Читать книгу Was wir von Quallen lernen können - Katharina Wolf - Страница 12
Kapitel 6
Оглавление»Henry? Magst du echt nichts?«, fragte meine Mama und reichte mir das Glas, in dem kleine Gürkchen in Gurkenwasser schwammen.
»Nein danke. Ich geh später noch aus.«
»Und du, Lissy?« Meine kleine Schwester, die vom einen bis zum anderen Ohr Nutella im Gesicht kleben hatte, schüttelte den Kopf.
»Die sind eklig!«
»Ich zeig dir mal, was eklig ist.« Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, stellte die Frontkamera an und zeigte Lissy ihr Spiegelbild. Sie grinste sich begeistert an, stand dann auf und versuchte mir doch tatsächlich einen schokoladigen Kuss aufzudrücken. Ich gab alles, um sie von mir fernzuhalten, während sie mit aller Macht meinen Pullover als Serviette missbrauchen wollte. Wir rangelten so heftig, dass dabei Getränke überschwappten und wir so laut kicherten und lachten, als wäre das hier nicht das Esszimmer unseres kleinen Einfamilienhäuschens, sondern ein Indoorspielplatz. Plötzlich räusperte sich Papa lautstark. Lissy sprang zurück auf ihren Stuhl und wischte sich den Mund an ihrem Handrücken ab. Mama und Papa verdrehten die Augen. Ich konnte meine kleine Schwester nur angrinsen. Wie man das eben so tat als großer Bruder einer Fünfjährigen. Als Mama ungeplanterweise noch mal schwanger geworden war, hätte ich nie gedacht, dass ich einmal so viel Spaß mit der kleinen Kröte haben könnte.
»Was hast du heute noch vor?«, erkundigte sich Papa und versuchte wohl, die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema zu lenken. Ein Thema, über das ich gerade noch nicht nachdenken wollte.
»Ich treff mich später noch mit jemandem.«
»Mit wem?«, fragte Mama. Ich kaute extralang, um etwas Zeit zu schinden.
»Einer aus dem Pub, kennt ihr nicht.«
»Aha«, entgegnete meine Mama. Ihre Augen sagten aber etwas ganz anderes. Sie schien zu ahnen, dass ich etwas verheimlichte. Aber ich sah keinen Sinn darin, ihnen von meinem Date zu erzählen. Dafür war es noch nicht ernst genug. Meine Mama würde sofort darauf bestehen, Max kennenzulernen, und die Diskussion wollte ich mir heute einfach ersparen. Ich hatte schon viel zu viel Chaos in meinem Kopf.
Schnell trank ich aus, strubbelte Lissy durch ihr blondes Haar und stand auf. »Ich geh dann mal hoch. Hab noch zu tun.« Ich klang, als wollte ich die Aktienkurse checken oder so etwas in der Art. Dabei wollte ich einfach die letzten Stunden vor meinem Treffen mit Max in einsamer Panik verbringen und darüber verzweifeln, dass ich nichts zum Anziehen hatte. Zu viel Klischee? Mag sein.
In meinem Zimmer angekommen, öffnete ich meinen Kleiderschrank, nur um festzustellen, dass der fast leer war. Typisch. Ich sah mich um. Die meisten Klamotten lagen entweder auf meinem Schreibtischstuhl, am Fußende meines Betts oder auf der kleinen Couch, die mehr wie ein besonders großer Wäschekorb aussah. Ich bereute gerade, nicht auf meine Mama gehört zu haben, die mir seit Wochen damit in den Ohren lag, endlich aufzuräumen. Ich war so ein Chaot. Ehrlich. Also durchforstete ich die vielen Haufen und drapierte einige passable Kleidungsstücke auf meinem Bett. Und nun?
Ich griff nach meinem Handy, das ich zum Laden auf meinen Nachttisch gelegt hatte. Ich entfernte das Kabel und rief Zoya an. Hatte ich ihr eh versprochen, aber nun wurde aus dem Anruf eben direkt ein Videocall. Ich brauchte dringend Hilfe.
»Hallo!« Zoya erschien, strich sich ihre dunkelbraunen Locken hinter die Ohren und winkte in die Kamera. »Du sieht megafertig aus.«
»Danke. Das baut mich auf«, sagte ich und seufzte lautstark.
»Was ist los? Was bereitet dir gerade am meisten Kummer?«
Kurz überlegte ich.
»Momentan mache ich mir die meisten Gedanken über meine Klamottenwahl. Ich weiß nicht, wo Max mit mir hingehen will. Es wird doch nicht zu chic sein, oder?« Ich hatte schon so eine Horrorvorstellung davon, in einem edlen Schuppen vollkommen underdressed zu sein. Am Ende würden sie mich ohne Hemd und Lackschuhe gar nicht reinlassen.
»Henry, denk doch mal nach. Wo holst du ihn ab?«
»Vom Green Leaf Pub, nach seiner Schicht«, antwortete ich.
»Siehst du. Meinst du, er wirft sich dann in ’nen Dreiteiler, oder was? Der wird Jeans und sein Poloshirt mit Pub-Logo tragen. Wie immer. Mach dir also keine Gedanken. Du wirst so oder so schicker sein als er.«
Ich nickte. Sie hatte ja so recht, und ich hätte da auch selbst draufkommen können, wenn ich nicht so verstrahlt wäre.
»Was hast du dir zurechtgelegt? Zeig mal.«
Ich drehte die Kamera um und zeigte ihr die Outfits, die auf meinem Bett lagen. »Ich bin für das ganz rechts. Das karierte Hemd mit dem schwarzen Shirt. Das steht dir.«
»Ja, findest du?«
»Klar. Und du magst es auch, sonst hättest du es nicht in die engere Auswahl genommen.« Zoya lächelte mich durch die Kamera an. »Henry, du machst das schon. Der Typ ist auch nur ein Mensch. Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass er vielleicht auch aufgeregt sein könnte?«
»Nein.« Hatte ich wirklich nicht. Warum sollte er auch?
»Siehst du. Da ist der erste Fehler. Du denkst immer, dass du der Einzige bist, der Unsicherheiten hat. Wer weiß, was bei ihm gerade in seinem hübschen Kopf los ist.« Zoya sollte Dating-Coach werden oder so was in der Art. Nur ein paar Minuten Telefonat mit ihr, und ich fühlte mich schon fast gut. Das war ein Wunder.
»Danke, Zoya. Wirklich. Das hat mir sehr geholfen. Ich fühle mich echt etwas ruhiger. Ich bin zwar immer noch ein Nervenbündel, aber ich habe nicht mehr den Drang zu kotzen.«
»Zumindest, bis er dir gegenübersteht«, erwiderte sie lachend.
»Jaaaa!« Ich seufzte. »Dann wird mein Puls mal wieder eskalieren. Aber dagegen gibt es wohl kein Mittel.«
»Wäre auch schade.« Sie zwinkerte mir zu. »Genieß es. Verliebt zu sein ist was Schönes.«
Vielleicht hatte sie ja recht. Auch wenn es sich für mich gerade nicht wirklich schön anfühlte. Eher wie kurz vor einem schlimmen Test in einem Fach, von dem ich keine Ahnung hatte. Ein Date mit Max war wie eine Prüfung in Atomphysik oder Altgriechisch.
»Ich zieh mich dann mal um.«
»Mach das. Mach ein Selfie, wenn du fertig bist, damit ich dir noch ein paar aufmunternde Worte schicken kann.«
»Wird gemacht.«
Wir verabschiedeten uns, und ich war wirklich froh, sie noch mal gesehen zu haben. Nicht nur ihre Worte, auch ihr Lächeln und ihre Art hatten mich beruhigt.
Die nächsten Minuten verbrachte ich mit umziehen, deodorieren und etwas Styling. Ich versuchte meine Haare zu richten, und entschied mich am Ende doch wieder für eine Beanie. Damit musste Max klarkommen. Mich gab es momentan nur mit, so gefiel ich mir einfach am besten.
Ich trottete die Stufen nach unten und blickte noch einmal ins Wohnzimmer. Dort saßen Mama, Papa und Lissy zusammen auf der Couch und sahen irgendeine Quizshow.
»Ich bin dann mal weg. Wird bestimmt später.«
»Okay, pass auf dich auf«, sagte Mama.
»Logisch.« Dann nahm ich meine Lederjacke und einen dünnen Schal von der Garderobe und meinen Haustürschlüssel von der Kommode neben der Tür.
»Tschüss, Riri«, rief mir meine Schwester nach, kurz bevor ich ging. Riri war eines ihrer ersten Worte gewesen, als sie noch ein Baby gewesen war. Nur sie durfte mich so nennen.
»Bis morgen früh«, antwortete ich und schloss die Tür hinter mir. Ich war viel zu früh dran. Das war wieder so typisch. Da ich Angst hatte, zu meinem ersten Date mit Max zu spät zu kommen, verließ ich eine Stunde zu früh das Haus. Ein Mittelding gab es bei mir einfach nicht. Also entschloss ich mich, zu Fuß zu gehen. Mit der Straßenbahn wäre ich innerhalb weniger Minuten am Ziel gewesen. Aber die frische, ziemlich kalte Luft würde dem Durcheinander in meinem Kopf vielleicht guttun. Auch wenn ich mal wieder nicht warm genug angezogen war. Nicht umsonst sagte man ja, dass man einen kühlen Kopf behalten sollte. Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und wählte eine rockige Playlist, die hoffentlich keinen Platz für andere Gedanken lassen würde. Ich vergrub meine Hände tief in meinen Hosentaschen und lief los. Den Bass in den Ohren und die kalte Oktoberluft im Gesicht.
Überpünktlich stand ich vorm Irish Pub und setzte mich auf das steinerne Fensterbrett direkt neben der Tür. Im Pub war es laut wie immer, und ich konnte die Irish-Folk-Musik bis hierher hören. Auf der Straße war, dafür, dass es Samstagabend war, recht wenig los. Aber für die Klubgänger war es wohl noch zu früh. Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach neunzehn Uhr.
»Was machst du denn schon hier?« Da war er. Max. Und ich hatte einen Puls, der echt nicht mehr feierlich war. Er stand mit zerzaustem Haar in der geöffneten Tür und sah so attraktiv aus. »Ich hab dich gerade durchs Fenster gesehen und konnte erst nicht glauben, dass du es schon bist. Du hattest jetzt nicht wirklich vor, noch eine halbe Stunde im Kalten zu sitzen?«
»Eigentlich schon«, gab ich zu.
»Dann bist du morgen erkältet und ich bin schuld. Keine gute Idee. Komm rein und setz dich kurz an die Theke. Ich kann auch gleich Feierabend machen, denke ich.«
»Okay.« Immer noch mit den Händen in den Hosentaschen trottete ich hinter ihm her, betrat das Pub und blieb neben der Bar stehen. Das war nun wirklich eine seltsame Situation. Ich war ja schon öfter hier gewesen. Aber noch nie hatte ich auf Max gewartet, um danach etwas mit ihm zu unternehmen. Bei dem Gedanken daran setzte auch prompt das Bauchkribbeln wieder ein.
»Hey.« Max stand vor mir. Dieses Mal trennte uns wie gewohnt der Tresen.
»Hey«, antwortete ich wenig geistreich und viel zu leise.
»Ich mach schnell die Abrechnung und zieh mich um. Bin gleich wieder da, okay?«
Ich nickte. »Geht klar.« Meine Stimme war nur ein Flüstern. Das musste ich in den Griff kriegen. Ich räusperte mich und nahm mir vor, ab jetzt mal wieder den mutigen Henry rauszulassen. Der, der seine Handynummer an den heißen Barkeeper gegeben hatte. Genau diesen Mut musste ich nun aus mir herauskitzeln, um das Date nicht vollkommen in den Sand zu setzen.
Max ließ mich nicht lange warten. Keine zehn Minuten später stand er schon vor mir in einem simplen schwarzen Pullover und einer Bluejeans. Nicht zu chic und trotzdem chic genug.
»Du siehst gut aus«, sagte ich zu ihm. Einerseits schämte mich für diesen Satz, andererseits klopfte ich mir auf die Schulter.
»Danke.« Sein Lächeln wurde noch breiter. »Du auch.« Was er mit dieser Antwort in mir auslöste, konnte er wohl nur erahnen. Ich hoffte zumindest, dass man es mir nicht zu sehr ansehen konnte. Denn ich hatte gerade das Gefühl, dass mir das Herz aus der Brust springen und wild klopfend auf der Theke landen würde. Nach seinem überraschenden du auch zog er sich seinen Mantel an und wir verließen das Irish Pub. Ob sich seine Kolleginnen und Kollegen wunderten, dass wir gemeinsam gingen? Oder hatte er ihnen vielleicht sogar von unserem Date erzählt? Ich hatte ja keine Ahnung, wie offen er mit seinem Privatleben umging.
»Warum arbeitest du samstags eigentlich nur mittags? Ist abends nicht unglaublich viel los?« Dass ich das Gespräch mit einer Frage begann, hatte ich Mathilda zu verdanken. In unserer Generalprobe hatten wir uns da so einiges überlegt. Sie wäre stolz auf mich gewesen.
»Ach, das ist ganz simpel. Mittags ist Bundesliga, und da ist der Schuppen manchmal sogar voller als abends. Da trifft sich das für mich ganz gut. Dann habe ich auch mal einen Abend frei.«
»Das ist toll.«
»Finde ich auch. Und noch besser ist natürlich, dass auch du heute Abend Zeit hattest.«
Ich könnte ihm jetzt gestehen, dass ich mir zu jeder Tages- und Nachtzeit für ihn freigenommen hätte. Aber das behielt ich mal lieber für mich.
»Und, wo gehen wir hin?« Wir liefen jetzt schon ein paar Minuten eine vielbefahrene Straße entlang, aber ich wusste noch immer nicht, was Max mit mir vorhatte.
»Ich hatte mir heute den Tag über noch überlegt, ob es nicht besser gewesen wäre, dich zu fragen, ob du irgendein Essen nicht magst oder vielleicht sogar allergisch gegen irgendetwas bist. Na ja. Ich hoffe, du magst Sushi, denn hier …« Er zeigte auf einen Laden auf der anderen Straßenseite. »Hier verbringe ich oft meine Feierabende. Lohnt sich wirklich!«
Sushi … na ja. Was sollte ich nun dazu sagen?
»Ja, klasse«, brachte ich heraus und war somit nur halb ehrlich. Ich freute mich darüber, dass er mir einen Ort zeigen wollte, den er mochte und wo er viel von seiner Freizeit verbrachte. Allerdings hatte ich eine große Abneigung rohem Fisch gegenüber. Eigentlich mochte ich Fisch auch sonst nur in Fischstäbchenform. Aber konnte ich bereits beim ersten Date zugeben, was für ein Banause ich war? Ich haderte mit mir, blieb aber vorerst still. Typisch.
Wir überquerten die Straßenseite und betraten das kleine Restaurant. Dort sprach Max kurz mit einem Herrn, der uns dann zu einem Tisch brachte. Der Laden war sehr voll, es war also eine gute Idee von Max gewesen, vorher reserviert zu haben.
»Wenn ich manchmal nach meiner Schicht hier bin, also so um zwei Uhr nachts oder so um den Dreh, dann ist nicht so viel los.«
»So spät haben die noch auf?«
Er nickte. »Das Restaurant hat fast durchgängig geöffnet. Es gibt einige Schichtarbeiter, die hier oft essen gehen. Vom benachbarten Hotel, zum Beispiel. Und der Bahnhof ist ja auch in der Nähe. Das hat sich wohl mittlerweile herumgesprochen, dass man hier immer etwas Leckeres zu essen bekommt.«
»Anscheinend.«
Der Herr von eben brachte uns eine Karte und fragte direkt nach, ob wir schon etwas zu trinken mochten. Max bestellte Wasser und ich eine Cola.
»Du trinkst eher selten Alkohol, oder?«, fragte Max interessiert.
»Ich bin, wenn ich mit meinen Freunden unterwegs bin, oft der Fahrer. Und ich vertrage auch nicht wirklich viel. Wenn ich jetzt hier was trinken würde, hätte ich die Befürchtung, dass nur noch Müll aus meinem Mund kommen würde. Und ich möchte eigentlich einen guten ersten Eindruck machen.«
»Den guten ersten Eindruck hatte ich bereits, sonst hätte ich dich nicht eingeladen.«
Mein Herz. Ich senkte meinen Blick und hoffte, dass meine Ohren nicht so rot waren, wie sie sich anfühlten. Nicht die Maserung des Tischs anstarren, hallten Mathildas Worte plötzlich durch meinen Kopf. Also sah ich Max schnell wieder in die Augen. Zum Glück kam in dem Moment eine Bedienung und brachte uns unsere Getränke. So hatte ich etwas, an dem ich mich festhalten konnte.
»Wie bist du denn darauf gekommen, mir deine Nummer zu geben? Ich war wirklich überrascht.« Max hatte die Ellenbogen auf dem Tisch und sein Gesicht in den Händen abgelegt. Er hatte definitiv kein Problem mit Augenkontakt, oder damit, ein Gespräch am Laufen zu halten.
»Ach … Das war das Ergebnis eines wochenlangen Kampfes mit mir selbst.«
»Wie? Erzähl!«
»Na ja, du bist mit natürlich schon eher aufgefallen, und ich habe lange mit mir gerungen und überlegt, was ich tun könnte. Und am Dienstag war es dann einfach so weit. Da hab ich es einfach getan und es danach direkt bereut.«
»Warum das denn?«
»Ich wusste ja nicht, wie du reagierst oder na ja … ob du hetero bist«, gab ich leise zu.
»Ich bin bi, und ich habe mich wirklich gefreut. Auch wenn ich erst mal gefühlt zehn Minuten auf den Zettel gestarrt habe. Das hat mich wirklich total kalt erwischt.« Er lachte.
»Du bekommst doch bestimmt viele Angebote, oder? So wie du aussiehst, und dann noch der Job an der Bar … also, ich stelle es mir zumindest so vor, dass da viel geflirtet wird und so.«
»Angebote bekomme ich schon manchmal, aber die sind selten so charmant.«
Dieses Lächeln würde mich irgendwann noch niederstrecken. Ich würde gern laut aufseufzen, so attraktiv war dieser Mann.
Wir bestellten unser Essen. Und da ich mich mit Sushi nicht auskannte, orderte ich einfach das Gleiche wie Max. Eine gemischte Platte mit allerhand Maki und Nigiri … was auch immer.
»Erzähl mal von dir, was machst du so?«, fragte Max, und ich war froh, dass er so unglaublich talentiert darin war, das Gespräch am Laufen zu halten. Das würde den Abend garantiert retten und nahm etwas den Druck von mir.
»Ich studiere Germanistik und Anglistik. Ansonsten bin ich – wie du vielleicht schon festgestellt hast – ein großer Quiz-Fan.« Kurz überlegte ich, was sonst noch interessant an mir war. »Ich wohne noch zu Hause bei meinen Eltern und habe eine kleine Schwester. Meine Lieblingsfarbe ist Rot, obwohl man mir das nicht wirklich ansieht, weil ich fast nur schwarze Kleidung besitze. Aber die steht mir einfach besser. Finde ich zumindest.«
Max nickte. Also schien er mir in dem Punkt zuzustimmen.
»Ich liebe Meerestiere. Nicht als Essen. Ganz und gar nicht. Die Tiere an sich finde ich furchtbar faszinierend. Vor allem Quallen haben es mir angetan. Und mein Lieblingsessen ist …«, nachdenklich starrte ich an ihm vorbei auf einen imaginären Punkt, »… ich glaube, Lasagne oder Russischer Zupfkuchen. Je nachdem, ob mir der Sinn nach süß oder herzhaft steht.«
»Wow.« Das war das Einzige, was Max herausbekam.
»Was?«
»Na ja. Dafür, dass du sonst recht wenig sagst, war das ja gerade ein richtiger Wortschwall.«
Sofort glühten mir die Ohren.
»Das hat mich jetzt wirklich beeindruckt. Taust du etwa langsam auf?«
»Vielleicht.«
Dann kam wieder der Kellner und brachte uns zwei Platten, gefüllt mit verschiedenen Sushi-Sorten, einer grünen Paste und brauner Soße. Bestimmt Sojasoße.
»Guten Appetit«, sagte Max, nahm ein wenig von der grünen Paste und mischte sie mit Sojasoße. »Ich weiß, dass man das eigentlich nicht tun sollte. In Japan würden sie mich wahrscheinlich hochkant rauswerfen.«
Aha. Was sollte ich mit der Information nun anfangen? Misstrauisch betrachtete ich erst seinen und dann meinen Teller. Überfordert, wie ich war, griff ich nach den Essstäbchen, mit denen ich zum Glück nicht ganz so ungeschickt umging, nahm ein wenig von der grünen Masse und leckte sie ab.
»O heilige …« Mir verschlug es die Sprache. »Damit hab ich nicht gerechnet.« Ich fächerte mir Luft zu und trank dann gierig von meiner Cola.
»Das ist Wasabi, wusstest du das nicht?«
Ich kam nicht wirklich dazu, zu antworten, da ich mit Trinken beschäftigt war. »Hast du noch nie Sushi gegessen?«
Ich schüttelte den Kopf. Und da ich nicht einfach nur schweigen und schwitzen wollte, ergänzte ich noch mühsam ein paar Worte.
»Ich wollte nichts sagen, aber ich hab eine totale Abneigung Fisch gegenüber. Und roher Fisch ist noch schlimmer. Aber ich wollte zumindest probieren und konnte ja schlecht ahnen, dass es dazu grüne Höllenglut als Dip gibt.«
»Okay. Das ist schade.« Max war das Ganze anscheinend unangenehmer als mir. Was eigentlich nicht sein konnte, da ich gerade im Erdboden versank. »Ich habe eine Idee!« Er nahm seine Stäbchen und begann damit, ein paar meiner Sushiröllchen vom Teller zu klauen. Nicht dass ich traurig darüber war, aber es wunderte mich schon sehr. Doch dann nahm er einige seiner Maki und legte sie wiederum auf meinen Teller.
»Was machst du?«
»Schau.« Er zeigte mit seinen Stäbchen auf meinen Teller. »Die hier sind mit Gurke, die da mit Avocado und das hier ist, glaube ich, mit einer Ei-Füllung. Den Fisch übernehme ich. Klingt das okay?«
Ich konnte nicht anders, als ihn anzugrinsen. »Danke.«
»Und nächstes Mal entscheidest du, wohin wir gehen. Nicht dass ich in noch ein Fettnäpfchen trete.«
Er hatte nächstes Mal gesagt. Wir würden uns also wiedersehen. Das klang fast zu schön, um wahr zu sein. Es beruhigte mich, dass ich es also zumindest bis jetzt noch nicht komplett verkackt hatte. Den Rest des Abends würde ich auch noch irgendwie hinbekommen.
Sushi konnte lecker sein. Das war meine Erkenntnis des Abends. Die mit Gurke mochte ich am liebsten. Aber vielleicht lag es auch gar nicht am Sushi, sondern eher an meiner netten Begleitung. Max war so charmant. Ja, das Wort passte tatsächlich am besten zu ihm. Er interessierte sich sehr für mich, stellte mir viele Fragen über mich, meine Familie und meinen ganzen Alltag, und er war ein verdammt guter Zuhörer. Und da er das Gespräch am Laufen hielt, gab es auch keine peinlichen Schweigemomente. Max übernahm sogar die Rechnung. Ich protestierte zwar, aber er ließ sich nicht davon abbringen.
Danach begaben wir uns noch auf die Suche nach einer Nachspeise und konnten in einem Café ein paar Straßen weiter zwei Coffee to go ergattern. Max bezahlte auch den Kaffee, obwohl ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Daraufhin orderte ich aus Trotz und Protest noch zwei Muffins, damit ich ihn an diesem Tag wenigstens auch zu einer Kleinigkeit eingeladen hatte.
»Du trinkst deinen Kaffee mit Zucker?«, fragte ich, als ich Max dabei beobachtete, wie er in einen Korb griff, in dem Zuckertütchen lagen. Ich wusste nicht warum. Aber es erschien mich wichtig zu wissen, wie er seinen Kaffee am liebsten mochte. Das könnte für die Zukunft nur von Vorteil sein.
»Nein. Meistens sogar schwarz.«
Kaffee schwarz. War gespeichert. Ich goss reichlich Milch in meinen Kaffee und drückte den Plastikdeckel wieder auf den Becher.
»Nimmst du den Zucker dann für schlechte Zeiten mit?«
»Ach so, das.« Er grinste mich an. »Das ist nur so eine Angewohnheit von mir. Weiß gar nicht, wann das angefangen hat. Aber an manche Tage will ich mich einfach auch später erinnern, und das ist quasi mein Andenken daran.« Er hob das Tütchen hoch und ich betrachtete es etwas genauer. Es war nichts Besonderes. Auf der einen Seite war es blau und mit weißen Buchstaben stand der Name des Cafés geschrieben. Die Rückseite war lila und machte Werbung für einen Sexshop um die Ecke.
»Interessante Kooperation«, stellte ich fest und musste kichern.
»Kaffee und Kondome. Beides ungefähr gleich wichtig«, meinte Max daraufhin.
»Nur komm ich ohne das eine nicht aus dem Bett, und ohne das andere bekommt man mich nicht rein.« Ich ließ die Augenbrauen hüpfen und brachte uns damit beide zum Lachen. Während ich mich noch fragte, woher meine Schlagfertigkeit plötzlich kam, schnappten wir uns die Pappbecher und liefen weiter. Hin und wieder biss einer von uns in seinen Muffin, und selbst der schmeckte besser als sonst. Was war das bitte für ein Abend? Sogar das Wetter war erstaunlich mild, sodass unser Spaziergang mehr als angenehm war. Und tatsächlich hatte Max es geschafft, mir fast meine komplette Nervosität zu nehmen. Den ganzen Nachhauseweg erzählte ich ihm von meinem Studium. Von Mike, Zoya und Fatih, meinen besten Freunden. Und natürlich von unseren Quiz-Erfolgen. Max schien mir gern zuzuhören, und als ich auf das The Green Leaf zu sprechen kam, blühte auch er auf. Der Job war anfangs für ihn nur eine Notlösung gewesen, um Geld zu verdienen. Aber mittlerweile liebte er die Arbeit, seine Kollegen und den ganzen Laden einfach.
»Es ist verdammt anstrengend. Die Arbeitszeiten sind alles andere als praktisch. Immerhin hat man immer dann frei, wenn alle anderen arbeiten, und andersrum. Aber es macht so viel Freude. Und am Ende deiner Schicht weißt du, was du geleistet hast. Meistens vor allem, weil dir jeder Knochen im Körper schmerzt.« Max lachte. »Und es ist alles andere als einfach. Viele denken wahrscheinlich, dass es nicht mehr ist als Bier einschenken. Aber es ist so viel mehr.«
»Ich würde mir niemals rausnehmen zu behaupten, dass der Job leicht sei. Allein dass man immer und zu jedem freundlich sein muss ist doch anstrengend. Ich wäre auch nicht schlagfertig genug oder überhaupt dazu in der Lage, mit jedem Small Talk zu führen. Du glaubst nicht, wie viel Angst ich hatte, dass wir zwei uns heute nichts zu sagen haben und uns anschweigen.« Ich schüttelte ebenfalls lachend den Kopf.
»Dafür hat es doch ganz gut geklappt, findest du nicht?« Er stupste mich mit der Hüfte an und brachte mich damit zum Grinsen.
»So …« Ich blieb abrupt stehen, als wir plötzlich vor meiner Haustür standen. »Hier wohne ich.« Der Weg von der Innenstadt zu unserem Häuschen war keineswegs kurz. Aber mit Max war die Zeit wie im Flug vergangen. Und nun? Wie genau lief eine Verabschiedung nach dem ersten Date ab? Gab es dafür einen Knigge? Ich persönlich hatte das Gefühl, dass wir über einen Handschlag oder ein High Five hinaus waren. Aber war es schon Zeit für einen Kuss? Gab es etwas dazwischen? Und was wollte Max? Dieses Gedankenkarussell bewirkte zumindest eines: All meine Schüchternheit war mit einem Schlag wieder da. Wir standen uns gegenüber und ich fühlte mich noch kleiner, als ich in seiner Gegenwart eh schon war.
»Ja, ähm. Das ist unser Haus. Meine Eltern schlafen sicher schon. Das da oben ist mein Zimmer«, erwähnte ich leise, zeigte auf das dunkle Fenster, das wahrscheinlich für ihn genauso aussah wie jedes andere gottverdammte Fenster in der kompletten Straße. Nervös wippte ich von einem Bein aufs andere.
»Schön«, sagte er und war nun plötzlich genauso wortkarg wie ich.
»Dann treffen wir uns bald mal wieder?« Ich hatte irgendwie Angst vor der Antwort. Der Abend war wohl einer der besten gewesen, die ich seit Langem verbracht hatte. Aber es konnte ja trotzdem sein, dass Max das vollkommen anders sah.
»Wenn du das möchtest.«
»Gern.« Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Dann kam Max einen kleinen Schritt auf mich zu und beugte sich ein wenig nach unten. Näher zu mir. Mein Herz drohte stehen zu bleiben. Würde er? Er würde doch nicht …? Und gerade in dem Moment, als ich die Augen schließen wollte, spürte ich einen hauchzarten Kuss auf meiner Wange. Einen kurzen Augenblick später entfernte er sich auch schon wieder und lächelte verlegen. Und man sah Max nicht oft verlegen. Dafür war er viel zu groß, selbstsicher und attraktiv. Diesen Anblick musste ich mir merken. Max konnte richtig süß sein.
»Ich schreibe dir, ja?«
»Ja«, hauchte ich. Dann lief Max ein paar Schritte rückwärts, ohne den Blick von mir abzuwenden. Erst nach ein paar Metern drehte er sich um und ging. Ich sah ihm nach, bis er an der nächsten Kreuzung abbog. Seufzend ließ ich den Kopf in den Nacken fallen. Wow! Einfach nur wow!
Ich griff nach meinem Haustürschlüssel, drehte ihn vorsichtig im Schloss und betrat mein Zuhause. Alles war dunkel und still. Leise zog ich Jacke und Schuhe aus und lief dann auf Zehenspitzen nach oben in mein Zimmer. Dort warf ich mich auf mein Bett, starrte an die Decke und ließ den Abend noch mal Revue passieren. Was für ein schönes Date. Meine Sorge, dass ich alles verhauen würde oder wir uns einfach nur peinlich anschwiegen, war unbegründet gewesen. Und das war nicht ausschließlich Max’ Verdienst. Ich hatte mich nicht schlecht gehalten. Und das Beste: Wir würden uns wiedersehen.
Ich war so gespannt, wie sich das mit uns entwickeln würde.