pensionierung. Wenn Janus endlich seinen Hut nahm, schrieb er als jüngster Leiter der Mordkommission Polizeigeschichte und sein erster Coup sollte die Ergreifung des Karma-Killers sein, der als erfolgreichster Serienmörder einen Platz in der deutschen Kriminalgeschichte sicher hatte.
»Hast du das Rätsel geknackt?«, hörte Nick den Leichenfledderer Schulz in Janus Richtung fragen, den er genauso wenig ausstehen konnte wie Janus selbst.
Schulz wies Janus darauf hin, dass das Rauchen an Tatorten verboten war, er stand jetzt direkt hinter ihnen und Nick war gespannt darauf, was Janus heute für ein weißes Kaninchen aus seinem Zylinder zauberte.
Janus steckte sich die Zigarette wieder hinters Ohr und legte direkt los, fast so als hätte er extra auf Nicks Ankunft gewartet.
»Siehst du die Handhaltung des Mannes dort. Das ist eine Mudra.«
»Eine Mudra? Was zur Hölle ist denn bitte eine Mudra?«, fragte dieser dämliche Schulz nach und ermutigte Janus dazu, noch weiter auszuholen.
»Die symbolischen Handgesten von Buddha-Statuen werden Mudras genannt und in diesem Fall handelt es sich um die sogenannte Dhyana Mudra, eine Meditationsgeste, bei der sich der Meditierende in einem Ruhezustand befindet, in dem die materielle Welt gleichgültig wird. Die Gedanken lösen sich vom Bewusstsein des Meditierenden und schweifen ins Unbegrenzte und Unbewusste ab, so dass alles vorstellbar ist und dadurch ein Blick aufs Unvorstellbare möglich wird, das nicht mehr Teil unserer Welt und des Menschseins ist.«
»Hervorragend«, applaudierte Nick und unterbrach Janus in seinen Ausführungen, »das ist ja alles schön und gut, Janus, aber was zum Teufel hat das mit unseren Mordopfern und dem Rätsel des Karma-Killers zu tun?«
Janus und Schulz drehten sich verwundert zu Nick um. Sie hatten Nicks Ankunft am Tatort nicht bemerkt und so wütend wie Janus ihn anstarrte, weil er ihn unterbrochen hatte, wusste Nick, was folgte.
»Kollege Klein«, begann Janus seine Standpauke, »ich weiß ja, dass unsere jungen Kollegen es mit der Pünktlichkeit nicht so genau nehmen, aber wenn Sie schon zu spät kommen, halten Sie gefälligst die Klappe und mischen Sie sich nicht ein, okay?«
Diesen Spielball nahm Nick nur zu gerne auf.
»Bitte, nur zu, erleuchten Sie uns mit ihrer Weisheit über Buddha-Statuen, Janus, ich bin schon richtig gespannt und kann es kaum erwarten.«
Janus hielt inne, ließ sich nur kurz von Nicks Sarkasmus aus der Ruhe bringen und erklärte ihm dann, wie einem kleinen Schuljungen, seine Theorie.
»Buddha nahm diese Stellung ein, wenn er unter einem Feigenbaum meditierte. Der Feigenbaum ist ein Symbol für Fruchtbarkeit, sprich Kinder, was uns zurück zu Wilhelm Tell führt. Dies ist nicht etwa der Sohn Tells, der hier liegt, sondern der Vater Wilhelm Tell höchstpersönlich.«
»Ich verstehe nur Bahnhof, könnte aber auch wieder nur gequirlter Schwachsinn von Ihnen sein, Janus, der sich als Zeitverschwendung entpuppt«, wetterte Nick.
»Kollege Klein, Sie haben jetzt Sendepause und das nächste Mal müssen Sie früher aufstehen und aus dem Bett ihrer Kollegin raushüpfen, dann wüssten Sie vielleicht auch, worum es hier geht und was es mit den Opfern auf sich hat.«
Nick starrte Janus entsetzt an, als hätte er ihn bei etwas Verbotenem erwischt. Er fragte sich, ob Janus von seiner Affäre mit seiner Kollegin Julia Brandt vom Landeskriminalamt wusste, die sie bisher geheim gehalten hatten. Weder Julia noch Nick hatten jemandem etwas davon erzählt. Nicht mal ihre Eltern wussten davon.
Aber warum sollte Janus sonst solche Andeutungen machen, überlegte Nick.
Bevor die Situation hässlich wurde, schaltete sich Schulz wieder ein und stellte sich als Puffer zwischen die beiden Streithähne.
»Bitte fahre fort, Harry.«
»Gut, das Rätsel ist offensichtlich. Die Nachricht besagt, dass ein guter Vater nicht sein eigen Fleisch und Blut trifft oder verletzt. Unser Opfer hier ist aber kein guter Vater, deswegen hat der Pfeil des Mörders ihn direkt ins Herz getroffen und eben nicht nur den Apfel.«
»Okay, soweit kann ich folgen«, rekapitulierte Schulz, der jetzt die Rolle übernahm, die Nick als zweiter Mordermittler hätte ausfüllen sollen, »unser Opfer hat sich an seinen eigenen Kindern vergangen, deswegen hast du die Kollegen zum Haus der Opfer geschickt?«
»Höchstwahrscheinlich ja, das besagt die Inszenierung der Hände des Mannes. Ein Vater weicht von seinen eigentlichen Aufgaben von der bewussten und normalen Welt ins Unvorstellbare ab, in der er Unvorstellbares seinem eigenen Fleisch und Blut antut. Das Gesamtbild spricht für diese These.«
»Aber was ist mit der Frau?«, fragte Nick genervt.
»Die Frau wusste von den Taten des Vaters, wie auch Kriemhild von Siegfrieds Schwäche und Verwundbarkeit wusste. Sie hat aber nichts dagegen unternommen, ihn nicht beschützt und Siegfried somit verraten, so wie die Frau Verrat an ihrem eigenen Kind oder Kindern begangen hat, indem sie ihren Mann nicht aufgehalten hat und ihn gewähren ließ.«
»Das ist totaler Schwachsinn.«
Janus reagierte auf Nicks Kommentar nicht, er holte seelenruhig sein Portemonnaie heraus und hielt Nick einen Zwanzig-Euro-Schein unter die Nase.
»Kleiner, wir brauchen dich hier nicht, geh der Mannschaft mal Kaffee holen! Ich trinke meinen Kaffee schwarz und Birger nimmt einen Caramel Frappuccino. Kannst du dir das merken?«
Nick wollte etwas sagen, diesem Janus seine zwanzig Euro in die Fresse stopfen und ihm sein Scheißgeld bis in den Rachen prügeln, aber auf so eine Reaktion wartete Janus nur.
Janus stand immer noch direkt vor Nick, wedelte mit dem Geldschein vor seiner Nase herum, nur damit Nick ausrastete und Janus als sein Vorgesetzter in seine abschließende Bewertung reinschreiben konnte, dass Nick für den Posten als Leiter der Mordkommission ungeeignet war.
»Nein, so leicht bekommst du mich nicht«, schwor sich Nick.
Er nahm das Geld und verließ den Tatort mit einer Scheißwut im Bauch. Janus widmete sich wieder dem Tatort und dem Rätsel des Karma-Killers, während Schulz sichtlich beeindruckt neben Janus stand und einen unsichtbaren Hut von seinem Kopf zog.
»Chapeau, Harry. Mudras! Wahnsinn! Es ist bemerkenswert, wie gut du dich mittlerweile in den Karma-Killer hineinversetzen kannst.«
»Vierzig Jahre steckt er schon in meinem Kopf, Birger, ich kenne ihn schon fast besser, als ich mich selbst kenne. Es wird endgültig Zeit, dass er wie ich in den Ruhestand geschickt wird und du deinen Reisebus voller Leichen aus deinem Kopf rausbekommst.«
»Dieses Mal erwischen wir ihn, Harry«, Schulz klopfte Janus anerkennend auf die Schulter und winkte die Leichenbeschauer heran, »glaub mir, das habe ich irgendwie im Gefühl.«
Janus schaute sich ein letztes Mal das Rätsel des Karma-Killers an, bevor die Leichen ins Klinikum Duisburg in die Rechtsmedizin gebracht wurden.
Sieben Tage blieben ihm noch, dem Karma-Killer das Handwerk zu legen und ebenfalls seinen Platz in der Kriminalgeschichte einzunehmen.
Danach war Schluss.