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Fertigmachen für Anfänger

In Badeshorts gingen Jasper und ich am nächsten Morgen zum Hauptgebäude, in dem die Klassenräume waren. Es war beruhigend, dass ich schon ein paar Leute aus meiner Klasse kennengelernt hatte. Würde Finny da sein, die gechillte Rochen-Wandlerin? Der Papageifisch hieß anscheinend Nox, den mochte ich auch, trotz oder wegen seiner Sprüche. Aber noch neugieriger war ich auf den anderen Hai und auf das Delfinmädchen, auch wenn es mir gestern buchstäblich die kalte Flosse gezeigt hatte.

Doch leider begegneten wir auf dem Weg zur ersten Stunde niemandem, den ich schon kannte, sondern einem Grüppchen aus einem aufgestylten Mädchen und zwei Jungs, von denen einer lang und dünn war und der andere, ein Rothaariger, massig wie eine Dampfwalze. Das blonde Mädchen war perfekt geschminkt und frisiert – das war garantiert kein Fünf-Dollar-Haarschnitt! –, aber ich fand sie trotzdem nicht hübsch. Ihr Gesicht war ein bisschen unförmig und ihre Nase zu groß, doch daran lag es nicht. Keine Ahnung.

Während sie mit viel Handgefuchtel irgendwas erzählte, hingen die beiden Jungs – die offensichtlich anderer Meinung waren als ich – an ihren Lippen und lachten mindestens bei jedem fünften Wort. Dadurch wirkten sie, als wäre ihr IQ nicht viel höher als die Lufttemperatur.

Da die drei den kompletten Pfad einnahmen, musste Jasper – der vorausging – einen Bogen um sie machen und über die paar Randsteine des Weges klettern. Das fanden die anderen Schüler irre witzig, das Mädchen unterbrach seine Geschichte und alle drei beobachteten grinsend jede unserer Bewegungen. Ich wollte nur noch weg.

»Ey, was geht?«, fragte der eine Junge, der mit den kurzen roten Haaren, dem Doppelkinn und der Haut, die blass war wie Weizenmehl. Er rempelte Jasper an, sodass er stolperte und beinahe in einen Busch gefallen wäre. »Haha, das Gürteltier kennt nicht mal an Land die richtigen Moves!«

Der andere Typ – der dünne – starrte nur und blockierte den Weg. Er hatte die kältesten Augen, die ich je gesehen hatte.

»Lass den Mist, Toco«, protestierte Jasper. »Barry, lässte mich mal durch?«

Er wurde nicht durchgelassen. Das Mädchen kicherte albern.

Ich spürte, wie meine Kiefermuskeln sich verkrampften und mir heiß wurde, als das Blut in meinen Kopf schoss. Manchmal war ich schon richtig ausgerastet, wenn ich mich aufregte – so als würde diese Wut nicht mir gehören, sondern ich ihr. Aber das durfte heute nicht sein, auf keinen Fall, sonst flog ich gleich wieder raus!

Zum Glück hatte ich eine Idee. Ich blaffte die drei nicht an, sondern lachte sie aus. »Was ist das denn für Anfängerkram? Kleinere quälen kann doch jeder. Es kommt drauf an, sich mit den Großen anzulegen.« Ich zeigte auf die Schramme auf meiner Stirn und nickte vielsagend. »Also, bis später.«

Die drei waren so verdutzt, dass sie mich schweigend anstarrten.

Jetzt musste ich nur noch zum Klassenraum kommen. Offensichtlich war es keine gute Idee von Jasper gewesen, an den dreien vorbeizuklettern. Stattdessen marschierte ich mit erhobenem Kopf auf sie zu. Ganz kurz bevor wir zusammenstießen, schlurften die beiden Jungs aus dem Weg und ließen mich und Jasper durch.

»Danke«, sagte Jasper zu mir, als wir außer Hörweite waren. »Die ärgern mich dauernd – Ella, Toco und Barry. Aber es hilft mir nich oft jemand.«

»Ab jetzt schon!«, sagte ich fest und dann schaute ich weg, weil Jaspers bewundernder Blick mich verlegen machte. »Wie viele Klassen gibt’s eigentlich an der Blue Reef High?«

»Die Schule is ziemlich neu, deshalb gibt’s bisher nur zwei Jahrgänge«, erklärte Jasper. »Eine Klasse Zweitjahresleute, so zwanzig Leute etwa, und uns, die Erstjahresschüler. Nach drei Jährchen hier soll man in die normale Schule rüberwechseln, wegen ’nem Abschluss und so.«

»Verstehe«, sagte ich und schon waren wir im Hauptgebäude angekommen. Dort liefen ein paar Leute herum, die älter aussahen als ich, wahrscheinlich Schüler aus dem zweiten Jahr.

Als wir hinuntergingen zu den Verwandlungsarenen 1 und 2, die etwas tiefer lagen, vergaß ich den Ärger endgültig. Durch einen Glastunnel gelangten wir in die Arena 1 und ich blickte mich staunend um.

Wir standen in einem runden, kuppelförmig mit Glas überdachten Raum. Die Mitte des Raumes war trocken und sah ein bisschen aus wie ein normales Klassenzimmer, es gab wasserfeste Stühle, Tische und ein Whiteboard mit Stiften. Der Rest des Raumes war ein Aquarium mit Glasscheiben, die mir bis zur Brust reichten. Es war zweigeteilt. Die rechte – bläuliche – Seite reichte anscheinend in die Lagune hinein und war Salzwasser, die linke Seite, durchs Glas grünlich schimmernd, schien Süßwasser zu sein und war vermutlich mit dem See verbunden.

Gerade traf auf diesem Weg eine ungeheuer dicke Seekuh mit ledriger graubrauner Haut ein und tauchte prustend an die Wasseroberfläche. Einen Moment lang verschwand sie hinter dichtem Tang und Seegras, dann bewegten sich die Vorhänge, die am Übergang von Land und Wasser angebracht waren.

»Das ist der Rückverwandlungsbereich, so eine Art Umkleide«, flüsterte Jasper mir zu. »Ach ja, und das ist übrigens Mara.«

Als rundliches Mädchen mit langen, tropfenden Haaren kam Mara wieder zum Vorschein, sie hatte ihren Körper in ein buntes Tuch gewickelt und war barfuß. In aller Ruhe ging sie eine Rampe hinunter und setzte sich in der Mitte des Raumes an einen Schultisch. Als sie mich bemerkte, ging ein Lächeln über ihr gutmütiges Gesicht. »Hoffentlich gefällt es dir bei uns«, meinte sie und ich lächelte zurück.

Die meisten anderen Schüler, darunter das Grüppchen von vorhin, kamen in Menschengestalt durchs Hauptgebäude, alle trugen so wie Jasper und ich Badesachen. Ich sagte »Hi« zu Finny.

»Ah, die Delfine sind im Anmarsch«, meinte Jasper und deutete auf drei Neuankömmlinge, zwei Mädchen und ein kräftiger olivbrauner Junge mit schwarzen, welligen Haaren. Sie alberten herum und lachten gerade über irgendeinen Witz, den das schlanke Mädchen mit den blonden Locken gerade gemacht hatte. War das Shari? Sie hatte ein herzliches Lächeln, das mir gefiel.

Schließlich traf auch der Lehrer ein, ein hochgewachsener Mann mit der gleichen milchkaffeefarbenen Haut, wie ich sie hatte. Oh hey, das war doch schon mal ein guter Anfang!

»Ah, Tiago Anderson, du bist erst gestern angekommen, oder?«, begrüßte er mich freundlich. »Ich bin Farryn García, mein Job ist, euch in Verwandlung, Mathe und Physik zu quälen … oder auch nicht, je nachdem, wie ihr euch anstellt.« Er sah meinen fragenden Blick und lächelte. »Delfin.«

Oh, wäre es mir beinahe herausgerutscht. Hoffentlich reagierte er nicht genauso wie Shari gestern!

Es war noch alles andere als leise in der Klasse und Mr García warf einen strafenden Blick in die Runde, der für Ruhe sorgte. Aber nur ungefähr fünf Sekunden lang. Toco und Barry machten besonders viel Krach, sie ärgerten sich gegenseitig und schrien dabei herum.

»Ruhe!«, brüllte Mr García und knallte ein Lineal auf seinen Tisch. »Dass ihr so lebhaft seid, heißt bestimmt, dass ihr anfangen wollt. Ich möchte eine gleichmäßige und harmonische Verwandlung sehen, nicht so eine halbe Sache wie letztes Mal.« Er wandte sich an die versammelte Klasse. »Wie macht man das?«

Ein großer, klobiger Junge meldete sich, sein Zeigefinger ging langsam, aber unaufhaltsam in die Höhe.

»Ja, Nestor?«

»Das Bild, wie man am Schluss aussehen soll, nicht aus dem Kopf verlieren«, leierte er herunter. »Sich nicht ablenken lassen, während man sich verwandelt.«

»Genau. Also los, Jungs!«

Toco stellte sich neben seinen Stuhl und wurde nach und nach, in mehreren holprigen Schüben, zu einem ungewöhnlich gut genährten Alligator. Währenddessen war Barry über eine Rampe hochgegangen zum Rand des Wasserbeckens und hatte sich dort pannenfrei in einen etwa eineinhalb Meter langen silbernen Raubfisch mit einem Maul voller Nadelzähne verwandelt.

»Das ist ein Barrakuda, oder?«, wisperte ich Jasper beeindruckt zu und mein neuer Freund nickte eingeschüchtert.

Als Nächstes kam die Angebetete der beiden Kerle dran. »Oh, bitte nicht, mein Styling wird hinüber sein, wenn ich mich verwandle«, jammerte sie.

»Du hast noch drei Sekunden, Ella«, sagte Mr García. »Drei, zwei, eins …«

Ella murmelte irgendwas Genervtes vor sich hin, bevor sie schließlich loslegte. Zwei Ohrringe und mehrere Haarspangen klirrten zu Boden, dann lag sie als armdicke Tigerpython mit hell- und dunkelbraunem Muster halb unter dem Tisch. Auf ihrem Maul waren noch Lippenstiftspuren zu sehen, die sie ungeduldig an der nächstbesten Schülerin abwischte. Die quiekte prompt auf.

Und, sind Sie jetzt zufrieden?, fragte Ella Mr García spitz und hängte sich als Python in mehreren Schlaufen über ihren Stuhl, ohne die Antwort abzuwarten.

»Ja, sah gut aus«, sagte Mr García und wandte sich an den blau-rosa-türkis gemusterten Papageifisch, der geschäftig im Salzwasserbereich herumflösselte. »Was ist mit dir, Nox? Magst du es heute mal probieren?«

Nein danke, Beine stehen mir nicht, informierte ihn Nox.

Mr García spähte unter einen Felsen am Boden des Riesenaquariums, unter dem ein Fangarm hervorschaute. »Lucy? Wie wäre es mit einer Verwandlung?«

Als Zweiarm passe ich nicht mehr unter meinen Felsen, kam es zurück und das, was von Lucy zu sehen war, lief rot an, anscheinend vor Empörung.

»Na gut.« Unser Lehrer richtete sich wieder auf und blickte eins der beiden Delfinmädchen an. »So, Shari, versuch du es mal.«

Das blonde Mädchen erhob sich ganz langsam und mit einem Gesichtsausdruck, als müsste sie gleich im Kopfstand einen Teller voll Brokkoli essen. Soso, das hier war nicht gerade ihr Lieblingsfach. Ich war gespannt.

Mit einem eleganten Sprung tauchte sie in den Meerwasserbereich und ließ sich einen Moment lang mit eingetauchtem Gesicht an der Oberfläche treiben. Wir sahen durch die Glasscheibe, dass ihre Haare im Wasser drifteten wie eine seidige Wolke.

»Und, geht’s?«, fragte Mr García.

Shari presste eine Handfläche gegen die Scheibe. »Tut mir echt leid, es passiert irgendwie nichts, ich weiß auch nicht, warum!«

»Mr García, dürfen wir mit ihr ins Wasser? Vielleicht würde es helfen, wenn wir zusammen sind«, bat ihre dunkelhaarige, zierliche, aber sehr sportlich wirkende Freundin. Der Delfinjunge blickte Mr García herausfordernd an. »Sie müssen uns das erlauben, wir können Shari nicht im Stich lassen!«

Unser Verwandlungslehrer zog die Augenbrauen hoch. »Ich muss euch überhaupt nichts erlauben. Aber ich tue es. Also los, macht schon, ihr beiden!«

Zusammen klappte es besser, schon hatte Shari eine graue Schwanzflosse und sah ganze zehn Sekunden aus wie eine Meerjungfrau, doch leider machte es den Effekt kaputt, dass sie gleich darauf einen grauen Delfinkopf mit jeder Menge blonder Haare hatte. Finny und ein paar andere prusteten los.

Sieht aus, als wolltest du mit Perücke zum Fasching, meinte Nox anerkennend.

Klappe, du Vorspeise, ich muss mich konzentrieren!, gab Shari zurück.

Erst als die beiden anderen Delfinschüler sich reibungslos verwandelten, klappte es auch bei Shari. Shari war der hellgraue Delfin, den ich am ersten Tag springen gesehen hatte, doch ihre Freundin Blue hatte elegante Längsstreifen auf den Flanken. Der Junge war ein etwas kleinerer dunkler Delfin mit kurzer, stumpfer Schnauze.

»Sehr gut, Noah, du warst wirklich schnell diesmal«, lobte ihn unser Lehrer und der Delfinjunge bedankte sich mit einem Sprung inklusive Salto, der in einem so kleinen Becken sicher nicht leicht gewesen war.

Voll der Angeber-Sprung, motzte Ella, das Pythonmädchen.

Das sagst du nur, weil du gerade selbst nicht angeben kannst, gab Noah zurück und klatschte mit der Schwanzflosse aufs Wasser. Dadurch bekam Ella eine Menge Salzwasser ab, beleidigt und tropfend, hing sie auf ihrem Stuhl.

Aaah, diese Gestalt fühlt sich gut an – ist es okay, wenn wir gleich so bleiben?, fragte Shari, das Maul scheinbar zu einem verschmitzten Lächeln verzogen, und schmiegte sich an Blue.

Mr García nickte … und wandte sich mir zu.

Ich erstarrte auf meinem Stuhl. Ganz klar, was jetzt kam. Und tatsächlich, er sagte: »So, jetzt zu unserem Neuankömmling. Tiago, versuchst du es bitte mal?«

Mit zitternden Beinen stand ich auf und ging die Rampe hoch zum Meerwasserbereich.


Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten

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