Читать книгу Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten - Katja Brandis - Страница 11

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Rüsselnase und Saugnapf

Doch eine Sache mussten wir noch klären. »Es kostet Gebühren, auf diese Schule zu gehen, oder?«, fragte ich. »Schließlich ist es eine Privatschule.«

»Ja, ich fürchte schon, es sind ein paar Hundert Dollar im Monat«, sagte Jack Clearwater, doch als er unseren erschrockenen Blick sah, fügte er hinzu: »Aber wir haben ein paar Stipendien eingerichtet. Die sind hauptsächlich für Wandler gedacht, die bisher als Tiere gelebt haben und deshalb kein Geld besitzen, aber vielleicht könnten wir für dich eine Ausnahme machen. Moment.« Er rief ein paar Dokumente auf seinem Laptop auf, las die sich durch und überlegte einen Moment. »Okay. Es ginge.«

Onkel Johnny und ich atmeten gleichzeitig aus – dadurch merkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte. »Gibt es Bedingungen?«, fragte Johnny vorsichtig nach.

»Stipendienschüler haben eine Probezeit von zwei Wochen«, erklärte der junge Schulleiter. »Das ist hoffentlich in Ordnung.«

»Natürlich, verstehe«, sagte Onkel Johnny, ohne einen Moment zu zögern.

»Klar. Danke!«, fügte ich erleichtert hinzu. Zwei Wochen? Das war zu schaffen. In der ersten Zeit würde ich sowieso darauf achten, nirgendwo anzuecken. Wenn ich mich gut benahm, machte es vielleicht nichts aus, dass ich ein so gefährlicher Wandler war. Mit etwas Glück verging die Probezeit ruckzuck.

Mein Onkel schaute sich gründlich in der Schule um, um sicher zu sein, dass ich auch wirklich gut untergebracht war, und half mir überflüssigerweise, die Tasche über einen gewundenen Weg an zwei Springbrunnen und einem See vorbei zu meiner neuen Bleibe zu tragen, der dritten Hütte zwischen dem Strand und einem Kokospalmen-Wäldchen. Hübsch sah sie aus, der Verputz leuchtete weiß und die drei Türen an der Vorderseite waren türkis gestrichen. Im Sand davor standen mehrere unterschiedliche Gartenstühle, die aussahen, als hätte sie jemand vom Flohmarkt besorgt.

Ich stellte fest, dass in der Mitte der Hütte ein Waschraum war. Mein Schlüssel passte in die Tür der linken Seite. Als ich aufschloss, schlug mir ein Geruch nach feuchten Blättern und Erde und Tier entgegen. Uff.

»Dein Mitbewohner scheint nicht so gerne zu lüften«, meinte Onkel Johnny und schaute sich neugierig um. »So, ich fahre dann mal wieder. Und du bist ganz sicher, dass du hier zurechtkommst?«

Ich verdrehte die Augen. Manchmal war er schlimmer als jede Mutter, obwohl wir nicht mal verwandt waren. »Ja, ich bin sicher! Du kannst ruhig wieder los. Danke fürs Fahren.«

»Na dann. Mach’s gut! Und versuch, niemanden zu beißen, okay?« Er lachte ein bisschen beklommen auf und klopfte mir auf die Schulter, dann ließ er mich allein.

Im Zimmer standen ein Doppelstockbett aus Holz, zwei Schreibtische mit einem kleinen Regal darüber und ein Schrank, dessen Tür seltsamerweise unten ein kopfgroßes, rundes Loch hatte. Auf einem der Schreibtische häuften sich Hefte, dazwischen lagen Stifte und ein halb kaputtes Geodreieck. Darüber im Regal standen zerlesene Rätselhefte und Schulbücher.

Ich hatte mal gelesen, dass Haie vorsichtige, aber neugierige Tiere sind. Das passte auf mich. Als unter dem Bett irgendetwas schnaubte und raschelte, konnte ich nicht anders. Leise stellte ich meine Reisetasche ab, schlich näher und spähte unter das Bett. Ein rundliches Geschöpf, das darunter herumgescharrt hatte, zuckte zusammen und flitzte los … quer durchs Zimmer, auf den Schrank zu. Ein Gürteltier! Es quetschte sich durch das Loch und verstopfte es mit seinem gepanzerten Hinterteil. Wahrscheinlich konnte es so allen Angriffen trotzen.

Ich ließ meine Tasche im Zimmer und ging zurück an den Strand, wo immer noch der Schulleiter saß.

»Ähm, Mr Clearwater … in meinem Zimmer ist ein Tier«, meldete ich mich zu Wort. »Soll ich versuchen, es einzufangen und rauszubringen?«

»Besser nicht«, sagte Mr Clearwater, ohne aufzublicken. »Das ist dein Mitbewohner. Sag Jasper einen schönen Gruß von mir und er soll bitte aufhören, Erde unter seinem Bett aufzuhäufen. Ich habe ihm schon tausend Mal gesagt, wenn er einen Bau graben will, soll er das draußen machen.«

Mir fiel keine passende Antwort ein. Also ging ich zurück und fand dort einen etwas pummeligen, nicht sehr großen Jungen mit nussbraunen Strubbelhaaren vor, der sich gerade Shorts überstreifte. Er tastete auf seinem Regal herum, bis er seine Brille gefunden hatte, klemmte sie sich über die Nase und blickte mich mit treuherzigen braunen Augen an. »Tut mir leid wegen eben«, sagte er und lächelte vorsichtig. »Hab mich ein bisschen erschreckt.«

»Sorry, das wollte ich nicht«, meinte ich und schaute ihn fasziniert an. »Ich bin übrigens Tiago. Ein Hai, glaube ich … und du bist wirklich ein Gürteltier?«

»Das einzige Landtier an dieser Schule«, sagte Jasper und seufzte. »Aber ich wollt unbedingt hierher und nich in die Clearwater High, die ist so weit weg. Ich würd meine drei Brüder echt vermissen, wenn ich die nicht mehr einfach so besuchen könnt. Haste Geschwister?«

»Nö, Einzelkind, leider«, sagte ich und kletterte zum Testliegen hoch zum oberen Bett. »Übrigens soll ich dir was vom Schulleiter sagen …«

»Jaja, das Übliche.« Jasper verzog das Gesicht. »Aber ich hab nun mal gern Erde unter dem Bett. Stell dir vor, ich krieg nachts mal Hunger, dann ist es doch viel praktischer, ich kann hier drin schnell mal einen Regenwurm oder Käfer …«

Mehr wollte ich gar nicht wissen! Ich unterbrach ihn: »Sag mal … könntest du noch mal kurz einen auf Gürteltier machen? Das würde mir wirklich helfen … ich kann es noch nicht ganz glauben, weißt du … diese ganze Sache mit dem Verwandeln und so.«

»Na klar! Mach ich gern, dann glaubste das bestimmt!« Es ging so schnell, dass ich es kaum mitbekam. Sein ganzer Körper schrumpfte zusammen und verformte sich. Zum Schluss lag nur noch ein T-Shirt herum, in dem sich etwas bewegte. Eine längliche Rüsselschnauze schob sich daraus hervor, braune Knopfaugen blickten mich an und zwei Öhrchen, die wie gerollte Blätter aussahen, wandten sich in meine Richtung. Dann schaute ich auf das ganze hellbraune, rundum gepanzerte Wesen herab, das sich auf die Hinterbeine setzte, die Vorderpfoten in der Luft baumeln ließ und zu mir hochblickte.

Und, war ich gut?, fragte Jasper stolz.

»Du warst toll«, sagte ich und musste grinsen.

Rasch packte ich mein Zeug aus, stopfte meine Klamotten in den Schrank, stellte die Zeichensachen behutsam auf das Regal und legte meine flache, orange-weiß gemusterte Muschel daneben. Währenddessen verwandelte sich Jasper zurück in einen Menschen. Als wir beide so weit waren, zeigte er mir den gemeinsamen Waschraum, der zu den beiden Zimmern gehörte, und führte mich in der Schule herum. Dazu mussten wir wieder unsere Schuhe zurücklassen, weil wir die meiste Zeit im überfluteten Bereich herumwateten.

Jasper schaute mich erwartungsvoll an. »Das hat Mr Clearwater so bauen lassen, damit sich hier alle in beiden Gestalten bewegen können, wie findste das?«

»Gefällt mir«, sagte ich und blickte mich in der Cafeteria um. Durch eine große, gewölbte Glaswand konnte man übers Meer hinwegschauen. Es gab zwar auch Tische und Stühle, die direkt im Wasser standen, doch noch lustiger fand ich die etwa acht dicht nebeneinander vertäuten, in verschiedenen Farben gestrichenen Boote, in die Sechsertische komplett mit Sitzplätzen eingebaut worden waren.

Anscheinend war das Abendessen schon vorbei, aber Jasper schaffte es, den Hausmeister zu bequatschen, damit er mir noch eine Portion gegrillten Fisch machte. Er selbst kaufte sich ein paar Chips und zählte die Cents dafür einzeln ab, er schien ebenso wenig Geld zu haben wie ich.

»Was machen deine Eltern so? Leben die als Tier oder Mensch?«, fragte ich ihn.

»Halb-halb«, meinte er. »Meine Mutter ackert in einem Supermarkt, mein Papa im Straßenbau. Wenn die Kohle mal nich reicht, dann gehn wir einfach als Gürteltiere in den Wald und suchen uns dort was. Kostet nix und macht Spaß.«

Ich war ein bisschen nervös, als wir mit unseren Essenstabletts zu einem der Boote wateten. Keine drei Meter entfernt, hing regungslos im Wasser ein braungrünes, gepanzertes Urzeitvieh.

Doch Jasper schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick, meinte »Hi, Nestor« und ging weiter. Er flüsterte mir zu: »Nestor is ’n furchtbarer Streber, aber sonst ganz okay.«

»Ach so.« Ich wich einer neben meinem Knie driftenden Qualle aus, die Oh, ein Neuer – herzlich willkommen! flötete, und grüßte für alle Fälle die große rotbraune Krake, die im Boot neben unserem über eine Sitzbank glitt. Ihre mit Saugnäpfen bewehrten Arme tasteten umher, ich sah, dass zwei davon noch geschlossene Muscheln umklammert hielten. Großviel lecker, verkündete die Krake und ihre Haut wurde heller, fast weiß – was bedeutete das, war sie zufrieden? Bevor ich nachfragen konnte, kroch sie ins Wasser und glitt mit einem kurzen Abschiedsgruß in einen auf der Seite liegenden Tonkrug. Anscheinend war das ihre Wohnung.

»Lucy ist gut drin, Snacks abzustauben«, meinte Jasper, während wir mit einem großen Schritt über die Bordwand eines rot-weißen Bootes stiegen und es uns darin bequem machten. Das Boot kippte leicht, als wir hineinkletterten, es schien nicht am Boden festgemacht zu sein.

»Hat sie einen bestimmten Trick?«, fragte ich nach.

»Nee. Unser Hausmeister ist auch ’n Krake – deshalb.«

»Ach so«, sagte ich und lachte, weil ich das alles noch nicht fassen konnte. Es fühlte sich immer noch an wie ein irrer Traum. Aber es war keiner – ich spürte das Boot ganz sanft unter mir schaukeln, roch das Wasser und spürte die lackierte Holzplatte des Tisches unter meinen Händen.

»Machste morgen schon beim Unterricht mit?«, fragte Jasper. »Ich geb dir gleich ’nen Stundenplan. Mittwochs haben wir in der ersten Stunde Verwandlung, das findet in ’nem speziellen Raum statt.«

Neugierig betrachtete ich den Stundenplan. »Verwandlung ist ein Hauptfach hier, oder? Jedenfalls stehen echt viele Stunden davon auf dem Plan.«

Jasper nickte heftig. »Das is ’n total wichtiges Fach – schließlich ist man tot, wenn man sich als Wassertier an Land verwandelt oder man plötzlich ’n Mensch wird, wenn man gerade tief unter Wasser is!«

»Stimmt«, meinte ich nachdenklich. Kein Wunder, dass mich Onkel Johnny schnellstmöglich hierherverfrachtet hatte – ein Seawalker zu sein, war lebensgefährlich. »In der Stunde morgen … muss ich mich da auch schon … verwandeln?« Unsicher blickte ich ihn an.

»Klar!« Jasper knabberte ein paar Chips. »Oder willste das nich? Wir haben ein paar Seawalker so wie Lucy oder Nox, die lieber Tier bleiben. Kein Thema.«

»Doch, doch«, sagte ich. Aber nervös war ich auch. Sehr nervös sogar. Besonders wenn ich an diese ganze Sache am Miami Beach dachte.

Ich lenkte mich ab, indem ich mich an den Strand setzte, die Schule skizzierte und versuchte, ein möglichst lebensechtes Gürteltier zu malen. Geduldig stand Jasper mir Modell. Schließlich zeigte ich ihm das fertige Bild. »Das bin ja ich!«, staunte er und ich schenkte ihm die Zeichnung.

Als es dunkel wurde und wir zur Hütte zurückgekehrt waren, kroch ich in mein Hochbett und lauschte darauf, wie Jasper es sich leise schnaufend unter seinem Bett gemütlich machte. Nebenan, im anderen Doppelzimmer, drehte sich jemand knarrend im Bett um. Obwohl ich die Augen schloss, blieb ich hellwach. Es war alles noch zu fremd und die Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum wie ein aufgeschreckter Fischschwarm. Gehörte ich hierher? Würde ich mich hier wohlfühlen? Was würden die anderen in meiner alten Klasse denken, wenn ich ab morgen einfach weg war? Würde wenigstens Lando mich vermissen?

Es war unmöglich einzuschlafen. Schließlich kletterte ich möglichst leise wieder herunter auf den Boden, zog mir eine Badehose an und ging zum Strand. Der Sand war noch warm unter meinen Füßen und kleine Wellen leckten über meine Zehen.

Ich watete ins Wasser hinaus und schwamm los. Das fühlte sich großartig an, ich schwebte schwerelos durch eine andere Welt. Ja, im Gegensatz zu Jasper war ich eindeutig ein Wasserwesen, schon als Kind war ich in jedem Pool schneller drin gewesen, als man »Chlordesinfektion« sagen konnte.

Doch das hier war kein Pool und ich war nicht sicher, was das Salzwasser mit mir machen würde. Erst mal nicht viel, außer dass die Schrammen in meinem Gesicht brannten wie Hölle, als das Salz hineingeriet. Ich wartete darauf, dass sich an meiner Gestalt etwas veränderte, doch nichts passierte.

Außer mir war noch jemand in der Bucht. Dem Atemgeräusch nach einer der Delfine. Sein geschmeidiger Körper glitt auf mich zu, dann sondierte der Delfin mich mit schnellen Sonarklicks. Darüber hatte ich mal was gelesen – wie eine Fledermaus konnte er sich mit diesem Sinn auch in völliger Dunkelheit orientieren. Ein bisschen aufgeregt, trat ich Wasser und wartete ab, ob der Delfin sich vorstellen würde.


Hallo, sagte eine fröhliche Mädchenstimme in meinem Kopf. Du bist der Junge, der heute angekommen ist, oder? Schön, dass du zu uns gefunden hast. Ich bin übrigens Shari.

»Tiago«, stellte ich mich vor. »Ja, ich bin auch froh. Zum Glück hat mein Onkel von dieser Schule gehört, obwohl sie ja anscheinend geheim ist.«

Ein leises Lachen in meinem Kopf. Seawalker tratschen gerne – und die Menschen bekommen nichts davon mit, sagte Shari gut gelaunt und fuhr fort: Ach ja, kleiner Tipp: Es ist keine sooo gute Idee, zu dieser Zeit im Meer schwimmen zu gehen. Nachts jagen die Haie.

»Ähm«, sagte ich. »Ich bin selber ein Hai.«

Ach so, halb so schlimm. Shari zog einen Kreis um mich, checkte mich ab. Wir haben schon zwei an der Schule, viele sind ja auch harmlos, zum Beispiel Ralph, der ist ein Schwarzspitzen-Riffhai. Was für eine Art bist du?

»Ein Tigerhai«, gestand ich.

Oh, ähm. Na dann, ich muss los!, sagte das Delfinmädchen und mit einem raschen Schlag ihrer Schwanzflosse verschwand sie im nachtdunklen Meer.

Enttäuscht und ein bisschen traurig, schwamm ich wieder an Land, zog mich um und setzte mich an meinen neuen Schreibtisch, auf dem noch nichts lag außer meinem Handy. Ich fummelte den Zettel mit der Mailadresse meiner Eltern, den Johnny mir gegeben hatte, aus der Hosentasche … und dann saß ich ganz lange da und überlegte, was ich diesen unbekannten Leuten zu sagen hatte. Besser, ich machte ihnen keine Vorwürfe, sonst schrieben sie mir garantiert nicht zurück. Endlich hatte ich ein paar Sätze zusammen.

Hi, Mum und Dad,

ich weiß nichts über euch, außer dass es euch gibt. Seit vierzehn Jahren lebe ich in Miami und schlage mich irgendwie durch, haha (musste mich heute leider prügeln). Gerade bin ich an der vor zwei Jahren gegründeten Blue Reef Highschool angekommen und lerne dort hoffentlich, was es heißt, ein Hai-Wandler zu sein.

Wenn ihr euch melden wollt, macht das einfach, okay?

Tiago

Als ich die Mail abgeschickt hatte, schaffte ich es endlich einzuschlafen.

Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten

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