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g) Die Äbtissin Hildegard von Bingen und die letzte Blüte der Klostermedizin

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Mit der Äbtissin Hildegard von Bingen erfuhr das faktisch bereits beendete Zeitalter der Klostermedizin noch einmal eine späte (Nach-)Blüte. Die visionäre und schreibfreudige Mystikerin hinterließ mit ihren zwischen 1150 und 1160 entstandenen Schriften Physica und Causae et curae zwei naturkundliche und medizinische Werke, denen ein langes Nachleben beschieden sein sollte.

Medizinische Vorstellungen

Das geschlossene Weltbild der Hildegard von Bingen, in dem sich Mikro- und Makrokosmos miteinander zu einer universellen Einheit ergänzen, spiegelt sich auch in ihrem heilkundlichen Werk wider. Die Gestalt des Menschen ist nach dieser Konzeption ein verkleinertes Abbild des Kosmos. Der Mensch erscheint eingebunden in den großen Rahmen der kosmischen Kräfte, hat jedoch die Möglichkeit, auf diese Einfluss auszuüben. Körper und Seele bilden dabei in ihrer Beziehung zueinander ebenfalls eine Einheit. Das geistig-visionäre Gerüst der Ordnung von Mikro- und Makrokosmos fand seinen Niederschlag auch in Hildegards Vorstellungen von Bau und Funktion des menschlichen Organismus, der Entstehung von Krankheit und schließlich deren effiziente Behandlung.

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Hildegard von Bingen (1098 – 1179) wurde als zehntes Kind einer wohlhabenden Familie auf dem Gut Bermersheim vor der Höhe geboren. Im Alter von acht Jahren wurde das Mädchen der von Jutta von Sponheim geführten Klause, die der Abtei Disibodenberg unterstand, zur weiteren Ausbildung übergeben. Hildegard widmete sich dem Studium der Liturgie, biblischer Texte und der sieben freien Künste. Nach dem Tod ihrer Erzieherin und Lehrerin Jutta von Sponheim im Jahre 1136 wurde Hildegard zur neuen Magistra gewählt. Zwischen 1147 und 1152 übernahm sie den Bau eines Klosters auf dem Rupertsberg nahe Bingen, dem sie 1165 ein Tochterkloster in Eibingen bei Rüdesheim zur Seite stellte. Im Mittelpunkt ihres umfangreichen schriftstellerischen Schaffens steht eine visionäre Trilogie, eine Verknüpfung aus Kosmologie und Anthropologie mit Theologie und Glaubensinhalten. Als ein Hauptwerk gilt daneben das so genannte Buch der göttlichen Werke. Daneben entfaltete Hildegard Engagement als Predigerin auf mehren Missionsreisen. 1179 starb die Äbtissin in ihrem Kloster Rupertsberg.

Krankheitsursachen und Behandlungen

Triebkraft allen Gedeihens innerhalb der Natur war für sie die so genannte viriditas, ein bis dahin nicht bekannter Begriff. Diese „Grünkraft“ kam bei unterschiedlichen Lebensformen in verschiedener Weise zum Ausdruck. Auch beim Menschen zeigte sie sich als jene Lebenskraft, die sich beispielsweise durch die Möglichkeit zur Fortpflanzung manifestierte. Bei den Pflanzen indes bedingte sie nicht nur Wachstum, sondern auch die Heilkraft. Die Heilkunde der Hildegard von Bingen erstreckte sich wie die ihrer antiken Vorbilder auf pflanzliche, tierische und mineralische Arzneimittelbestandteile, deren therapeutische Wirkung sie ausführlich beschreibt. Dennoch bekräftigte auch sie im Einklang mit all ihren Zeitgenossen, dass deren Verabreichung nur durch göttlichen Willen eine Genesung des Kranken herbeiführen könne. Die Wahl des Therapiemittels erfolgte während des gesamten Mittelalters stets in der Absicht einer Wiederherstellung des Gleichgewichts der Körpersäfte. Im Gegensatz zu den orientalischen Ärzten, deren Schriften zu Lebzeiten Hildegards allmählich eine weite Verbreitung fanden, und die in Anlehnung an die galenischen Empfehlungen der Natur der Krankheit gegenüberstehende Mittel anwandten (contraria contrariis), setzte sich im christlichen Abendland die so genannte Signaturenlehre durch. Diese war geprägt von der Vorstellung, durch den Einsatz von Heilmitteln, die der Natur der Krankheit ähnelten, eine bessere Temperierung der Körpersäfte bewirken zu können. Gegen die Lepra, die nach ihrer Einordnung in das galenische Schema der Humoralpathologie als kalt und trocken galt, empfahl die heilkundige Äbtissin etwa Schwalbenkot vermengt mit Klettenkraut zu einem Pulver zu zerstoßen. Mit geschmolzenem Geier- und Storchenfett und unter Zugabe von Schwefel sollte eine Salbe bereitet werde, die im Schwitzbad mehrfach aufgetragen werden sollte. Die therapeutisch-temperierende Wirkung der Salbe begründet sie mit der Wärme des Schwefels, des Schwalbenkots sowie des Storchenfetts im Unterschied zur kalten Natur von Klettenkraut und Geierfett. Das Auftragen der Salbe sollte eine Zersetzung der fauligen, den Aussatz bedingenden Krankheitsmaterie bewirken, die von der Klette angegriffen und durch die Fette wie den Schwefel herausgelöst werden sollte. Darüber hinaus empfahl die Äbtissin auch eine Therapie, die sich an einem Krankheitszeichen der Lepra orientierte. Die Erhitzung des Blutes eines Leprakranken, die so genannte Seihprobe, förderte nach zeitgenössischer Vorstellung erdige Bestandteile zutage. Vor diesem Hintergrund empfahl Hildegard im Einklang mit der Signaturenlehre die sympathetische Anwendung von Blut unter Beimischung von Erde. Auf diese Weise könne man dem Aussatz widerstehen, wie ein Feind seinem Feinde, betont Hildegard.

All die in ähnlicher Weise gestalteten Beschreibungen von den Krankheitsursachen und Therapien unterschiedlicher Natur finden sich in Hildegards Werk der Causae et curae, den Ursachen und Behandlungen, wieder. Grundlegend für ihre Behandlungsvorschläge ist ihr Modell von der Verteilung der vier Elemente innerhalb des Organismus. Das Feuer befand sich demnach im Gehirn und Mark, das Wasser im Blut und in den Körperflüssigkeiten, die Luft naturgemäß im Atem sowie auch in der Vernunft, die Erde schließlich saß im Gewebe und in den Knochen. Die durch das Zusammenspiel der im Körper auftretenden Elemente verursachte Kreislaufbewegung ermöglicht das Leben.

Aus ihrer Beschäftigung mit Heilkunde und Gesundheitspflege erwuchsen zugleich Hildegards Vorstellungen vom idealen Arzt. Barmherzigkeit und Stärke sollten einem Heilkundigen innewohnen. Die in einem engen Lehrer-Schüler-Verhältnis gedachte ärztliche Ausbildung sollte den künftigen Arzt dazu befähigen, seiner Tätigkeit über die medizinische Betreuung hinaus ihren Platz innerhalb des göttlichen Heilsplans zuzuweisen. Wie der Priester sollte auch der Arzt sein durch den Dienst gekennzeichnetes Wirken auf die spätere Heilserfahrung ausrichten. Der größte aller Ärzte, so unterstreicht die Äbtissin in ihrem Werk, ist jedoch Christus selbst.

Krankheit und Heilkunde im Mittelalter

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