Читать книгу Green New Deal als Zukunftspakt - Katja Kipping - Страница 15
Was (womöglich) abgewendet wurde
ОглавлениеAuch in den USA gab es in den 1920er und 1930er Jahren starke extrem rechte Strömungen. Ein gutes Bild davon zeichnet der Schriftsteller Philip Roth in seinem 2004 erschienenen Roman Verschwörung gegen Amerika.7 Roth entwirft eine erschreckend anders verlaufende Geschichte der USA. In dieser Fiktion gewinnt statt Roosevelt der Fliegerheld, Hitlerfreund und Antisemit Charles Lindbergh 1940 die Präsidentschaftswahlen. Welche Auswirkungen das auf die in den USA [36] lebenden Juden und Jüdinnen hat, wird im Roman aus der Perspektive des neun Jahre alten Sohns der jüdischen Familie Roth erzählt. Im Buch bleibt die Wahl von Lindbergh nicht ohne Auswirkungen auf den Verlauf des Zweiten Weltkrieges, da sich die USA in Richtung einer Achsenmacht entwickeln. Die antisemitische Stimmung im Land wird angeheizt.
Nicht nur heutige Schriftsteller entwerfen rückblickend solche politischen Horrorszenarien. Bereits in den 1930er Jahren schrieb der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis seinen Roman Das ist bei uns nicht möglich (It can’t happen here, im Original).8 In Lewis’ Roman übernimmt der frisch gewählte Präsident Berzelius „Buzz“ Windrip nicht nur nach seiner Wahl das Weiße Haus, sondern mithilfe einer paramilitärischen Truppe, der Minute Men, die umfassende Kontrolle über das gesamte Land. Der Unmut über soziale Verwerfungen, der sich in der Liga der vergessenen Männer manifestiert, aber auch die Unfähigkeit der Demokrat:innen im Umgang mit diesen – all das spielt im Roman dem Kandidaten Windrip bei den Wahlen in die Hände. Insofern handelt dieses Werk auch von der „Krise des Liberalismus“ in den 1930er Jahren.9 Teile der Liberalen wiegten sich damals in Sicherheit, ignorierten die soziale Not und suchten noch nicht einmal nach einem erfolgversprechenden Umgang mit dem aufkommenden Faschismus. Auch wenn ein neues Jahrhundert angebrochen ist: Sich in falscher [37] Sicherheit zu wiegen, kann immer noch zu einem bösen Erwachen führen.
Statt der versprochenen Mittel für Arme kommen unter Windrip Arbeitslager sowie Repressionen und Hinrichtungen für alle, die sich nicht einordnen wollen. Während Philipp Roth den sich schleichend ausbreitenden Antisemitismus in seiner Dystopie durch die Augen eines jüdischen Jungen beschreibt, steht im Mittelpunkt von Lewis’ Roman der liberale Journalist Doremus Jessup. Er, der sich an guten Artikeln und kulinarischen Genüssen erfreut und so gar nicht zum tapferen Helden eignet, wird durch die Ereignisse in den Untergrund getrieben. Zwischendurch landet er im Gefängnis und muss nach seiner Befreiung ins Exil nach Kanada fliehen. Ob dieser Kampf im Untergrund erfolgreich ist, bleibt bei Lewis offen.
Wie Verschwörung gegen Amerika basiert auch Lewis’ Roman auf intensiven Studien von realen politischen Akteuren. So gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven Windrip und dem demokratischen Senator und Präsidentschaftskandidaten Huey Long, der als radikaler Populist galt und sich den Ruf eines Hillbilly-Helden erwarb. Zudem wurde das literarische Schreiben von Lewis inspiriert durch die Beobachtungen und Analysen seiner damaligen Frau Dorothy Thompson, einer politischen Journalistin, die auch Adolf Hitler interviewte und die über die Fügsamkeit der Liberalen angesichts dieser Bedrohung zutiefst besorgt war.
Zum Glück handelt es sich sowohl bei der Wahl des Antisemiten Lindbergh wie bei der Machtübernahme durch Windrip nicht um Kapitel im Geschichtsbuch, [38] sondern um literarische Fiktionen. Aber es sind Fiktionen, die zeigen, dass die Geschichte auch anders hätte laufen können – und es deshalb darauf ankommt zu handeln. Ob sich ohne den New Deal der tatsächliche Geschichtsverlauf den literarischen Dystopien angenähert hätte, ist eine rein spekulative Frage. Doch die Verantwortung dafür, dass die extreme Rechte niemals wieder die Chance bekommt, die Staatsmacht an sich zu reißen, tragen wir auch heute. Mit der Präsidentschaft Trumps war diese Gefahr in den USA bereits nahe gekommen.