Читать книгу Was wir von Quallen lernen können - Katharina Wolf - Страница 7
Kapitel 1
Оглавление»Oh Shit, ich hab die Zeit vergessen«, rief ich erschrocken aus und klappte meine Bücher zu. Dabei hatte ich mir den Stoff meiner letzten Literaturvorlesungen nur ganz kurz ansehen wollen. Hektisch blickte ich mich um und klopfte meine Hosentaschen ab. Im Kopf ging ich alles durch, was ich auf keinen Fall vergessen durfte: Geldbeutel, Schlüssel, Autoschlüssel, Handy und natürlich meine obligatorische Beanie, die auf meinem Schreibtisch lag und die ich mir direkt auf den Kopf zog.
In Eile und immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend, polterte ich die Treppe nach unten und schnappte mir meine Lederjacke von der Garderobe. Eigentlich war die für diese Jahreszeit viel zu dünn, aber sie stand mir, glaube ich, ziemlich gut. Ich hatte da andere Prioritäten. Zumindest, bis im Winter die 0 Grad unterschritten wurden. Dann war die Lederjackenzeit leider vorbei.
»Ich bin weg«, brüllte ich in die Richtung, in der ich meine Eltern vermutete. »Ich muss noch Mike und Zoya abholen.«
»Okay, viel Spaß beim Quiz«, riefen Papa und Mama gleichzeitig.
Ich lief zu meinem knallroten Opel Corsa, den ich, aufgrund mangelnder Parkplätze in unserem Viertel, zwei Straßen weiter geparkt hatte, stieg ein und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Auf mein Auto war ich stolz. Es war zwar nur eine gebrauchte Schrottkiste mit extrem vielen leeren Pfandflaschen im Fußraum, aber es war meine vermüllte Schrottkiste, und ich liebte sie.
Zuerst fuhr ich zu Mike, meinem besten Freund, der quasi um die Ecke wohnte, und machte mich mit einem Hupen bemerkbar. Mike schien nur darauf gewartet zu haben, da er in der gleichen Sekunde aus der Haustür stürmte, einstieg und sich auf den Beifahrersitz warf.
»Hi, Henry.«
»Hi. Alles fit?«
»Logisch«, entgegnete er. Mike und ich kannten uns schon eine gefühlte Ewigkeit. Im Gegensatz zu mir war er ziemlich laut und stand gern im Mittelpunkt. Aber das war okay. Ich beobachtete ihn dabei, wie er die Sonnenblende runterklappte und sein Aussehen im Spiegel kontrollierte.
»Können wir los? Oder musst du noch Rouge auflegen?«, fragte ich und konnte mir ein Lachen kaum verkneifen.
»Brauch ich nicht, bin schön genug.«
Und eindeutig auch selbstbewusst genug. Wir fuhren weiter. Nach ungefähr fünf Minuten hielten wir vor dem kleinen Häuschen von Zoyas Familie. Auch hier reichte es zu hupen, und schon kam sie mit hüpfenden Locken herausgestürmt und setzte sich hinter Mike.
»Hey, ihr zwei.«
»Hi, Zoya«, begrüßten wir sie unisono.
»Nächste Woche fahre ich, okay? Dann ist mein Auto auch wieder aus der Werkstatt raus«, sagte Mike.
Ich winkte ab. »Wie du magst, mir macht das nichts aus, und ich weiß ja, wie gern du das eine oder andere Bier trinkst. Und solange du die naturwissenschaftlichen Fragen alle beantworten kannst, darfst du so viel bechern, bis du umfällst.«
»Wie gnädig von dir, Mami.« Mike alberte mal wieder herum. Ich schenkte ihm nur ein Augenrollen.
»Und was geht bei dir?«, fragte ich nach hinten. »Gibt’s was Neues?«
»Du glaubst es nicht«, brach es da aus Zoya heraus. »Ich hab eine richtig alte CD ergattert. Eine Bravo Hits 11. Und jetzt haltet euch fest: Ich hab die für drei Euro dreiundsiebzig auf eBay ersteigert.«
»Schnäppchen«, sagte Mike neben mir.
»Ja! Ich konnte es gar nicht fassen! Die ist aus dem Jahr 1995.«
Zoya war ein riesiger Fan von Neunzigerjahre-Musik. Vor allem, wenn es um Boybands ging, machte ihr niemand etwas vor. Das war einer der Gründe, warum wir beim wöchentlichen Pub-Quiz in unserer Stammkneipe auch ziemlich unschlagbar waren. Jeder aus unserer Truppe hatte Themengebiete, in denen er oder sie sich besonders gut auskannte.
Ich liebte zum Beispiel Fantasygeschichten wie Game of Thrones oder Herr der Ringe und hegte seit meiner Kindheit eine seltsame Faszination für Aquarien und Meerestiere. Wir alle waren Studierende der hiesigen Universität und nannten uns Masterminds. Andere sahen in uns eine Ansammlung von Nerds. Wir waren hingegen einfach nur glücklich, das ganze unnütze Wissen in unseren Köpfen endlich gebrauchen zu können. Das machte uns einen Heidenspaß.
Als wir das Irish Pub The Green Leaf betraten, wartete Fatih, ein weiteres Mitglied unserer Quiz-Truppe, schon an unserem Stammtisch. Wir setzten uns dazu, und noch bevor wir uns begrüßen konnten, stand auch schon Jenny, die Bedienung, die fast jeden Dienstag beim Quiz hier arbeitete, an unserem Tisch.
»Hey, was kann ich dir bringen? Bist du wieder der Fahrer heute?« Jenny kannte uns mittlerweile schon sehr gut.
»So sieht’s aus. Eine Coke für mich bitte.«
»Könnte aber ein bisschen dauern. Irgendwie kamen gerade alle auf einmal. Fühlt sich an, als wäre ein Reisebus voller Trinkwütiger vorgefahren. Unsere beiden Barkeeper kommen kaum hinterher.« Sie tippte auf ihrem Bedienungsgerät herum, das ein wenig wie ein altes, klobiges Handy aussah.
»Ist das so?« Ich drehte mich um und musterte das Treiben hinter der Bar. Und vor allem beobachtete ich Max, einen der beiden Barkeeper. Den Kerl, für den ich seit einiger Zeit schwärmte und der gerade an der Zapfsäule stand und zig Biere zapfte, die die Bedienungen im Akkord wegbrachten. Die größte Aufmerksamkeit schenkte ich dabei seinen muskulösen Oberarmen. »Der ist echt so heiß«, sagte ich leise, sodass es nur Zoya neben mir hörte. Ich ließ meine Augenbrauen anzüglich hüpfen, woraufhin sie mich mit dem Ellenbogen traktierte.
»Du unanständiger Kerl.«
»Bin ich gern, wenn er auf unanständig stehen sollte.«
Mike neben mir prustete los. Ganz so leise waren wir wohl doch nicht gewesen.
»Junge, ganz ruhig. Du hast dich bisher kaum getraut, mehr als drei Worte mit ihm zu wechseln! Vielleicht solltest du erst mal daran arbeiten.«
»Womöglich hast du recht. Der spielt aber eh in einer ganz anderen Liga und ist garantiert hetero. Oder was meint ihr?«
Mike zuckte mit den Schultern.
»Also, ich habe zumindest den Eindruck, dass er hinter der Bar sehr flirty ist. Jedem gegenüber. Aber vielleicht will er auch einfach nur viel Trinkgeld.« Zoya sah ihn nachdenklich an und versuchte ihn wohl zu analysieren. Das konnte sie aber vergessen, das machte ich schon, seit er hier angefangen hatte zu arbeiten. Und zwar mit mäßigem Erfolg. Der Kerl war nicht so leicht zu durchschauen.
Wie konnte man am besten herausfinden, ob jemand auf Männer oder Frauen stand? Einfach fragen war selten eine Option. Oder? Max flitzte von der einen Seite der Bar zur anderen, nahm eine Bestellung entgegen und zapfte dann wieder ein Bier. »Fuck, der könnte glatt ein Hemsworth-Bruder sein. Nur in jünger und vielleicht ein wenig hübscher.«
»Ist er aber nicht, soweit ich weiß. Außer er hat einen anderen Nachnamen angenommen. Er war vorher Kunde hier und arbeitet jetzt seit einiger Zeit bei uns. Er ist nicht sehr gesprächig, dafür macht er aber einen verdammt guten Job hinter der Bar. Der Chef hat einen Narren an ihm gefressen und ihm sogar schon den Schlüssel anvertraut«, meinte nun Bedienungs-Jenny neben uns, die trotz der vielen Bestellungen, die sie gerade eintippte, wohl schnell verstanden hatte, über wen wir sprachen.
Ein ehemaliger Kunde also. Kam er mir deshalb so bekannt vor? Vielleicht waren wir uns ja mal am Tresen oder auf dem Klo über den Weg gelaufen?
»Dann bleibt er uns ja hoffentlich noch erhalten. An den Anblick könnte ich mich nämlich gewöhnen.«
»Ich auch«, raunte Jenny, zwinkerte mir zu und ging dann, um die Leute einen Tisch hinter uns zu bedienen. Am Quiz-Dienstag war immer viel los, und einige der Teilnehmenden waren jede Woche da. So wie wir. Unsere größten Konkurrenten hielten sich an einem Tisch im hinteren Bereich auf. Sie nannten sich die Gummibierbande. Wahrscheinlich sollte der Name lustig sein. Die meisten Mannschaften hatten solche komischen Namen. Da waren die Agatha Quizies, die Quizzly Beers, die Quizzards of OZ und die Pubser … aber die waren alle nicht wirklich gut.
»Ich bestell mir mal ein paar Chips direkt am Tresen«, sagte ich zu Zoya.
»Warte doch, bis Jenny die Getränke bringt. Sie ist eh gleich wieder da.«
»Schon, so kann ich mir aber den Barkeeper etwas genauer ansehen, bevor das Quiz beginnt.«
»Dann bring mir wenigstens ein paar Salt-and-Vinegar-Chips mit«, meinte Zoya lachend. Ich hatte da schon eine Ahnung, warum sie sich so amüsierte. Sie kannte mich zu gut. Ich würde mich eh nicht trauen, irgendeinen Vorstoß zu wagen. Erst recht nicht bei so einem Typen. Ganz abschreiben wollte ich mich allerdings auch nicht. Ich war schüchtern, ja. Aber ich war kein hoffnungsloser Fall. Ich konnte auch anders. Gelegentlich.
Ich setzte mich auf einen freien Barhocker und nahm die Cocktailkarte in die Hand. Die war schön groß, sodass ich mein Gesicht dahinter verstecken konnte. Unauffällig beobachtete ich darüber hinweg das Treiben hinter der Bar. Max war heute nicht allein. Anton, der Barkeeper, der hier schon etwas länger arbeitete, huschte ständig zwischen Kaffeemaschine und Cocktailshaker hin und her. Als er mich erblickte, nickte er mir zu.
»Kann ich dir was bringen?«, fragte er gehetzt.
»Nein danke.« Schnell verkroch ich mich wieder hinter der Karte. Verdammt! Ich wollte doch bei Max bestellen, um wenigstens ein paar Worte mit ihm gewechselt zu haben und vielleicht sogar ein Lächeln von ihm zu erhaschen. Ich schmachtete ihm nun schon seit einigen Wochen aus der Ferne hinterher. Da genoss ich die wenigen Sekunden, in denen ich ihn auch mal von Nahem sah.
»Herzlich willkommen zum heutigen Pup-Quiz«, drang es durch die Lautsprecher. Harry, der grauhaarige Chef des Irish Pubs, saß weiter hinten an einem kleinen Tisch. Vor ihm verstreut lagen die Quizfragen. Das Mikrofon hielt er locker in der Hand. Kurz sah ich mich um, aber meine Freunde saßen alle hoch konzentriert am Tisch und schienen mich gerade noch nicht zu vermissen.
»Die Spielregeln dürften, denke ich, mittlerweile bekannt sein. Zu gewinnen gibt es wie immer einen 25-Euro-Getränkegutschein. Braucht noch jemand einen Stift und einen Zettel für die Antworten?«, schallte es durch das Pub. Niemand meldete sich. »Dann scheinen ja alle versorgt zu sein, und wir starten mit der ersten Frage: Was haben die Entdeckung Amerikas, Viagra, Penizillin und LSD gemeinsam?«
Ich drehte mich um und sah, dass Zoya bereits etwas auf den Zettel schrieb. Also hatte irgendjemand an unserem Tisch wohl die Antwort gewusst. Ich grübelte noch. Was hatten Amerika, Viagra, Penizillin und LSD gemeinsam?
»Zufall«, murmelte der hübsche Barkeeper im Vorbeigehen.
»Was?«, fragte ich, da er gerade vor mir stand und eine Fuhre dampfender Gläser aus der Spülmaschine holte. Er sah mich perplex an, als würde er mich das erste Mal richtig wahrnehmen. Und vielleicht war das tatsächlich so.
»O verdammt, hab ich das laut gesagt?« Er lächelte und fuhr sich mit seiner Hand verlegen durch sein Haar.
»Ja klar. Und das ist genial. Du hast recht. All das wurde nur durch Zufall entdeckt.«
»Verrate mich bloß nicht. Wenn rauskommt, dass ich Gästen Tipps gebe, komme ich in Teufels Küche.«
»Das bleibt unter uns«, sagte ich hinter vorgehaltener Hand, woraufhin er mir zuzwinkerte und wieder zum Zapfhahn lief. Wenn ich es richtig sah, zapfte er ein Guinness. Gott, dieses Zwinkern hatte mein Herz gerade so was von zum Rasen gebracht. Zum Glück war es im Pub immer recht düster. So fiel es hoffentlich niemandem auf, dass meine Wangen glühten.
Schnell ging ich wieder zurück zu unserem Tisch und setzte mich auf meinen Hocker. Ich trank einen Schluck von meiner Coke und bemerkte erst dann, dass Zoya mich missmutig musterte.
»Du hast meine Chips vergessen.« Sie machte einen astreinen Schmollmund.
»Ein Blick von diesem Kerl reicht aus und ich vergesse meinen eigenen Namen.«
»Und meine Chips«, wiederholte sie das Offensichtliche noch einmal. Ich rollte mit den Augen und winkte dann Jenny zu uns, die gerade die Bestellung zum Nebentisch gebracht hatte.
»Kannst du uns bitte zweimal Essigchips bringen?«
»Klaro.«
Wir waren wie immer quasi unschlagbar. Fatih, der Schweigsame in unserer Runde, kam wieder genau im richtigen Moment aus sich heraus. Erst wusste er, dass sich das teuerste Restaurant der Welt in Tokio befand, und dann auch noch, dass Jacques Villeneuve 1997 Formel-1-Weltmeister gewesen war. Er war ein echter Sportfreak und Japan-Fan. Zoya erkannte ein Lied von der Band Worlds Apart, das ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört hatte, und Mike wusste, dass Laverna in der römischen Mythologie die Göttin der Diebe und Betrüger war.
Bei der finalen Frage ging es um die Verfilmung von Der Hobbit. Das war mein Moment! Ich fing an, laut zu jubeln, da das einfach genau mein Themengebiet war. Dabei fiel mir auf, dass beide Barkeeper zu mir sahen und grinsten. Wahrscheinlich, weil sie sich mitfreuten und gute Laune hatten. Vielleicht lachten sie auch weniger mit mir als vielmehr über mich, weil ich gerade das gesamte Pub mit meinem Jubelschrei übertönt hatte. Trotzdem wünschte sich ein kleiner, aber sehr lauter Teil in mir, dass zumindest einer der beiden auch aus anderen Gründen zu mir sah.
Wir gewannen mit knapp zwanzig Punkten Vorsprung und lösten den gewonnenen Gutschein wie fast jede Woche direkt wieder ein. Das Pub hatte sich nach der Verkündung der ersten drei Plätze schnell geleert, und einzig die zahllosen leeren Gläser, die überall auf den Tischen standen, waren Beweis dafür, dass hier vor wenigen Minuten eine Mordsstimmung geherrscht hatte. Ich half Zoya in ihren Mantel und zog mir dann selbst meine Lederjacke an. Mike war noch mal aufs Klo verschwunden, also warteten wir auf ihn, bevor auch wir uns auf den Heimweg machen würden. Mir war es recht. Denn ich nutzte die Zeit und beobachtete den hübschen Barkeeper bei der Arbeit. Natürlich so unauffällig wie es nur ging. Er hatte gerade damit angefangen, die Kaffeemaschine zu reinigen, und Anton, sein Kollege, besprach anscheinend mit ihm, was noch alles zu tun war. Kurz trafen sich wieder unsere Blicke. Zumindest glaubte ich das. Sicher konnte ich mir nicht sein, da ich direkt wegsah und Zoya in irgendeinen unwichtigen Small Talk verwickelte. Verdammt. Mein Herz schlug wild in meiner Brust und meine Ohren fühlten sich heiß an. So wollte ich nicht sein. Wenn ich es nicht mal schaffte, jemandem länger als ein paar Sekunden in die Augen zu sehen, wie sollte ich dann ein ganzes Gespräch führen oder am Ende sogar flirten?
Vielleicht musste ich mir einfach einen Ruck geben. Ins kalte Wasser springen. Ohne etwas zu riskieren, würde ich wahrscheinlich nie jemanden kennenlernen. Es war ja nicht so, als hätte ich Torschlusspanik. Ich war immerhin gerade mal einundzwanzig Jahre alt. Aber in diesen einundzwanzig Jahren war eben auch nicht wirklich viel passiert. Zumindest nicht in Sachen Liebesbeziehung.
Los, Henry, tu es, redete ich mir selbst gut zu und ging dann kurzerhand zu Jenny, die gerade einen Tisch im hinteren Bereich des Pubs abwischte.
»Hauen wir gleich ab?«, fragte Mike und ich winkte ab.
»Einen Moment, muss gerade noch etwas erledigen«, sagte ich an ihn gewandt und sprach dann Jenny an. »Könntest du mir vielleicht einen Kugelschreiber und ein Stück Papier geben?«
»Klar.« Sie fischte einen kleinen Block und einen Stift aus ihrem Bedienungsgürtel und überreichte mir beides.
Schnell schrieb ich meinen Namen und meine Handynummer auf. Mit einem kräftigen Ruck riss ich das Blatt aus dem Block und gab Jenny den Rest zurück. Ich bedankte mich und lief, ohne weiter darüber nachzudenken, an die Theke. Nachdenken wäre jetzt der größte Fehler, denn dann könnte sich mein Hirn in allen Farben, Details und Facetten ausmalen, was schiefgehen konnte. Einfach zur Tat zu schreiten hatte den Vorteil, dass das blöde und unangenehme Gefühl im Bauch ausblieb. Zumindest für wenige Sekunden. Denn viel länger konnte man seine Gedanken ja nicht kontrollieren.
»Hey, du«, rief ich Max, dem Barkeeper, zu. Er drehte sich um, trocknete sich die Hände an einem Tuch ab und kam zum Tresen gelaufen. Zu mir.
»Ja?«
Und da war das Hirn auch wieder voll da und analysierte alles. Die weißen Zähne, den Dreitagebart, das Lächeln, das ein wenig misstrauisch, aber auch unendlich attraktiv war und …
Henry, reiß dich zusammen!
»D-d-d-das w-w-wollte ich dir geben«, stotterte ich mich um Kopf und Kragen und reichte ihm mit zittriger Hand den Zettel. Als er mir nicht schnell genug entgegenkam, beugte ich mich noch weiter über den Tresen und drückte ihm die Notiz einfach zwischen die Finger.
»Was ist da…?« Er kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.
»Also, bis dann«, sagte ich schnell, zog den Kopf ein und verschwand fluchtartig aus dem Irish Pub. Mike, Fatih und Zoya rannten mir hinterher.
»Was war das?«, fragten meine Freunde im Chor.
»Ich weiß nicht«, nuschelte ich in mich hinein.
»Hast du ihm deine Nummer gegeben?« Zoya holte auf und erschien rechts von mir. Sie grinste über beide Ohren. »Wenn ja, bist du der mutigste Mensch, den ich kenne. Vielleicht sogar der mutigste Kerl der Welt.«
»Oder einfach komplett übergeschnappt. Du weißt, dass das unser Stammpub ist. Wehe, du meidest es nun, weil du dich schämst oder so«, drohte Mike links von mir.
»Quatsch ich … na ja, also …« Ich atmete tief durch und bereute jetzt schon den kurzen, übermütigen Moment, den ich gerade gehabt hatte.
O Mann, was hatte ich mir nur dabei gedacht?