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Gemeinsame Ursachen

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Welche Konsequenzen sind aus einem epochalen Ereignis wie der Coronakrise zu ziehen? Die Deutungskämpfe haben begonnen. Zu den irrlichternden Versuchen gehörte die gleich im ersten Lockdown gestreute Behauptung, die Klimafrage müsse man nun hintanstellen, immerhin gäbe es jetzt wirklich wichtigere Probleme. Offensichtlich hofften einige darauf, dass sie das ihnen lästige Thema Klimaschutz loswerden könnten, das ihnen nicht nur in Talkshows, sondern auch zu Hause am Frühstückstisch von den eigenen Kindern immer wieder aufs Butterbrot geschmiert wird. Die Gefahren von Covid-19 mögen zumindest derzeit in Deutschland deutlich näher wirken als die Folgen des Klimawandels, doch das Schmelzen der Pole und Gletscher hört ja nicht auf, weil ein neues Virus wütet. Vielmehr gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen unserem Umgang mit der Natur, unserer Art zu wirtschaften und dem Auftreten neuer [27] sogenannter zoogenetischer Erreger und den Krankheiten, die sie auslösen: „Mehr als zwei Drittel der Erreger, die Epidemien wie Ebola, Zika oder die Vogelgrippe auslösten, stammen ursprünglich von Wildtieren, die in tropischen Regionen heimisch sind. Werden diese Lebensräume zerstört, ‚führt das zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändert die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen‘, erklärt die Virologin Sandra Junglen[.] […] ‚Wenn mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum vorkommen, können sich Infektionskrankheiten zwischen den Tieren einer Art besser verbreiten.‘ Die verbliebenen Tiere verlagern außerdem ihre Lebensräume und nähern sich denen der Menschen an.“13 Je enger der Lebensraum für Wildtiere wird, je geringer die Biodiversität ist, umso eher kann ein Erreger auf den Menschen übergehen. Die Vernichtung von Ökosystemen macht unsere Welt krisenanfälliger. Und so gesehen können auch Pandemien, nicht nur Finanzkrisen, in die Kategorie der Krisen fallen, die durch das Wirtschaftssystem befeuert werden, auch wenn für die aktuelle Pandemie keine Bad Bank oder toxische Kreditgeschäfte direkt verantwortlich sind. Es ist also kein Zufall, wenn von heute aus betrachtet die Nachrichten der letzten 15 Jahre wie der Vorspann eines dystopischen Films wirken: Erst Finanzkrise, dann die zunehmenden weltweiten Fluchtbewegungen, die Gefährdung der [28] Demokratie von rechts, schließlich die in das öffentliche Bewusstsein brechende Klimakatastrophe, dazwischen immer wieder militärische Eskalationen und Aufrüstung – und nun solch eine massive Gesundheitskrise. Diese Ereignisse hängen auf komplexe Art zusammen und verstärken sich gegenseitig. Ohne die chronische Unterfinanzierung der Gesundheitssysteme wäre das Virus nicht so eine Gefahr. Ohne weltweiten Handel und Tourismus hätte es sich nicht so schnell verbreitet.

Die Corona- und die Klimaleugner haben also in einem recht: Wer nachhaltig den Klimakollaps vermeiden und Corona bekämpfen will, kommt an einer Jahrhundertaufgabe nicht vorbei – die Überwindung der herrschenden Wirtschaftsweise,14 die auf der doppelten Ausbeutung von Mensch und Natur basiert. Wenn die Gesellschaft krisenfester ausgestaltet werden soll, muss das an den Wurzeln der Probleme geschehen. Das ruft naturgemäß Gegenwehr und Gegenwind hervor. Rechtspopulisten, Klimawandelleugner und Verschwörungstheoretiker zeugen davon, ebenso die Beharrungskräfte der Kapitalseite und des politischen Establishments, die es sich in ihrem Schatten bequem machen können. Das erfordert Mut zum [29] Konflikt.15 Die gute Nachricht ist, dass wir uns dabei von einem historischen Beispiel inspirieren lassen können.

1Seminar an der London School of Economics am 2. Februar 2021 mit Prof. Schellnhuber, Katja Kipping und Vertretern von Vonovia zu „Balancing Environmental and Social Sustainability: Real Estate and Housing Markets in Transition“. [Fremdsprachige Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, von den Verf. übersetzt.]

2Jan Fleischhauer, „Das Covid-Kommando“, https://www.focus.de/politik/deutschland/schwarzer-kanal/die-focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-das-covid-kommando-corona-bringt-ans-licht-wie-autoritaer-deutschlands-linke-ist_id_12900536.html [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

3Ebd.

4Zit. nach Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, S. 85ff.

5Im Fall dieser beiden Begriffe verzichten wir auf das Gendern, schließlich sind diese Szenen männlich dominiert. Natürlich sind dort auch viele Frauen aktiv. Doch da diese Szene der gendergerechten Sprache feindlich gegenübersteht, bedeutet das Engagement dort auch die Entscheidung dagegen, als Frau grammatikalisch in Erscheinung zu treten.

6Dieser Begriff wurde wesentlich von Stephan Lessenich in seinem Buch Neben uns die Sintflut (Berlin: Hanser 2016) geprägt, dessen zentrale These lautet: „Kapitalistische Gesellschaften sind Externalisierungsgesellschaften, allerdings in historisch wechselnder Gestalt und in immer wieder sich wandelnden Mechanismen.“ (S. 26). Und dies hat seinen Preis.

7Zitiert nach Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, S. 93.

8Katja Kipping, Bernd Riexinger, Dietmar Bartsch u.a., „Für einen solidarischen Lockdown“, https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/fuer-einen-solidarischen-lockdown/ [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

9Lebenslagen in Deutschland – der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2021, S. 348. https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Soziale-Sicherung/6-arb-langfassung.pdf;jsessionid=DF08C5292F5CE516E4DD31AC3B7C7A7B.delivery1-replication?__blob=publicationFile&v=3, [Letzter Zugriff: 23.5.2021].

10Anja Krüger, „Klima- und Arbeitskampf vereint“, https://taz.de/Verdi-und-Fridays-for-Future-fuer-OePNV/!5667797/ [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

11Union for Future, „Sozial-ökologische Wende für alle“, Aufruf der sozialen Plattform Klimaschutz vom 26.11.2019. https://tk-it-nrw.verdi.de/themen-und-kampagnen/nachrichten/++co++9e8da6e0-10f0-11ea-abbc-525400f67940 [Letzter Zugriff: 23.5.2021].

12Samuel Beckett, Warten auf Godot, in: Dramatische Werke 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, S. 9–99.

13Kathrin Hartmann, „Das kommt nicht von außen. Was Epidemien mit der Zerstörung intakter Ökosysteme durch den Menschen zu tun haben“, Der Freitag 12/2020, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-kommt-nicht-von-aussen [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

14In ihrer Komplexität beschreiben Ulrich Brandt und Markus Wissen die aktuellen Nord-Süd-Beziehungen und ihre Auswirkungen auf das Produktions- und Konsumverhalten der Menschen. Sie entwickeln damit ein einleuchtendes Bild einer doppelten Unterdrückungsstruktur für Menschen mit niedrigeren Einkommen einerseits und zwischen den Industrienationen und den Rohstoffe liefernden Ländern des Südens andererseits. Vgl. Ulrich Brandt, Markus Wissen, Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München: oekom 2017.

15Diesen Ansatz verdanken wir dem lesenswerten Buch von Steffen Lehndorff, New Deal heißt Mut zum Konflikt. Was wir aus Roosevelts Reformpolitik der 1930er Jahre heute lernen können, Hamburg: VSA 2020.

Green New Deal als Zukunftspakt

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