Читать книгу Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten - Katja Brandis - Страница 13

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Jede Menge Zähne

Ich sprang ins Wasser und schwamm wassertretend auf der Stelle, während mein Puls sich benahm, als würde ich gerade vor King Kong fliehen. »Wie geht das? Das mit dem Verwandeln?«

»Leg dich am besten ruhig aufs Wasser und entspann dich!«, meinte Mr García und rief auf einem wasserdichten Tablet das Bild eines Tigerhais auf. »Jetzt konzentrier dich auf das Bild, versuch, dich darin wiederzufinden.«

Ich fixierte das Bild. Der Hai war ein grauer Torpedo mit breitem Kopf, kurzer, stumpfer Rückenfinne und einem dunklen Querstreifenmuster auf dem Körper. Das bin ICH, dachte ich halb fasziniert, halb nervös, während viele Augenpaare mich neugierig beobachteten. Die Delfine hatten sich ein Stück Richtung Meer zurückgezogen und pfiffen sich gegenseitig etwas zu. Wahrscheinlich lästerten sie gerade, dass ich so elegant schwamm wie ein Küchenmixer. Oder so was in der Art.

Ein starkes Kribbeln durchlief meinen Körper und plötzlich spürte ich, dass meine Hände zu Flossen geworden waren. Noch nie hatte sich mein Körper so kraftvoll angefühlt. Ich schlug mit der Schwanzflosse und schoss prompt ein paar Meter nach vorne, schmerzhaft stieß meine Schnauze gegen die Glasscheibe. Ein Raunen ging durch die Klasse, ein paar Leute wichen zurück.

»Woah, langsam«, sagte Mr García, er wirkte beeindruckt. »Du bist ein Naturtalent in Verwandlung, Tiago! So schnell hat das noch kein Neuer geschafft.«

Im Ernst? Ungläubig blickte ich ihn an. Ich war noch nie im Leben der Beste in irgendwas gewesen und ein Naturtalent schon gar nicht. Nicht mal im Zeichnen, ich musste immer irre viel herumradieren, bis ich das Gefühl hatte, dass es passte.

Mein Blickfeld war anders als vorher und ich roch tausend Dinge im Wasser, von denen ich vorher nichts gewusst hatte. Ich spürte durch die Schwingungen des Wassers an meinen Flanken jede Bewegung der Delfine. Auch mit geschlossenen Augen hätte ich gewusst, dass sie da waren, weil ich mit einem meiner neuen Sinne die elektrischen Impulse in ihren Muskeln fühlen konnte. Es war einfach unglaublich.

»Jetzt mal kurz nicht bewegen«, meinte unser Verwandlungslehrer und holte ein Maßband aus seinem Lehrertisch. Während ich ruhig im Wasser lag, musste er zweimal neu sein Maßband aufspannen. »Dreieinhalb Meter – Respekt! Damit bist du ganz offiziell das zweitgrößte Tier der Schule.«

Wow, cool, meinte ich und „ fragte mich, wer das größte sein konnte.

Etwas Hartes schlug gegen meine Schwanzflosse, jetzt schon zum zweiten Mal. Das nervte! Instinktiv fuhr ich herum und grub die Zähne in das Ding, es knackte und knirschte. Als ich es ausspuckte, stellte ich fest, dass ich eine rot-weiße Metallboje zerbissen hatte, die irgendwas im Schwimmbereich markierte … oder eher, markiert hatte. Das Blech, aus dem sie bestand, sah nun aus wie zerknülltes Papier.


Die Delfine flitzten so rasch davon, dass ich nur noch den Wasserwirbel wahrnahm, wo sie eben noch gewesen waren.

Ups, sorry!, stammelte ich. Das wollte ich nicht.

Im Klassenraum herrschte Totenstille. Niemand bewegte sich, niemand sprach. Sämtliche Schüler starrten mich an und selbst Mr García wirkte ein bisschen blass um die Nase.

In diesem Moment schlenderte ein hochgewachsener Junge mit schulterlangen, von der Sonne ausgebleichten blonden Haaren und schreiend bunten Badeshorts herein. »Sorry, ich bin zu spät, tut mir echt leid und so. Hab ich was verpasst?«

»Ja, Chris«, sagte Finny nur und kämmte sich mit den gespreizten Händen den blauen Schopf durch. »Hast du.«

Zum Glück schaffte ich es reibungslos, mich zurückzuverwandeln, und bald darauf war die Stunde beendet. Jasper kam auf mich zu, um mich zur nächsten Stunde zu begleiten, doch Farryn García winkte ihn weg. Er bedeutete mir dazubleiben und so stand ich linkisch herum, bis alle anderen gegangen waren. Dann wartete ich darauf, was er zu sagen hatte.

Sehr ernst blickte er mich an und ich merkte, dass er die Schrammen auf meinem Gesicht musterte. »Es ist sicher nicht leicht für dich, ein so gefährliches Tier zu sein. Aber du musst es unbedingt schaffen, deine Aggressionen in den Griff zu bekommen. Wenn du es nicht fertigbringst, dich zu beherrschen, wirst du irgendwann mal jemanden verletzen, möglicherweise schwer.«

»Bei dieser Prügelei in der Schule hab ich nicht …«, begann ich, angefangen, wollte ich noch sagen. Doch mein neuer Lehrer war noch nicht fertig.

»Das war die erste Warnung. Sorge bitte dafür, dass es keine zweite geben muss. Du bist ein Stipendiumsschüler, oder? Was für eine Probezeit hat Jack mit dir vereinbart?«

»Zwei Wochen«, würgte ich hervor und hoffte, dass er nicht sagen würde, dass die Probezeit hiermit vorbei war. Oder ich die Boje bezahlen musste. Ich wusste nicht, was so ein Ding kostete, ich wusste nur, dass wir keine Kohle übrig hatten.

Zum Glück sagte Mr García nichts zum Thema Stipendium oder Boje, sondern fügte nur hinzu: »Viel Glück. Du kannst jetzt gehen. Weißt du, wo du zur nächsten Stunde hinmusst?«

»Finde ich schon heraus«, antwortete ich und ergriff die Flucht.

Als ich durch den Glastunnel zurückging in den anderen Trakt des Hauptgebäudes, fühlte ich mich wie betäubt. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wohin ich zur nächsten Unterrichtsstunde gehen musste. Doch zum Glück fing Jasper mich ab und lotste mich zu einem Raum neben der Cafeteria, der sich als unser Hauptklassenraum herausstellte. »Was hat er zu dir gesagt?«, fragte er neugierig.

»Etwas, was ich nicht hören wollte«, sagte ich. Mr García war ganz schön streng, ich war noch nicht sicher, ob ich mit ihm auskommen würde. Ich fragte mich, wer die anderen beiden Haie an der Schule waren, das musste ich unbedingt bald herausbekommen. Hatten sie ähnliche Probleme wie ich? Vielleicht waren sie mögliche Freunde und Verbündete?

»Oh. Na ja, jetzt kannste dich ein bisschen entspannen, die nächste Stunde wird bestimmt nett«, kündigte Jasper an. »Mrs Pelagius unterrichtet Geschichte, Geografie und Gewässerkunde, weil sie schon zweiundneunzig Jahre alt und irre viel gereist ist. Sie ist eine Grüne Meeresschildkröte, nenn sie bloß nicht Suppenschildkröte, das mag sie so dermaßen gar nicht!«

Suppe? Schon bei dem Wort knurrte mir der Magen. Seit ich mich verwandelt hatte, hatte ich richtig Hunger. Weil man sich in der Cafeteria an einem Teller mit Haselnüssen bedienen konnte, nahm ich mir eine Handvoll.

Wie sich herausstellte, stand unser Klassenraum so wie die Cafeteria halb unter Wasser und unsere Lehrerin war nur als dunkler Buckel in Höhe meiner Schienbeine zu sehen.

Ich hatte noch nie von so hoch oben auf eine Lehrerin herabschauen müssen. Ein bisschen ratlos sagte ich »Hi« nach unten und bekam ein Willkommen, Tiago – setz dich! zurück.

Eine Sitzordnung gab es anscheinend nicht. Wer gerade in Menschengestalt war, schnappte sich einfach einen Stuhl und stellte ihn irgendwohin, wo es ihm gerade passte. Es brauchten sowieso nicht alle Sitzgelegenheiten. Von den Delfinen, die aus der Lagune hereingeschwommen waren und jetzt am anderen Ende des Raumes herumhingen, sah man nur die Rückenflossen.

Ich setzte mich ungefähr in die Mitte des Raumes. Als sich alle anderen Schüler eingefunden hatten, waren die Stühle um mich herum immer noch leer. Auch die Blicke, die die anderen mir zuwarfen, waren ziemlich eindeutig. Nach der Sache mit der Boje traute sich niemand mehr in meine Nähe. Ein zart wirkender blonder Junge und ein zierliches Mädchen flüsterten miteinander und warfen hin und wieder Blicke in meine Richtung. Irgendjemand summte die Titelmelodie des Horrorfilms Der weiße Hai. Sogar Finny, das Teufelsrochenmädchen, hielt Abstand – das tat weh.

»Mach dir nichts draus«, versuchte Jasper, mich zu trösten, und wackelte im Wasser mit den Zehen. »Das wird noch.«

Das hoffte ich auch, doch sicher war ich nicht. Besonders, wenn ich Ellas, Tocos und Barrys stechende Blicke auf mir spürte. Als Toco an mir vorbeiging, beugte er sich zu mir herunter. »Du denkst jetzt wohl, du bist der Stärkste hier?«

»Keine Ahnung«, gab ich vorsichtig zurück.

»Bist du nicht.«

»Kann gut sein. Angeblich bin ich ja nur das zweitgrößte Tier.«

Tocos Blick wurde noch wütender. »Es kommt nicht immer auf die Größe an. Misch dich nicht in unsere Angelegenheiten, Hai, ist das klar?«

Das war mir deutlich zu viel, ein braves »Okay« kam nicht infrage. »Kein Problem, du und Ella, ihr seid ja sowieso nur Süßwasserpöbel und habt eure eigenen Probleme«, improvisierte ich und bereute es im selben Moment. Wieso hatte ich mich provozieren lassen?

Am liebsten hätte er mich hier und jetzt angegriffen, das spürte ich. Aber blöd war er nicht, er hielt sich zurück. Er und Barry würden noch eine Gelegenheit finden, über mich herzufallen. Und wenn ich Pech hatte, war ich es dann, der von der Schule flog. Auf einmal kamen mir die zwei Wochen Probezeit endlos vor … konnte ich die wirklich überstehen? Ich war mir alles andere als sicher.

Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten

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