Читать книгу Franziskas Entscheidung - Katrin Engel - Страница 4
KAPITEL 1
ОглавлениеDrei Jahre ist es jetzt her, dass mich Stefan mit dem Messer verletzte. Kurz nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus konnte Björn dieses Haus, in das wir nun wohnten, erwerben. Es war ein sehr schönes Haus. Allerdings stand dieses Haus im nirgendwo. Es gab eine einzige Straße. Die Hauptstraße. An dieser Straße grenzten vielleicht 50 bis 60 Häuser. Jeder kannte jeden. Das war hier in dieser Gemeinde so. Mich kannte man jedoch nicht. Ich durfte das Haus nicht verlassen.
Die Narbe, die Stefan mir zugefügt hatte, schmerzte nicht mehr. Die seelische Wunde blieb. Jeden Tag sah ich zu, wie meine Kinder das Haus verließen, um zur Schule zu gehen. Jeden Tag blieb ich allein zurück.
Stefan wurde für seine Tat verurteilt und sitzt im Gefängnis; ich hingegen bin eingesperrt in meinem eigenen Heim.
Jeden Tag versuchte ich mir, die Zeit zu vertreiben. Die Hausarbeit war nach 2 Stunden erledigt. Und mehr war nicht zu tun.
Björn hat mir alles verboten. Ich durfte nicht arbeiten gehen und auch einkaufen durfte ich nur mit seiner Erlaubnis. Um den Frieden zu wahren, nahm ich sämtliche Einschränkungen hin. Ich mochte dieses Haus und mein neues Leben nicht, aber für Björn hatte ich mein altes Leben - einfach alles - aufgegeben.
Nach der Sache mit Stefan und Charlotte war Björn übervorsichtig. Alle zwei Stunden rief er zu Hause an, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei; besser gesagt, er kontrollierte mich. Da jedoch ich diejenige war, die diesen ganzen Ärger überhaupt verursacht hatte, nahm ich auch diese Konsequenzen in Kauf.
Ich wusste, dass Björn sich um mich sorgte, aber dieses Leben machte mich definitiv nicht glücklich. Ich überlegte, bereits seit mehreren Wochen, wie ich Björn um ein bisschen mehr Freiraum bitten könnte. Er sollte wenigstens die Ab- und Anmeldenummer lockern. Ich wollte einkaufen gehen oder das Haus verlassen, ohne ihn vorab informieren zu müssen.
Ich beschloss, das kommende Wochenende dazu zu nutzen, Björn zu fragen. Dieses Wochenende war nämlich seit etlichen Wochen, das Erste, an dem er mal wieder zu Hause war. Die letzten Wochen hatte ich Björn kaum gesehen. Er arbeitete ziemlich viel und nahm an zahlreichen Fortbildungen teil. Hauptsache war, dass er nicht zu Hause sein musste. Oder mich sehen. Er ging mir absichtlich aus dem Weg.
Ich hatte bereits meine Mutter gefragt, ob die Kinder das Wochenende bei meinen Eltern bleiben konnten. Sie übernahmen die beiden gerne, denn schließlich, so sagte meine Mutter jedenfalls, waren die beiden kleine Engel.
Björn war diesen Freitag für seine Verhältnisse sehr früh von der Arbeit gekommen. Ich hatte sein Lieblingsessen gekocht und den Tisch schön dekoriert. Der Tisch war mit unserem besten Geschirr, welches wir von seinen Eltern zur Hochzeit geschenkt bekommen haben, gedeckt. Björn mochte dieses Geschirr. Es war weiß und mit dunkelblauen Blumenmuster verziert. Für mich war das zu viel »Old-School«, aber da das ein Hochzeitsgeschenk von seinen Eltern war, musste ich es wohl oder übel behalten. Ich wollte für eine harmonische äußere Atmosphäre sorgen, obwohl ich in meinem Inneren ziemlich angespannt war.
Nachdem Björn den Nachtisch aufgegessen hatte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, atmete einmal ganz tief ein und sagte: »Wir müssen reden«.
Er schaute auf und sagte mit ganz ruhiger Stimme: »Gut, ok. Ich hoffe nur, es geht nicht wieder um das lästige Ich-will-wieder-arbeiten-gehen-Thema, denn das kannst du dir abschminken«.
Ich schüttelte nur den Kopf: »Nein, darum geht es nicht, auch wenn ich wirklich irgendwann wieder arbeiten gehen möchte. Es geht vielmehr darum, dass ich ein bisschen mehr Freiraum möchte«.
»Freiraum?«, Björn lachte laut auf. »Kannst du dich noch daran erinnern, was uns dein letzter Freiraum eingebrockt hat? Wenn nicht, zieh dein T-Shirt hoch, die Narbe müsste noch zu sehen sein.«.
Ich hielt die Hand schützend vor meinen Bauch und hörte Stefan flüstern: »Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich keiner haben«.
Björns Worte versetzten mir einen Stich in die Magengrube, mir wurde übel. Ich nickte und dennoch ließ ich nicht locker. »Ich möchte doch nur einkaufen gehen, ohne mich bei dir abmelden zu müssen. Weißt du eigentlich, wie demütigend das ist, wenn ich jedes Mal nur wegen einem Päckchen Sahne nachfragen muss, ob ich einkaufen gehen darf?«.
»Natürlich darfst du Sahne kaufen gehen.«.
»Mensch Björn, darum geht es nicht! Diese ständigen Kontrollanrufe oder auch das An- und Abmelden, wenn ich mal das Haus verlassen will. Du sperrst mich ein, verstehst du das denn nicht? Ich habe in den drei Jahren, in denen wir jetzt hier wohnen, noch keinen einzigen Nachbarn gesehen«.
»Es ist nur zu deinem Besten«.
Ich schnaufte. »Zu meinen Besten? Du weißt doch gar nicht, was das Beste für mich ist. Du weißt doch gar nicht, wie es ist, jeden Tag zusehen zu müssen, wie andere Frauen unbeschwert durch die Straßen schlendern, einfach nur, weil sie es können.«.
»Das kannst du doch auch, du musst mir nur vorher Bescheid geben«, gab Björn trocken zurück.
»Und genau das ist das, was ich nicht mehr möchte. Ich möchte dich nicht immer um Erlaubnis fragen. Diese Kontrolle muss aufhören«, ich bebte vor Wut.
»Was erwartest du jetzt von mir?«. Ich merkte, dass Björn kurz vor einer Explosion stand. Dann fügte er hinzu: »Ich hätte dich fast verloren und das nur, weil du leichtsinnig warst.«.
»Hast du dich mal gefragt, warum ich so leichtsinnig war?«, wollte ich wissen. Björn wusste nicht, worauf ich hinauswollte. Ich war gut in Fahrt, also machte ich weiter. Ich hatte ja nichts mehr zu verlieren. »Ich bin zu Stefan gegangen, weil er mir das Gefühl gab, geliebt zu werden. Er sah mich als Frau und nicht als Hausfrau und Mutter. Er ...«.
Björn unterbrach mich. »Er hat dich niedergestochen!«, brüllte er. Dieses Argument konnte ich nicht leugnen. Ich senkte den Kopf. Vor Angst? Oder doch vor Scham? Ich kam so nicht weiter, das wusste ich.
Björn würde versuchen, mich jedes Mal wieder auf das Thema Stefan und meinen Beinahe-Tod zu bringen, um mir das Gefühl zu geben, unfähig zu sein, auf mich selbst aufzupassen. »Er hat mich geliebt«. Ich seufzte.
»Ich liebe dich auch«, stellte Björn klar. Ich zögerte. Das hatte Björn mir schon seit Jahren nicht mehr gesagt.
»Er hat es mir auch gezeigt«, fügte ich mit zitternder Stimme hinzu.
Björn stand auf und stürmte auf mich zu, nahm mich in den Arm und küsste mich. In diesem Kuss lag keine Leidenschaft, sondern Wut. Reine Wut und Verzweiflung. Das konnte ich spüren. Ich konnte nicht anders. Ich riss mich los und stieß Björn von mir. Er schaute mich verdutzt an. Ich starrte ihn an. »Er hat mir es gezeigt, weil er es wollte und nicht, weil ich es gesagt habe«, schrie ich. Ein wütendes Funkeln tauchte in seinen Augen auf.
»Dann geh doch zu deinem Stefan«, brüllte er zurück. Björn drehte sich auf dem Absatz um und stürmte zur Tür hinaus. Bis ich das kapiert hatte, fiel die Tür ins Schloss und er war verschwunden. Ich sank weinend zusammen.