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Das Tor zur Hölle öffnet sich gerade.

Und ich befinde mich bereits mittendrin.

In der absoluten Apocalypse.

Um mich herum tobt der Sturm und heult.

Nein, er schreit. Fürchterlich.

Überall Sand.

Ein Meer aus Sand, wohin das Auge reicht.

Da ist keine Spur. Keine einzige. Nirgends.

Nur Sand und Dünen, die der Wind abträgt und woanders wieder neu entstehen lässt, so dass sich das Bild immer wieder verändert und man nicht wirklich eine Ahnung davon hat, wo man sich befindet.

Was ist eigentlich passiert?

Adrian hatte mich zu einem kleinen Wettkampf herausgefordert. Einer Art Rallye.

Nur wir Beide in einem riesigen Sandkasten.

Was sollte da schon schief gehen?

Schon während ich seinem Wagen hinterherfahre, habe ich das seltsame Gefühl, dass etwas passieren würde.

Adrian gibt Speed. Ich ebenso. Wir fahren am absoluten Limit. Volle Power. Das macht richtig Spaß.

In diesem Moment sind wir Kontrahenten.

Es kann nur einen Sieger geben.

Immer weiter geht es hinaus. Wir fressen die Kilometer einfach so, ohne zu merken, wie weit wir in die Wüste hinein fahren. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte, sich zu orientieren. Wir fahren weiter und weiter, immer dem Horizont entgegen, bis sich urplötzlich vor uns eine dunkle Wand aufbaut, die schnell vorwärts kommt.

Adrian scheint es als Erster zu erfassen, was sich da anbahnt, und steigt voll auf die Eisen. Während er eine Linkskurve fährt, wirbelt er so viel Sand auf, dass dieser mir an die Windschutzscheibe fliegt und mir die Sicht nimmt.

Einen kurzen Moment fahre ich blind weiter. Dann jedoch gibt es einen mörderischen Ruck und ich werde aus voller Fahrt ausgebremst.

Der Rückschlag ist enorm. Ich werde in meinen Sitz gepresst und schlage mit dem Hinterkopf auf die Kopfstütze auf und wieder nach vorne. Ich muss in eine der Dünen gefahren sein.

Es geht alles so enorm schnell, dass mein Gehirn das gar nicht erfassen kann. Ich werde gerüttelt und geschüttelt, bis ich mich dann, nachdem ich mich mit meinem Wagen mehrfach überschlagen habe, kopfüber in meinem Haltegurt hängend, wieder finde.

Einen kurzen Moment ist es still. Den Augenblick der Ruhe brauche ich auch, um ein paar Mal, des Adrenalins wegen, das mir gerade durch die Adern schießt, tief durchzuatmen.

Ich muss nachdenken, was ich als nächstes tun sollte.

Doch dafür bleibt keine Zeit.

Der Wagen beginnt zu schaukeln.

Der Sturm ist da. Und ich bereits mittendrin.

Immer noch hänge ich kopfüber.

Oben ist unten. Das macht es nicht leichter für mich. Ganz im Gegenteil.

Ich fingere hektisch am Gurtverschluss herum.

Irgendetwas scheint verklemmt zu sein. Der Gurt lässt sich nicht lösen.

So ein Mist! fluche ich.

Mein Blut staut sich in meinem Kopf. Ich kann das Klopfen meines Herzens dumpf und laut in meinen Ohren hören. Der Druck in meinem Kopf scheint stetig zuzunehmen.

Mit meiner Linken taste ich meine Hose ab. In irgendeiner der Taschen meiner Cargohose musste sich mein Schweizer Taschenmesser befinden, das ich immer für den Notfall bei mir trage.

Erst auf der anderen Seite werde ich fündig.

Kurz überm Knie ist eine weitere kleine Tasche, die sich durch einen Reißverschluss öffnen lässt. In dieser verschwindet meine Hand, um kurz darauf mit dem Messer wieder zum Vorschein zu kommen.

Schweiß perlt mir von der Stirn, der Anstrengung wegen. Auch mein Shirt ist klatschnass geschwitzt.

Während ich noch den Gurt zerschneide, überlege ich kurz, besser zu meiner Sicherheit im Fahrzeug zu bleiben. Doch andererseits könnte dies auch zu meiner Falle werden…

Ich stelle mir vor, wie ich vom Sand eingeschlossen, in dieser kleinen Luftkammer sitze.

Wie lange würde die Luft reichen?

Nein, keine gute Idee.

Wenn der Sand das Fahrzeug unter sich einschloss, bekäme ich die Türen nicht mehr auf.

Und der Sand würde spätestens dann, wenn ich versuchen würde, durch das herunter gekurbelte Fenster auszusteigen, von der Seite her ins Innere dringen.

Wieder rüttelt der Sturm am Wagen.

Ich habe eine Entscheidung zu treffen, und es sollte bestenfalls auch noch die Richtige sein.

Verdammt! Auf so eine Lage bin ich nicht vorbereitet. Eine derartige Situation habe ich noch nie vorher in meinem Leben erlebt. Was tun?

Als der Gurt zerschnitten ist, stütze ich mich blitzschnell mit den Händen auf dem Boden ab, um nicht mit meinem gesamten Körpergewicht auf meinen Knien zu landen. Es gelingt mir jedoch nicht ganz und ich schlage mit dem Linken härter auf als gedacht.

Einen Moment lang ist mir Schwarz vor Augen.

Ein grausamer Schmerz durchdringt mich.

Ich sehe Sterne.

Als ich schon glaube, ohnmächtig zu werden, ist es mit dem Schmerz wieder vorbei. Was bleibt, ist ein gleichmäßiges Pochen im Knie.

Ich habe keine Zeit mehr, abzuwarten. Der Sturm wird schlimmer. Mein Ausstieg ist jetzt das Wichtigste. Es erscheint mir doch sicherer, das Fahrzeug zu verlassen, um hinter dem Wagen, also dort, wo sich jetzt die Motorhaube befindet, Schutz zu suchen.

Ich kurbele die Fensterscheibe auf meiner Seite ganz herunter, was eigenartig ist, da ich sie aus Sicht meiner jetzigen Position im Wagen im Grunde genommen ja hoch leiere, und ziehe, hangle und schiebe mich zum offenen Seitenfenster hinaus.

Irgendetwas scheint mit meinem linken Knie nicht in Ordnung zu sein. Es tut höllisch weh. Dennoch schaffe ich es relativ schnell aus dem Fahrzeug heraus und robbe auf allen vieren durch den Sand.

In dieser Haltung biete ich dem Sturm den geringsten Widerstand. Trotz allem bekomme ich seine ungeheure Kraft zu spüren, als ich, nur ein paar Meter weiter, nun, an der Motorhaube angekommen, meine Position wechsle. Mit einer Urkraft reißt und zerrt er an mir, und ich kann mich ihr nicht widersetzen.

Alsbald habe ich feinsten Sand in Augen, Ohren und Nase.

Es gibt kein Entkommen und keinen Schutz.

Nirgends.

Ich bin ihm ausgeliefert. Völlig.

Der Sturm wütet und reißt Unmengen an Sand mit. Die Luft scheint nur noch aus Sandkörnchen zu bestehen, auch die Sonne ist längst vom Staub verhüllt.

Die Arme vor meinem Kopf verschränkt, den Kopf fest an meine Brust gedrückt, die Knie angewinkelt, sitzend, mit dem Rücken an das Fahrzeug gepresst, um ein wenig Stabilität zu erreichen, versuche ich, mich wenigstens etwas vor der Masse an winzigen Sandkörnchen zu schützen. Und auch, wenn sie dennoch überall hin gelangen, gelingt es mir dadurch wenigstens, ihnen das Eindringen zu erschweren.

Doch das ist ein schier aussichtsloses Unterfangen.

Mittlerweile sind sie auch schon zwischen den Zähnen. Wie gerne würde ich ausspucken, um die ungebetenen Gäste loszuwerden, doch ich traue mich nicht, meinen Mund zu öffnen, weil mir klar ist, dass dann um so mehr nachfolgen würden. Also lasse ich es und die, die schon da sind, bleiben, wo sie sind.

Der Sturm wütet endlos, so scheint es mir.

Was, wenn das jetzt der letzte Moment meines Lebens ist? Und das Schreien des Windes das letzte Geräusch ist, das meine Ohren hören?

Bilder huschen im Schnelldurchlauf an meinem geistigen Auge vorbei. Mit gleichgültiger Gelassenheit lasse ich sie in mir ablaufen.

Da ist keine Wehmut.

Kein Bedauern.

Kein Aufbegehren.

Nichts.

Aber wieso nicht?

Wusste ich bereits, dass es hier zu Ende sein würde?

War das Intuition?

Wusste ich, dass es nichts gab, was ich tun konnte, mein Leben zu retten?

Außer abzuwarten?

Mein Gehirn hatte das scheinbar schon sehr viel früher erfasst als ich und meinen Körper auf die ausweglose Situation eingestellt. Es gab nur so viel an Energie, wie nötig war. Ich wurde in eine Art Stand-by-Modus, in Ruhe-Status geschalten.

Keine Aufregung. Kein Adrenalin.

In meinem Kopf nur den einen Gedanken, mich damit abzufinden, das es eben so war.

Wenn ich es schon nicht ändern kann, warum also nicht aufgeben?

Einfach abwarten, was passiert.

Mein Inneres Ich betrachtet mein bisheriges Leben. Auch wenn nicht alles optimal gelaufen war, so war es doch eigentlich ganz okay, so, wie es war.

Ich hatte eine behütete Kindheit, wuchs mit der ganzen Liebe, Fürsorge und Aufmerksamkeit wundervoller Eltern auf. Und mit ihrem Geld. Sie unterstützten mich selbst noch bei der Umsetzung meiner abenteuerlichsten und verrücktesten Träume, ohne jegliche Ahnung davon zu haben, wie gefährlich das eigentlich für mich war. Und sie standen mir bei. Immer, bedingungslos. So wie meine Schwester und wie Adrian, mein bester Freund.

Ob er sich noch vor dem Sandsturm in Sicherheit hatte bringen können? Hoffentlich. Sicher würde er bald mit Hilfe zurückkommen…

Doch wie will er mich finden? Was will er den Leuten sagen, wo er mich zurückgelassen hat?

Ganz schnell vergesse ich diese Gedanken wieder.

Meiner jetzigen Situation sind sie ganz und gar nicht dienlich.

Die Schulzeit kommt mir in den Sinn.

Wieder muss ich an Adrian denken und schmunzeln. Mann, was wir doch zusammen für Blödsinn angestellt haben…

Später dann, der erste Alkohol, den wir aus dem Weinkeller geklaut und heimlich getrunken haben, oder der erste Joint, den wir rauchten… die vielen amourösen Abenteuer mit den nur zu willigen Mädchen, die ich, bei Abwesenheit meiner Eltern, in unsere Villa mit dem schicken Pool zur Party einlud und die wir dann tauschten… mein BWL-Studium, der Camaro, den mir mein Vater in Anerkennung meines erfolgreichen Abschlusses schenkte, die Anfänge einer große Karriere in Vaters Firma, die Hochzeit mit Claudia… und jetzt der Kurzurlaub mit Adrian, der nun scheinbar hier, in den Tiefen der Sandwüste in Marokko für mich endet…

Müsste ich jetzt von dieser Welt gehen, würde mir Einiges entsagt bleiben. Wie gerne hätte ich noch Kinder mit Claudia gehabt. Einen Jungen und ein Mädchen. Ein Haus. Einen Hund…

Doch eigentlich habe ich keinen Grund zum Trauern. Ich hatte ein schönes Leben. Ich war immer ein Glückspilz gewesen.

Und jetzt hatte ich eben Pech.

So einfach ist das…

Das Heulen um mich herum wird immer schlimmer.

Ich muss an unsere Mutproben denken, als Adrian, Odo, der Sohn der Schwester meiner Mutter, und ich einen stillgelegten Brunnen erkunden wollten. Oder an unseren Jungfernflug mit unserem selbst gebauten Flieger. Der Tag, als wir im Eis eingebrochen sind und tropfend zusammen um unseren Kamin saßen….

Wie oft hatte ich dem Tod schon ins Auge geblickt und war ihm doch immer wieder von der Schippe gesprungen?

Dass er mich kriegen würde, war mir seit dem Tag meiner Geburt klar.

Das stand fest. War unabänderlich.

Aber jetzt schon? Mit 34?

Das sind meine letzten Gedanken, bevor alles um mich dunkel wird.

Zahltag

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