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Kapitel 5 MAX – 12 JAHRE ZUVOR
Оглавление»Max? Kommst du mal bitte her?« Ich hörte Paps aus irgendeiner Ecke des Hauses rufen und seufzte kurz, bevor ich zurückrief.
»Was ist denn los?«
»Komm halt mal her!«
»Wo bist du denn?« Ich würde jetzt garantiert nicht das ganze Haus nach ihm absuchen, nur weil er mir mal wieder vorhalten wollte, dass irgendwo eine Socke von mir rumlag, meine Schuhe nicht ordentlich im Regal standen oder ich die Spülmaschine nicht eingeräumt hatte. Oder was es eben sonst so an mir rumzunörgeln gab.
»Ich bin in deinem Zimmer.«
WAS?
»Warum?«, schrie ich schon fast hysterisch, sodass sich meine Stimme überschlug, und sprintete dabei den Flur entlang. In meinem Zimmer angekommen, sondierte ich schnell die Lage. In der Ecke stand ein Wäschekorb, in den Paps alles reingeworfen hatte, was zuvor auf dem Boden gelegen hatte. Klamotten, Hefte, meine Hanteln und sonstigen Krimskrams.
»Du sollst hier nicht schnüffeln!«
Paps lachte kurz auf und warf dann einen weiteren Strumpf zielsicher in den Wäschekorb.
»Ob du es mir glaubst oder nicht, ich will gar nicht schnüffeln. Es gibt nämlich Dinge, die ich gar nicht wissen will.« Er kramte mehrere leere Pfandflaschen unter meinem Bett hervor, lief an mir vorbei und stellte sie vor meine Zimmertür in den Flur.
»Aber was machst du dann hier? Geh raus!«
»Wenn ich nicht ab und an mal zumindest grob aufräume, würden hier die Ameisen irgendwann die Herrschaft übernehmen.«
»Jaja.« Ich lehnte mich an meinen Kleiderschrank und beobachtete ihn. Dann schnappte er sich den Staubsauger und begann, meinen Teppich zu saugen.
»Was ist das?« fragte er plötzlich und stellte den Staubsauger wieder aus. Unter meinem Bett zog er einen Schuhkarton hervor. »Der kann weg?«
Verdammt!
Ich sprang auf ihn zu und riss ihm den Karton schon fast grob aus der Hand. Was ich dabei nicht bedacht hatte, war, dass der Deckel nur locker auflag, sich durch den Ruck öffnete und der Inhalt sich auf dem Boden verstreute.
Ich sah das Chaos an und spürte, wie ich rot wurde.
»Was ist denn das?« Paps legte den Staubsauger zur Seite und wirkte belustigt. Und verwirrt. »Ist das Zucker?«
Er bückte sich nach einem der Tütchen und betrachtete es sich genau. Ich nickte zaghaft und begann hektisch, alles wieder in den Karton zu werfen.
»Warum sammelst du Zucker?«
»Ich weiß nicht …« Eilig sammelte ich alles wieder auf und wünschte, dass meine Sammlung noch etwas länger geheim geblieben wäre. Immerhin war das total seltsam. Ich wusste das. Auch Paps griff nach ein paar Tütchen und half mir dabei, alles wieder in den Karton zu befördern. Eine Packung sah er sich etwas genauer an.
»Daran erinnere ich mich. Die ist doch aus der Eisdiele auf Sylt, oder? Wo wir für ein paar Tage Urlaub gemacht haben?«
Ich nickte.
»Ein schönes Andenken. Sammelst du sie deshalb?«
»Ich denke schon.« Nachdenklich blickte ich auf ein blaues Tütchen, auf dem der Name einer Bäckerei gedruckt war. Eine Bäckerei, die es mittlerweile schon gar nicht mehr gab. Stattdessen war dort nun eine Shishabar.
»Das ist doch schön. Muss dir nicht peinlich sein. Als ich die vielen kleinen bunten Päckchen gesehen habe, dachte ich erst, das wäre etwas ganz anderes.« Paps lachte kurz auf. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte.
»Ist es nicht irgendwie schräg? Briefmarken sammeln wäre schon echt peinlich, aber Zuckertütchen? Wenn das jemand aus meiner Klasse wüsste, die würden mich für einen riesigen Freak halten.«
Paps schüttelte den Kopf.
»Nur weil man etwas macht, was sonst keiner tut, ist man doch nicht gleich seltsam. Die meisten Sammler sammeln doch aus nostalgischen Gründen, oder um sich an etwas zu erinnern. Das ist voll okay.«
Ich nickte, sah aber wahrscheinlich nicht ganz überzeugt aus. Ich blickte in die Schachtel, die vor mir auf dem Boden lag, und konnte nichts dagegen tun, dass sich bei dem Anblick ein schönes Gefühl in mir entwickelte. Es waren eben wirklich viele Erinnerungen damit verknüpft. Mit jedem einzelnen Tütchen.
»Max?« Paps stellte sich vor mich und griff nach meinem Kinn, damit ich ihm in die Augen sah. Noch war er um einiges größer als ich. »Wenn du etwas mit Leidenschaft tust, dann schäme dich nicht dafür. Tue, was dir Freude bereitet, und lass dir von niemandem einreden, dass irgendetwas daran seltsam ist. Ich finde die Kiste verdammt cool.«
Ich behielt für mich, dass das meiste, was Paps cool fand, alles andere als cool war. Denn eigentlich war ich in dem Moment einfach nur froh, dass ich mein süßes Geheimnis mit ihm teilen konnte.