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Tagebuch Claudia

Unsere Fummeleien im Dunkel der Tiefgarage, das hatte schon was. Irgendwie pubertär. So heimlich, so verschämt. Und dann immer die Angst, jemand könnte kommen und unser Spiel sehen. Das erinnert mich an meine Träume, in denen ich genau solche Situationen erlebt habe. Sex in der Öffentlichkeit, die Angst vorm Entdeckt-werden.

Seine Küsse waren zärtlich und fordernd zugleich. Seine Hände kräftig zupackend. Jetzt, da ich hier sitze und schreibe, stelle ich mir vor, wie sie mich an allen Stellen meines Körpers berühren, ins Zentrum meiner Lust vorstoßen und mich endlich wieder auf einen Gipfel hinauftreiben, auf dem ich schon so lange nicht mehr gestanden habe.

Wenige Stunden später hatte ich auf WhatsApp eine Nachricht von ihm: »Danke für die schönen Stunden. Ich will mehr von dir! Beim Gedanken an deine Lippen, deinen Duft, wird mir gerade meine Hose wieder zu eng.«

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich weiß noch immer nicht, wohin dieser Weg führen wird, wenn ich mich entschließe, ihn zu gehen. Aber eins weiß ich: Ich will diesen Mann wiedersehen. Nicht nur an seinem Arbeitsplatz, an dem ich ihn gestern überraschte.

Zunächst beschäftigte mich die Frage, was ich anziehen sollte. Die Menschen, die ins Casino gingen, waren sicherlich sehr festlich angezogen. Da musste ich mithalten. Schließlich wollte ich, dass er mich im besten Licht sieht. In meinem Kleiderschrank befand sich, geschützt von einer Plastikhülle, ein schwarzes Paillettenkleid, das ich mir vor Jahren einmal für einen Opernbesuch geleistet hatte. Seitdem hatte ich es nicht wieder getragen. Ob ich überhaupt noch hineinpasste?

Der Stoff war dehnbar, und so schmiegte er sich um meine Brüste, die ich mit einem Push-Up betonte und endete zwei Handbreit über meinem Knie. War das nicht zu kurz? Nein, entschied ich, und suchte meine höchsten Absatzschuhe heraus. Dass meine Beine immer noch – zumindest in blickdichten Strumpfhosen – ansehnlich waren, wusste ich.

Die Haare föhnte ich über eine große Rundbürste, so dass sie mir weich auf die Schultern fielen. Ein bisschen Make-Up – der Lippenstift durfte diesmal auch ein wenig auffälliger sein – und zum Schluss noch mein neues Parfüm hinter die Ohren gespritzt. Als ich mich im großen Innenspiegel des Kleiderschranks betrachtete, war ich zufrieden. Man sah mir meine fünfzig Lenze nicht an. Wie alt Sascha wohl ist? Ich werde ihn bitten, mir sein Alter nicht zu verraten. Ich will nicht wissen, dass er zehn Jahre oder noch mehr jünger ist als ich. Das würde mich nur verunsichern.

Wieviel Geld wollte ich umtauschen? Wieviel war ich bereit, notfalls zu verlieren? Ich setzte mir ein Limit von hundert Euro.

Im hiesigen Casino war ich noch nie. Ich bin zwar oft im Kurpark und gehe dann auch meist am Casino und am Kaiserbrunnen vorbei, ohne es jedoch groß zu beachten. Ohnehin ist das gelbe Gebäude mit den Rundbogenfenstern und dem goldenen Gitter um den Anbau eher unspektakulär. Nicht zu vergleichen mit dem in Baden-Baden, das die Säulen des Kurhauses nebenan aufnimmt und wo ich einmal mit Kollegen zum Spielen war.

Ich parkte im zugehörigen Parkhaus, damit ich bequem mit meinen hohen Absätzen in den Casinobereich kam.

Wie in Baden-Baden musste ich meinen Ausweis vorzeigen; der Mitarbeiter trug etwas in seinen PC ein. Dann gab ich meinen Mantel an der Garderobe ab. Ein Angestellter hielt mir die linke Seite der doppelflügeligen Tür auf, und ich stand bereits im nicht allzu großen Spielsaal. Links standen drei Roulettetische, an zweien wurde gespielt, rechts zwei, wovon einer besetzt war. Hauptsächlich Männer liefen zwischen den Tischen hin und her, setzten mal hier und mal dort. Ich stand unschlüssig herum und fühlte mich nicht wohl. Deshalb ging ich erstmal aufs Klo. Ich durchquerte den Spielsaal, kam durch einen kleinen Raum, in dem ebenfalls Spieltische standen, wie es aussah Black-Jack und Poker, linkerhand schien die Bar zu sein, und bevor es durch eine weitere Glastür ging, sah ich die abwärts zu den Toiletten führende Treppe.

Ich ging die Marmorstufen hinunter und öffnete die Tür, auf der eine Frauenfigur aus Messing angebracht war. Der Vorraum der Toiletten war mit roten Lederhockern ausgestattet und in der Luft hing der Geruch eines Sprühduftes.

Die Kassen waren hinter der Bar vor dem Zugang zum Automatenspiel. Ich wechselte einen Hunderteuroschein. Vor mir standen zwei alte Männer, von denen der eine zweitausend Euro wechselte, der andere zweihundertfünfzig. Ich kam mir fast ein wenig schäbig vor mit meinem Hunderter. Aber der Mann, der hinter der Kasse stand, war nett und versuchte sogar, ein wenig mit mir zu flirten. Das meiste wechselte ich in Zwei-Euro-Jetons, das war die kleinste Einheit.

Weil ich immer noch etwas unsicher war, setzte ich mich auf einen der Hocker an der Bar, die alle noch leer waren. Sascha hatte ich beim Hereinkommen nicht an einem der Spieltische erblicken können. Wahrscheinlich war er gerade in der Pause.

Über den Sesseln und der Couch, alles in Grün, Türkis und Braun gehalten, hing ein Screen, auf dem die Ergebnisse der einzelnen Tische angezeigt wurden. Permanenzanzeige nennt man das, hatte Sascha mir gesagt. Die Decken waren mit verspiegelten Platten versehen, in denen kleine Halogenstrahler eingelassen sind. An den Wänden befanden sich tiefrote, in sich gemusterten Seidenstoffe. Links von der Bar schien der Raucherraum zu sein; auch hier standen ein Roulette- und ein Pokertisch. Hinter dem Raum, abgetrennt durch große Fenster, befand sich das Restaurant.

Ich bestellte mir einen Sekt. Niemand beachtete mich. Niemand sprach mich an oder setzte sich zu mir. Alle schienen nur ihr Spiel im Kopf zu haben. Lediglich das Personal streifte mich hin und wieder mit Blicken, und ich fragte mich, was sie dachten.

Da öffnete sich die Tür gegenüber der Treppe, die zu den Toiletten hinunterführte und eine Gruppe schwarz gekleideter Croupiers betrat den Gang. Sascha war auch dabei, doch er sah mich nicht, weil er gerade in eine Unterhaltung mit dem neben ihm gehenden Kollegen vertieft war. Mein Herz schlug schneller. Der Sekt stieg mir langsam zu Kopf. Der Kontakt meiner Hand mit dem kühlen polierten Stein der Bar beruhigte mich etwas.

Da ich nicht wusste, ob ich das Glas Sekt mit in den Spielsaal nehmen durfte, trank ich es aus, bevor ich mich erhob und so locker wie möglich den Raum betrat. Sascha saß am Kopfende des Französischen Roulettes. Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihn, von dem gerade eine Frau aufgestanden war. Blond mit schwarzem langem Kleid, das ihre Tätowierungen auf der Schulter nicht verbarg. Das Gesicht künstlich gestrafft, die Wangenknochen vermutlich höhergelegt und die Lippen mit Botox aufgespritzt. Das Alter unmöglich zu schätzen, aber die Visage grauenvoll frankensteinmäßig.

Sascha gegenüber saß der Tischchef auf einem erhöhten Sessel, vor sich einen kleinen Bildschirm, auf den er bei Unstimmigkeiten die Kameraaufzeichnung herholen konnte. Ich wunderte mich, wie viele Jetons manche Leute setzten. Vor allem ein kleiner Japaner hörte gar nicht wieder auf, seine Stücke auf Zahlen und mehrfache Chancen zu setzen. Konnte er sich das alles merken? Ich fing klein an. Der Permanenzanzeige entnahm ich, dass vorher fünf rote Zahlen gekommen waren. Deshalb setzte ich auf Schwarz. Die Kugel rollte, der Croupier am Kessel sagte sein »Nichts geht mehr«, trotzdem platzierten noch einige Spieler ihre Jetons und gaben dem Croupier in ihrer Nähe Aufträge. Ich hatte gedacht, dass man danach wirklich gar nicht mehr setzen durfte. Aber anscheinend wurde das hier nicht so ernst genommen. Schließlich blieb die Kugel liegen. Im Fach mit der 21, und die war rot. Auf der Anzeige sah ich, dass dieselbe Zahl schon wenige Spiele vorher gekommen war. Erstaunlich. Mit Wahrscheinlichkeitsrechnung kam man hier wohl nicht weit. Als Sascha mit seinem Rechen, den man hier »Rateau« nannte, die Chips zusammenkehrte, blickte er mich kurz an und lächelte mit den Augen. Er hatte mich also wahrgenommen.

Den nächsten Jeton setzte ich wieder auf Schwarz. Irgendwann musste doch die Farbe wechseln! Aber wieder kam Rot. So langsam verlor ich die Lust. Vielleicht sollte ich mal auf eine andere einfache Chance setzen? Entweder »Pair« (Gerade) oder »Impair« (Ungerade), alternativ »Manque« – das waren die Zahlen von 1–18 oder »Passe« – die Zahlen von 19–36.

Am Fenster neben dem Tisch saß ein weißhaariger Herr, der in ein kleines Buch schrieb. Neben ihm stand ein Glas mit Bier. Im Fensterbrett die Statue einer schlanken Frauengestalt, die Arme vom Körper weggestreckt. Wie eine Tänzerin. Die Fensterscheiben waren mit undurchsichtigen weißen Folien abgeklebt. Über dem Ausgang hing eine Uhr. Immerhin musste man hier nicht die Zeit vergessen.

Die Zeit verging wie im Flug, schon verschwand Sascha in seine nächste Pause. Die Croupiers, die man auch Dealer nannte, wechselten jede Stunde und hatten dann fünfzehn Minuten Pause.

Während er weg war, ging ich noch einmal zur Toilette. Als ich mir die Hände wusch, bemerkte ich, dass ich meinen Ring nicht mehr trug. Siedend heiß fiel mir ein, dass ich ihn vor dem letzten Händewaschen abgezogen und neben das Waschbecken gelegt hatte. Dort lag er nun nicht mehr. Das hieß, entweder hatte ihn eine der wenigen Damen eingesteckt oder eine ehrliche Finderin hatte ihn abgegeben.

Als ich oben am Einlass danach fragte, schüttelte die Frau hinter dem Screen bedauernd den Kopf. Sie wollte aber die Toilettenfrau anrufen. Ich solle beim Verlassen der Spielbank noch einmal nachfragen. Aber ich hatte wenig Hoffnung. Dabei war der Ring ein Geschenk meiner Großmutter zu meiner Konfirmation gewesen. Ich trage ihn nur selten; für jeden Tag ist er mir zu schade, und Anlässe dafür gibt es nicht allzu oft.

In gedrückter Stimmung stellte ich mich erneut neben Saschas Tisch. Eigentlich hatte ich gar keine Lust mehr zu spielen. Doch meine Clutch war noch voll mit Jetons. Ob ich die auch mit nach Hause nehmen konnte? Für das nächste Mal?

Nein, ich würde nicht mit der Tasche voll Jetons nach Hause gehen! Ich würde jetzt erst richtig loslegen. Vorher würde ich mir aber noch einen Sekt an der Bar genehmigen. Vielleicht machte mich das ein wenig lockerer.

Rien ne va plus

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