Читать книгу Seawalkers (5). Filmstars unter Wasser - Katja Brandis - Страница 10
Blue Reef Hollywood
ОглавлениеEs war nicht ganz leicht, sauer auf Jack Clearwater zu sein, weil er ein so netter Kerl war. Aber diesmal sah es so aus, als wäre es bei manchen von uns so weit. Als Finny an diesem Morgen neben Shari, unseren Delfinfreunden, Jasper, Chris und mir in der Cafeteria saß, wirkte sie ebenso angefressen wie ihr Frühstücksbrötchen. »Wusstet ihr eigentlich, dass unser sehr verehrter Schulleiter mir schon vor Monaten versprochen hat, dass er im Herbst mal wieder ein Theaterstück mit uns aufführt?«
»Meerig! Jetzt ist Herbst, oder?« Shari blickte ein bisschen unsicher drein. An Land spürte man die Jahreszeiten deutlich stärker als im Meer, in dem sie als Delfin aufgewachsen war. Es war inzwischen November und morgens und abends brauchte man selbst in unserem sonnigen Florida einen Pullover, wenn man sich nicht durchs Leben bibbern wollte.
»Oh echt? Ich wusste gar nicht, dass er das versprochen hat«, meinte ich neugierig und goss Ahornsirup über meinen Pfannkuchen. »Wollte er das Stück selbst schreiben?«
»Klar, und er macht so was auch gut … wenn er mal in die Gänge kommt«, meinte Finny, in zweiter Gestalt ein Teufelsrochen. Sie kämmte sich mit gespreizten Fingern die azurblauen Haare durch und stand auf. »Ich frage ihn jetzt gleich, wie weit er mit dem verdammten Stück ist. Wer kommt mit?«
»Ich«, sagte unser blonder, schlaksiger Seelöwen-Wandler Chris, noch bevor ich meinen Pfannkuchen heruntergeschluckt hatte und dazu gekommen war, den Mund wieder aufzumachen.
»Bin dabei«, meinte ich.
»Ich auch«, verkündete Juna, unsere zierliche Falterfisch-Klassensprecherin, die anscheinend im benachbarten Tischboot mitgehört hatte. »Das ist schließlich meine Pflicht.«
Da gerade auch die anderen Mitglieder der Delfinclique sich melden wollten, sagte Finny: »Drei Leute reichen. Sonst fühlt er sich bedroht, haha, besonders wenn auch Tiago mitwill.«
»Sehr witzig«, sagte ich und teilverwandelte meine Zähne zu einem Tigerhaigebiss.
Shari musste lachen und nahm meine Hand. »He, mach mich nicht neidisch. Bis ich meine Teilverwandlungen so gut im Griff habe …«
Ihre Hand zu halten, fühlte sich unglaublich an. Wahrscheinlich stand auf meinem Gesicht ein großes, seliges Idiotengrinsen.
Finny winkte den anderen und mir mitzukommen und watete rüber zum Lehrertisch, an dem richtig gute Stimmung herrschte. Miss Bennett, unsere neue Igelfisch-Lehrerin, lachte über einen Witz, den Mr García gerade gemacht hatte, unsere Orca-Kampflehrerin Miss White knabberte lächelnd – lächelnd! – an einer Melonenscheibe, während sie und Mr Clearwater einander anblickten. Unser junger Schulleiter war ein großer, breitschultriger Mann mit hellblonden Haaren, die verrieten, dass er in zweiter Gestalt Weißkopf-Seeadler war. Gerade trank er entspannt seinen Kaffee und las dabei die Zeitung. »Es gibt richtig meerige Neuigkeiten«, sagte er und zeigte eine Meldung herum. Neugierig las ich die Überschrift: Mutmaßlicher Gangsterboss verhaftet!
»Was, etwa Carl Bittergreen, der Kumpan von Lydia Lennox?« Mein Puls beschleunigte sich. »Der, der mit ihr zusammen hinter den Wetten auf Haikämpfe und diesen Umweltschweinereien steckte?«
»Genau. Er ist wegen Mordes, Erpressung und Bedrohung angeklagt und diesmal sind die Beweise erdrückend«, berichtete Jack Clearwater bestens gelaunt. »Sie haben einen wichtigen Zeugen gegen ihn. Demnächst ist die Gerichtsverhandlung. Bittergreen könnte gut zwanzig Jahre hinter Gitter wandern.«
Er zeigte uns das Zeitungsfoto eines nicht sehr großen, quadratisch gebauten Mannes mit steinernem Gesichtsausdruck. Sein Blick ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Er war einer dieser Typen, mit denen man sich auf keinen Fall anlegen wollte, doch wir hatten ihm und der Lennox schon ein paarmal das Geschäft verdorben.
Aber jetzt war er auf dem Weg in den Knast! Chris, Finny und ich klatschten uns ab. Das waren wirklich gute Neuigkeiten.
»Die Lennox vertritt ihn natürlich, nehme ich an?«, fragte Finny.
»Wer sonst?«, sagte unser Schulleiter und warf einen Blick zu Ella hinüber, die so tat, als würde sie nichts hören, und mit Daphne, Toco und Barry plauderte.
Lydia Lennox, Ellas Mutter, hatte immer behauptet, sie wäre ja nur die Anwältin dieser Kriminellen. Doch bei den Haikämpfen, die wir gestoppt hatten, hatten wir sie erst an Bord gesehen und dann mitbekommen, dass sie dabei sogar das Kommando hatte! Seither wussten wir, dass sie und ihr Kumpel Carl Bittergreen zumindest manche Verbrechen (von denen mich eines fast das Leben gekostet hätte) gemeinsam organisiert und durchgeführt hatten.
Würde die Lennox auch weitermachen, wenn Bittergreen erst mal von der Bildfläche verschwunden war? Keine Ahnung. Doch es würde ein herber Rückschlag für sie sein, ihren Kumpan zu verlieren.
»Aber deswegen wolltet ihr mich nicht sprechen, oder?«, fragte Jack Clearwater. »Was gibt’s?«
Um die Dinge herumzureden, war nicht Finnys Art. »Wie sieht’s aus mit dem neuen Theaterstück? Wie weit sind Sie damit? Wir hätten Lust, mal wieder eine Aufführung zu machen.«
Gespannt warteten wir und die Leute an den anderen Tischen auf die Antwort.
»Äh, ja«, sagte unser Schulleiter. »Ich fürchte, das dauert noch. Das Stück ist erst halb fertig.«
»Erst halb fertig?! Das haben Sie im Sommer auch schon gesagt!« Finny stemmte die Hände gegen die Hüften.
»Es war ziemlich viel los bei uns, falls du es nicht bemerkt hast«, verteidigte ihn Miss White.
»Geben Sie es zu, Sie haben eine Schreibblockade«, sagte Chris.
»He, Moment mal, wie redest du mit unserem Schulleiter?« Juna blickte ihn stirnrunzelnd von der Seite an.
Jack Clearwater seufzte. »Lass nur, Juna, er hat recht. Ja, es stimmt, ich komme mit dem verdammten Stück nicht weiter und habe keine Ahnung, woran das liegt.«
»Also erst mal keine neue Aufführung?« Finny kniff die Lippen zusammen. »Wozu haben wir dann überhaupt eine Theatergruppe?«
Juna und Chris zogen sie weg, bevor es noch mehr Stress zwischen den beiden geben konnte.
»Chillt mal, Leute«, sagte Chris, als wir uns im blau-weißen Boot um den Tisch drängten. »Ich hab eine Idee.«
»Na, da bin ich aber gespannt – hat sie irgendwas mit Schuleschwänzen zu tun?«, zog ihn Noah auf, während Finny düster durch die Panoramafenster auf die Lagune hinausstarrte.
»Nein, aber dafür mit Hollywood«, sagte Chris und lächelte geheimnisvoll, während er sich vorbeugte. »Wir packen das Ganze einfach selbst an. Aber nicht als Theaterstück … sondern gleich als Film. Ich wollte schon immer einen Film machen. Wann, wenn nicht jetzt?«
Verdutzt blickten wir uns an.
»Weißt du denn, wie das geht?«, fragte Blue ein bisschen ratlos – auch sie war so wie Shari als Delfin aufgewachsen. Plötzlich fiel mir auf, dass sie einen guten Filmstar abgeben würde mit ihren langen dunklen Haaren, ihrem feinen, ovalen Gesicht und ihrer Turnerinnenfigur.
»Hab ich euch nie erzählt, dass ich mal in einem Film mitgespielt habe, als ich noch in Kalifornien gewohnt habe?« Chris strich sich das schulterlange, von der Sonne gebleichte Haar aus der Stirn und wirkte so, als würde ihm unsere gebannte Aufmerksamkeit ziemlich gut gefallen.
»War es eine Tierdoku?«, fragte Finny trocken.
»Nee, ein richtiger Kinofilm! Ein Kumpel kannte jemand, der jemand kennt, so bin ich an die Rolle drangekommen. Na ja, ich musste nur mal mit Surfbrett durchs Bild laufen und zwei Sätze sagen, aber trotzdem habe ich ein bisschen was davon mitgekriegt, wie das an einem Filmset läuft.«
»Wow«, entfuhr es mir. »Was durftest du denn sagen?«
»He, rück mal beiseite, denkst du, der Strand gehört dir oder was?«, zitierte Chris. »Das war witzig gemeint. Ich war damals erst zwölf und noch etwas kurz geraten, der andere Typ war erwachsen und hatte Muskeln Marke Superheld.«
»Wieso hast du uns das nie erzählt?« Shari wirkte fasziniert.
»Darf ich in deinem neuen Film mitspielen?«, fragten Noah und Juna fast gleichzeitig. Auch in den anderen Tischbooten waren die Schüler aufmerksam geworden, sie standen auf und wateten auf uns zu. Zum Beispiel Toco, unser fiesester Alligator, ein kräftiger, karottenhaariger Junge, und die schlanke blonde Ella, in zweiter Gestalt Python.
Einen Moment lang wirkte Chris so, als würde ihm das ein kleines bisschen Sorgen machen. Aber dann war er wieder so lässig wie sonst. »Klar«, meinte er. »Jeder, der möchte, kann mitmachen, ich schreibe das Drehbuch gleich so, dass es genügend Rollen gibt.«
Moment mal, das ging alles ziemlich schnell … er wollte Produzent sein und außerdem das Drehbuch schreiben?
Bau unbedingt auch einen witzigen Papageifisch ein, meldete sich Nox aus dem Wasser zu Wort. Ich könnte der beste Freund des Helden sein, wie klingt das?
Ein Krakententakel packte ihn um den Bauch. Schlecht. So eine Rolle ist vielgut für MICH!, verkündete Lucy.
»Kein Stress, Leute, ich denk mal drüber nach.« Chris’ Augen glänzten, er wirkte so energiegeladen wie selten zuvor. »Übernimmst du die Regie, Finny? Natürlich brauche ich dich auch für all die schrägen Nebenrollen, für die sich jemand verkleiden muss.«
»Ist gebongt«, sagte Finny. Sie wirkte schon deutlich glücklicher als vorhin. »Aber ich glaube, es gibt ein Problem. Ohne richtige Kamera nix Film.«
»Ach Quatsch.« Noah, unser neuseeländischer Schwarzdelfin, winkte ab. In erster Gestalt war er ein Junge mit brauner Haut und schwarzen, welligen Haaren. »Wir nehmen das Ganze mit dem Handy auf.«
»Es gibt einen Grund, warum ›Handyvideo‹ ein Schimpfwort ist«, wandte ich ein und auch mehrere andere aus unserer Gruppe wirkten skeptisch.
Also zwängte sich Noah aus dem Boot und zückte sein Handy. »Wir probieren das gleich aus. Tut bitte mal so, als würdet ihr euch darüber streiten, wer die Hauptrolle bekommt, ja?«
»Na, die kriege natürlich ich«, sagte ich zum Spaß und haute mit der Faust auf den Tisch. Eins der Bretter knackte und bekam einen Riss. Ups. Manchmal vergaß ich, wie stark ich war.
»Sagt wer?« Noah grinste. »Ich sage, das kannst du dir abschminken. Schließlich haben wir einen wahren Star unter uns, dieses hübsche blonde Mädel.« Er deutete mit dem Kinn auf den Platz neben mir.
Shari schaute sich verwirrt um und wir mussten lachten. Noch immer fand sie es seltsam, dass sie in ihrer Menschengestalt Finger und eine im Vergleich zu ihrer Delfinschnauze winzige Nase hatte. »Das haben mir schon ein paar Leute gesagt, dass ich in erster Gestalt hübsch bin … stimmt das etwa wirklich?« Shari betastete ihr Gesicht und gab zu: »In letzter Zeit habe ich mich manchmal im Spiegel angeschaut und gedacht: Hey, das ist vielleicht gar nicht so schlecht, was ich da als Menschengestalt abbekommen habe.«
»Natürlich bist du hübsch, das sage ich dir doch schon die ganze Zeit«, meinte ihre beste Freundin Blue.
Ich nickte heftig. »Genau.«
»Äh, danke«, sagte Shari verlegen und lächelte. »Na, dann glaube ich das jetzt mal!«
»Vergiss es, die Hauptrolle spiele ich«, trumpfte Juna auf, zog eine fiese Grimasse und krümmte ihre Hände zu Klauen. »Euch war nie wirklich klar, dass ich in Wirklichkeit der Folterfisch Juna Jaxxon bin, eine Superschurkin, die die Welt zerstören und alle Meere trockenlegen will!«
Sehr überzeugend wirkte das nicht, weil Juna klein und schmal war und mit ihren schulterlangen dunkelblonden Haaren mit ordentlichem Mittelscheitel ein bisschen brav aussah. Jasper rutschte vor Lachen fast unter den Tisch. »Meinste wirklich? Und du schwimmst dann in einem Eimer rum oder was?«
»Genau das muss sie, weil ich als Seawalker-Agentin sie nämlich stoppen werde«, verkündete Sharis sonst eher schüchterne beste Freundin Blue und versuchte, einen stahlharten Blick aufzusetzen. Jasper quiekte vor Vergnügen.
»Cut! Das reicht schon«, unterbrach uns Noah und wir beugten uns gespannt über sein Handy, um die Aufnahme zu überprüfen.
Sie war beschissen. Obwohl Noahs Handy ziemlich neu war, verstand man durch die Hintergrundgeräusche in der Cafeteria nur die Hälfte des Dialogs, außerdem schwankte das Bild und war überbelichtet. Sah nicht wirklich nach Kinoqualität aus. Außer für jemanden, der noch nie im Kino gewesen war. Shari und Blue staunten den Film an wie das achte Weltwunder.
»Hey, siehst du das? Das bin ich als Agentin«, flüsterte Blue stolz ihrer besten Freundin zu.
Chris dagegen wirkte ernüchtert, er schob Noahs Gerät beiseite und blickte in die Runde. »Okay, Leute. Eins ist klar – wir brauchen eine echte Kamera.«
»Gerade fällt mir was ein«, meinte Juna. »Barry hat sich neulich eine gekauft – einen wasserdichten Camcorder.« Verblüfft blickten wir sie an.
Ausgerechnet Barry, unser Barrakuda. Na toll. Er war neben Toco und Ella eine der übelsten Gestalten hier an der Schule, obwohl es ihn ein bisschen milder gemacht hatte, dass er nun mit Carmen, unserem Hammerhaimädchen, zusammen war.
Doch bevor wir darauf reagieren konnten, stürmte Mara – in zweiter Gestalt Seekuh – durch den Cafeteria-Eingang, der zum Strand führte. Sie hatte es so eilig, dass ihr massiger Körper im knietief gefluteten Raum eine Bugwelle hatte. »He, Leute! Ralph hat draußen am Riff was gefunden! Schnell, kommt schauen …«
Wir ließen unsere fast leeren Teller stehen und folgten ihr eilig nach draußen.