Читать книгу Gebrochen, zerbrochen, der Bruch - Katrin Eichmann - Страница 4

Applaus oder Buh. Das Drama vom Außenseiter wird aufgeführt, und der Außenseiter ist der Held oder der Schurke

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Ich stehe mit beiden Händen auf dem Boden der Kunst. Ich falle aus der Rolle wie der Schauspieler, der die entsprechende Stelle in seiner Textrolle nicht findet. Das Chaos lebt sich drunter und drüber, durcheinander aus. Meine Story spielt den Witz in Wildwest. Die Leichtfertigkeit ist der lockere Zeisig. Das Fahrzeug wendet, schert aus, biegt nach links raus. Die Undergroundliteratur, die Undergroundmusik und der Undergroundfilm sind meine U-Bahn-Station. Das Außenseitertum ist die entartete Kunst. Der Exzentriker ist die Randpersönlichkeit, die sich nicht als der Biedermann verkappt. Meine Richtschnur ist es, keine zu haben. Ich pfeife die Bürger aus. Der Nonkonformist statt des Konformisten liegt richtig. Ätsch, bäh, ihr korrekten Leute, ruft das aufsässige Kind. Beliebt er, der um 14.00 Uhr guten Morgen sagt, verrückt zu sein? Der Künstler mit dem Dreitagebart und mit Pomade im Haar, die gepflegte Ungepflegtheit ist der letzte Schrei. Ist es denn die Möglichkeit, meine flippige Kunst überwindet die Bürger. Meine ausgelatschten Turnschuhe, meinen Hinterhof, meine Spaghetti, meine Einsamkeit, meinen Alkoholismus überwinden meine Gedichtchen, meine schönen Gedichtchen. Das pubertäre Kleinkind, in der Regression mit den Worten spielend, hat den mit todernsten Gedanken angefüllten Schädel. Der Künstler schafft eine fantastische, der Satan eine chaotische Welt. Was der Künstler persönlich im Leben verliert, das gewinnt seine Kunst. Der Gammler gammelt und bummelt. Ich lebe in den Tag hinein. Der Künstler leistet sich seinen gesellschaftlichen Fauxpas, seine Taktlosigkeit. Der Schriftsteller ist in der verschriftlichten Kommunikation der Virtuose, wie er in der zwischenmenschlichen Kommunikation der Dilettant ist. Ein Buch zu schreiben ist eine Arbeit, ein Buch zu lesen ist eine Muße. Der Künstler arbeitet auf den unästhetischen Feldern des Ästhetischen. In meinem wilden Brüllen liegt meine unendliche Stille. Nur der Blinde kann sehen, nur der Fühlende kann denken. Der Marihuana rauchende Künstler im Schreibrausch ist das Bild für die psychische Schwäche. Ich mokiere mich lauthals. Es genügt dem Querkopf nicht, an den Spießern zu mäkeln, er mäkelt an der gesamten Kultur. Der hippe Lifestyle ist die Trashkultur, und die Papp-Pizza, der Sweater und der Jargon sind ihr Hang zum Billigen, Schrillen und Geschmacklosen. Mein Lifestyle ist der Freestyle. Ich drücke die Escape-Taste Esc. Mit dem einen Wort Spinner ist alles über den Künstler gesagt. Das Projekt verläuft nach der Trial-and-Error-Methode. Das, was beim Experiment herauskommt, ist ungewiss. Die Künstlerkolonie sprengt der Gesellschaft Zement. Das fahrende Volk ist unterwegs. Der Lotterbube ist ein Kerl ohne Disziplin. Ich lebe in meinem Empfinden, und wer fühlen kann, der muss irre sein. Es ist mutig, sich selbst zu leben. Ich lebe mein Leben, so lasst mich leben! Jeder hat auf vielerlei Weise seinen Lebensstil. Alle Stile sind auf ihre eigene Weise stillos. Leb hier und jetzt und heute und nicht morgen! Sorge dich nicht, sich zu sorgen lohnt sich nicht! Wenn der Abschied und das Lebewohl da sind, wird sich irgendetwas ergeben, der Sommersonnentag in Spanien, der Job in der Zeitungsredaktion, ein neuer Lover oder ein Zimmer in der Psychiatrie, irgendetwas. Ich bin der Märtyrer im Glauben an mein Kunstwerk. Der Manisch-Depressive macht eine Kunst. Das Genie zimmert seine Schmiere zusammen. Schreibt es die Wahrheit, sind es Unkenrufe. Die Masse zeugt die Kinder, der Künstler pflanzt sich im Kunstwerk fort, er zeugt sein Büchlein. Ihr sitzt auf dem Sofa, ich, der Penner, bin nirgendwohin unterwegs. Ich entferne mich Schritt für Schritt von der Bürger Lebensformen. Ich habe meine Blüte überschritten. Mein Talent kriegt manches hin, in manchem ist es wie ein Vorort einer großen Stadt. Ich krieche zur Bühne, und auf der Bühne richte ich mich auf. Die Masse überfährt das, was außergewöhnlicher, individueller, begabter und feiner ist. Was ich an der Welt ändern kann, ist Geschichten zu predigen, die keiner hören will, und die Alpenblumen zu schützen. Die Künste lernen laufen, statt des Buches das E-Book, statt des Shakespearischen die Performance, statt des Tamburins die CD, statt des Ölschinkens die Designermode. Was der Kunst huldigte – die Bibliothek, das Theater, der Konzertsaal, das Museum – entweihen der Supermarkt, der Copyshop und das Fernsehen, in den Ecken der alltäglichen Welt. Die Avantgarde steht unter dem Zeichen der Massenmedien und des Technizismus. Die Künste werden für den Designerstuhl und den Werbespot, zum Gebrauch und Verbrauch angewandt. Der reine Geist macht sich dem Herrn seiner Vermarktung dienstbar. Die Bild-Zeitung und die McDonald’s-Werbung sind origineller als das, was als Kunst durchgeht. Die Abgedroschenheit ist ein Minus, die Innovation ein Plus. Die oberflächliche Show kommt laut, witzig und cool rüber. Der Rüpel belichtet das unterbelichtete Tabu über. Nur das bunte Cover erreicht die Auflage. Die Attraktion des Künstlers ist das Event, das Buch ist langweilig und doof. Von der Berlinale sieht man die Fotos der Party in der Illustrierten, wer mit wem da ist, aber von den Filmen ist keine Rede. Die Publicity tötet den Künstler. Der Heftchenroman hat das Zeug zum Bestseller, die Literatur ist für ein Klimpergeld zu haben. Die Brotlosen essen trocken Brot. Manche machen auf die kommerzielle Masche, manche machen eine Kunst. Die Akzeptanz des Künstlers beim Publikum steigt oder fällt mit seiner Bekanntheit, mit seinem Erfolg oder seinem Misserfolg. Der Traumtänzer träumt von seinem großen Wurf, der nicht kommt. Es gibt die Künstler, die künstlerischen Trittbrettfahrer und die Lebenskünstler. Eine Kunst ist keine geschwollene Bildung. Eine Kunst ist keine Pose. Es gibt die Künstler ohne Werk, die Lebenskünstler, den Schnorchler auf den Malediven. Sein subtiler Busen macht den Künstler nicht glücklich. Ich lebe ein Leben, mein Leben, ich könnte unter zig Möglichkeiten mein zweites Leben leben. Ich wähle mich, ich entwerfe mich, der zu sein und der Zweite nicht zu sein. Der internalisierte Trottel lebt die Gesellschaft, ohne selbst zu denken, das selbstverwirklichte Herzchen macht etwas aus sich selbst. In der Divergenz zwischen meinen Ansprüchen und den Forderungen der Sozietät können die Imperative mich verhindern und klein halten. Ich bin ich und mir zu eigen und nicht der Wauwau, der dem Herrn gehört. Die Konfrontation zwischen dem Herrn und dem Sklaven ist an der Front. Ich blaue und mache den Montag blau. Ich bin auf der Flucht vor der Polizei. Ich setze mich über das Gerede der Leute hinweg. Ich soll das tun, was ihr wollt, doch wer frei sein kann, der zu sein, der er sein will, der muss nichts. Der Hund wird mit einem Knüppel geschlagen. Die Polizei treibt die Demonstranten mit Knüppeln auseinander. Ich lasse die Zügel schießen, die mir die Gesellschaft anlegt. Die Gesellschaft zeugt mich, ich gebäre mich, der Fötus ist entbunden, der Außenseiter hat sich emanzipiert. Die Selbstbestimmung ist nicht die Fremdbestimmung, die Fremdbestimmung ist nicht die Selbstbestimmung. Das Pro schließt das Kontra aus. Ich bin dem Glauben abtrünnig geworden, ungetreu und treulos. Es gibt nicht den einen wahren Wert, sondern einen Pool von Werten. Ich sehe durch meine Brille. Ich will die Indoktrination nicht lernen. Ich verhöhne die Bürgerlichkeit, die bürgerliche Denk- und Lebensweise. Ich erkenne den Bürgern die Ehrenrechte ab. Ich bin mir näher als die Gesellschaft, das Hemd liegt mir näher als der Rock. Der Boxer fängt sich in der ersten Runde einen harten Konter ein, er kontert den Schlag mit einem linken Haken. Die internen, externen und normativen Faktoren bestimmen das Verhalten, das daneben ist. Ich grenze mich ab, und ich werde abgegrenzt wie die Grenze zwischen Deutschland und der Polackei, wie die Grenze gesperrt ist, dicht ist. Ich lasse mich nicht zu ihrem Hampelmann machen. Ich schere mich nicht um euer normales Leben. Was für alle gilt, gilt für mich nicht. Die Systeme sind inkompatibel. Der Relativismus lehrt, es gibt nicht mein eines Recht, sondern viele sich widersprechende Rechte. Der Unterschied zwischen gut und böse wird relativ wie der zwischen Gott und Teufel. Dem ethischen Relativismus fehlen alle sittlichen Maßstäbe, er leugnet allgemein verbindliche Normen, ihm fehlt Gott, er leugnet Gott. Alle Maßstäbe sind nur zeitbedingt, und alle Anschauungen können niemals allgemeingültig sein, nur die moderne Orientierungslosigkeit auf dem Irrweg ist allgemein. Das Sein vorgegebener, unabänderlicher Werte und Zielsetzungen wird angezweifelt, der radikale Relativismus führt zum Skeptizismus, zum Nihilismus, dem Verfall der Werte, zum Egoismus und zum Atheismus. Das Relativieren setzt die Dinge in Bezugspunkte zueinander und schränkt sie dadurch in ihrem Wert ein. Der Nadelstreifenanzug kontaktiert den Hippielook und erlebt den Kulturschock. Ich bin mein eigener Herr, keiner redet mir rein. Die Individualität ist nicht in der Gesellschaft möglich, nur gegen sie und außerhalb ihrer. Der Rand reagiert auf die Mitte der Gesellschaft mit Konformismus wie der Wetterwendische, mit Widerstand wie die Weiße Rose, mit Separation wie die Apartheid. Wie ist er zum Outsider geworden? Ich ändere mich und meine Einstellungen, ich reformiere mein Leben und meinen Lebensstil. Mein Glaube an eure Loyalität bröckelt. Die Subkultur kehrt die Kultur zur Kontrakultur. Die Normwidrigen und Wertelosen haben eigene Normen und Werte. Ich identifiziere mich mit meiner positiven Bezugsgruppe, als da ist die Reimschmiede. Ich hebe mich von meiner negativen Bezugsgruppe ab, als da sind die Spießer. In dem Paradox verinnerlichter Normen und dem Nein zu den Normen kommt mir eine vermeintliche Schuld hoch. Ich muss meine Normabweichung neutralisieren, rationalisieren und rechtfertigen. Freiheit!, schreit der Rebell. Der Andersdenkende artikuliert die Widerstandsbewegung und die Opposition. Der Protestsong kritisiert die sozialen und politischen Verhältnisse, flammend und geharnischt. Die Außenseiter aller Länder mögen vereinigt sein.

Gebrochen, zerbrochen, der Bruch

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