Читать книгу Zurück auf Gestern - Katrin Lankers - Страница 11

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»Es war genial!« Lulu strahlte und strahlte und strahlte und hörte gar nicht mehr damit auf. »Samuel ist so süß. Und er küsst wirklich fantastisch!«

Wie wir es verabredet hatten, hatte Lulu pünktlich um neun am nächsten Morgen vor unserer Tür gestanden. Sie sah ziemlich unausgeschlafen aus, grinste aber von einem Ohr zum anderen. Gemeinsam waren wir unter meine Bettdecke gekrochen, und Lulu hatte mich wortreich davon in Kenntnis gesetzt, dass Samuel in der Kussdisziplin mindestens so viele Medaillen verdient hatte wie beim Schwimmen.

»Und wie war es sonst?«, erkundigte ich mich. »Vom Küssen mal abgesehen?« Ich bemühte mich, nicht die klitzekleinste Spur von Eifersucht durchklingen zu lassen. Denn es gab ja überhaupt nicht den klitzekleinsten Grund, eifersüchtig zu sein. Ich hatte Lulu selbst vorgeschlagen, zur Party zu gehen und sie zu decken. Und ich freute mich für sie, dass es mit Samuel so gut lief. Wirklich sehr.

»Ach, ganz in Ordnung.« Lulu winkte ab. Obwohl ich mich so sehr bemühte, mir nichts anmerken zu lassen, schien sie genau zu spüren, wie ich mich fühlte, legte mir den Arm um die Schultern und drückte mich an sich. »Samuel hat mir das Haus gezeigt. Das ist riesig. Sie haben sogar einen Pool im Garten. Und ein Poolhaus. Ziemlich krass. Da haben wir Musik gehört und gequatscht und ein bisschen getanzt und so. Und die anderen Jungs haben nur Mist gelabert. Du hast total gefehlt, ehrlich! Beim nächsten Mal denken wir uns eine gute Ausrede für deine Eltern und für meine Mam aus und gehen beide hin, in Ordnung?«

»Hm«, machte ich. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt Lust auf eine Party im Poolhaus von Samuel Micky Maus Sauermann hatte. Aber ich wollte Lulu nicht enttäuschen.

»Wie ist es denn bei dir gelaufen? Gestern Abend, meine ich«, erkundigte meine Freundin sich. »Haben deine Eltern die Lüge geschluckt?«

Das hatten sie tatsächlich. Ohne irgendwelche Nachfragen zu stellen. Eigentlich erstaunlich, aber der Film, den sie gerade schauten, als ich nach Hause kam, schien recht spannend zu sein.

»Das ist alles so cool!« Lulu strahlte immer noch, als hätte jemand in ihrem Kopf ein Flutlicht angeknipst.

»Das hab ich nur dir zu verdanken. Dir. Ganz. Allein.« Bei jedem Wort pikte sie mir mit dem Zeigefinger in den Bauch, direkt auf die Nase von Winnie Pu, der mein Schlafshirt schmückte. Peinlich, ich weiß, aber ich liebte den Bären von sehr geringem Verstand einfach, seit meine Omili mir vor vielen Jahren zum ersten Mal seine Geschichten vorgelesen hatte.

»So, jetzt zu den wirklich wichtigen Fragen«, wechselte Lulu abrupt das Thema und fing an, mit dem Anhänger zu spielen, den sie noch immer um den Hals trug.

»Es gibt Wichtigeres als Mr. Micky Maus?«, zog ich sie auf, woraufhin sie mich erneut in den Bauch pikte.

»Haha. Sehr witzig«, erwiderte Lulu gespielt empört. »Aber mal im Ernst. Hast du eine Erklärung für diese Murmeltier-Sache? Ich meine, das war total genial, ich kapier nur echt nicht, was da eigentlich passiert ist!«

»Nein, ich, ehrlich gesagt, auch nicht.« Vom Nachttisch nahm ich meine Kette, die ich gestern Abend dort abgelegt hatte, und ließ sie durch meine Finger gleiten. Dann legte ich sie mir ebenfalls um.

»Und? Was denkst du?« Wir schauten beide auf die Anhänger in unseren Händen hinunter.

»Es hat mit diesen Anhängern zu tun, schätze ich«, sagte ich schließlich.

»Genau das denke ich auch.« Lulu nickte.

»Es könnte natürlich auch irgendwas anderes gewesen sein. Ein Wurmloch oder so«, wandte ich ein. Ich hatte in der Nacht noch eine ganze Zeit lang im Internet nach Erklärungen für das gesucht, was Lulu und ich erlebt hatten. Aber ich hatte nur einen Bruchteil von dem kapiert, was ich dort gelesen hatte. Meiner Meinung nach klang das meiste davon zu sehr nach schrecklich komplizierten mathematischen Berechnungen, Gleichungen und Formeln.

»Wurmloch, klar.« Lulu lachte schallend. »So wie im Apfel, meinst du?«

»Natürlich nicht.« Ich knuffte sie. »Das ist irgendein Ding im Universum, das sich durch Zeit und Raum frisst, oder so ähnlich. Albert Einstein hat es berechnet, allerdings weiß bis heute niemand so genau, ob es funktioniert.«

»Klingt unglaublich kompliziert.«

»Ziemlich«, stimmte ich zu.

»Aber es schien nicht wirklich kompliziert zu sein, als es passiert ist«, gab Lulu zu bedenken.

»Nicht wirklich«, bestätigte ich. »Wobei die Frage bleibt, was eigentlich genau passiert ist.«

»Stimmt.« Lulus Lippen spitzten sich zu einem besonders nachdenklichen Kussmund. »Ich erinnere mich, dass die beiden Kugelhälften plötzlich aneinanderhingen. Wie zwei Magnete.«

»Ja, daran erinnere ich mich auch.«

»Dann habe ich einen Stromschlag bekommen.«

»Ja, ich auch.«

»Und danach kam deine Stiefschwester über den Schulhof stolziert und hat ihren dummen Spruch zum zweiten Mal aufgesagt.«

»Genau so war es.«

»Dann hätten wir das geklärt.« Lulu klatschte in die Hände.

»Na ja, so richtig klar ist mir immer noch nicht, wie das passiert ist«, wandte ich ein.

»Nein, mir auch nicht«, gab Lulu zu. »Allerdings glaube ich kaum, dass du und ich intelligenter sind als Albert Einstein. Nicht mal zusammen. Die Chance, dass wir diese Frage beantworten können, dürfte also verschwindend gering sein. Deshalb sollten wir es einfach akzeptieren, wie es ist: Deine Großmutter hat dir einen Anhänger vererbt, mit dem man aus irgendeinem unerfindlichen Grund die Zeit zurückdrehen kann.« Lulu rutschte in die Mitte des Bettes, bis sie direkt vor mir saß, und sah mich eindringlich an.

»Krass, oder?«, fragte sie voller Begeisterung.

»Definitiv krass«, gab ich mich geschlagen, allerdings mit deutlich weniger Begeisterung. Ich wollte gern eine logische, wenn möglich weniger abenteuerliche Erklärung. Lulu leider nicht.

»Die einzige Frage, die bleibt, lautet also: Was muss man machen, damit es passiert?«

Ich atmete tief durch. Das klang auf jeden Fall zu sehr nach Abenteuer für meinen Geschmack.

»Lulu«, versuchte ich, meine Freundin zu besänftigen. »Wir wissen doch überhaupt nicht, ob es noch mal funktioniert.«

»Dann lass es uns ausprobieren.« Lulu schäumte fast über vor Tatendrang.

»Jetzt?« Ich schaute an mir hinunter. Ich saß in einem Pu-Bär-Schlafshirt auf meinem Bett und hatte bisher nicht einmal gefrühstückt. Als wäre ihm dieses Versäumnis auch soeben bewusst geworden, knurrte mein Magen lautstark. Der Duft von frischem Kaffee, der aus der Küche zu uns heraufzog, schien mir mit einem Mal übermächtig verlockend zu sein.

»Klar, jetzt.« Lulu ignorierte das Flehen meines Magens. »Warum nicht jetzt?«

»Frühstück ist fertig«, flötete Sylvia gut gelaunt in diesem Augenblick aus der Küche herauf.

»Bin im Bad«, flötete Sophie zurück.

»Komme«, rief mein Vater, dessen Stimme eher Ähnlichkeit mit einer Tuba als mit einer Flöte hatte.

»Wollen wir nicht erst einmal etwas essen?«, schlug ich vor. »Sonst wird der Kaffee kalt.«

Doch Lulu durchschaute mich mühelos und ließ sich nicht erweichen. »Du bist manchmal so ein Angsthase«, zog sie mich auf. »Was soll schon groß passieren?«

»Keine Ahnung! Das ist ja das Problem.«

»Clairchen, komm schon. Riskier mal was.« Lulu rutschte wieder so nah neben mich, dass sich unsere Schultern berührten, und stupste mich sanft an.

»Aber wenn wir jetzt die Zeit zurückdrehen, auf gestern Abend zum Beispiel, und dann tauche ich in diesem peinlichen Nachthemd auf der Schulparty auf, dann wäre das der schlimmste Albtraum, den man sich nur vorstellen kann«, sprudelte ich hervor.

»Ach was!« Lulu schnappte sich meine Hälfte des Anhängers, ohne auf meinen Protest zu reagieren, und presste sie gegen ihre Hälfte.

Nichts geschah.

»Verflixt. So einfach ist es also nicht.«

»Nein, so einfach ist es nicht.« Ich wand Lulu meine Kette wieder aus der Hand. »Und weil wir keine Ahnung haben, wie es funktioniert, lassen wir es schön bleiben, verstanden?«

»Okay, was haben wir gemacht, bevor es passiert ist?« Lulu schien meinen Einwand gar nicht gehört zu haben.

»Verstanden?«, wiederholte ich.

»Hm, ja, schon gut.« Hoch konzentriert musterte meine Freundin ihren Anhänger. Mit dem Finger fuhr sie die Gravur nach, genau wie ich es am Abend zuvor getan hatte. »Ich war schrecklich unglücklich, weil Samuel die Doppel-Ds eingeladen hatte, und dann hab ich gesagt, dass ich am liebsten die Zeit zurückdrehen würde und dann …« Lulu grübelte und ich wollte sie am liebsten schütteln.

»He, du hast gerade zugestimmt, es nicht auszuprobieren«, versuchte ich sie zu erinnern, aber genauso gut hätte ich gegen eine Wand reden können.

»Und dann hab ich an den Zeigern gedreht«, erklärte sie triumphierend. »Genau, das war es. Ganz einfach. Bloß an den Zeigern drehen.« Ihr Finger schwebte über dem winzigen Zifferblatt. »Fünf Minuten, das sollte erst mal reichen.«

Und damit drehte sie an dem Zeiger und kniff fest die Augen zusammen. Und wieder geschah … nichts.

»Mist, so funktioniert es also auch nicht.« Lulu schnaufte.

»Nein, so funktioniert es auch nicht.« Ich betonte jedes Wort. »Weil es gar nicht funktionieren soll!«

»Nur mit einer Hälfte geht es wahrscheinlich nicht. Man muss erst drehen und danach die Teile zusammenfügen«, überlegte sie laut. »Los, gib mir deine Hälfte.«

»Nein, jetzt hör schon auf«, protestierte ich schwach. Doch da schnappte Lulu sich bereits meine Hand, mit der ich den Anhänger festhielt.

»Komm schon, Süße«, bettelte sie und wob ihre Finger in meine. Die Halbkugeln rutschten aus unseren beiden Händen und schienen sich im Fallen erneut magnetisch anzuziehen.

Ich ahnte den Stromschlag, bevor ich ihn tatsächlich spürte, und noch bevor ich den Schmerz registriert hatte, war er schon wieder vorbei.

»Wahnsinn«, jubelte Lulu.

Ich schnaufte.

»Und wie willst du jetzt kontrollieren, ob es wirklich geklappt hat?«, murrte ich.

In diesem Moment erklang Sylvias viel zu gut gelaunte Stimme: »Frühstück ist fertig.«

Und dann meine Stiefschwester: »Bin im Bad.«

Und mein Vater: »Komme.«

»Wahnsinn«, triumphierte Lulu.

»Absoluter Wahnsinn«, knurrte ich.

Aber als Lulu mir um den Hals fiel und mich immer wieder drückte, konnte ich ihr nicht mehr böse sein. Zumal ich ziemlich erleichtert war, dass ich nicht in meinem Schlafshirt auf der Schulparty gelandet war.

»Das ist einfach un-fass-bar. Genau wie bei Harry Potter! Wir können zaubern.« Lulu sprang auf und tanzte durchs Zimmer. »Wir. Können. Die. Zeit. Zurück. Drehen.« Bei jedem Wort vollführte sie eine Pirouette.

»Na ja, nicht ganz wie bei Harry Potter«, wandte ich ein. »Wir sind ja nicht doppelt da.« Doch Lulu ging auf meinen Einwand gar nicht ein.

»Clairchen, das ist der Hammer! Deine Omi war der Hammer! Vererbt dir einfach so einen magischen Anhänger. Mit. Dem. Man. Die. Zeit. Zurück. Drehen. Kann.«

Mir wurde ganz schwindelig von Lulus vielen Drehungen. Vor allem wurde mir schwindelig, wenn ich zu begreifen versuchte, was gerade passiert war. Und was das bedeutete. Ehrlich gesagt, war mir das gerade zu viel. Das musste ich erst mal verdauen.

»Können wir im zweiten Anlauf dann endlich frühstücken?«, schlug ich vor.

»Klingt gut.« Lulu hüpfte voller Energie zurück aufs Bett und zog mich hoch. »Das ist eine super Gelegenheit, um deinen Vater über diesen Anhänger auszuquetschen. Vielleicht weiß er ja doch mehr, als er bisher zugegeben hat.«

»Ich weiß nicht«, versuchte ich, Lulu zu bremsen. »Das Ganze ist so verrückt, vielleicht behalten wir es besser erst mal für uns.« Selbst wenn mein Vater mehr über die seltsamen Kräfte des Schmuckstücks wusste, war ein Familienfrühstück sicher nicht der beste Zeitpunkt, um ihn danach zu fragen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass meine Stiefmutter dafür sorgen würde, dass Lulu und ich auf einer geschlossenen Station landeten, wenn wir behaupteten, die Zeit zurückdrehen zu können.

»Okay. Mein Mund ist versiegelt.« Lulu machte eine Geste mit der Hand über die Lippen, als wollte sie einen Reißverschluss schließen. Ich hoffte bloß, dass dieses Versprechen ihre Neugier überwiegen würde.

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