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Die Prügelei
ОглавлениеDer Bäcker unten in Antweiler hatte vor Kurzem den Besitzer gewechselt und das Sortiment erweitert, nur die Verkäuferin war dieselbe geblieben. Bärbel herrschte über den kleinen Laden wie eh und je.
Ella zögerte. Sie wusste, dass sich das halbe Dorf beim Bäcker traf. Zumindest die weibliche Hälfte. Wollte sie sich all diesen Blicken aussetzen, möglichen Kommentaren? An manchen Tagen ertrug sie einfach keine Menschen, vor allem nicht so viele auf einem Fleck.
Wieder sah sie die sanften braunen Augen Leos vor sich. Irgendjemand hatte ihn umgebracht. Sie war es ihm schuldig, mehr darüber herauszufinden. Wie konnte ein so friedfertiger Mensch Feinde gehabt haben? Oder immerhin einen Feind, der ihm den Tod wünschte? Ihn eigenhändig getötet hatte?
Ella atmete tief ein, stieg die wenigen Stufen hoch und zog die Tür auf. Warme Luft strömte ihr entgegen, zusammen mit dem Duft von Brot und Brötchen. Normalerweise backte sie ihr eigenes Brot, aber sie wollte den Dorfklatsch hören.
Wie erwartet war der Laden gestopft voll. Ella ließ ihren Blick schweifen. Da waren Olga, die Frau vom Forellengutbesitzer, und zwei Frauen, die sie nur vom Sehen kannte. Sie diskutierten gerade über die vielen Umleitungen wegen der Verlegung von Breitbandleitungen. Überall wurden die Dorfstraßen gesperrt, damit bald auch abgelegene Gemeinden endlich schnelles Internet hätten. Aber durch die Baustellen wurden Ortsfremde regelmäßig von ihren Navis in die Irre geleitet, einige von ihnen waren sogar schon auf matschigen Feldwegen gestrandet und hatten aus dem Schlamm gezogen werden müssen.
Als Olga Ella entdeckte, wandte sie sich ihr zu und fragte halblaut, ob sie noch Ringelblumensalbe bekommen könne.
Ella versprach ihr, einen Tiegel vorbeizubringen.
Schließlich kam Olga an die Reihe, kaufte Brot und verstaute es umständlich im Ziehkärrchen. Als die beiden anderen Frauen ihr Gespräch nicht unterbrachen, trat Ella an die Theke und wählte einige Teilchen aus, die besonders verlockend aussahen.
Auf der Ladentheke lag das regionale Gratisblatt aus. Die Schlagzeile lautete: »Menschenopfer am Goloring?«
Ella tippte auf die Zeitung. »Wie furchtbar.«
Als hätte sie ein lang erwartetes Stichwort geliefert, brach es aus Olga heraus: »Der Leo war so ein netter Typ, bisschen irre, aber sonst wirklich nett.«
Die beiden anderen Frauen unterbrachen ihren Schwatz und nickten bestätigend.
»Mir hat er neulich geholfen, unseren Hund einzufangen, der weggelaufen war«, sagte die eine.
»Und mir hat er mal die Einkaufstüten bis nach Haus getragen«, fiel die andere ein.
»Ein wirklich herzensguter Mensch«, sagte Olga. »So friedfertig.«
»Von wegen friedfertig.« Bärbel beugte sich vor und blickte in die Runde. »Neulich hat er den Uwe verprügelt.«
Ella erschrak, versuchte aber, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Leo sollte jemanden verprügelt haben? Das konnte sie sich nicht vorstellen.
»Welchen Uwe?« Auch Olga klang erstaunt.
»Na, den aus Dorsel. Soll ihn richtig zusammengeschlagen haben, hab ich gehört.« Bärbel hielt inne. Ihr schien eine Idee gekommen zu sein: »Ob der sich jetzt gerächt hat? Nee, oder?«
»Was du immer erzählst. Ich glaub nicht, dass der Leo wen verprügelt hat. Der war doch Buddhist oder so was«, sagte Olga.
»Schamane«, warf Ella ein. »Gib mir bitte noch ein Roggenbrot«, bat sie Bärbel.
»Geschnitten oder am Stück?«
»Geschnitten.« Sie würde die Hälfte der Scheiben einfrieren, ein ganzes Brot war viel zu viel für eine Person. »Wieso sollen die sich geprügelt haben?« Sie hoffte, dass ihre Stimme unbeteiligt klang.
»Eifersucht?« Bärbel warf die Brotschneidemaschine an und ließ den Laib surrend durchlaufen. Dann wandte sie sich wieder den Frauen zu: »Jedenfalls war der doch so ein Yogafreak. Immer am Meditieren.«
Ella runzelte die Stirn. Bärbel brachte so einiges durcheinander. Aber alles, was nicht katholisch war, war den Eiflern suspekt. Dafür kannten sie jeden einzelnen Heiligen samt Namenstag.
»Aber der Uwe bringt doch keinen um«, behauptete Olga. »Der regt sich vielleicht mal auf, aber ein Mörder ist er deshalb noch lange nicht.«
Die anderen Frauen stimmten ihr nickend zu.
»Komisch war der Leo aber doch«, fing Bärbel wieder an. »Der hat in Eichenbach ein Haus gekauft, aber dann im Garten gewohnt. In einem Zelt!«
»In einer Jurte«, berichtigte Olga sie.
Ella horchte auf. Leo hatte im Garten gelebt? In einer Jurte? Wie seltsam. Dann erinnerte sie sich, dass er gesagt hatte, er ertrage geschlossene Räume nicht mehr, seit er wochenlang einen Pilgerweg gegangen war. Wieder wünschte sie sich, sie hätte den Mann mit den sanften Augen näher kennengelernt.
»Jedenfalls, wenn ich ein Haus habe, dann wohne ich doch drin.« Bärbel ließ nicht locker. »Wenn ihr mich fragt, dann war der nicht ganz dicht.«
Niemand reagierte.
Von draußen war ein Trecker zu hören. Vor der Tür stoppte das Geräusch, der Motor tuckerte im Leerlauf weiter.
Zufrieden, dass sie das letzte Wort gehabt hatte, wandte Bärbel sich wieder an Ella: »Macht dann fünf siebzig, bitte.«
Ein Mann kam die Stufen hochgeschlurft, öffnete die Tür. Es war Wasser-Juppes, wie immer in seinem fleckigen, verwaschenen Blaumann.
Schlagartig schien den Frauen klar zu werden, dass sie schon viel zu lange hier gestanden und getratscht hatten. Eine nach der anderen packte ihren Einkauf zusammen und ging. Auch Ella nickte Wasser-Juppes zu und verließ die Bäckerei. Was sie eben über Leo erfahren hatte, konnte sie nicht glauben.