Читать книгу Vampire Island - Die dunkle Seite des Mondes (Band 1) - Katja Piel - Страница 17
ОглавлениеKapitel 12
Gordon musste sich zusammenreißen, um nicht ohne ein Wort des Abschiedes aus der Lounge zu verschwinden. In seinem Kopf herrschten Nebel und tiefste Finsternis.
»Ist alles in Ordnung?«
Cassandra. Bevor das Telefon geklingelt hatte, ja bevor seine Welt sich von einer Sekunde auf die nächste verändert hatte, war er mit seinen Gedanken nur bei ihr gewesen. Hatte von ihren Lippen gekostet, sie geschmeckt. Sich gleichzeitig gefragt, was er da tat. Doch jetzt war alles anders. Alles. Mit größter Bemühung wandte er sich ihr zu, was ein Fehler war. Denn nun sah er in ihr besorgtes Gesicht. Warum zum Henker scherte es sie, was mit ihm war?
»Es tut mir leid. Es ist etwas passiert. Ich muss sofort los.«
»Oh mein Gott. Kann ich Ihnen helfen, Gordon?« Für einen langen Augenblick sagte er gar nichts. Starrte sie einfach nur an. Dann fasste er sich wieder.
»Nein, vielen Dank. Soll ich Sie wieder an Ihren Tisch bringen?«
»Brauchen Sie nicht. Ich finde den Weg. Offensichtlich ist etwas Schreckliches passiert. Kümmern Sie sich jetzt bitte um Ihre Angelegenheiten.«
Wo kam bloß so viel Verständnis her? Er hätte sie gerne eingeweiht, sie mitgenommen. Doch das war verboten. Gegen die Regeln.
Ohne ein Wort des Abschieds hastete Gordon davon. Erst als er aus dem Club war, machte er sich seine Fähigkeit zunutze und war schnell wie der Blitz auf dem Anwesen seines Vaters in der Nähe von Benirras, der nördlichsten Spitze Ibizas.
Patriz hatte ihm bereits am Telefon mitgeteilt, was passiert war. Dennoch war er auf den Anblick nicht vorbereitet. Sein Vater saß zusammengesunken auf einem Stuhl in der Halle. Es sah beinahe so aus, als würde er entspannt dort sitzen und lesen. Allerdings fehlte ihm der Kopf. Zu seinen Füßen hatte sich eine Blutlache gebildet. Blutspritzer wiesen den Weg zu seinem Kopf, der bis zu einer Kommode gerollt und mit dem Gesicht nach oben liegengeblieben war. Langsam ging Gordon auf seinen toten Vater zu, kniete sich vor ihn in das Blut und legte seinen Kopf in seinen Schoß.
»Wo ist Mutter?«
»Im Schlafzimmer. Sie war nicht dabei, als er umkam. Ihr ging es nicht gut, und sie hatte sich schon zur Ruhe gelegt«, antwortete Patriz, der ihm die Tür geöffnet hatte und nun diskret im Hintergrund stand. »Sie steht unter Schock. Bitte geh zu ihr.«
»Was ist mit Shane?«
»Er ist unterwegs. Er müsste jeden Moment hier sein.«
Gordon stand auf, warf noch einen letzten Blick auf das Gesicht seines Vaters.
»Bereite alles vor für die Verbrennung. Ich sehe nach Mutter.«
Gordon eilte die Treppe hinauf. Als er die Tür zum Schlafzimmer öffnete, raschelte ein Stück Papier im Luftzug. Mit gefühllosen Fingern klaubte er es auf, aber er warf keinen Blick darauf.
Im Bett lag seine Mutter. Tot. Ihre Kehle war durchgeschnitten. Er vergrub das Gesicht in seinen Händen, biss die Zähne zusammen und trat durch die sperrangelweit geöffnete Terrassentür nach draußen.
Shane war gekommen. Er konnte seinen Bruder unten in der Halle hören. Shane, der kleine Liebling seiner Mutter. Sie hatte ihm alles durchgehen lassen, weil sie ihn abgöttisch liebte. Er hob den Zettel und las die wenigen Zeilen, die auf ihm standen.
Bitte räche deinen Vater, Gordon, und passe auf Shane auf.
Ohne Victor kann ich nicht weiterleben. Bitte verzeih mir.
Sie hatte sich selbst getötet.
Gordon stellte sich an die Mauer, an der sein Vater so oft gestanden hatte, und blickte hinunter aufs Meer, das gegen die Felsen rauschte.
»Ich werde euch rächen. Ihr seid nicht umsonst gestorben.«
Und in dem Moment hörte er Shanes gellenden Schrei im Schlafzimmer.