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Keltenopfer

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»War es Ritualmord? Toter am Goloring entdeckt – das Werk einer Sekte?«

Peter las die Überschrift auf der Titelseite der Tageszeitung und verschluckte sich an seinem Kaffee.

»Der Fall eilt.« Tanja klopfte mit dem Kuli auf den Tisch, was Peter auf der Stelle nervte. »Je schneller wir ihn lösen, desto eher hat dieser Unsinn ein Ende.« Sie schlug mit der flachen Hand auf die Zeitung und las vor: »›Bei dem Toten handelt es sich um Leonhard S. aus dem Kreis Ahrweiler‹ – Leonhart ist falsch geschrieben, mit d statt mit t. Nicht einmal richtig recherchieren können diese Pressefritzen. Zum Glück wird die seltsame Kleidung des Toten nicht erwähnt. Oder die fehlenden Schuhe. Unsere Kollegen haben dichtgehalten.«

Peter griff nach dem Blatt. »Das hat Matze verbrochen«, stellte er fest. Sein ehemaliger Schulkamerad Matthias Reuter, genannt Matze, war als Chefreporter bei der »Rheinzeitung« für aktuelle und aufsehenerregende Nachrichten zuständig. »Meinst du, da ist was dran?«

»Am Ritualmord?« Tanja schüttelte den Kopf. »Hast du den Obduktionsbericht der Rechtsmedizinerin nicht gelesen, der heute Nacht noch reingekommen ist?«

Peter senkte seinen Kopf und nippte am Kaffee. Er fühlte sich schon deutlich fitter als gestern, war aber morgens nicht aus den Federn gekommen.

Lag wahrscheinlich an der Jahreszeit. Es war noch stockdunkel gewesen, als der Wecker schellte. Er hatte ihn ausgemacht und war umgehend wieder eingeschlafen. Weil er deshalb die Morgenbesprechung in der großen Runde verpasst hatte, wollte Tanja mit ihm anscheinend jetzt die Einzelheiten durchgehen, als wäre er ihr Nachhilfeschüler.

»Renate Schade schreibt, Todesursache seien die Messerstiche. Insgesamt ein Dutzend davon.« Sie blickte ihn kritisch an: »Was sagt uns das?«

Sofort kam Peter sich vor wie damals in der Schule, wenn der Lehrer ihn abgefragt hatte. Sein Hirn blockierte. »Ja, was?«, brachte er heraus.

»Dass der Täter total ausgerastet ist. Er hat besinnungslos auf sein Opfer eingestochen. Nichts an dem Dutzend Stiche wirkt wie ein Ritual.«

»Eher wie eine Beziehungstat im Affekt. Eifersucht oder so«, mutmaßte Peter.

»Genau.«

Er seufzte innerlich. Diesen oberlehrerhaften Ton konnte sie sich echt sparen.

»Außerdem deutet nichts darauf hin, dass mehrere Täter vor Ort waren«, erläuterte Tanja weiter, während sie den Obduktionsbericht überflog, den sie sich auf den Bildschirm geholt hatte. »Ein Ritualmord würde mit einem planmäßigen Vorgehen einhergehen. Und mit der Anwesenheit von Komplizen oder Zuschauern, denn sonst würde ja niemand von dem rituellen Opfer erfahren, einverstanden?«

Peter nickte. Er verspürte überhaupt keine Lust darauf, sich mit Leuten anzulegen, die Menschenopfer praktizierten. Waren die nicht auch schon ausgestorben? Allerdings war bei der seltsamen Kleidung des Toten und seinem Schlafzimmer in der Jurte nicht auszuschließen, dass er einer seltsamen Religion angehangen oder obskure Bräuche gepflegt hatte.

»Opfern Schamanen Menschen?«, fragte er. »Oder tun das Mongolen? Ich meine, weil unser Ötzi doch in einer Jurte geschlafen hat. Vielleicht hielt er sich für einen Mongolen?«

»Keine Ahnung.« Tanja googelte hektisch. »Auf den ersten Blick kann ich nichts finden, was darauf hindeutet.« Sie murmelte: »Menschenopfer bei Azteken … Gut und schön, aber Azteken gibt es hier ja nicht.«

»Dafür Kelten. Und der Tatort ist doch ein Keltendenkmal, oder?« Peter erinnerte sich an ein solches Detail aus den Berichten.

Tanja tippte weiter auf der Tastatur, während Peter seinen Kaffee trank und den Autokalender an der Wand anstarrte. Auf dem aktuellen Monatsbild war ein heißer Schlitten zu sehen, auf dessen Kühlerhaube sich eine leicht bekleidete Frau rekelte. Verstieß wahrscheinlich gegen irgendwelche Gender-Richtlinien, dass die Kollegen ihn hier aufgehängt hatten.

Eine nackte Frau würde er auch gerne mal wieder live sehen. Schmerzhaft fiel ihm sein Ausflug nach Köln ein. Nachdem seine Lieblingskneipe in ein Veganerbistro umgewandelt worden war, hatte er ein Lokal gefunden, das weder schickimicki noch Kaschemme war.

Glück gehabt. Scheinbar. Eine ältere Brünette war auf seine Flirtversuche eingegangen. Eine Frau mit schönen Rundungen, wie sie ihm gefielen. Sie hatten einige Gläser Tequila getrunken, die alle er bezahlt hatte. Dann hatte Peter sie nach Hause gebracht, doch statt ihn auf einen Kaffee hochzubitten, hatte sie ihn abgewimmelt. Er hatte die Nacht in dem Billighotel verbracht, in dem er in Köln immer abstieg. Allein. Es lag zentral in einer Gasse hinter dem Heumarkt, das Zimmer war sogar einigermaßen modern, aber das Frühstück mies. Für seinen nächsten Besuch sollte er sich etwas anderes suchen. Das Wochenende hatte damit geendet, dass er einige Scheinchen weniger im Portemonnaie hatte, aber dafür mit einem fetten Kater nach Hause fuhr.

»Ha!«

Peter fuhr zusammen.

»Ich hab was, hör zu: ›Die Kelten weihen nämlich einen Menschen und stoßen ihm dann ein Schwert in die Brust, und indem das Opfer getroffen zusammenstürzt, erkennen sie aus der Art und Weise, wie es niederfällt, sowie aus den Zuckungen der Glieder und dem Ausströmen des Blutes das Zukünftige, wobei sie einer alten und durch lange Beobachtung erprobten Erfahrung Glauben schenken.‹ Hat ein römischer Historiker über die Kelten geschrieben.«

»Aber die sind doch längst ausgestorben«, stellte Peter fest. Er wollte nicht zugeben, dass er so gut wie nichts über Kelten wusste.

»Waren das nicht irgendwie unsere Vorfahren?« Auch Tanja schien sich nicht besser auszukennen. Sie wandte sich wieder dem Monitor zu und tippte etwas. »›Antike Volksgruppe der Eisenzeit, 8. bis 1. Jahrhundert vor Christus‹«, las sie vor. »Kelten und Gallier – scheint irgendwie dasselbe zu sein.« Ihr Blick flog über den Bildschirm. »Anscheinend beherrschten sie mal Europa. Von Frankreich über Mitteleuropa bis Österreich – ganz schön großes Gebiet. Dann wurden sie von germanischen Stämmen verdrängt.« Sie wandte sich ihm wieder zu: »Okay, aber selbst wenn unser Opfer ein keltischer Schamane gewesen wäre, hat diese Theorie ein großes Manko. Ein Menschenopfer würde doch so aussehen, dass der Schamane einen anderen Menschen opfert, nicht sich selbst. Aber er wurde nun mal umgebracht.«

»An einem keltischen Heiligtum.«

»Worüber wir noch viel zu wenig wissen. Wir müssen mehr über den Tatort erfahren«, sagte Tanja entschlossen, »und über das, was unser Ötzi als Schamane so getrieben hat.« Sie schnaufte verächtlich. »Schamanen, die gibt’s doch nur in Afrika.«

»Was ist eigentlich mit den Wanderern, die ihn entdeckt haben?«, warf Peter ein.

»Harmlose Typen vom Eifelverein Mayen. Sind den Burgweg, einen dieser Traumpfade, gewandert, der an einer Art Aussichtsplattform vorbeiführt. Von da aus hat man einen Überblick über den Goloring. Als sie oben standen, haben sie die Leiche gesehen und sofort den Notruf gewählt. Alles vollkommen korrekt, keiner von denen hat den Tatort betreten.«

»Was sagt die Rechtsmedizinerin noch?«, fragte Peter und hätte sich im nächsten Moment am liebsten die Zunge abgebissen. Jetzt hatte er sogar freiwillig zugegeben, den Bericht nicht gelesen zu haben.

Tanja ging nicht darauf ein. Sie klickte zu dem Ergebnis der Gerichtsmedizinerin zurück. »Männliche Leiche, eins achtundsiebzig groß, Mitte vierzig. Laut Papieren war der Typ sechsundvierzig. Ich zitiere weiter: ›eher untergewichtig, durchtrainiert, gute bis sehr gute Allgemeinverfassung‹ … Ah, das hier ist noch interessant: ›Tätowierung auf dem linken Schulterblatt, Leopard oder andere Großkatze‹.«

»Leonhart, der Leopard«, meinte Peter.

Tanja nickte. »Hier ist noch etwas Seltsames. Schade hat mehrere Brandflecken am Körper des Opfers gefunden. Deren Abstände könnten darauf hinweisen, dass der Mann mit einem Rinderschocker gequält wurde. Außerdem ein Dutzend Stichwunden, Breite drei Zentimeter, Tiefe bis zu fünfzehn Zentimeter.« Sie überflog den Text weiter. »Es war nicht festzustellen, welche Verletzungen zuerst vorlagen.« Sie blickte auf: »Aber logisch ist ja wohl, dass erst der Rinderschocker eingesetzt und dann der Mann erstochen wurde. Andersherum würde es wenig Sinn machen.«

Rechtsmedizinerin Schade war zuverlässig, Peter hatte sie als geradezu penibel und übereifrig in Erinnerung. Aber was meinte sie mit einem Rinderschocker? »Rinderschocker?«, fragte er.

»Hier steht eine Anmerkung: ›Rinderschocker, auch Rindertreiber, ähnlich einem Taser, gibt schwache Stromstöße ab, um Rinder zum Beispiel auf einen Transporter zu verladen.‹«

Peter runzelte die Stirn.

»Das sagt dir nichts? Dabei bist du doch der Eifler von uns beiden«, sagte Tanja.

Peter war zwar nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, erinnerte sich aber, dass einige seiner Freunde als Kinder den Eltern hatten helfen müssen, morgens die Kühe auf die Weide und abends heimzutreiben. Dazu hatten sie die Tiere mit Stöcken angetrieben, wenn sie trödelten. Stromschläge waren nicht nötig gewesen. Von einem Rinderschocker hatte er noch nie gehört.

»Finde heraus, wo man die Geräte herkriegt, wie man die anwendet, wie die wirken«, herrschte Tanja ihn wieder in ihrem Feldherrenton an.

Peter duckte sich über seine Kaffeetasse.

»Jetzt zum Bericht der Tatortgruppe«, fuhr sie fort. »Haben nichts Weltbewegendes herausgefunden. Tatwerkzeug war ein Messer mit fünfzehn Zentimeter langer Klinge, eventuell ein Bowiemesser, steht hier. Ist das nicht ein Jagdmesser?«

»Das heißt, der Täter ist ein Jäger?«

Tanja zuckte die Schultern. »Solche Messer kann jeder kaufen, auch wenn eigentlich nur Jäger sie führen dürfen, jedenfalls mit dieser Klingenlänge.«

Peter zückte einen Notizblock, kritzelte »Rinderschocker« auf die erste Seite, malte einen Kringel drum herum und schrieb »Jagdmesser?« daneben. »Der Volvo vom Ötzi – hat dessen Untersuchung was erbracht?«

»Alte Karre«, schnaubte Tanja verächtlich und konzentrierte sich wieder auf den Bericht. »Baujahr 1998. Über dreihunderttausend Kilometer gelaufen. Aber TÜV neu und gut gepflegt. Im Seitenfach steckte eine Karte vom Hunsrück und der Eifel. Inhalt des Handschuhfachs … Puh, eine lange Liste.« Sie murmelte vor sich hin: »Betriebsanleitung, Eisschaber, Enteisungsspray, eine Packung Kaugummi, ein Paar Arbeitshandschuhe, Federn von unterschiedlichen Greifvögeln und Eulen. Was unser Opfer wohl mit denen wollte?«

»Irgendwas Schamanisches?«

»Hm, vielleicht. Im Kofferraum das Übliche: Abschleppseil, eine alte Decke, Erste-Hilfe-Set. Nichts, was uns weiterhilft.« Schon wieder klopfte sie mit dem Kuli auf den Tisch. »Tünnes Brettschneider hat uns angewiesen, die Nachbarn zu befragen. Er hofft, dass irgendwer irgendwas gesehen hat. So wie häufig.«

Vor allem in der Eifel, dachte Peter. Das Vorgehen schien vielversprechend, aber er ahnte, dass er schon wieder die Laufarbeit machen musste. Letztes Jahr hatte Tanja ihn alle Kunden von Ella Dorn befragen lassen, für die diese mit der Wünschelrute angebliche Erdstrahlen und Wasseradern gesucht hatte. »Ist jedenfalls besser, als Verkehrsunfälle zu protokollieren«, versuchte er, sich aufzumuntern.

Sturm über der Eifel

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