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Komplizenschaft von Corona- und Klimaleugnern im Heartland Institut
Оглавление„Ein Angriff auf den Kapitalismus der amerikanischen Mittelschicht“, „ein Komplott, um die Amerikaner ihrer Freiheit zu berauben“, „durch nichts gerechtfertigt“, „keine freie Gesellschaft [würde sich] das antun“, „ein Trojanisches Pferd, erdacht, um den Kapitalismus abzuschaffen“, und schließlich die ganz große Nummer: „ein Deckmantel für den Nationalsozialismus“.4 [21] So wird auf den Konferenzen des eng mit der libertärrechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung verwobenen Heartland Institut in den USA über den Klimaschutz gesprochen. Eigenen Angaben zufolge fühlt sich die Heartland-Truppe marktliberalen Lösungen verpflichtet. Die Liste ihrer Geldgeber liest sich wie das Who’s who des Rechtspopulismus und Marktradikalismus: Philip Morris, die R. J. Reynolds Tobacco Company, die Koch Family Foundation, die Mercer Family Foundation und ExxonMobil. In ihrem Buch zum Green New Deal schildert Naomi Klein die Argumentationsmuster, die dieser pseudowissenschaftliche Think-Tank verbreitet. Anfangs handelte es sich um eine kleine Lobbygruppe u.a. für Tabak. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Passivrauchen krebserregend ist, war wichtig für die Gesundheit und das Leben von Millionen, aber schlecht für die Milliardenprofite der Tabakindustrie. Also versuchte man Zweifel an der Faktenlage zu säen. Dass diese Lobbygruppe sich selbst als Institut bezeichnet, ist eine Beleidigung für alle wissenschaftlichen Institute. Nichtsdestotrotz ist das Heartland Institut inzwischen zu einer einflussreichen Kraft in der Klimawandelleugnerszene aufgestiegen und hat mit gezielten Falschinformationen teilweise erfolgreich die Stimmung zum Klimaschutz in den USA negativ beeinflusst.
Dem Einfluss und massiven Mitteleinsatz von Lobbygruppen wie dieser ist es u.a. geschuldet, dass sich die Republikanische Partei inzwischen komplett vom Thema Klimawandel abgewandt hat. Nun war diese Partei noch nie Vorreiterin der Klimagerechtigkeit, [22] aber immerhin gab es eine Zeit in den USA, wo zumindest rhetorisch der Klimaschutz auch von einigen Republikaner:innen vertreten wurde und man die Hoffnung hegen konnte, dass ein direktes Leugnen des menschengemachten Klimawandels bald der Vergangenheit angehören dürfte. Diese Zeit ist vorbei. Der Clou ist, seit kurzem hat sich das Heartland Institut einem weiteren Ziel verpflichtet: der Untergrabung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Covid-19. Wer also schon eine Weile den Verdacht hatte, dass es eine große Schnittmenge zwischen Coronaleugnern und Klimaleugnern5 gibt, lag damit richtig. Bei der Coronaleugnung wie bei der Klimawandelleugnung geht es letztlich um die Ablehnung der Wirklichkeit, weil einem die möglichen Konsequenzen nicht passen. Die Leugnung des Klimawandels ist dann die vielleicht zugespitzte Form der Verdrängung der Folgen der Externalisierungsgesellschaft, d.h. dem Leben auf Kosten anderer.6 Die Klimaleugnung hat für ihre Anhänger zumindest kurzfristig einen entscheidenden Vorteil: Wenn es den Klimawandel nicht gäbe, müsste man auch nichts infrage stellen. Anzuerkennen, dass die vorherrschende Art der Produktion und [23] Konsumtion die Zukunft des Planeten oder zumindest des Lebens darauf, wie wir es kennen, gefährdet, ist hingegen folgenreich und müsste zu einem entschiedenen Kampf um eine grundlegende Veränderung führen. Das ist eine Konsequenz, die viele in ihrem Alltag schlichtweg nicht ziehen können oder ziehen wollen, was individuell durchaus verständlich sein kann, zumal wenn man schon so nur mit großen Anstrengungen über die Runden kommt. Es versperrt aber den Blick darauf, dass eine solidarischere Organisation des Zusammenlebens nicht nur notwendig ist, um die Krisen zu überwinden – sie hat sogar das Potenzial für die große Mehrheit zu einer lebenswerteren Zukunft zu führen. Der Durchsetzung einer solchen Erkenntnis stellen sich jedoch Lobbygruppen wie das Heartland Institut und die politischen Bewegungen und Parteien, die ihnen folgen, vehement entgegen. So verheerend und rückschrittlich dieser Ansatz ist, in einem tätigt diese Lobbygruppe eine bemerkenswert klare Analyse. Der britische Heartland-Stammgast James Delingpole bringt sie wie folgt auf den Punkt: „Die moderne Umweltschutzbewegung befördert erfolgreich Anliegen, die der Linken viel bedeuten: Umverteilung von Wohlstand, höhere Steuern, mehr Regierungseingriffe, Regulierung.“7
Die in solchen Kreisen verbreitete Unterstellung, die Linken hätte den Klimawandel erfunden, ist so absurd, dass sie hier keiner Widerlegung bedarf. Sie [24] lässt jeden wissenschaftlichen Standard vermissen. Sie ist genauso absurd wie die in der Coronaleugnerszene verbreitete Verschwörungstheorie, Bill Gates hätte Corona erfunden, um allen beim Impfen einen Chip einspritzen zu können. Doch in der Tat erfordert eine erfolgreiche Strategie zur schnellen Senkung der Infektionszahlen, wie sie beispielsweise bei #Zero-Covid entworfen wurde oder mit einem solidarischen Lockdown8 eingefordert wurde, das Anerkennen der Bedrohungslage und die Bereitschaft, auch gegenüber den Konzernen verbindliche Vorschriften zum Infektionsschutz durchzusetzen. Ebenso erfordert konsequenter Klimaschutz Regulierung, Umverteilung und Begrenzung von Reichtum. Denn je reicher ein Haushalt, desto größer ist im Durchschnitt sein ökologischer Fußabdruck. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht bringt das erneut auf den Punkt: Der Energieverbrauch der reichsten zehn Prozent ist fast drei Mal so groß wie der Energieverbrauch der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung.9 Man wünschte sich, die gesellschaftliche Linke und die Umweltbewegung in all ihrer Breite würden den – wenn auch nicht spannungsfreien – Zusammenhang von Umverteilung und Klimaschutz stärker realisieren. Immer noch verschwenden [25] zu viele Linke und Ökolog:innen unnötig Zeit und Energie damit, einen Widerspruch zwischen Klimaschutz und sozialen Fragen stark zu machen und dann je nach eigener Priorität gegeneinander in Stellung zu bringen. Glücklicherweise schrumpft die Zahl derer, die das tun. Immer mehr setzen auf eine gemeinsame sozialökologische Agenda. Davon zeugen beispielsweise die gemeinsame Kritik des Paritätischen Sozialverbandes und des BUND Umweltverbandes am Konjunkturpaket der Bundesregierung oder die Annäherung zwischen der Gewerkschaft ver.di und Fridays for Future beim Streik um bessere Löhne für Busfahrer:innen10 sowie die von Sozialverbänden und Umweltinitiativen gegründete Sozialplattform Klimaschutz „Sozial-ökologische Wende für alle“.11 Um es noch einmal zusammenzufassen: Nicht nur Klima- und Coronaleugner weisen Gemeinsamkeiten auf, auch beim Kampf gegen die Coronapandemie und gegen den Klimawandel ist dies der Fall. Wer die globale Erwärmung aufhalten will und die Infektionszahlen gegen null drücken möchte, braucht den Mut zur Regulation und die Bereitschaft, steuernd in die Wirtschaft einzugreifen. Wenn der Kampf gegen die globale Erwärmung und gegen das Virus dem Markt überlassen wird, wird er scheitern. Dann wird er zu einem Warten auf Godot, und der kam – zumindest in [26] dem Theaterstück von Samuel Beckett12 – bekanntlich nie. Doch je länger das Notwendige verschleppt oder durch die Arbeit von Lobbygruppen hinausgezögert wird, umso härter und abrupter wird das Umsteuern ausfallen müssen. Es ist jetzt schon höchste Zeit zu handeln.