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Cowboys und Kuhfladen

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Es klingelte an der Tür. „Jetzt geht es rund!“, rief sie gut gelaunt. Annegret stürmte, sonnengebräunt und eingehüllt in eine Wolke Parfum, durch die Tür. Annegret Marquardt, genannt Anne, war der Prototyp einer Karriere-Barbie: Groß, blond, attraktiv, erfolgreich, energisch und mit allen Wassern gewaschen, ließ sie sich kein X für ein U vormachen. Aber sie hatte auch eine verborgene Seite. Fürsorglich, mütterlich und stets besorgt wachte sie über die Menschen, die ihr lieb und teuer waren. Während Sannahs Scheidung hatte Annegret für sie gekämpft wie eine Löwenmutter um ihr Junges. Sie hatte Markus vor Gericht in der Luft zerfetzt und bluten lassen.

Stürmisch drückte sie Sannah an sich. „Ach, Süße, ist das schön dich zu sehen. Das nächste Mal musst du mitkommen. Es war todlangweilig. Nur Rentner und Quallen.“

„Nein, danke!“, wehrte Sannah lachend ab. „Ich habe andere Pläne.“

Annegret warf ihren Mantel auf den Stuhl und machte ein erstauntes Gesicht. „Habe ich in der kurzen Zeit etwas verpasst?“ In diesem Moment kam Jonas grinsend um die Ecke, und sie hob erstaunt die Augenbrauen.

„Wie es scheint, habe ich tatsächlich etwas verpasst“, stellte sie fest, lächelte gefährlich und musterte Jonas von oben bis unten. Er hielt ihrem Blick amüsiert stand.

„Das ist Jonas. Mein Kollege!“, sagte Sannah mit Nachdruck.

„Geht ihr doch schon mal ins Wohnzimmer! Ich hole das Essen.“

Während des Essens berichtete Annegret von ihren Urlaubserlebnissen. Schrill, bunt und wortgewandt schilderte sie ihre Kämpfe mit Quallen und älteren Herrschaften, die bereits morgens um sechs die Liegestühle am Pool mit Handtüchern besetzten. Sannah und Jonas lachten Tränen, als sie berichtete, wie sie den Handtüchern den Garaus bereitet hatte.

Nach dem Essen erklärte sich Jonas freiwillig bereit, den Abwasch zu machen, und verschwand in der Küche.

„Erklärst du mir jetzt mal, was hier los ist?“, fragte Annegret mit vielsagendem Blick.

Sannah machte ein unschuldiges Gesicht. „Nichts ist los. Jonas ist mir beim Einkaufen zugelaufen. Er war schon halb erfroren, da hab ich ihn mitgenommen“, schilderte sie kichernd und erntete einen strafenden Blick von ihrer Freundin.

„Er ist ein lieber Kollege“, fügte Sannah hinzu.

„Ist er Kollege McDreamy oder Kollege McSexy?“, hinterfragte Annegret mit einem vielsagenden Grinsen, schenkte Wein nach und lümmelte sich aufs Sofa.

„Weder noch“, antwortete Sannah bestimmt.

„Schade, ich hatte gehofft, du hättest endlich mal einen netten Kerl kennengelernt und würdest wieder anfangen zu leben“, resümierte Annegret enttäuscht.

Sannah verdrehte die Augen. Da war er wieder, der Spruch. Diesmal in der Variante Nr. 256.

Jonas war mit dem Abwasch fertig und kam mit einer Schüssel voll Schokolade und Toffees wieder ins Wohnzimmer. Sannah schenkte ihm ein dankbares Lächeln, nicht nur für die geleistete Hausarbeit, sondern vor allem, weil er sie davor bewahrte, dass Anne dieses leidige Thema noch weiter vertiefen konnte. Dafür ließ er die nächste Bombe platzen.

„Jetzt erzähl doch mal von deinen Urlaubsplänen!“, forderte er Sannah auf, während er anfing Schokolade zu futtern.

Annegret riss begeistert die Augen auf. „Du willst in Urlaub fahren? Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Endlich hörst du mal auf meinen Rat“, jubelte sie. „Wo willst du hin?“

Sannah nahm einen Schluck Wein. „Ich fahre für drei Monate auf eine Ranch in South Dakota.“

Annegret entgleisten die Gesichtszüge. Sie hatte Mühe sich wieder zu sammeln. „Aha, und ich nehme mal an, dieser charmante Mensch“, sie deutete auf Jonas, „ist dein behandelnder Ohrenarzt?“

„Wieso Ohrenarzt?“, fragte Sannah irritiert.

„Weil ich dir drei Wochen Villa Palma empfohlen habe und nicht drei Monate Valla Pampa!“

Jonas fing schallend an zu lachen und ließ dabei fast die Schüssel mit der Schokolade fallen. Annegret rettete sie mit beherztem Griff und machte sich über die Toffees her.

„Um die Handtuch-Brigade in ihre Schranken zu weisen?“, verteidigte sich Sannah. „Nein, danke! Du hast selber gesagt, es war langweilig. Nur Rentner und Quallen.“

Jonas rang nach Luft. „Kein großer Unterschied zu Cowboys und Kuhfladen“, bemerkte er lachend. Bei dem Wort „Cowboys“ wurde Annegret hellhörig. Sie kannte Sannahs Vorliebe für Pferdeställe. Während der Studienzeit hatte sie oft genug ihre liebe Not gehabt, Sannah vom Misthaufen wegzuzerren oder sie aus dem Sattel zu bekommen.

„Wenn man auf Dreck und Schweiß steht“, meinte sie und grinste schalkhaft in Sannahs Richtung.

Sannah betrachtete die beiden anderen auf dem Sofa. Da saß sie nun, die Rentner-auf-Qualle-Fraktion. Süßigkeiten futternd, mit der gleichen gespannten Haltung, gemeinsam die Schüssel haltend. Sie musste grinsen. Die zwei waren sich offensichtlich einig. „Was zum Teufel willst du da?“, fragte Jonas.

Annegret klopfte ihm zustimmend auf den Schenkel, was Jonas mit einem Lächeln quittierte.

‚Fehlt nur noch, dass er gleich Männchen macht‘, dachte Sannah amüsiert.

„McSweety und ich sind einer Meinung“, bestätigte Annegret.

„Was willst du da? Dort laufen lauter Hinterwäldler mit Waffen herum und schießen auf alles, was sich bewegt“, gab sie mit besorgter Miene zu bedenken.

„Ich werde in der Pine Ridge Reservation eine Fotodokumentation machen. Kann, mit ein bisschen Glück, ab und zu mal reiten und mir die Gegend ansehen, und wenn ich zurück bin, halte ich einen Vortrag für den Spendenverein“, erklärte Sannah sachlich.

„Mein Gott, Sannah, redest du etwa von einem Indianer-Reservat?“, rief Annegret entsetzt. „Weißt du überhaupt, was für katastrophale Zustände dort herrschen?“

„Natürlich weiß ich das“, erwiderte Sannah ruhig. „Die Arbeitslosenquote liegt bei rund achtzig Prozent, mehr als drei Viertel der Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze. Sie kämpfen mit Alkohol- und Drogenproblemen und leiden, bedingt durch billige und schlechte Nahrung, an Diabetes. Die Selbstmordrate ist viermal höher als der normale Durchschnitt, die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfzig Jahren und die Säuglingssterblichkeit ist ebenfalls deutlich höher als normal. Von den teilweise menschenunwürdigen Wohnbedingungen ganz zu schweigen. Immer wieder erfrieren in den harten Wintern einige Menschen, weil sie nicht genug Geld für das nötige Gas zum Heizen aufbringen können. Das ist nicht nur katastrophal, das ist auch beschämend für ein Land, das so arrogant ist, sich selbst die Nummer eins zu nennen“, ereiferte sie sich. „Ich würde nie in den USA einfach nur Urlaub machen wollen, aber dort in Pine Ridge kann ich meinen Beitrag leisten und etwas Sinnvolles tun.“

Annegret schwieg betroffen. Sannah wusste offensichtlich nur zu gut, worauf sie sich eingelassen hatte.

„Ist das dieses Horsemanship-Projekt, von dem du mal erzählt hast?“, brach Jonas das Schweigen.

Sannah nickte.

„Finde ich super! Ist genau dein Ding!“, meinte er.

Sannah lächelte ihn dankbar an.

Nach dem hitzigen Gespräch verabschiedete sich Jonas und rief sich ein Taxi.

„Jetzt schon?“, maulte Annegret enttäuscht.

Er nickte. „Ich habe Wochenenddienst. Wenn man seine Patienten wohlbehalten schlafen legen will, sollte man selbst ausgeschlafen sein.“ Er gab Sannah einen Kuss auf die Wange. „Danke für den schönen Abend, wir sehen uns am Montag.“ Dann gab er auch Annegret einen Kuss. „Hat mich sehr gefreut dich kennenzulernen. Wir sehen uns, wenn wir die junge Dame in ihren Flieger setzten.“ Jonas griff noch mal beherzt in die Schokoladenschüssel. „Wegzehrung!“ Er grinste und verschwand.

Nachdem Jonas gegangen war, machten es sich die Frauen gemütlich. Sie lümmelten vor dem Kamin und reduzierten die Bestände an Knabberkram und Wein. Ganz wie in alten Studentenzeiten. „Jetzt mal ehrlich“, bohrte Anne neugierig nach. „Da läuft wirklich nichts zwischen dir und ihm?“

Sannah warf ein paar Erdnüsse ein und schüttelte den Kopf. „Nein, da läuft gar nichts. Ich weiß, was du jetzt sagen willst, er ist lieb und süß, er sieht gut aus, hat Charme und Humor. Aber es funkt nicht bei mir. Ich bekomme keine weichen Knie. Er ist einfach nicht mein Typ.“

„Du hast doch überhaupt keinen Typ. Jedenfalls keinen klar erkennbaren“, stichelte Annegret.

Sannah schmiss ihr zur Strafe ein Kissen an den Kopf. „Dafür ist dein Typ umso klarer erkennbar. Eine Kreuzung aus Antonio Banderas und Schwarzenegger. Gern auch mit gut gefüllter Badehose und Brusthaar-Toupet mit eingewebtem Goldkettchen“, frotzelte Sannah lachend zurück.

„Besser als nichts!“, stellte Anne kichernd fest. „Du würdest deinen Ritter in glänzender Rüstung ja nicht mal erkennen, wenn er dir laut scheppernd vor die Füße fällt!“

Pine Ridge statt Pina Colada

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