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Schicksalhafte Begegnung

Es war ein Bankjubiläum gewesen, zu dem ich mit drei meiner Kollegen und dem mobilen Casino nach Frankfurt gekommen war. Im Vorfeld hatte ich schon mit ihr gemailt und telefoniert, denn sie war für die Organisation der Veranstaltung verantwortlich gewesen. An diesem Abend hatten wir uns das erste Mal gegenübergestanden, noch ein paar letzte Details zur Zeitplanung und zum Ablauf des Abends besprochen. Ich hatte sie als Businessfrau wahrgenommen, in ihrem schwarzen Kostüm mit weißer Bluse darunter, der Rock eine Handbreit über dem Knie endend und die Füße in Pumps mit halbhohem Absatz. Sie war größer als ich, was nicht sehr oft vorkam, doch ihre Figur hatte ich nur beiläufig bemerkt. So, wie ich Frauen, die an meinem Tisch spielten, stets beiläufig mit einem raschen Blick wahrnahm. Hatte diese Dame etwas Besonderes an sich, eine Ausstrahlung, auffallend schöne Hände oder einen besonders lasziven Augenaufschlag? Ich war mittlerweile ein Meister im Einschätzen dessen, was sich hinter der aufgehübschten Fassade der elegant gekleideten Frauen verbarg. Einsamkeit? Leere? Sexuelle Unerfülltheit? Manchmal unterhielt ich mich in den Pausen mit meinen Kollegen über die ein oder andere Spielerin, und wir tauschten unsere Vermutungen über deren Leben aus. Welcher Gruppe war sie zuzuordnen: der der gelangweilten Ehefrauen, die das hart erarbeitete Geld ihres Mannes verspielten, um ihn für seine Abwesenheit und Kälte zu strafen? Oder der der Zockerinnen, denen es ein körperliches Kribbeln der Erregung bescherte, wenn sie die Kugel beobachteten, die im Roulettekessel unbeeinflussbar rollte? Es war eine Herausforderung für mich und ein Training meiner Menschenkenntnis. Außerdem machte es Spaß und gab den ansonsten recht gleich verlaufenden Abenden und Nächten eine gewisse Spannung.

Claudia nahm ich zunächst nur als Geschäftspartnerin wahr. Zudem sah ich, dass sie älter war als ich. Wie viele Jahre vermochte ich nicht einzuschätzen, zu oft schon hatte ich mich zuungunsten der Frauen verschätzt. Es gab jene Damen, deren Haut so runzlig und solariumgebräunt war, dass sie Jahre älter aussahen. Jene, die die Falten an ihrem Hals noch mit schwerem Gold- oder Perlenschmuck in den Blick des Betrachters rückten und jene, die das Make-Up so dick auftrugen, dass man die Befürchtung hatte, es würde bröckeln, sollte die Frau ihre Mundwinkel zu einem Lächeln verziehen. Zu all diesen Frauen gehörte Claudia nicht. Nur die Augen, die hinter einer Brille mit breitem braunem Rand wach blickten, waren geschminkt. Auf den Lippen trug sie einen Hauch Lipgloss. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Pagenschnitt geföhnt, dessen vordere Spitzen unter ihrem Kinn endeten.

Wie üblich bei solchen Veranstaltungen hatte es Reden gegeben und ein Buffet. Zwischendurch wurde gespielt. Wir hatten zwei Roulettetische, einen Black-Jack- und einen Pokertisch aufgebaut. Ich war Dealer an einem der Roulettetische.

Als Claudia das erste Mal neben mir stand, spürte ich schon ihre Aura. Und als sie saß, schweifte mein Blick öfter über ihre schwarzbestrumpften Beine, besonders, wenn im Eifer des Gefechts ihr Rock etwas nach oben rutschte. Sie setzte immer auf die gleiche Art: Fünf auf eine Zahl und zwanzig auf Reihen oder Carrés. Auch mal hundert auf Rot oder Schwarz, Gerade oder Ungerade. Es war nur Spielgeld für sie und die anderen. Jeder hatte am Anfang eine bestimmte Summe ausgezahlt bekommen, die er im Laufe des Abends möglichst vervielfachen sollte. Derjenige, der den höchsten Betrag erspielt hatte, war der Gewinner und erhielt einen Preis. Schon beim zweiten Einsatz kam ihre Zahl. Die 19. Sie freute sich sehr. Ein kleiner Jauchzer kam über ihre Lippen. Doch sie wartete sehr diszipliniert, bis ich allen Spielern ihre Gewinne ausgezahlt hatte und ihr zum Schluss den fünfunddreißigfachen Einsatz zuschob.

Irgendwann wollte sie einen Hunderter gewechselt haben, und als ich ihr die Jetons übergab, berührten sich unsere Hände. Ich schwöre, es gab eine elektrische Entladung. Ich sah einen Sekundenbruchteil in ihre atemberaubend grünen Augen und erblickte darin Verheißung.

Später stand sie mir gegenüber auf der anderen Seite des Tisches. Wenn sie sich über den Tisch beugte, um auf eine weiter entfernte Zahl zu setzen, wehte ein Hauch ihres Parfüms zu mir herüber. Doch darunter nahm ich schon ihren Eigengeruch wahr. Und dieser Duft ließ mich nicht kalt, wie ich an meinen körperlichen Reaktionen merkte.

Im Raum war es heiß. Zu heiß. Ich schwitzte in meinem Smoking und unter der Fliege. Deshalb war ich froh, als ich endlich eine Pause machen konnte. Als ich vom Klo zurückkam, holte ich mir einen Kaffee und stand im Foyer herum. Da war auch sie – was für ein Zufall – und kam direkt auf mich zu.

»Na, kleine Pause? Heiß da drinnen, oder?«

Wir redeten Belangloses, über den Abend und über das Roulette. Sie erzählte, dass sie eben schon wieder am anderen Tisch eine Zahl hatte, die 22. Zwei Zahlen in so kurzer Zeit, das war beachtlich. Vielleicht gehörte sie zu jenen Spielern, die intuitiv eine Verbindung zur Kugel oder den Zahlen aufbauten. Dieses Phänomen war mir schon öfter begegnet. Niemand konnte sagen, wie das zusammenhing. Diese Spieler waren in jedem Casino gefürchtet. Besonders, wenn sie, nachdem sie einen hohen Gewinn gemacht hatten, aufhören konnten und mit dem Geld aus dem Casino herausspazierten.

»Haben Sie schon öfter im Casino gespielt?«, wollte ich wissen.

»Ich war einmal vor vielen Jahren in Baden-Baden«, sagte sie. Mehr nicht. Ihre Stimme, die ich schon von unseren Telefonaten kannte, war angenehm. Nicht zu laut, nicht schrill, wie so manche Frauenstimmen, die einem körperlich wehtun können. Es schwang ein Unterton mit, der mich neugierig machte. Was war das für eine Frau? War sie verheiratet? Hatte sie Kinder? Was tat sie in ihrer Freizeit? Ihre schlanken Fingerwaren ringlos. Ganz im Gegensatz zu meinen.

Wieso interessiert dich das?, fragte ich mich später am Abend, als wir bereits mit dem Abbauen beschäftigt waren, und die Mitarbeiter der Bank die gemieteten Räumlichkeiten verlassen hatten. Denn eigentlich hätte es mich nicht interessieren dürfen, da ich selbst seit zehn Jahren verheiratet war. Und nicht nur das, sondern ich war auch Vater einer achtjährigen Tochter. Im Gegensatz zu einigen meiner Kollegen legte ich meinen Ehering auch nicht ab, wenn ich mich an den Roulettetisch setzte. Auch sie musste ihn gesehen haben, denn er ist ziemlich pompös. Gehörte sie zu den Frauen, für die verheiratete Männer tabu waren?

Meine Ehe war weder besonders gut noch schlecht. Sie war gewöhnlich. Durch meine ständigen Nachtdienste sahen wir uns meist wenig. Wenn ich irgendwann am Vormittag aufstand, war meine Frau bereits im Büro, wo sie halbtags als Controllerin arbeitete. Meine Tochter ging in die Schule und anschließend in den Hort. Oft musste ich auch am Wochenende arbeiten; das Casino hatte nur an wenigen Tagen im Jahr überhaupt geschlossen. Meine Frau war einige Jahre jünger als ich, hatte eine gute Figur und sah auch gut aus. Ich konnte mich also nicht beklagen. Natürlich war der Sex nicht mehr so wahnsinnig aufregend, und zugegebenermaßen wollte ich öfter als sie, aber ich kam auf meine Kosten.

Allerdings gab es da diese Fantasien in mir, die mich oft in meinen Träumen heimsuchten. Fantasien von Dominanz und Unterwerfung, von besonderen Spielarten, die ich noch nie mit jemandem ausprobiert hatte. Sicher war es seit Shades of grey nichts Ungewöhnliches mehr, sich zu peitschen, zu fesseln oder sonstwie zu piesacken, doch warich, als ich einmal bei meiner Frau ihre diesbezügliche Meinung hatte erforschen wollen, bei ihr nur Unverständnis und Ablehnung gestoßen.

Vielleicht war das der Grund, warum mir Claudia auch in den nächsten Tagen nicht aus dem Kopf ging.

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