Читать книгу Spiegelfluch & Eulenzauber - Kathrin Solberg - Страница 8
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Anthea
Venetien, südlich der Alpen
Das Haus der Zauberin stand auf einer Lichtung inmitten eines Buchenwalds. Die Mauern waren aus grauem Naturstein, das Dach überwuchert mit Gräsern und Moos. Farn spross an der Nordseite und ein Kräutergarten wartete hinter einer Mauer.
Nichts und niemand regte sich. Es gab keine Vögel, die Fensterlöcher klafften dunkel unter dem Dach und der Regen hatte eine Pfütze vor der niedrigen Haustür hinterlassen. Hätte die Sonne geschienen, hätte der Ort vielleicht freundlicher gewirkt. Aber der Himmel blieb bedeckt und das trübe Licht lag wie ein Schleier zwischen den Bäumen. Es roch nach nasser Erde, nach Pilzen und verrottendem Laub.
Ich schickte einen Gedanken an den Wolf an meiner Seite. Einladend.
Auch nicht schlimmer als die Schlupfwinkel der anderen Zauberer, antwortete Matej.
Stimmt.
Über die Jahre hatten wir Dutzende Taschenmagier, Seherinnen und Fluchbrecher aufgesucht. Einmal trafen wir sogar eine Alchemistin, die für die Medici gearbeitet hatte, bis die Inquisitoren zu neugierig geworden waren. Begegnungen mit Hexen und Zauberern sollten mich also nicht mehr beunruhigen. Mein Kopf wusste das. Trotzdem hatte ich eine Gänsehaut.
Unter dem Dachfirst des Hauses hingen Windspiele aus Federn, Holz und Knochen, die leise im Wind klapperten.
Bis du dir sicher, dass wir hier anklopfen wollen?, fragte ich Matej.
Sie soll eine von der gutmütigen Sorte sein, sagte er. Warum zögerst zu?
Ich hatte angefangen, an meiner Unterlippe zu kauen. Als ich das bemerkte, ließ ich es sein. Ich weiß es nicht genau, gab ich zu. Ich habe ein komisches Gefühl.
Grezzana war das eigentliche Ziel unserer Reise in den Norden gewesen. Wir hatten dort einen Krämer getroffen, der unter dem Tisch mit okkulten Gegenständen handelte. Als er hörte, wonach wir suchten, hatte er uns den Hinweis gegeben, dass in den Wäldern über dem Ort eine Zauberin lebte.
Wenn ihr nach einem magischen Spiegel sucht, dann solltet ihr zur Barbagianna gehen. Sie kennt sich mit Zauberglas aus.
Ich fuhr mir mit der Zungenspitze über meine Unterlippe, ließ das Haus aber nicht aus den Augen. Matej nahm meine Bedenken ernst und das wusste ich zu schätzen. Die Barbagianna war der erste hilfreiche Hinweis seit Monaten. Wir konnten diese Spur nicht ignorieren. Also, was stimmte nicht mit mir? Nichts, was ich in Worte fassen konnte. Da war nur diese Ahnung, dass wir uns hier an einem Kreuzweg befanden. Wenn wir die Schwelle dieses Hauses überquerten, dann würde sich unser Leben ändern. Zum Besseren? Zum Schlechteren? Wenn ich das bloß wüsste.
Matej meldete sich zu Wort. Wir müssen keinen Handel mit ihr eingehen, wenn uns das, was sie anbietet, nicht gefällt.
Stimmt, gab ich zu. Wenn sie sich überhaupt auf einen Handel mit uns einlassen will. Viel haben wir nicht einzutauschen.
Das stimmt auch. Diesmal war es Matej, der zögerte. Es ist keine gute Idee, mit Zaubervolk zu sprechen, wenn man leere Taschen hat.
Ganz so schlimm ist es auch wieder nicht, sagte ich. Wir werden ihr schon keine Lebensjahre verkaufen müssen.
Matej schnaubte. Ein paar von meinen kann sie gern haben.
Ich wollte ihm widersprechen, als über unseren Köpfen eine Stimme fragte: »Braucht ihr noch lange?«
Erschrocken wirbelten wir herum. Auf einer Anhöhe hinter uns stand eine Buche, die sich mit ihren Wurzeln an einen Felsen klammerte. Auf diesem Wurzelgewirr hockte eine kleine, mollige Frau, deren graue Haare mit Federn und Holzperlen durchflochten waren. Sie kauerte auf den Fußballen, hatte die Arme auf den Oberschenkel verschränkt und musterte uns mit interessiertem Blick.
»Ich will euch ja nicht drängen«, sagte sie, »aber bei dem Wetter würde ich mich ganz gern in meine trockene Stube zurückziehen. Werdet ihr euch bald entscheiden, ob ihr mich besuchen wollt oder nicht?«
Hast du sie nicht gehört?, fragte ich Matej. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Wie hatte sie uns so überrumpeln können?
Nein, erwiderte er, und ich spürte, dass auch er beunruhigt war.
Wie kann das sein?
Ich weiß es nicht. Dann antwortete er verblüfft: Sie hat keinen Geruch.
Die Barbagianna seufzte und erhob sich. Sie trug eine löchrige Strickjacke über einem braunen Kleid, dessen Saum mit einer Borte aus Stickereien verziert war. Um ihre breite Hüfte schlang sich ein Gürtel, an dem ein Dutzend lederne Beutelchen baumelte. Sie verschwand kurz hinter dem Baum, dann kam sie hinter dem Felsen hervor und trat uns gegenüber. Sie stützte sich auf einen knorrigen Stab, ganz wie die Hexen auf den Kupferstichen, die ich in der Bibliothek von San Giacomo gesehen hatte.
Matej machte einen Schritt nach vorn und stellte sich zwischen mich und die Zauberin.
»Es ist sehr unhöflich, im Beisein einer Person über ihren Geruch zu reden.« Barbagianna verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. Eine Linie von tätowierten Monden in verschiedenen Stadien zog sich zwischen ihren Brauen hinauf bis in die Mitte ihrer Stirn. »Natürlich ist es auch nicht nett, es in ihrer Abwesenheit zu tun. Aber da bekommt sie es wenigstens nicht mit.«
Sie versteht uns, sandte ich entsetzt.
»Dich ein wenig«, erwiderte Barbagianna, als hätte ich direkt zu ihr gesprochen. »Er ist schwieriger. Nun?« Sie hob eine Braue. »Seid ihr hier, um mit mir ein Geschäft abzuschließen oder nicht?«
Matej drehte sich zu mir um und sah mich abwartend an. Auch wenn er seine Gedanken im Beisein der Zauberin zügelte, spürte ich, wie sehr er diese neue Chance ergreifen wollte. Damit war die Entscheidung auch für mich getroffen. Ich nickte.
Barbagianna stieß ein schnaubendes Lachen aus. »Gut, dann kommt mit.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging mit schwerfälligem Schritt auf das Haus zu.
Die Hütte der Barbagianna war bis unter das Dach gefüllt mit den Werkzeugen ihres Handwerks: Kräuterbündel hingen in dichten Reihen von den Balken, Tontöpfe füllten Regale, Bücher stapelten sich auf einem Tisch an der Wand und dazwischen standen Gläser, aus denen entweder Gartenblumen oder Vogelfedern herausragten. In einem Kamin glomm ein Kohlenfeuer und eine Handvoll Kerzen brannte in gusseisernen Ständern. Es hätte das absolute Chaos sein können, aber stattdessen schien jeder Kupfertiegel und jeder Kristall seinen Platz zu haben.
Kurz nachdem wir die Hütte betraten, tauchte eine junge Frau aus einem Hinterzimmer auf. Sie war schlank, ein wenig größer als ich, und hatte lange schwarze Haare, die ihr glatt über die Schultern fielen. Der einzige Schmuck, den sie trug, waren ein paar weiße und goldbraune Federn, die sie in eine ihrer dunklen Haarsträhnen geflochten hatte. Als sie uns sah, hob sie fragend die Brauen.
»Kundschaft«, erklärte Barbagianna und fuhr an uns gewandt fort: »Das ist meine Enkelin. Lelia.«
Ich nickte ihr zu. Lelia erwiderte den Gruß, aber ihr Blick huschte zu Matej und eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauen. Sein Auftreten hatte auf Menschen oft eine verstörende Wirkung. Kaum jemand rechnete damit, einen Wolf in seiner Stube begrüßen zu müssen.
Die Barbagianna humpelte inzwischen zur Mitte des Raums. Dort lagen ein paar breite Kissen um einen niedrigen Tisch verteilt. Die alte Frau ließ sich hinter diesem Tisch nieder und wies mit der Hand auf die Kissen, die ihr gegenüber auf dem Boden lagen. Lelia verharrte noch einen Augenblick, dann ging sie zum Kamin und machte sich daran, das Feuer zu schüren.
Ich ließ mich auf einem der Kissen nieder, aber als Matej sich neben mich setzen wollte, winkte Barbagianna ihn ungeduldig zu sich. »Komm her.« Als er zögerte, winkte sie noch einmal. »Nun komm schon.«
Seine Augen wurden schmal. Warum?
»Was hat er gesagt?«, fragte Barbagianna. »Ich versteh ihn kaum.«
Ich räusperte mich. »Er möchte wissen warum.«
Barbagianna maß mich mit einem aufmerksamen Blick und auch Lelia drehte den Kopf, um mich anzusehen. Ich zwang mich, ihrer Prüfung standzuhalten. Fremde waren immer von meiner Stimme überrascht. Sie klang heiser, und sie brach häufig. Besonders, wenn ich versuchte, längere Sätze am Stück auszusprechen. Vielleicht lag es daran, dass ich einen Großteil meiner Kindheit schweigend verbracht habe. Vielleicht war es aber auch ein angeborener Makel. Eine Zeit lang hatte ich gehofft, dass meine Stimme wärmer und weicher werden würde, je öfter ich sie nutzte. Aber auch jetzt, neun Jahre nachdem ich mit dem Sprechen angefangen hatte, klang sie wie das Schaben eines Löffels in einem rostigen Topf.
Barbagianna durchbrach die Stille. »Ich will mir ansehen, ob man seinen Fluch brechen kann«, sagte sie.
Matejs Nackenfell sträubte sich, minimal nur, aber ich bemerkte es. Sag ihr, dass wir sie nicht dafür anheuern wollen.
Ich wiederholte seine Worte, aber Barbagianna machte eine wegwerfende Bewegung. Lelia hatte sich mittlerweile wieder abgewandt und hob einen eisernen Wasserkessel vom Fenstersims.
»Nennt es einen Gefallen«, sagte sie. »Eine, hm, Geste des Vertrauens.«
Sie sah Matej abwartend an. Wir wussten beide, dass es ihr nicht nur darum ging, unser Vertrauen zu gewinnen. Sie wollte wissen, ob wir bereit waren, auf sie einzugehen. Matej zuckte mit den Ohren, dann ging er zu ihr hinüber.
Barbagianna legte beide Hände an die Seite seines Kopfes und beugte sich vor. Sie intonierte keine Zauberformeln, benutzte keine Hilfsmittel. Sie starrte ihm einfach nur tief in die Augen. Im ersten Moment bemerkte ich gar nicht, dass ich die Luft anhielt, so gebannt war ich. Was, wenn sie es tatsächlich konnte? Wenn sie diejenige war, die Matej zurück in einen Menschen verwandeln würde? Ich hatte jedoch kaum Zeit, diese Fragen zu Ende zu denken, da lehnte sich Barbagianna auch schon wieder zurück.
»Hm.« Sie betrachtete Matej noch einen Augenblick lang, dann zuckte sie mit der Schulter. »Nichts zu machen, tut mir leid.«
Das hätte ich ihr gleich sagen können. Matej versuchte gleichmütig zu klingen, aber unter seiner Abgeklärtheit spürte ich einen winzigen Funken der Enttäuschung. Kaum war er da, war er auch schon wieder verschwunden. Matej erlaubte sich nicht mehr zu hoffen, aber manchmal, wenn er überrumpelt wurde, hatte er sich nicht ganz unter Kontrolle.
»Danke, dass Ihr es versucht habt«, sagte ich.
»Keine Ursache«, sagte Barbagianna. »Ein wirklich mieser Fluch ist das. Wer auch immer dich damit belegt hat, er muss dich wirklich gehasst haben.« Sie hob eine Braue. »Verwandtschaft?«
Matej neigte den Kopf.
Barbagianna nickte. »Dachte ich mir. Wenn deine Brut auch nur im Ansatz so hinterhältig ist wie meine …«
»Nonna«, protestierte Lelia. »Hör auf, über die Tanten zu lästern.«
Barbagianna lachte. »Wer behauptet, dass Blut dicker als Wasser ist, sollte meine Schwestern treffen. Harpyien sind angenehmere Gesellschaft.«
Matej kehrte auf meine Seite des Tisches zurück und nahm neben mir Platz. Lelia hängte den Kessel über das Feuer.
»Also gut«, sagte Barbagianna. »Warum seid ihr hier?«