Читать книгу Sturm über der Eifel - Katja Kleiber - Страница 6
Prolog
ОглавлениеEr fand die Stelle sofort, wo der Zaun aufgeschnitten war. Er hatte sich den heiligen Ort zuvor bei Tageslicht gründlich angeschaut. Jetzt war hier niemand, der ihn beobachten konnte. Er drückte das Drahtgeflecht zur Seite und zwängte sich durch die Öffnung. Richtete sich auf, dehnte den Rücken und blinzelte in die Abenddämmerung. Die Luft roch nach Wald, erdig und feucht.
Ein sandiger Pfad schlängelte sich durch Brombeerhecken, durch einen flachen Graben und über einen niedrigen ringförmigen Wall. Vor mehr als dreitausend Jahren hatten ihn Menschen aus Erde errichtet, mit primitivsten Mitteln.
Der Pfad verlief in leichten Kurven und verlor sich auf der Mitte der Hochfläche. Er folgte ihm bedächtig. Der Sand war kalt, fühlte sich aber gut an unter seinen nackten Füßen, rieb leicht zwischen den Zehen.
Auf der Ebene in der Mitte des Rings war das Gras kurz gemäht. Wenigstens kümmerte sich der Heimatverein darum, den Bewuchs zurückzuschneiden, wenn auch niemand mehr wie in alter Zeit das Heiligtum ehrte.
In der Mitte war ein Holzpfosten in die Erde gerammt. War das der richtige Ort? Das Zentrum des Ringwalls, wo sich die Energie sammelte?
Sein Blick fiel auf drei dicke Eichen wenige Meter neben dem Pfosten. Er ging zu dem dicksten Stamm, berührte die raue Rinde und ließ sich dann in den Schneidersitz gleiten. Hier würde er die Nacht verbringen. Mit einer Kopfbewegung warf er seinen Zopf nach hinten und zog sich das Fell enger um die Schultern.
Der Mann blickte auf zum Himmel. Es war ein bewölkter Tag gewesen, auch jetzt sah er kaum Sterne. Nur direkt über ihm waren die Wolken aufgerissen. Die Sichel des Mondes war noch dünn. Angeblich waren über dem Ring selbst niemals Wolken zu sehen. Zumindest heute Abend stimmte das.
Jetzt musste er zur Ruhe kommen. Er konzentrierte sich auf seinen Atem. Einatmen. Ausatmen. Er spürte den Winter, nicht nur in der kühlen Luft. Sein ganzer Körper sehnte sich nach Ruhe, einer wohlverdienten Auszeit. Doch eine riesige Aufgabe erwartete ihn. Das Geheimnis, das ihm anvertraut worden war, durfte keins bleiben. Er brauchte nicht die Ruhe des Winters, sondern die Kraft des Frühlings, des Anfangs.
Er versuchte, seine Gedanken davongleiten zu lassen. Einatmen. Ausatmen. Ein Vogel schrie auf und flatterte in die Baumkrone hinauf. Ob Vögel an diesem Ort auch etwas Besonderes wahrnahmen? Seine geschulten Sinne spürten die Energie des Ortes deutlich, wie ein ständiges Pulsieren. Heute Nacht würde sie besonders stark sein. Er wollte sie in sich aufnehmen. Er brauchte sie, um seine Aufgabe zu erfüllen. Um die Gier des Menschen nach immer mehr Profit zu stoppen.
Hinter sich hörte er ein Rascheln. Etwas bohrte sich in seinen Rücken.
Seine Arme und Beine begannen, unkontrolliert zu zucken. Er versuchte, sich zu wehren, doch seine Gliedmaßen gehorchten ihm nicht. Dann spürte er einen stechenden Schmerz zwischen den Rippen.