Читать книгу Stumme Zeugen - Katrin Fölck - Страница 5

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Montagmorgen bin ich kurz vor acht Uhr in meiner Dienststelle, in der es bereits wie in einem Ameisenhaufen zugeht.

„Morgen, Sully.“, begrüße ich Jason Sullyvan, unseren IT-Spezialisten, der seinen Arbeitsplatz gleich im Eingangsbereich hat, im Vorbeigehen und nicke Michael Hobbs zu, der ein Telefongespräch tätigt. Ich schicke einen „Guten Morgen“-Gruß in Richtung Joao Ramirez und Luiz Sanchez, die mir entgegenkommen, um das Büro schon wieder zu verlassen. Mein Blick bleibt an Riley Leech hängen, der dem Anschein nach der einzige hier ist, der einen entspannten Eindruck auf mich macht.

„Wo wollen die denn hin?“, frage ich ihn.

„Die Bewohner von Weber Place und Marbury Road befragen.“, erhalte ich zur Antwort.

„Aaah, ja.“, gebe ich von mir und frage nach, ob es schon irgendetwas Neues in unserem Fall gibt. Er schüttelt verneinend den Kopf.

Hinter mir vernehme ich Jims markante Stimme: „Ist unser Zeuge schon da?“

Sully antwortet ihm: „Ja, sitzt draußen. Soll ich ihn reinholen? Seiner Freundin ist in Bezug zum Tatfahrzeug übrigens noch etwas eingefallen: Am Heck des Lieferwagens befand sich ein Bild oder ein Aufkleber. Sie hat es mir aufgemalt. Jedenfalls das, was sie innerhalb der wenigen Sekunden, in der der Transporter an ihr vorbeigerast ist, erkennen konnte…“

Papier raschelt. Er nimmt ein Blatt von seinem Schreibtisch und begutachtet die Zeichnung, indem er sie hin- und herdreht: „Weiß nicht, hat irgendwie Ähnlichkeit mit einem Krokodil…“

Er reicht es Jim. „Hm. Na ja…“, sagt der und gibt es dann an mich weiter.

Auch ich beschaue mir die Darstellung eindringlich. „Könnte Werbung für einen Reptilienpark, einen Zoo oder ähnliches sein.“, bemerke ich.

Sully zuckt die Schultern. „Schon möglich. In Florida gibt es Alligatorenparks, aber hier bei uns? Ist auch nicht gerade die beste Zeichnung.“, merkt er an.

„Das ist unsere erste Spur zum Täter.“, gibt Riley enthusiastisch von sich. „Wir sollten nach dem Lieferwagen suchen.“

Jim blickt auf. „Klar. Und was denkst du, wie lange das dauert?! In unserer Stadt leben mehr als zwanzigtausend Menschen. Wie viele davon, glaubst du, fahren einen schwarzen Lieferwagen?“

„Ich dachte ja nur, bis wir einen anderen Anhaltspunkt haben…“, gibt Riley eingeschüchtert von sich.

Jim blickt in die Runde: „Noch jemand `ne Idee?“

„Der Junge hat Recht, ist immer noch besser als nichts. Auch wenn es der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleichkommt.“, kommt Robert Manson Riley zu Hilfe.

„Wäre doch einen Versuch wert.“, pflichtet ihm nun auch Michael Hobbs bei.

„Ich weiß nicht.“, schüttelt Jim den Kopf, „Wir haben kein Kennzeichen, nur ´ne Kritzelei auf einem Blatt Papier, das ein Krokodil oder ähnliches darstellt… Wir müssten unglaubliches Glück haben, wenn uns der Täter in die Fänge geht. Vielleicht kommt er ja auch aus einem anderen County?“, merkt er an, lenkt aber dann doch ein. „Meinetwegen.“

Er sieht auf die Uhr. „Was brauchen die in der Gerichtsmedizin denn so lange?“ Jim kratzt sich am Kinn. „Ich hoffe, dieser Perverse hat Spuren an der Leiche hinterlassen… Möglicherweise haben wir ihn ja bereits in unserer Verbrecherkartei,“ setzt er fort. „Ich will, dass wir den schnellstens kriegen.“

„Dieses Schwein lässt die toten Frauen zurück wie eine leere Hülle. Ich frag mich die ganze Zeit, was er mit dem Fötus will?“, äußert sich Robert Manson.

„Du hast Recht.“, erwidere ich ihm. „Er nimmt den Tod der Frauen billigend in Kauf. Sie spielen keine Rolle für ihn. Es scheint ihm einzig und allein um das Ungeborene zu gehen.“, pflichte ich ihm bei.

Auch Jim nickt zustimmend, bevor er sich am Hinterkopf kratzt. „So einen Fall habe ich in meiner gesamten Dienstzeit noch nicht erlebt.“

Betretenes Schweigen im Raum.

Rosaria de Santos stößt mit dem Bericht der Gerichtsmedizin zu uns und übergibt ihn an Jim. Er öffnet die Akte, blättert die Seiten durch, überfliegt den Text. „Wir haben einen Namen: Die Tote ist Rebecca Woodward, 34 Jahre, ansonsten nichts, was wir nicht schon wussten.“

Er nickt Rosaria zu: „Danke, Rosa. Gute Arbeit.“

Dann blickt Jim von einem zum anderen und greift den Gedanken wieder auf: „Also, jemand ´ne Idee, was er mit den Embryos will?“

„Für ihn ist es vielleicht so eine Art Trophäe, ein Souvenir an die Tat?“, antwortet Hobbs.

„Also, dass so Einer Haare, Schmuck oder die Schuhe seines Opfers aufbewahrt, soll es ja schon gegeben haben, aber tote Babys? Da stellen sich mir die Haare auf.“, sagt Ramirez.

„Vielleicht handelt er im Auftrag. Kindesraub für betuchte Kinderlose?“, kommt mir in den Sinn.

Jim räuspert sich. Mein Gedanke ist ihm sichtlich zu phantastisch. Das kann ich ihm ansehen.

„Also, ich weiß nicht“, sagt er. „Andererseits… die stümperhafte Art und Weise, wie die Bauchdecke aufgeschnitten wurde, sagt mir, dass das kein Profi war. Meines Erachtens ist dieses Vorgehen äußerst riskant, falls der Embryo dabei am Leben bleiben soll…“

Er schüttelt den Kopf. „Nein, das hätte man in diesem Fall garantiert anders gemacht… mit einem Kaiserschnitt… von einem Arzt oder einer Krankenschwester ausgeführt… und irgendwo, wo es sicherer ist und man Zeit hat, um nicht entdeckt zu werden.“

„Es gehört schon einiges dazu, so etwas zu tun…“, beteiligt sich Robert Manson an unserem Gedankenaustausch.

„Was ist mit dir?“, spreche ich Sully an, der neben mir sitzt und sich bis jetzt noch nicht eingebracht hat.

„Ich denke im Gegensatz zu euch in eine ganz andere Richtung. Ich folgere, er tut es aus Hass. Hass kann ein wirklich starker Antrieb sein.“

„Aber wer und warum sollte jemand eine Frau so sehr hassen, ihr so etwas anzutun?“, fragt unser Jüngster.

Wir sehen zu ihm hin und denken wahrscheinlich gerade alle das gleiche: Er muss noch viel lernen.

Ich habe plötzlich eine Eingebung: „Vielleicht eine andere Frau…“.

„Eine Frau?!…“, gibt Hobbs ungläubig von sich.

„Ja, wieso eigentlich nicht?“, halte ich an meinem Gedanken fest.

„Eine Frau ist dazu doch körperlich gar nicht in der Lage.“, setzt Robert entgegen.

„Dann hat sie einen Komplizen, der ihr hilft…“, widerspreche ich ihm. „Vielleicht ist es eine, die selbst keine Kinder bekommen kann und sie sich auf diese Art und Weise holt…“

„Also, ich weiß nicht…“, schüttelt Jim mit dem Kopf.

„… oder sie hasst die Frauen dafür, dass sie schwanger sind, weil sie es nicht ist oder nicht werden kann. Sie gönnt ihnen dieses Glück nicht und zerstört es aus genau diesem Grund.“

Stumme Zeugen

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