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Steven

April 1991

Der Frühling glich in diesem Jahr eher einem milden Winter. Es regnete viel und es war nicht besonders kalt. Da es nach der Vorbereitung und Einsaat der Felder nicht mehr viel zu tun gab, wanderte Phillip voller Unruhe durchs Dorf und machte Pläne, nur um sie sofort wieder zu verwerfen. Für Sanierungen und neue Bauvorhaben benötigte man viel Geld, ermahnte er sich selbst. Aber es war keines vorhanden. Zumindest nicht so viel, dass man damit große Pläne verwirklichen könnte. Die Ersparnisse, die er noch besaß, mussten zum Leben und für die laufenden Kosten im Dorf-am-See reichen, bis er eine dauerhafte und somit auch bezahlte Arbeit in Sunville fand. Doch trotz dieses eher deprimierenden finanziellen Hintergrundes wollte ihm eine Idee nicht aus dem Kopf weichen.

„Warum machen wir nicht dasselbe, was diese Hotelheinis vorgehabt haben?“, fragte er eines Abends beim gemeinsamen Essen.

Steven schaute ihn zunächst nur ungläubig an, insgeheim nicht ganz sicher, ob er tatsächlich richtig gehört hatte.

„Dann würden wir ja die Landschaft genauso verschandeln, wie sie es vorhatten.“ Es war ihm überdeutlich anzusehen, dass er den Vorschlag am liebsten einfach abgelehnt hätte, ohne seine Haltung begründen zu müssen. „Es wäre nicht nur das Hotel. Zu so einem Haus gehören schließlich auch noch andere Einrichtungen. Ein Pool, Restaurants, ein Golfplatz und andere Vergnügungsstätten, um nur ein paar zu nennen. Willst du wirklich einen Rummelplatz aus dem Zwei-Seen-Tal machen?“

„Nein“, entgegnete Phillip ruhig. „Ich meine nicht ein Hotel, wie sie im üblichen Sinne gebaut werden. Ich meine ein Feriendorf.“

Steven sah seinen väterlichen Freund an, als hätte er den Verstand verloren, denn für ihn war das eine so gut wie das andere. Die Konsequenzen, die sich aus so einer Anlage ergaben, waren immer dieselben, stellte er im Stillen für sich fest. Die Natur im Zwei-Seen-Tal würde leiden, weil der Mensch ihr etwas abverlangte, besser gesagt ihr etwas aufzwang, was gar nicht zu ihr passte. Außerdem stellte sich auch noch die Frage der Finanzierung. Wer würde schon einem Minderjährigen so einen hohen Kredit gewähren, zumal auch noch Indianerblut durch seine Venen floss? Selbst sein Vormund würde da einige Schwierigkeiten haben, denn er hatte weder einen Job noch Sicherheiten aufzuweisen!

Phillip konnte nachvollziehen, was im Kopf des Jungen vorging. Im Grunde liefen seine eigenen Überlegungen in dieselbe Richtung. Trotzdem wollte er nicht so schnell aufgeben, zumal es tatsächlich einen winzigen Hoffnungsschimmer für seine Pläne gab.

„Wir haben das Land“, begann er zu erklären. „Wir brauchen also nur ein wenig Kapital, um die acht leerstehenden Blockhütten zu renovieren und die Einrichtung ein wenig zu verbessern. Soweit ich das gesehen habe, ist mittlerweile in allen Gebäuden fließendes Wasser und Strom vorhanden. Mal angenommen, wir würden aus ihnen komfortable Ferienhäuser machen, dann hätten wir für den Anfang genügend Unterkünfte, um mindestens acht gestressten Stadtmenschen ein wenig Erholung zu bieten, die sie in den anderen Vergnügungshotels nicht bekommen. Wir könnten so eine Art Ferien auf dem Lande anbieten. Dadurch würden wir nicht nur ein paar Jobs für die Leute hier schaffen. Es wäre auch eine bescheidene aber trotzdem nicht zu verachtende Einnahmequelle für uns, denn die Großstadtmenschen sind mittlerweile so weit, dass sie gerne für ein wenig Ruhe und Entspannung zahlen. Wir haben Natur pur zu bieten, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen haben, weil sie innerhalb ihrer Betonklötze eingesperrt sind und nicht die Zeit und die Kraft haben, Stunden dafür aufzubringen, um zu einem grünen Fleck zu pilgern. Bei uns könnten sie wieder neue Energie tanken, um die nächste Zeit ein wenig davon zu zehren. Wir haben Pferde, auf deren Rücken sie diese Natur erforschen können, ohne in ihre stickigen Autos steigen zu müssen. Und wir haben einen wunderschönen See, dessen Wasser nicht nach Chlor stinkt, wie die Pools in den Superhotels.“

„Du vergisst das Geld“, gab Steven erneut zu bedenken.

„Die Banken haben doch genug“, mischte sich nun Elisabeth ein. „Wenn wir ein gutes Konzept erarbeiten, findet sich sicher jemand, der uns finanziell unter die Arme greift.“

„Nehmen wir mal an, du bekommst den Kredit tatsächlich, was ich übrigens für absolut unmöglich halte“, erwiderte Steven in einem Tonfall, der an einen nachsichtigen Lehrer erinnerte, der bereits mehrfach Vorgetragenes noch einmal erklären wollte, damit es auch der Begriffsstutzigste endlich verstand. „Mit der Sanierung der Häuser ist es ja nicht getan. Ich meine, das instandsetzen, sauber machen und neu einrichten wäre nicht das Thema. Aber wir bräuchten dann auch ein Restaurant samt Koch und Servicepersonal. Und einen überdachten und beheizten Pool, damit die Gäste auch bei schlechtem Wetter schwimmen gehen können. Wer zahlt schon dafür, dass er auch im Urlaub kochen oder bei Regen tatenlos im Haus herumsitzen muss?“

Darauf hatte Elisabeth keine passende Antwort parat. Er hatte definitiv recht, gestand sie sich ein. So jung er auch war, sein Verstand arbeitete sehr rational und vorausschauend. Und seine Argumente waren tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Wenn man sich zahlende Gäste einlud, musste man ihnen auch ein Mindestmaß an Komfort bieten.

„Wir könnten doch einen Teil der jungen Menschen zurückholen“, schlug Phillip nach einiger Überlegung vor. „Schließlich ist es auch ihr Land. Wenn sie bereit wären mit uns zusammenzuarbeiten, bräuchten sie nicht länger in den Städten zu bleiben, wo man sie bloß ausbeutet. Immerhin würden sie hier nicht nur für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Sie würden damit auch mithelfen, ihre Heimat zu erhalten.“

Die Idee war gut, musste Steven zugeben. Allerdings hatte die Sache einen Haken, den man nicht außer Acht lassen durfte.

„Sie würden nur dann zurückkommen, wenn es eine Garantie für den Erfolg gäbe“, sagte er langsam. „Wie du sicher weißt, sind sie auf ihre Arbeitsplätze angewiesen. Keiner würde seine jetzige Stellung aufgeben, sei sie auch noch so unbefriedigend, nur um sich in eine ungewisse Zukunft zu stürzen, so rosig sie auch gezeichnet wird. Immerhin haben sie Familien, die von ihnen abhängig sind.“

„Wenn aber niemand bereit ist, ein Risiko einzugehen, dann wird es bald kein Land mehr geben, für das sie arbeiten“, ereiferte sich Elisabeth. „Wie lange, glaubst du, wird es noch so weiterlaufen wie bisher? Ein Jahr? Fünf Jahre? Allein die diesjährigen Unterhalts-und Instandsetzungskosten für die bewohnten Häuser im Dorf verschlingen den letzten Rest unserer Reserven. Im nächsten Jahr werden wir daher so oder so einen Kredit aufnehmen müssen.“

„Wie wäre es, wenn wir die Leute zusammenrufen und sie einfach selbst fragen?“ Phillip sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen in der Runde um. „Wir diskutieren uns hier die Köpfe heiß, ohne zu wissen, wie der Rest der Dorfgemeinschaft darüber denkt. Wenn auch nur ein paar von ihnen einverstanden sind, können wir vielleicht einen Anfang wagen. Eine Garantie gibt es nicht. Die gibt es im Grunde für gar nichts. Also. Entweder wagen wir den Sprung ins kalte Wasser, oder wir stecken weiterhin den Kopf in den Sand und warten noch ein paar Jahre darauf, dass uns die Höchste-Macht aus der Patsche hilft. Allerdings wird sie das nicht tun, weil es unsere Aufgabe ist, uns selbst und dem Volk zu helfen.“

„Dir ist es sehr ernst, nicht wahr“, stellte Steven leicht erstaunt fest.

Phillip nickte bloß.

„Du hast recht“, sagte Steven nach einigem Nachdenken. „Wir sollten die Menschen fragen. Immerhin geht es auch um ihre Zukunft.“ Er überlegte kurz. Dann nickte er, so als würde er seinen soeben gefassten Entschluss gutheißen wollen. „Ich bin bereit, das Risiko einzugehen. Vielleicht sind es auch ein paar von ihnen. Wer nichts wagt, kann schließlich nicht auf einen Gewinn hoffen.“

„Ich sehe, du bist schon ein Mann“, lachte Phillip. „Du brauchst die Reifeprüfung gar nicht mehr.“ Steven war jetzt sechzehn und hatte bereits bewiesen, dass er nicht nur einen klugen Kopf besaß, sondern auch fähig war, wie ein Erwachsener zu handeln. Die Initiation wäre daher nur ein traditionell begründeter Akt. Als Vorwand für ein Fest sozusagen, in dessen Verlauf man ein bisschen angeben und sich feiern lassen konnte.

Für einen Moment ein wenig verwirrt erscheinend, machte Stevens Miene gleich darauf deutlich, wie enttäuscht er war, angesichts der Tatsache, dass sein größter Wunsch nun doch nicht erfüllt werden sollte.

„Aber … Du hast es versprochen“, murmelte er so leise, dass es kaum zu verstehen war.

Phillip biss sich auf die Unterlippe. Dass dem Kleinen so viel daran lag, hatte er nicht gewusst, dachte er bestürzt. Seit er und Elisabeth hierhergekommen waren, war das Thema nicht berührt worden. Doch nun erkannte er, dass man nur auf ein Wort von ihm gewartet hatte.

„Ich halte meine Versprechen immer ein, mein Junge“, versicherte er ruhig. „Wenn du bereit bist, können wir auf die Jagd gehen. Allerdings möchte ich erst einmal ein Rundschreiben an alle aufsetzen, die nicht vor Ort wohnen, um sie wissen zu lassen, warum ihre Anwesenheit bei der Beratung so wichtig ist.“ Das erfreute Aufleuchten in den Augen seines jugendlichen Gegenübers ließ ihn lächeln. „Hast du dir denn schon ein Tier ausgesucht?“, fragte er leise.

Steven nickte bloß. Er konnte in diesem Augenblick nicht sprechen, weil sein Inneres im hellen Aufruhr war. Zum einen freute er sich unbändig auf den Augenblick, in dem man ihn nicht länger für ein Kind halten würde. Zum anderen konnte er es kaum erwarten, seinem väterlichen Freund zu beweisen, dass er ein guter Jäger war. Er schätzte Phillip sehr. Dass er ihn auch liebte, wie er seinen eigenen Vater geliebt hatte, mochte er aber noch nicht zugeben. Allein der Blick aus einem anderen blauen Augenpaar ließ ihn erkennen, dass man ihn schon längst durchschaut hatte. Und das ließ sein Gesicht augenblicklich heiß werden.

„Was hältst du davon, wenn wir morgen früh aufbrechen?“ Phillip bemerkte zwar die Verlegenheit des Jungen, hielt die dunklen Wangen aber für ein Zeichen von freudiger Aufregung. „Ich brauche eine Auszeit. Und das Weibsvolk kommt sicher auch ein paar Tage ohne uns zurecht.“ Dabei sah er fragend zu den beiden Frauen und dem dreizehnjährigen Mädchen hin, welches bei Nancy lebte.

Die Indianerin ließ nicht erkennen, was sie dachte.

Auch Silberwolke war nicht anzusehen, was sich hinter ihrer Stirn abspielte.

Elisabeth indes lächelte zustimmend.

„Sobald ihr zurückkommt, fahren wir in die Stadt“, entschied sie. „Wollen doch mal sehen, wie die hiesige Bank zu unserem Vorhaben steht. Fragen kostet schließlich nichts. Wenn sie hier ablehnen sollten, suchen wir eben woanders nach einem willigen Investor.“

Phillip betrachtete die blitzenden Augen seiner Frau und konnte seine Erheiterung nicht länger unterdrücken.

„Was gibt’s denn da zu lachen? Habe ich etwa was Albernes gesagt? Oder was?“, fragte sie pikiert.

„Nein, mein Schatz.“ Er grinste nach wie vor. „Mir tun nur jetzt schon die Bankleute leid, mit denen du sprechen wirst. Die Armen wissen ja nicht, dass sie gar keine Chance haben, Nein zu sagen. Wenn die wüssten, was ich weiß …“

„Ich?“, tat Elisabeth daraufhin erstaunt. „Du meinst, du wirst mit ihnen verhandeln. Wenn ich mich nämlich recht entsinne, bist du doch unser verantwortlicher Finanzmensch.“

„Apropos Finanzen.“ Steven erhob sich. „Phil, du musst dir da mal was anschauen.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da verließ er den Raum, um kurze Zeit später mit einer Aktenmappe wiederzukommen, die er seinem väterlichen Freund in die Hände drückte. „Habe ich heute Nachmittag zufällig in einer Metallkiste gefunden, als ich die Scheune hinter dem Haus meiner Eltern entrümpelt habe. Ich kann damit nichts anfangen. Aber du vielleicht.“

Offenbar eine Sammlung von Nachweisen und Verträgen, dachte Phillip, während er die Seiten schnell umblätterte. Doch dann blieb sein Blick an einem Dokument hängen, und sein Puls schnellte von jetzt auf gleich in bedenkliche Höhe.

„Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, was du da hast?“, wandte er sich aufgeregt an Steven.

„Keine Ahnung, was du meinst“, erwiderte der Gefragte erstaunt. „Was besitze ich denn?“

Statt gleich zu antworten, blätterte Phillip weiter. Dabei fand er noch eine ganze Reihe von Dokumenten der gleichen Art und genehmigte sich dann erst einmal einen großen Schluck Wasser.

„Was die Western Union Pacific Railroad ist, weißt du sicher. Ja?“ Er grinste den Jungen an. „Und du weißt bestimmt auch, dass es von dieser Gesellschaft Aktien gibt.“ Weil man ihn immer noch ziemlich begriffsstutzig anstarrte, wurde sein Lächeln noch breiter. „Nun, es sieht so aus, als könnten sich unsere Pläne doch leichter umsetzen lassen, als bisher gedacht. Auf jeden Fall müssen wir zur Bank nach Sunville.“ Im Jahre 1862 war in Zusammenarbeit mit der Central Pacific die besagte Eisenbahngesellschaft gegründet worden, erinnerte er sich. Sie sollte die Siedlungsgebiete im Osten und dem Westen verbinden. Allerdings hatte man von Anfang an die Kosten des Riesenprojektes unterschätzt, was einige Male fast zum Scheitern geführt hätte. Da es aber stets reiche Menschen gegeben hatte, die sich in der Hoffnung auf einen beträchtlichen Profit auf das Abenteuer einließen und Aktien kauften, war es immer wieder weitergegangen. Auch Kleinunternehmer und Glücksritter hatten bald die Möglichkeit entdeckten, ihr Geld gewinnbringend zu investieren. Allein dadurch war es einigen von ihnen innerhalb weniger Jahre gelungen, ihr Vermögen so zu vergrößern, dass sie sich am Ende einen relativ angenehmen Lebensstandard leisten konnten. Nun, Eric Harpers Anteile waren nicht angerührt worden, seit er sie erworben hatte. Und das war eine Entdeckung, die sehr erfreulich war. Die Union Pacific zählte ja mittlerweile zu den führenden amerikanischen Transportunternehmen, die nicht nur auf den Schienen, sondern auch mit Lkws auf den Autobahnen unterwegs waren. Entsprechend hoch waren die Renditen, die an die Anteilseigner ausgezahlt wurden.

„Aber morgen früh gehen wir erst mal auf die Jagd, oder?“ Steven war anzusehen, wie angespannt er plötzlich war.

„Ja“, bestätigte Phillip gut gelaunt. „Morgen früh geht’s erst mal in die Wälder.“

Und wenn sie wieder zurück waren, würde er sich die gerade entdeckten Papiere noch einmal sehr genau ansehen. Möglich, dass es eine Lösung für das Kreditproblem gab, mit der man bisher gar nicht gerechnet hatte.

*

Phillip saß relativ entspannt auf seinem Pferd, war jedoch bereit, bei Bedarf sofort zu reagieren. Unterdessen nahm Steven seine Jagdbeute ins Visier. Dann hielt er den Atem an und zog genau im richtigen Augenblick den Abzug seiner Waffe durch. Gleich darauf ertönte das Krachen des Jagdgewehres. Und nur eine Sekunde später knickten die Vorderläufe des Wildschweines ein. Doch die Fliehkraft seines mächtigen Körpers, der sich gerade im Rennen befunden hatte, ließ das Tier noch ein Stück vorwärts rutschen, bevor er am Ende bewegungslos auf dem weichen Waldboden liegen blieb.

Froh, dass es auf Anhieb geklappt hatte, neigte sich Phillip zur Seite und klopfte seinem Begleiter anerkennend auf die Schulter. Dabei grinste er zufrieden. Der stattliche Keiler war durch einen exakt ausgeführten Herzschuss niedergestreckt worden und daher auf der Stelle tot gewesen. Das allein zeichnete Steven schon als guten Jäger aus. Zudem hatte er bewiesen, dass er seine Verantwortung gegenüber der Natur kannte. Er hatte sich zwar ein sehr großes Exemplar ausgesucht, doch zuvor hatte er sich vergewissert, dass der Eber keiner festen Familiengemeinschaft angehörte. Der Verlust eines Einzelgängers war für das Rudel nämlich eher zu verkraften als ein beschützendes Leittier.

Sein Gewehr ins Futteral schiebend, welches sich seitlich an seinem Sattel befand, trieb Steven gleichzeitig seinen Hengst an. Das Wildschwein sollte noch vor der einbrechenden Dämmerung ausgeweidet werden. Also musste man sich jetzt sputen. Die Hauer des Keilers würden später von Nancy und ihrer Schülerin Silberwolke zu einem Männerhalsschmuck verarbeitet werden. Und das Fleisch würde unter anderem einen ausgezeichneten Braten abgeben, auf den er sich schon jetzt freute.

An diesem Abend würden sie nicht mehr zurückreiten, beschloss Phillip unterdessen. Die untergehende Sonne tauchte die Landschaft bereits in ein gedämpft wirkendes Licht, und würde schon bald nicht mehr zu sehen sein. Selbstverständlich kannten die Pferde den Weg zurück zum heimatlichen Stall. Aber er hatte andere Pläne. Er wollte eine Zeit lang mit dem Jungen allein sein, um ungestört mit ihm reden zu können.

Ein geeigneter Rast-und Arbeitsplatz war schnell gefunden, denn unweit von ihrem Standort entdeckten die beiden Reiter nicht nur einen Felsüberhang, der einen natürlichen Unterstand darstellte, sondern auch einen Bachlauf, der sich durch die Wiese schlängelte. Wie man auch ohne Feuerzeug oder Streichhölzer Feuer machte, wussten beide. Allerdings verzichtete sie jetzt auf den traditionell für die Initialisierung vorgeschriebenen, aber ziemlich mühsamen Akt, denn es war kalt, und sie wollten es doch lieber schnell warm haben.

Nachdem Stevens Jagdbeute bearbeitet und gut verstaut war, um sie vor umherstreunenden Wildtieren zu sichern, legten die beiden Männer neues Holz auf das Feuer. Danach hängten sie ein Stück Fleisch darüber, welches sie auf einen starken Stab gesteckt hatten.

Phillip blickte zum Himmel empor, wo sich bereits die ersten Sterne zeigten. Doch je länger er dort hinaufsah, umso intensiver schien das Leuchten und Blinken zu werden, welches sich am mittlerweile dunkelblauen Himmel abspielte. Er fühlte sich schwer und träge, ja nahezu wunschlos glücklich, und sehnte sich Elisabeth herbei, um dieses Gefühl mit ihr teilen zu können. Der letzte Gedanke war jedoch kaum zu Ende gebracht, da meinte er durch eine unsichtbare Riesenhand emporgehoben zu werden, die ihn sogleich in die Richtung der Sterne trug. Ein Blick nach unten zeigte ihm zwei menschliche Körper, die regungslos an einer Feuerstelle saßen. Allerdings berührte ihn dieser Anblick nicht sonderlich. Auch die völlige Bewegungslosigkeit der beiden Pferde und der Flammen kümmerte ihn nicht. Er konzentrierte sich vielmehr auf seine derzeitige Situation, die ihm so vertraut erschien, wie ein alltägliches Erlebnis. Er war immer noch Phillip, stellte er für sich fest. Er war aber auch Eric Harper. Und Rudolf Paulsen, ein Mann, der dutzende Menschen auf seinem Bauernhof versteckt und somit vor der Deportation in ein Vernichtungslager gerettet hatte, bevor er selbst verhaftet und hingerichtet wurde. Außerdem war er auch Arvyd, der Yde. Der Reisende, der allein anhand seines Willens sein Bewusstsein von seinem Körper trennen konnte, um auf eine andere Wahrnehmungsebene zu gelangen und dabei zukünftige Ereignisse vorauszusehen, soweit dies von der Höchsten-Macht erlaubt wurde. Dass er den mühelosen Übergang in andere Bewusstseinsebenen beherrschte, hatte er schon immer gewusst. Aber dann war die Sache mit dem menschlichen Geist von Eric Harper passiert, der durch seine anfängliche Ignoranz aller übernatürlichen Dinge alles verdrängte, was nicht in seinen beschränkten Verstand hineinpasste. Dieser Zustand hatte dann leider so lange angehalten, bis er auf den Indianerstamm und somit auch auf deren spirituelle Führerin stieß. Dank ihrer Hilfestellung hatte er sich wieder daran erinnert, dass er etwas Besonderes war. Nun, er – Phillip – hatte aufgrund seiner Erziehung ähnlich reagiert wie Eric, bis er in Lebensgefahr geriet und sein malträtiertes Hirn endlich zuließ, dass sich sein Geist öffnete und alle Erinnerungen wieder an die Oberfläche und somit in sein Bewusstsein zurückkehrten. Aber das war nicht das Thema, über welches er jetzt nachdenken wollte. Vielmehr war er gespannt zu erfahren, warum er ausgerechnet jetzt und dann auch noch ohne eigenes Zutun einen Ausflug in die Anderswelt machte.

Seine letzte Überlegung war kaum zu Ende gedacht, da ging Phillip auf, dass er nicht länger allein war. Tatsächlich konnte er jetzt die sehr intensive Präsenz eines anderen Individuums spüren. Es musste ein Wesen sein, welchem er auf der Astralebene noch nie begegnet war, auch wenn es ihm merkwürdig vertraut erschien. Seine Gefährtin war es auf jeden Fall nicht, da war er sich ganz sicher, denn er kannte das Gefühl, wenn sie sich in seiner Nähe aufhielt.

Phillip brauchte einen Moment, bis ihm auffiel, dass es noch einen Unterschied gab. Das neue Individuum war nämlich sichtbar. Es besaß klar erkennbare Konturen – wenn auch nicht so deutliche, dass man Gesichtszüge hätte erkennen können. Aber es war groß und sehr beeindruckend. Mit stark wirkenden Extremitäten und Haaren, die lang waren und wie ein wehender Schleier um den Kopf des Geschöpfes herumflogen. Es hatte jedoch augenscheinlich große Schwierigkeiten damit, ruhig auf der Stelle zu verharren. Auch verströmte es eine Angst, die allumfassend und so intensiv war, dass sie wie eine lähmende Gaswolke auf alles übergriff, was sich in der Nähe befand.

Um nicht die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, wappnete sich Phillip gegen den Ansturm der fremden Furcht, indem er seine Konzentration ausschließlich auf seine eigene Wahrnehmung fokussierte. Das derzeit noch nicht identifizierbare Individuum war scheinbar auch ein Reisender, der momentan seinen allerersten Ausflug dieser Art machte und dabei Dinge erlebte, die ihn fürchten ließen, er sei nicht mehr bei klarem Verstand. Es musste daher schnellstens etwas getan werden.

„Kannst du mich hören?“, fragte er in gewohnter Weise in die Stille hinein.

„Ja“, antwortete ihm eine Stimme, die an Steven erinnerte, die jedoch so fremd klang, als gehöre sie zu einer ganz anderen Person. „Aber wo sind wir? Es ist so unheimlich hier. Wer bist du? Und wo bist du? Ich kann dich nicht sehen! Ich kann dich nur hören!“

Woran es lag, konnte Phillip nicht gleich einschätzen. Und doch war es so, dass auch er ganz allmählich sichtbar wurde. Seine Arme und Beine wirkten, als wäre sie aus flüssigem, goldschimmerndem Glase gemacht. Auch seine Haare, die ähnlich lang waren, wie bei Stevens Astralerscheinung, schienen wie aus feinen Spinnenfäden gemacht. Allein die Muster, die wie feine Bleistiftzeichnungen anmuteten, und die die gesamte Oberfläche seines geisterhaften Abbildes bedeckten, schimmerten rötlich, während sie bei Stevens Astralkörper eher einen dunklen Goldton aufwiesen.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, während die beiden Geisterwesen schwerelos in der Luft hingen und einander mit großem Interesse betrachteten.

„Bleib’ ganz ruhig“, sprach Phillip schließlich sein Gegenüber in Gedanken an. „Du kennst mich, denn wir haben gerade noch zusammen am Feuer gesessen. Hab keine Angst. Dir wird nichts passieren. Du musst dich nur gut konzentrieren. Wir sind jetzt außerhalb von Zeit und Raum, wo andere Regeln und Gesetzte herrschen. Aber das ist nichts, was dich beunruhigen muss. Diese Form der Existenz ist den Menschen normalerweise nicht bekannt, obwohl viele die Fähigkeit dazu haben, auf diese Bewusstseinsebene zu gelangen. Du musst bloß deine Gedanken in Ordnung halten, um deinen Weg sicher gehen zu können.“

„Aber … Was …“

„Wie nennt man dich, Yde?“, wollte Phillip wissen.

„Ich … Gydeon. Glaube ich. Oder … Nein, ich bin … Steven. Ja, ich bin Steven Harper!“

„Gut, mein Junge.“ Phillip hatte es nicht gleich realisiert. Doch jetzt freute er sich umso mehr, denn Gydeon war jemand, der ihm sehr viel bedeutete. „Es ist alles in Ordnung. Du bist nur gerade dabei, dein wahres Ich zu erkennen und dich an alles zu erinnern.“

„Erinnern? Wie meinst du das? Ich habe so etwas noch nie erlebt!“ Steven dümpelte nach wie vor am Rande der Panik.

„Ich erkläre es dir, sobald wir wieder in der realen Welt sind“, versprach Phillip. „Und jetzt lass uns zurückgehen.“

„Wie denn?“ Stevens Verunsicherung wurde merklich stärker.

„Konzentriere dich auf deinen menschlichen Körper“, empfahl Phillip, instinktiv spürend, dass Stevens Bewusstsein seinem Einflussbereich entglitt, sodass eine Rückkehr in die irdische Realität dringend geraten schien.

„So einfach ist das?“

„Ja, so einfach ist das“, bestätigte Phillip, indem er sich selbst zurückwünschte und dann tatsächlich in seinem Körper wiederfand. Immer noch zum Sternenhimmel aufblickend, vernahm er ein erschrockenes Keuchen direkt neben sich, und wurde sich jäh klar darüber, dass er schleunigst mit dem Jungen reden musste.

„Schau mich an!“ Den Arm seines Begleiters packend, hielt er ihn fest. „Geht es dir gut?“

Auch Steven hatte mittlerweile in die Realität zurückgefunden. Es war ihm jedoch deutlich anzusehen, dass er mit aller Macht gegen die Angst in seinem Inneren ankämpfte.

„Ich … Ja, ich bin O.K.“ Er versuchte seinen väterlichen Freund anzusehen, konnte dessen Blick jedoch nicht standhalten. „Es ist schon gut.“

„Du musst nicht denken, dass du jetzt verrückt geworden bist“, versuchte Phillip zu beruhigen. „Weißt du nicht mehr? Ich bin mit dir zu den Sternen geflogen und habe dabei mit dir gesprochen.“

„Aber … Wieso … Wie kann das sein?“ Steven war immer noch so durcheinander, dass er kaum einen vernünftigen Gedanken zustande brachte.

Phillip zögerte zunächst, weil er nicht wusste, wie er beginnen sollte. Doch dann entschied er, dass er es direkt ansprechen musste, um von vorneherein zu verhindern, dass Irrtümer entstanden, die zu unnötigen Ängsten führten.

„Wir sind nicht nur einfache Menschen“, begann er. „Du kennst doch die Legende von den Yden? Ja? Also. Wir beide sind tatsächlich schon seit unserer Geburt mit Yden verbunden. Doch das muss dich nicht beunruhigen, denn diese Symbiose ist für beide Seiten gut und wichtig. Allein darum haben wir eine besondere Gabe, mein Junge. Sie ist ein Geschenk der Höchsten-Macht und keine Strafe des Teufels, wie es oft unter den Ahnungslosen und Glaubensfanatikern heißt. So etwas Ähnliches beherrschen übrigens viele Menschen. Sie wollen es bloß nicht wahrhaben und verdrängen es bewusst, weil es ihnen Angst macht.“

„Wer ist Gydeon?“ Steven wurde langsam ruhiger, war aber immer noch sehr aufgewühlt.

„Er ist der jüngste Sohn von Arvyd, dem Reisenden, und Safyra, der sechsten Magistra.“ Phillip sah die Fassungslosigkeit in den Augen seines Schützlings und beeilte sich, weiterzusprechen. „Gydeon ist vor sehr langer Zeit ins Leben gerufen und mit den besonderen Fähigkeiten seiner Eltern ausgestattet worden. Doch mit jeder neuen Verbindung hat er Erfahrungen und fremde Bewusstseinsteile dazugewonnen, sodass er durch die Vermehrung seiner mentalen Kräfte heute weit stärker ist, als früher. Er ist trotz allem immer noch ein absolut gutmütiges Geschöpf und genauso ein Teil deiner Persönlichkeit, wie Steven, der Mensch. Ihr seid eine Einheit, die nicht mehr getrennt werden kann, weil niemand mehr unterscheiden kann, wo du anfängst oder er aufhört. Das hat sich im Verlauf der letzten hundertfünfzig Jahre bei uns allen so entwickelt. Egal, was irgendwann mit unserem menschlichen Körper passiert, unser Bewusstsein wird immer mit dem unseres Symbionten verbunden bleiben und dadurch ewig weiter existieren.“

„Du meinst, die Erzählungen von den Yden, die ihre Symbionten zu Helden gemacht haben, sind wirklich wahr?“ Steven kannte die alten Geschichten so gut, wie kein anderer, weil er sie schon von klein auf immer wieder zu hören bekommen hatte. Ja, Nancy war nie müde geworden, von den Wesen zu erzählen, die vor sehr langer Zeit vom Himmel gefallen waren. Dabei hatte sie ihn immer so komisch angesehen, als würden sie erwarten, dass er freudestrahlend aufsprang und verkündete, dass er auch so ein Geschöpf sei. Aber das hatte er nie getan, weil er nie das Gefühl gehabt hatte, etwas Besonderes zu sein. Nicht in dieser Hinsicht auf jeden Fall. Doch jetzt sah es so aus, als wäre er nicht nur ein cleverer Schüler, dem das Lernen so leichtfiel, als würde der Stoff sich in seinem Hirn von selbst festsetzen. Nein, jetzt war er auch ein Freak, der übersinnliche Fähigkeiten besaß, die jedoch für nichts nütze waren.

„Wenn du gelernt hast, mit deinen Gaben umzugehen, kann es dir und anderen helfen.“ Während er noch sprach, registrierte Phillip den fassungslosen Blick seines Schützlings und lächelte leicht. Bevor er jedoch zu einer weiteren Erklärung ansetzen konnte, musste er einen gewaltigen Satz zum Feuer hin machen, um das Fleisch vor dem Verbrennen zu bewahren, weil die Flammen just in diesem Moment durch einen heftigen Windstoß zu hohen Lohen angefacht wurden. „Ich kann mir gut vorstellen, was du jetzt denkst, denn wir sind Familie und darum emotional sehr verbunden“, stellte er anschließend fest. „Zudem sind wir alle telepathisch veranlagt, sodass wir auf allen Ebenen miteinander kommunizieren können, ohne laut sprechen zu müssen.“ Das klang jetzt wirklich verrückt, gestand er sich ein. Doch Steven hatte ein Recht darauf, alles zu erfahren. „Das muss dir aber keine Angst machen, denn es gibt Möglichkeiten, um sich gegen unerwünschte Gedankenleser abzuschotten.“

In dieser Nacht schliefen sie nicht, denn Phillip brauchte lange, um Steven alle wichtigen Dinge verständlich zu erklären. Als sich schließlich die Morgenröte durch einen sanften, rosafarbenen Schimmer am Horizont ankündigte, bemerkte er endlich die schwindende Skepsis in den Augen des Jungen und atmete auf. Dann stellte er sich auf die Füße, um die nur noch leicht glimmende Feuerstelle mit Wasser zu übergießen.

„Lass uns heim reiten“, bat er müde. „Ich höre mein weiches Bett rufen.“

„Elly ist also nicht nur in diesem Leben deine Gefährtin?“, fragte Steven, während er sich ebenfalls aufrappelte.

„Nein.“ Phillip war nicht bereit, die Geschichte zu wiederholen, die er bereits in der Nacht ausführlich erzählt hatte. Aber eines musste noch gesagt werden, entschied er. „Sie ist mithin der wichtigste Grund, warum ich immer ein klares Ziel habe, wenn ich aus der Anderswelt zurückwill. Konzentration und ein unerschütterlicher Wille sind nämlich die besten und sichersten Garanten dafür, dass jede Bewusstseins-Reise so endet, wie sie soll, nämlich im eigenen Körper und in der Realität.“

„Hoffentlich bekomme ich später auch so eine schöne Begleiterin, wie du eine hast.“ Steven grinste. Allerdings war in seinen Augen eine seltsame Traurigkeit zu erkennen. „Ist sicher aufregend, immer wieder neben einem Menschen aufzuwachen, der einen bedingungslos liebt.“

Phillips fand nicht auf Anhieb die richtigen Worte, um eine Antwort zu formulieren. Er wusste, nicht nur die anhaltende Pubertät machte dem Jungen zu schaffen. Der Kleine hatte in der Tat wenig, um nicht zu sagen gar keine Auswahl an jungen Mädchen seines Alters. Die im Zwei-Seen-Tal verbliebenen Indianerinnen waren nämlich allesamt viel älter als er. Und die Mädchen in Sunville mieden ihn zum Teil auf Anordnung ihrer Eltern oder aufgrund dessen, dass er ihnen nichts zu bieten hatte. Es war daher kein Wunder, dass er sich Sorgen machte.

„Wenn du aufs College gehst, wirst du bestimmt mehr Menschen kennenlernen und neue Freundschaften schließen. In einer größeren Stadt sind die Leute bestimmt nicht so engstirnig, wie hier. Und vielleicht kommst du schon bald mit einem Mädchen zurück, das deiner würdig ist.“ Er lächelte. „Bedenke bei deiner Suche aber, dass die äußere Schönheit nicht immer eine Garantie für ein ehrliches Herz ist. Manchmal verbirgt sich die Schönheit der Seele hinter einem unscheinbaren Gesicht oder in einem nicht ganz so perfekten Körper.“

Steven nickte bloß.

Sobald die Pferde gesattelt waren, begannen sie gemeinsam die Spuren ihres Lagers zu beseitigen, denn der Ort sollte so sauber und aufgeräumt verlassen werden, wie man ihn vorgefunden hatte. Anschließend verstauten sie ihre Sachen in den Satteltaschen und befestigten das ausgeweidete Wildschwein auf dem Rücken des Packpferdes, welches sie eigens dafür mitgeführt hatten.

„Hast du schon mal daran gedacht, alles aufzuschreiben, was du bisher erlebt hast?“, fragte Steven, als er im Sattel saß. „Ich meine, das was du mir von Eric und seinen Leuten erzählt hast. Das alles klingt nämlich wie eine fantastische Abenteuergeschichte und würde bestimmt viele begeisterte Leser finden.“

„Vielleicht sollte ich es tatsächlich einmal aufschreiben.“ Phillip lachte verhalten. „Es wäre bestimmt interessant, zu sehen, wie die Leute darauf reagieren. Könnte allerdings sein, dass sie mich nach der Lektüre in eine Gummizelle sperren. Wenn ich es nicht am eigenen Leibe erlebt hätte, würde ich mich selbst für verrückt halten.“

„Ich halte dich nicht für verrückt“, versicherte Steven mit todernster Miene. „Schreib es ruhig auf. Die Geschichte der Yden könnte möglicherweise ein Bestseller werden. Außerdem dürfte es auch viele Leute interessieren, wie die Indianer wirklich gelebt haben. Vielleicht bewegt das endlich mal was in den Köpfen der geistig verknöcherten Bleichgesichter.“

Phillip nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. Es wäre eine neue Aufgabe, die sich vielleicht lohnen würde, überlegte er. Aber vorerst gab es ganz andere Probleme zu lösen. Solange die Menschen im Zwei-Seen-Tal um ihr tägliches Brot bangen mussten, konnte er sich nicht die Zeit nehmen, um seine Gedanken zu Papier zu bringen. Erst wenn die Zukunft gesichert war, ja, dann würde er vielleicht noch einmal darüber nachdenken. Aber das würde sicher noch ein paar Jahre dauern.

Weil Phillip und sein Begleiter völlig übermüdet von ihrem Ausflug zurückkamen, verschob man den Besuch in der Benson-Bank kurzerhand auf den nächsten Tag. Allein das Wildschwein nahm man dankend in Empfang und verarbeitete es zu köstlichen Würsten und saftigen Stücken, die auf dem Grill geröstet werden sollten.

Cassandras Bestimmung

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