Читать книгу Ebbe und Glut - Katharina Burkhardt - Страница 13

5

Оглавление

Mit Frank an der Seite war das Leben ein einziger Spaß. Sie gingen auf Konzerte, ins Kino, in Ausstellungen. An den Wochenenden tanzten sie bis in den frühen Morgen hinein in Clubs und auf Partys von Freunden. Oft war Mia montags noch völlig verkatert, aber das Gefühl von Lebendigkeit war so überwältigend, dass sie trotzdem gut arbeiten konnte. Frank lebte viel unkonventioneller als Mia ursprünglich erwartet hatte. Sie genoss es, gemeinsam mit ihm in ein intensives, übersprudelndes Großstadtleben einzutauchen.

Frank kannte die halbe Stadt, viele seiner Freunde und Bekannten waren Künstler. Sie machten bei Poetry Slams mit, spielten Musik in winzigen Kneipen oder stellten ihre Bilder in alten Fabrikhallen aus. Die wenigsten von ihnen konnten von ihrer Kunst leben.

Frank arbeitete als Grafiker und Webdesigner und wurde privat immer wieder für Projekte eingespannt, die einen Haufen Zeit kosteten, aber kein Geld einbrachten. Wenn Mia deswegen eine Bemerkung machte, sagte Frank nur leichthin:

»Ach, komm, wir haben doch genug. Und der Boogie braucht unbedingt eine professionelle Internetseite, damit er seine Bilder endlich mal richtig präsentieren kann.«

Seine Freunde hatten sich so schräge Namen wie Boogie, Rocco, Schmiddel oder Frodo zugelegt, und sie waren alle sehr gesellig. Man traf selten einen von ihnen allein an, in der Regel traten sie im Rudel auf und balgten sich ständig darum, wer ihr Anführer sein durfte. Die Rollenverteilung schien jede Woche zu wechseln, aber Rocco Paletti, der als Drehbuchautor arbeitete und tatsächlich davon leben konnte, erkämpfte sich den Rang des Leithundes besonders oft. Er hatte eine schlaksige Figur, bunte Tätowierungen auf den Armen und braune Haare, die er mit viel Gel straff nach hinten kämmte.

Mia mochte Rocco nicht sonderlich. Sie fand, dass er es mit seinem coolen Auftreten deutlich übertrieb. Für ihren Geschmack wirkte er eine Spur zu herablassend und gleichgültig und er bedachte Mia ein bisschen zu oft mit einem anzüglichen, süffisanten Grinsen. Eigentlich stand er auf Männer – aber seine sexuelle Orientierung schien nicht ganz eindeutig zu sein.

»Ist er etwa doch nicht schwul?«, fragte Mia, als sie einmal beobachtete, wie Rocco auf einer Party sehr leidenschaftlich eine Frau küsste.

Frank zuckte mit den Schultern. »Bei Rocco weiß man das nie so genau. Ich glaube, er ist ein Teilzeitschwuler.«

Und ausgerechnet diesen Teilzeitschwulen hatte Frank besonders gern um sich. Also arrangierte Mia sich notgedrungen mit seiner Gegenwart.

Vieles entwickelte sich allerdings genau so, wie Mia es erwartet hatte. Frank brannte darauf, ihre Beziehung schnell in sichere Bahnen zu lenken. Nach vier Monaten zogen sie zusammen, nach weiteren zehn Monaten heirateten sie. Dieser Schritt musste all den Boogies und Roccos unfassbar spießig erschienen sein. Aber keiner von ihnen machte eine abfällige Bemerkung zu ihren Hochzeitsplänen, im Gegenteil, sie freuten sich alle aufrichtig. Vielleicht war Heiraten in ihren Kreisen so exotisch, dass sie es schon wieder toll fanden.

Die Hochzeit verlief dann allerdings wider Erwarten überhaupt nicht so bunt und schrill, wie Franks Freundeskreis vermuten ließ. Mia und Frank wollten möglichst viele Freunde bei ihrer Feier dabei haben und keine Großtanten und Cousins dritten Grades, die sie gar nicht kannten. Mias Familie hatte kein Problem damit, dass nur die engsten Verwandten eine Einladung erhielten.

Bei Franks Eltern sah das jedoch anders aus. Als Mia und Frank bei ihnen zu Besuch waren und über die Einzelheiten der Hochzeit sprachen, wurde Mia klar, dass Frank und seine Eltern Welten trennten.

»Aber Tante Gisela hättest du schon einladen können«, sagte seine Mutter Erika mit leicht beleidigtem Unterton.

»Tante Gisela?« Frank sah sie entsetzt an.

»Ja, Tante Gisela. Die hat all die Jahre so viel für dich getan.«

Frank verdrehte die Augen. »Mutti, das ist ewig her. Ich habe Tante Gisela das letzte Mal bei meiner Konfirmation gesehen, wenn ich mich recht erinnere.«

»Und da hast du dreihundert Mark von ihr gekriegt. Das war damals sehr viel Geld.«

»Das musste ja auch für zwanzig Jahre reichen, danach kam nichts mehr«, knurrte Frank.

Gekränkt presste seine Mutter die Lippen aufeinander und nestelte an der Tischdecke herum.

»Ach komm, Junge«, mischte sich nun Franks Vater Hartmut ein. »Eine Person mehr oder weniger spielt doch keine Rolle.«

»Und wer zahlt das Ganze?«, fragte Frank grimmig.

»Aber Junge, wir unterstützen euch, das weißt du doch.« Erika wechselte hilflose Blicke mit Hartmut und Mia vertiefte sich peinlich berührt in das Blumenmuster der Tischdecke.

Frank stammte von einem Bauernhof in Ostwestfalen. Humor und Toleranz gehörten nicht unbedingt zu den Dingen, die seine protestantischen Eltern auszeichneten. Frank schlug so sehr aus der Art, dass Mia sich fragte, ob er nicht in Wahrheit adoptiert worden war. Bisher hatte sie geglaubt, seine Familie ignorieren zu können. Doch nun begriff sie, dass sie nicht nur Frank, sondern auch seine gesamte Sippe heiratete.

Frank warf ihr genervte Blicke zu. Er fand diese Diskussion komplett überflüssig. »Mir wäre es fast lieber, ihr würdet uns nicht unterstützen, dann könnten wir die Feier so ausrichten, wie wir es wollen.« Mit beinah kindlichem Trotz schob er seine Unterlippe vor.

»Jetzt rede doch keinen Unsinn!« Hartmut Lohmann sah deutlich verstimmt aus. »Man heiratet nur einmal im Leben. Das muss was Ordentliches sein. Und dass ihr das nicht alleine stemmen könnt, ist ja klar.« Er sah Mia an. »Das siehst du doch sicher auch so, nicht wahr?«

Mias Blick flog von Hartmut zu Frank. Sie war natürlich auf Franks Seite. Aber sie wollte ihre zukünftigen Schwiegereltern auch nicht verärgern.

»Ich möchte vor allem ein schönes Fest haben, bei dem ich mich wohlfühle und Spaß habe«, sagte sie diplomatisch.

Franks Unterlippe rutschte noch weiter nach vorne. »Spaß haben wir, wenn wir in Hamburg feiern«, murmelte er.

Erika wechselte einen entsetzten Blick mit Hartmut.

»Sind wir euch nicht gut genug?«, fragte Hartmut verärgert. »Dann lassen wir es doch gleich bleiben. Ihr habt gefragt, ob ihr hier auf dem Hof feiern dürft. Unsere Idee war das nicht.«

Da hatte er leider recht. Und während Erika rot anlief vor Verlegenheit und Empörung über diese unangenehme Diskussion, erreichte Franks Unterlippe fast seine Nasenspitze. Grimmig schweigend ergab er sich in sein Schicksal.

Weil das dörfliche Leben Vorrang vor der protestantischen Enthaltsamkeit hatte, dauerte die Hochzeit tagelang. Die Nachbarinnen kamen zum Kränzewinden und fertigten eine Girlande für das große Eingangstor. Dabei gab es jede Menge Schnaps. Frank wurde von seinen Freunden zum Junggesellenabschied abgeholt und kam erst am nächsten Morgen sturzbetrunken zurück. Zum Polterabend rückte das ganze Dorf an und es floss noch mehr Alkohol. Nach der standesamtlichen Trauung fand ein großer Empfang statt (natürlich nicht ohne reichlich Alkohol) und am Tag der kirchlichen Trauung war Mia bereits so erledigt, dass sie kaum wusste, wie sie diesen Tag (an dem der Alkohol erst recht in Strömen fließen würde) auch noch durchstehen sollte.

Natürlich war Tante Gisela gekommen. Und ein gewisser Onkel Udo. Und noch ungefähr ein Dutzend weitere Verwandte, die Mia und Frank nicht eingeladen hatten.

Tante Gisela war den ganzen Tag missgestimmt. In der Kirche war es zu kalt, das Essen, bei dem Mia sich wenigstens teilweise durchsetzen konnte, war zu exotisch – »Antiwas?« »Antipasti, Tante Gisela.« »Kenne ich nicht. Wieso gibts denn keine Hochzeitssuppe?« –, die Musik nicht nach ihrem Geschmack.

Onkel Udo war bereits abends um sieben so betrunken, dass er sich Mias junger Cousine Sophie vor den Augen seiner eigenen Frau äußerst aufdringlich näherte. Und Ursula, Hartmuts Schwester, erklärte im Laufe des Abends immer häufiger und lauter, Mia würde ihr Eheversprechen gar nicht ernst nehmen – sicherstes Anzeichen dafür: die Braut hatte ihren Mädchennamen behalten.

»So was tut man nur, wenn man Angst hat«, erklärte Ursula und kräuselte ihre Lippen, während sie das Brautpaar misstrauisch beäugte.

Der Teilzeitschwule Rocco beeindruckte hingegen alle Damen über sechzig damit, dass er sich als sehr guter Tänzer erwies und Erika und ihre Schwester Hilde gekonnt zu Walzerklängen über das Parkett wirbelte.

Mias Familie, die nicht halb so trinkfreudig wie Franks Verwandtschaft war, schaute sich das bunte Treiben mit einer Mischung aus Vergnügen und Widerwillen an. Hartmut Lohmann trank seine halbe Sippe unter den Tisch und interessierte sich nicht für all die Nebenschauplätze. Erika Lohmann war peinlich berührt angesichts der Entgleisungen ihrer Verwandtschaft, doch sie bemühte sich um Haltung. Frank verkniff sich die meisten seiner bösen Bemerkungen, und Mia ignorierte einfach alles, was nicht in ihr Bild einer Traumhochzeit passte. Sie war glücklich. Endlich gehörte ihr geliebter Frank ganz ihr.

Ebbe und Glut

Подняться наверх