Читать книгу Was wir von Quallen lernen können - Katharina Wolf - Страница 9
Kapitel 3
Оглавление»Boah, Henry, ich wusste, dass das ab jetzt seltsam wird. Ich hab’s echt gewusst!« Mike sah mich vorwurfsvoll an und hatte beide Hände in die Hüfte gestemmt.
»Warte doch mal. Ich brauch nur noch ’ne Minute.«
Wir standen bereits seit geraumer Zeit vorm Eingang des Irish Pubs und warteten auf … na ja … darauf, dass ich endlich den Mumm hatte, die Tür zu öffnen. Allerdings war ich so aufgeregt, und mein Herz schlug so schnell in meiner Brust, dass ich nicht wusste, wie ich das schaffen sollte.
Mike und Fatih hatten bereits vor einigen Tagen den Vorschlag gemacht, heute Abend noch auf einen kleinen Drink ins Pub zu gehen. Unter anderem, weil irgendein Champions-League-Spiel lief und die beiden große Fußballfans waren. Ich würde mich nicht gerade als Fan bezeichnen, aber ich kam eigentlich immer gern mit. Ich liebte die Atmosphäre des Pubs und verstand mich mit den meisten Bedienungen echt gut. Es fühlte sich ein wenig wie mein zweites Wohnzimmer an. Deshalb war es mir egal, ob Fußball auf einer Leinwand lief, eine Irish-Folk-Band auftrat, Karaoke-Night war oder eben Pub-Quiz. Ich war einfach gern hier. Nur hatte sich an meiner Situation seit gestern Abend einiges geändert.
Max hatte mir geschrieben, und ich hatte nach einigen Anläufen und einem verzweifelten Telefonat mit Zoya geantwortet. Die Nachrichten mit ihm waren nicht besonders intim gewesen. Wir hatten nur locker hin- und hergeschrieben. Uns über unseren Tag ausgetauscht. Ich würde es ungezwungenen Small Talk nennen. Und am Ende meinte ich, dass ich morgen eventuell im Pub vorbeischauen wolle. Daraufhin hatte er geantwortet, dass er sich freuen würde, mich zu sehen.
Und nun stand ich hier und wischte zum wiederholten Male meine verschwitzten Hände an meiner schwarzen Jeans ab.
»Vor was hast du denn Angst?«, fragte Fatih, der seit seinem Hallo vorhin, als er in Mikes Auto gestiegen war, glaube ich, noch kein Wort gesagt hatte. Seine schweigsame Art machte ihn aus, und ich wusste sie zu schätzen.
»Ich hab gar keine Angst. Höchstens davor, dass mein Körper vollkommen rebelliert, wenn ich ihn sehe, und ich ihn nur anstottere, ein nervöses Zucken am Auge bekomme, ohnmächtig werde oder mich vor Aufregung übergebe. Oder was ist, wenn er mich ignoriert? Wenn das alles nur ein doofer Scherz von ihm war? Und wie sehr können Hände eigentlich schwitzen? Wir haben verdammt noch mal Oktober.« Wieder wischte ich mir meine Handflächen trocken.
»Ach, komm schon.« Mike legte einen Arm um meine Schulter und dirigierte mich zur Eingangstür. »Es war doch so unglaublich mutig von dir, ihm deine Nummer zu geben.«
»Ja, schon …«
»Und du hast echt nichts zu befürchten. Glaub mir. Wir gehen da jetzt rein und du wirst megacool und gelassen sein. Zumindest könntest du versuchen, so zu tun als ob. Und außerdem ist gleich Anpfiff, also …« Er öffnete die Tür und gab mir einen kräftigen Stoß. »Rein mit dir.«
Und schon stand ich im holzvertäfelten und nach Bier riechenden Pub. Wie immer war das Licht gedimmt und fast jeder Tisch war bereits voll besetzt.
Schnell und mit wild klopfendem Herz lief ich zu unserem Stammtisch, den Mike in weiser Voraussicht auch heute reserviert hatte. Ich rutschte direkt auf die Bank, von der aus ich zur Bar sehen konnte, und schnappte mir eine Getränkekarte als Sichtschutz. Fatih gesellte sich neben mich auf die Bank, Mike setzte sich gegenüber auf einen der Hocker.
»Hat er uns gesehen?«, fragte ich flüsternd in die Runde.
»Wenn nicht, kann ich ihn gern rufen und laut auf uns aufmerksam machen«, antwortete Mike nur lachend und winkte der Bedienung. Heute war es nicht Jenny, sondern Jule. Sie arbeitete mindestens schon so lange hier, wie wir Stammkunden waren.
»Hey, schön, dass ihr da seid«, begrüßte sie uns und zündete das Teelicht auf unserem Tisch an. »Was kann ich euch bringen?«
»Ein Kilkenny bitte«, bestellte ich.
»Wir trinken beide Cola, oder?«, fragte Mike in Fatihs Richtung, und der nickte. »Zweimal Cola für uns. Danke.« Mike lächelte Jule an und machte keinen Hehl daraus, dass er schon seit Monaten auf sie stand. Sie schien das nicht zu bemerken. Oder ignorierte es absichtlich. Zumindest tippte sie schweigend alles in ihr Gerät ein und ging dann einen Tisch weiter, an dem zwei Kerle verzweifelt versuchten, auf sich aufmerksam zu machen. Die mussten kurz vorm Verdursten sein, oder nur unglaublich unverschämt. Vorsichtig spitzelte ich über den Rand der Karte hinweg zum Tresen. Max war auch heute wieder mit Anton hinter der Bar. Er lief gerade zu den Shotgläsern und goss irgendeinen Schnaps ein, schnappte sich dann die kleinen Gläser und stellte sie auf ein Tablett. Danach zapfte er wieder Bier. Er schien total in seinem Element zu sein. Jede seiner Bewegungen war fließend. Als würde er hier schon Ewigkeiten arbeiten oder wäre in dem Laden aufgewachsen. Aber soweit ich wusste, hatte er erst vor ein paar Monaten hier begonnen.
Plötzlich hob er seinen Blick und sah direkt zu unserem Tisch herüber. Verstecken brachte nichts und wäre mehr als kindisch gewesen, auch wenn das mein erster Impuls war. Wir saßen immer an diesem Tisch, und außerdem hatten wir ja ein wenig hin- und hergeschrieben. Ich sollte mich also jetzt auch so verhalten. Also so, wie man sich eben als erwachsene Person verhielt, wenn man mit dem Schwarm Telefonnummern getauscht hatte. Ich straffte meine Schultern und erwiderte seinen Blick. Als ich sah, dass er lächelte und mir zunickte, erhob ich zögerlich meine Hand und senkte sie dann schnell wieder.
»Weißt du, wie du gerade aussiehst?« Mike musterte mich mitleidig. »Als wäre dir das alles verdammt unangenehm und als würdest du am liebsten weglaufen.« Ganz unrecht hatte er nicht.
»Ich weiß einfach nicht, wie ich mich verhalten soll«, raunte ich ihm zu.
»Du musst doch nichts tun.«
»Aber ist es denn nicht megadoof und unhöflich, jetzt hier sitzen zu bleiben? Wie verhält man sich denn in meiner Situation normal? Hätte ich direkt zu ihm gehen sollen, um ihn zu begrüßen? Oder ist das dann aufdringlich? Ich bin gerade total überfordert. Bestimmt denkt er, ich bin voll der Depp.«
»Oder er denkt momentan einfach nur daran, wie er schnellstmöglich fünfzig Bier für die ganzen irren Fußballfans hier zapfen kann. Mach dir doch nicht immer so einen Kopf.«
Ich raufte mir die Haare. »Das sagst du so einfach.«
»Du hast doch schon den ersten Schritt getan«, meldete sich plötzlich Fatih neben mir zu Wort. »Vielleicht ist jetzt auch einfach er dran mit der nächsten großen Geste.«
Mike zeigte mit dem Finger auf Fatih.
»Verdammt richtig. Wenn du mal was sagst, dann zum Glück immer was Sinnvolles.«
Ich musste lachen. »Also soll ich mich jetzt zurücklehnen und ihn machen lassen?«, fragte ich meine beiden Freunde.
»Wäre doch mal einen Versuch wert«, meinte Mike. Er konnte das so seelenruhig sagen. Ich befürchtete allerdings, dass ich bei diesem Kerl nur einen Versuch hatte. Und wenn ich nun rüberkam wie ein eingeschüchterter Freak, dann würde er mich höchstwahrscheinlich einfach ghosten und sich dem oder der Nächsten zuwenden.
Trotzdem hörte ich auf Fatihs Rat und blieb sitzen. Nicht weil ich auf die große Geste wartete. Ich wusste nur nicht, was ich sonst hätte tun sollen.
Das Fußballspiel war bis zur letzten Minute recht ereignislos. Was dazu führte, dass ich sehr oft Gelegenheit dazu hatte, Max heimlich bei der Arbeit zu beobachten.
In der Verlängerung überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Es fielen zwei Tore, und es kam zu einem Elfmeter. Im kompletten Pub ging es drunter und drüber. Alle riefen durcheinander, und Mike und Fatih hielt es nicht mehr auf ihren Plätzen. Beide standen vor der Leinwand und fieberten mit. Ich hingegen stopfte mir gerade das letzte Stück meiner Pizza rein. Seit einiger Zeit gab es hier im Pub auch Pizzen und Flammkuchen, da der Chef in einen Pizzaofen investiert hatte. Beste Idee ever. Seitdem hatte sich meine Ernährung nicht wirklich verbessert. Zum Glück sah man es mir noch nicht an.
Ich versuchte mir die fettigen Finger mit der Serviette zu säubern, was mir mehr schlecht als recht gelang. Da gerade eh alle abgelenkt waren und dem Treiben auf der Leinwand zusahen, waren die Toiletten garantiert leer. Also lief ich zum Männerklo ganz hinten im Pub und wusch mir dort die Hände. Der Blick in den Spiegel zeigte mir, dass meine Haare eine Katastrophe waren. Ich trug ja eigentlich fast immer eine Beanie auf dem Kopf. Da es im Laufe der letzten anderthalb Stunden im Pub richtig heiß geworden war, hatte ich sie vorhin abgesetzt. Jetzt klebten mir die Haare am Kopf und ich sah total doof aus. Mit meinen nassen Fingern versuchte ich, sie zu richten, gab aber schnell auf. Ich würde einfach direkt wieder die Mütze aufziehen, sobald ich am Tisch saß.
Als ich aus dem Männerklo heraustrat, hatte sich das Pub erstaunlich flott geleert. Jule kassierte die letzten Anwesenden ab, und überall standen leere Gläser auf den Tischen und auf dem Tresen herum. Fatih und Mike saßen wieder auf ihren Plätzen und wirkten bedrückt. Anscheinend war das Spiel nicht so ausgegangen, wie es sich die beiden gewünscht hatten.
»Hey, du.«
Ich erschrak, drehte mich um und stand plötzlich direkt vor Max. Ich war ihm das erste Mal so nah. Sonst hatte uns immer der Bartresen getrennt. Langsam wanderte mein Blick nach oben und ich sah ihm ins Gesicht.
»Verdammt, bist du groß«, brach es aus mir heraus, was Max zum Lachen brachte und meine Wangen sofort heiß werden ließ. Gott, hatte dieser Kerl ein hübsches Lachen. Mein Kopf musste hingegen knallrot sein.
Er sah mich fast schon schüchtern an und kratzte sich am Hinterkopf. »Findest du?«
»Das ist mir bislang nie aufgefallen.«
Kurz schwiegen wir uns an. O verdammt. Ich musste schnell irgendetwas sagen, damit dieses peinliche Schweigen aufhörte.
»Was …« Wir setzten beide gleichzeitig an und brachen genauso schnell wieder ab. Und dann zeigte er mir dieses Lächeln, bei dem ich am liebsten laut aufgeseufzt hätte. Dieses unglaublich attraktive und strahlende Max-Lächeln.
»Was ich dich fragen wollte: Was machst du am Samstagabend?«
»Nichts«, rief ich fast schon einen Tick zu laut, räusperte mich dann und setzte noch mal in normaler Lautstärke an. »Ich habe, glaube ich, noch nichts vor.«
»Ich arbeite nämlich nur mittags hier bis ungefähr halb acht. Wenn du magst, könnten wir danach ja was essen gehen.«
Ich nickte vollkommen perplex.
»Okay, ähm … holst du mich einfach hier ab?«, fragte er und wieder nickte ich. »Ich reserviere uns dann irgendwo einen Tisch.«
»Klasse.« Zum Glück hatte ich meine Stimme wiedererlangt. Zumindest für ein Wort.
»Ich freu mich.«
»Ja.« Wieder nur ein Wort von mir und dann Stille. Aber dieses Mal war es nicht mehr ganz so unangenehm. Wir sahen uns etwas länger an, als man es vielleicht normalerweise tun würde. Dann wich ich seinem Blick aus und musterte den Boden vor mir. Einfach, weil mich dieser kurze Moment verlegen gemacht hatte.
Verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten und hatte jetzt schon Angst, am Samstag den Mund nicht aufzubekommen. »Ich geh dann mal und ja … bis Samstag dann. Halb acht.«
»Genau, bis dann.«
Ich lief ein paar Schritte rückwärts und versuchte mir seinen Anblick einzuprägen. Für später, wenn ich im Bett lag und mein Verstand mir einreden wollte, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte.
Max. Beide Hände in der Hosentasche. Eine dunkelblaue Jeans, die ihm supergut stand. Das schwarze Poloshirt, das die Barkeeper und Bedienungen hier alle trugen, mit dem The-Green-Leaf Logo auf der Brust. Sein kurzes dunkelblondes Haar war etwas zerzaust und mit seinen warmen braunen Augen betrachtete er mich. Er war so attraktiv und …
O. Mein. Gott.
Ich hatte ein Date mit diesem Kerl!